Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - I-2 U 37/15
Tenor
I. Auf die Berufung wird das am 25. Juni 2015 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 300.000,- € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 435 AAA B1 (nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Erstattung vorgerichtlicher Kosten sowie auf Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht dem Grunde nach in Anspruch.
4Das Klagepatent wurde am 23. Dezember 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität eines deutschen Gebrauchsmusters vom 15. Februar 1999 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet. Die Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Klagepatents erfolgte am 9. April 2008. Das Klagepatent ist in Kraft. Über eine durch die Beklagte erhobene Nichtigkeitsklage, deren vollständiger Inhalt sich der Anlage B 1 entnehmen lässt, hat das Bundespatentgericht noch nicht entschieden.
5Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Radschützer für Zweiräder“. Sein Patentanspruch 1 ist wie folgt gefasst:
6„Radschützer für ein Zweirad, umfassend eine Einrichtung zur lösbaren Befestigung des Radschützers im Bereich der Gabel des Zweirads, wobei die Einrichtung zur Befestigung wenigstens ein Spreizelement (10) umfasst, das in das Innere eines rohrförmigen Teils (11) der Gabel schiebbar und dort klemmend festlegbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass
7- die Einrichtung zur Befestigung wenigstens ein mit dem Spreizelement verbindbares Schiebeelement (12) umfasst, das in eine Nut (13) oder Schiene am Radschützer (14) einschiebbar und in einer Endposition lösbar festlegbar ist, dass
8- der Radschützer (14) werkzeuglos an dem Schiebeelement (12) montierbar und/oder demontierbar ist, und dass
9- der Radschützer (14) in der Seitenansicht gesehen im Bereich der Einrichtung zur Befestigung wenigstens einen stufenförmigen Versatz (29) und eine im Bereich des stufenförmigen Versatzes (29) angeordnete senkrechte Wandung (30) aufweist.“
10Im Hinblick auf die Formulierung des durch die Klägerin lediglich im Wege eines „insbesondere, wenn“ - Antrages geltend gemachten Unteranspruchs 4 wird auf die Klagepatentschrift Bezug genommen.
11Die nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figuren 1 bis 3 zeigen nach der Klagepatentbeschreibung ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung. Bei Figur 1 handelt es sich um eine schematisch vereinfachte Darstellung eines im Bereich der Fahrradgabel eines Fahrrads befestigten Radschützers.
12Figur 2 ist eine vergrößerte Detaildarstellung eines Ausschnitts II von Figur 1 im teilweisen Schnitt.
13Schließlich sind in Figur 3 ein erfindungsgemäßer Radschützer sowie das daran befestigte Winkelteil in einer Explosionsdarstellung gezeigt.
14Die Beklagte stellt in der Bundesrepublik Deutschland her und vertreibt Radschützer, wie sie aus den Anlagen K 6 bis K 15 ersichtlich sind (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Dabei wird die angegriffene Ausführungsform als Set geliefert, bestehend aus dem eigentlichen Radschützer aus Kunststoff, einer Gewindeschraube mit Schwenkhebel, zwei 3-teiligen Spreizeinsätzen, einer Gewindekappe und einem Ausgleichsstück, wobei die beiden Spreizeinsätze als Adapter für unterschiedliche Innendurchmesser des Gabelrohrs dienen.
15Der jeweilige Adapter wird zunächst mit dem Radschützer verschraubt. Hierzu wird die Schraube mit dem Schwenkhebel mit dem Gewinde voran zunächst von unten durch das Langloch im Schutzblech und die Bestandteile des Spreizeinsatzes gesteckt, woraufhin die Gewindekappe auf die Schraube aufgeschraubt wird.
16Sodann wird die Gewindekappe so weit auf dem Gewinde der Schraube verdreht, dass die Spreizelemente einen solchen Außenumfang annehmen, dass der Adapter möglichst passgenau in das Gabelrohr eingefügt werden kann.
17Im Anschluss wird der Adapter mitsamt dem daran montierten Radschützer von unten in die Gabel eingeschoben und durch Verschieben des Schraubenschaftes innerhalb des Langlochs im optimalen Abstand zur Gabel positioniert.
18Schließlich wird der Schwenkhebel umgelegt und mit seiner Verdickung in einer Nut an der Unterseite des Radschützers zum Zwecke der Sicherung verankert.
19Ein solcher, an einem Fahrrad montierter Radschützer ist aus der nachfolgenden Abbildung ersichtlich.
20Der in eine Nut am Radschützer eingerastete Schwenkhebel lässt sich in der nachfolgenden Abbildung noch besser erkennen.
21Die nachfolgende Abbildung zeigt schließlich das in das Rohr der Gabel einzuschiebende Spreizelement nebst dem Schwenkhebel.
22Nach Auffassung der Klägerin stellen die Herstellung und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine Verletzung des Klagepatents dar, da die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Patentanspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß, zumindest aber mit äquivalenten Mitteln Gebrauch mache.
23Eine wortsinngemäße Verwirklichung der beanspruchten technischen Lehre lasse sich sogar alternativ begründen. Der Schwenkhebel werde mit dem kugelförmigen verdickten Ende während der Montage in eine Nut am Radschützer eingeschoben und eingeklickt. Dieses Einklicken entspreche dem lösbaren Festlegen in einer Endposition. Dadurch sei der Schwenkhebel als Schiebeelement in eine Schiene am Radschützer einschiebbar und in einer Endposition lösbar festlegt. Alternativ dazu sei der Schwenkhebel auch deshalb als Schiebeelement anzusehen, weil er in eine schlitzförmige Öffnung am Radschützer einschiebbar sei. Das Ende des Schwenkhebels mit dem Gewinde werde durch diesen Schlitz geschoben und mit dem Spreizkonus verbunden. Zwischen Spreizelement und Schwenkhebel sei der Radschützer eingeklemmt. Da der Schwenkhebel an seiner Schwenkachse als Exzenter ausgebildet sei, führe das Umlegen des Hebels zu einer Klemmung, die den Radschützer halte. Somit sei der Schwenkhebel ein Schiebeelement, dass in eine Schiene am Radschützer einschiebbar und - durch Umlegen des Exzenterhebels - in einer Endposition lösbar festlegbar sei.
24Sehe man in dem Schwenkhebel mit der kugelförmigen Verdickung kein Schiebeelement, so stelle die Verletzungsform ein Austauschmittel zur Verfügung, welches als „Schwenkelement“ bezeichnet werden könne. Dieses bestehe aus dem leicht geschwungenen Arm mit einer kugelförmigen Verdickung am Ende. Dieses Schwenkelement sei in eine Schiene am Radschützer einschwenkbar. Dabei werde der Schwenkhebel durch eine Schwenkbewegung soweit bewegt, bis die kugelförmige Verdickung am Ende des Schwenkhebels in der Schiene ankomme. Da diese Gestaltung sowohl gleichwirkend als auch naheliegend und gleichwertig sei, sei die technische Lehre des Klagepatents, wenn schon nicht wortsinngemäß, dann zumindest mit äquivalenten Mitteln verwirklicht.
25Die Beklagte, die um Klageabweisung gebeten hat, hat eine Verletzung des Klagepatents in Abrede gestellt. Die angegriffene Ausführungsform weise bereits keine zwei miteinander verbindenbaren Bauteile auf, sondern lediglich ein Spreizelement, welches mit dem Exzenter zusammengesteckt werde. Zudem verfüge die angegriffene Ausführungsform zum Durchstecken des Befestigungselements über ein Langloch, nicht aber über eine Nut oder eine Schiene. Außerdem werde der Radschützer bei der angegriffenen Ausführungsform durch Umlegen des Exzenterhebels montiert, der als Werkzeug anzusehen sei, wobei die Montage im Übrigen mit dem Exzenterhebel und nicht an diesem erfolge.
26Mit Urteil vom 25. Juni 2015 hat das Landgericht Düsseldorf eine Patentverletzung bejaht und wie folgt erkannt:
27I. Die Beklagte wird verurteilt,
281. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen
29Radschützer für ein Zweirad, umfassend eine Einrichtung zur lösbaren Befestigung des Radschützers im Bereich der Gabel des Zweirads, wobei die Einrichtung zur Befestigung wenigstens ein Spreizelement umfasst, das in das Innere eines rohrförmigen Teils der Gabel schiebbar und dort klemmend festlegbar ist,
30herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
31wobei die Einrichtung zur Befestigung ein mit dem Spreizelement verbindbares Schiebeelement umfasst, das in eine Nut oder Schiene am Radschützer einschiebbar und in einer Endposition lösbar festlegbar ist,
32und wobei der Radschützer werkzeuglos an dem Schiebeelement montierbar und/oder demontierbar ist,
33und wobei der Radschützer in der Seitenansicht gesehen im Bereich der Einrichtung zur Befestigung einen stufenförmigen Versatz und eine im Bereich dieses stufenförmigen Versatzes angeordnete senkrechte Wandung aufweist;
342. der Klägerin für die Zeit ab dem 09.05.2008 Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der unter vorstehend zu I. 1. beschriebenen Erzeugnisse zu erteilen, unter Angabe der Namen und Anschriften des Lieferanten und/oder anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber;
353. der Klägerin über den Umfang der vorstehend zu I. 1. bezeichneten und seit dem 07.08.2004 begangenen Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses unter Angabe
36a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
37b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
38c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
39d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
40e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
41wobei
42- die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 09.05.2008 zu machen sind,
43- der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,
44- die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben betreffend vorstehend a) und b) durch Übermittlung von Rechnungen, hilfsweise Lieferscheinen, jeweils in Kopie nachzuweisen ist;
454. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder im Eigentum der Beklagten befindlichen Erzeugnisse entsprechend vorstehend I. 1. zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre (der Beklagten) Kosten herauszugeben;
465. die vorstehend zu I. 1. bezeichneten, seit dem 09.05.2008 im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird;
476. an die Klägerin den Betrag von 6.501,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2014 zu zahlen.
48II. Es wird festgestellt,
491. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten und in der Zeit vom 07.08.2004 bis zum 08.05.2008 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
502. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten und seit dem 09.05.2008 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
51III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
52Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
53Der Begriff des „Schiebeelements“ sei weit auszulegen und erfasse jede nicht näher festgelegte Schiebebewegung zur Befestigung des Radschützers. Es genüge, wenn das Schiebeelement in eine Nut oder Schiene am Radschützer einschiebbar sei. Weitere konkrete Vorgaben hinsichtlich des Schiebeelementes würden sich dem Patentanspruch nicht entnehmen lassen. Auch der Begriff „einschiebbar“ unterliege einem weiten Verständnis. Die Art des Einschiebens werde im Klagepatent nicht näher beschrieben, so dass hierunter sowohl ein vertikales als auch ein horizontales Einschieben verstanden werden könne. „Schieben“ bedeute nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, einen Gegenstand durch mechanischen Druck zu bewegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Fachmann hierunter etwas anderes verstehe, seien nicht ersichtlich. Als patentgemäßes Schiebeelement sei vorliegend der Schwenkhebel anzusehen, welcher in einer kugelförmigen Verdickung ende. Dieser sei mit dem Spreizelement verbindbar und könne in eine Nut oder Schiene am Radschützer eingeschoben werden, in der Weise, dass er nach Erreichen der Endposition auch wieder lösbar sei. Der Schwenkhebel werde mit dem kugelförmig verdickten Ende in die Nut am Radschützer eingeschoben, indem er umgelegt und die kugelförmige Verdickung in die Nut eingeklickt werde. Durch das Einklicken entstehe eine feste Verbindung zwischen dem Schiebeelement und dem Radschützer, so dass das Schiebeelement in einer Endposition festgelegt sei. Das kugelförmig verdickte Ende lasse sich nach Erreichen der Endposition auch wieder aus der Nut lösen.
54Soweit der streitgegenständliche Patentanspruch 1 darüber hinaus verlange, dass der Radschützer werkzeuglos an dem Schiebeelement montierbar und/oder demontierbar sei, sei das Merkmal „werkzeuglos“ dahingehend auszulegen, dass die Montage bzw. Demontage ohne ein zusätzlich mitzuführendes Werkzeug erfolgen könne. Der Schwenkhebel sei demgegenüber selbst Teil der Einrichtung. Soweit die Beklagte einwende, der Radschützer sei nicht „an“ dem Schiebeelement montiert bzw. demontiert, überzeuge dies nicht. Entscheidend sei, dass der Radschützer durch das Umlegen des Schwenkhebels fest mit dem Schiebeelement verbunden werde, weshalb dieser als klagepatentgemäßes „Schiebeelement“ anzusehen sei.
55Vor diesem Hintergrund stünden der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten sowie auf Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht zu. Lediglich der Anspruch auf Rechnungslegung sei teilweise zu begrenzen, da der Klägerin im Hinblick auf Angaben zur Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie in Bezug auf erhaltene Lieferungen der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer kein Auskunftsanspruch aus §§ 242, 259 BGB zustehe.
56Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes Begehren auf Klageabweisung weiter. Sie wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend:
57Das Landgericht habe bei der Auslegung der Begriffe „Schiebeelement“ und „einschiebbar“ das in Abs. [0009] der Klagepatentbeschreibung zu findende „Prinzip“ des Klagepatents verkannt und unberücksichtigt gelassen. Die dortige Feststellung, dass das Spreizelement im Inneren des rohrförmigen Teils der Gabel verbleiben könne, sei nicht fakultativ zu verstehen. Denn die prinzipiell separate Ausführung von Spreizelement einerseits und Schiebeelement andererseits ermögliche den Verbleib zumindest des Spreizelements in der Gabel, wenn der Radschützer demontiert werde.
58Des Weiteren werde der Begriff des „Schiebeelements“ zwar in Patentanspruch 1 nicht näher definiert. Jedoch sei im Klagepatent nichts anderes offenbart, als dass dieses „Schiebeelement“ eine tatsächliche und zudem „einfache“ Schiebebewegung ausführen solle. Zudem sei das Schiebeelement nur dann „einschiebbar“, wenn es räumlich-körperlich so beschaffen sei, dass es mit einem anderen Vorrichtungsbestandteil des Radschützers so zusammenwirken könne, dass eine Schiebebewegung des Schiebeelements in einer Nut oder einer Schiene am Radschützer erfolge. Eine solche Schiebebewegung in einer Nut oder Schiene setze in der Mechanik stets voraus, dass eine gewisse Strecke innerhalb der Nut oder Schiene entlang einer Achse zurückgelegt werde. Bei dem bloßen Einklipsen handele es sich demgegenüber um einen Rastvorgang. Die kugelförmige Verdickung rutsche in die Nut, ohne den tatsächlich mit dem „Einschieben“ verbundenen Zweck einer axialen Positionsveränderung innerhalb der Nut (zur Einstellung des Abstands zur Gabel) zu ermöglichen. Aufgrund dessen könne die kugelförmige Verdickung auch keine „Endposition“ innerhalb der Nut einnehmen.
59Dass der Radschützer werkzeuglos an dem Schiebeelement montierbar und/oder demontierbar sein solle, bedeute zweierlei: Der Radschützer solle an dem Schiebeelement angebracht (montiert) und von diesem wieder abgenommen (demontiert) werden können und dies solle werkzeuglos erfolgen. Der Radschützer sei bei der angegriffenen Ausführungsform demgegenüber weder am Schiebeelement montierbar noch demontierbar, denn es bestehe offensichtlich keine Verbindung mit dem Schwenkhebel. Dieser werde vielmehr mit dem Radschützer überhaupt nicht verbunden, sondern liege nur kraftschlüssig an ihm an. Zudem handele es sich bei dem Schwenkhebel um ein zusätzliches Werkzeug im Sinne des Klagepatents, weil der Radschützer nicht ohne dieses zusätzliche Hilfsmittel montiert bzw. demontiert werden könne.
60Die Beklagte beantragt,
61das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen;
62hilfsweise, das Verfahren bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im parallelen Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.
63Die Klägerin beantragt,
64die Berufung zurückzuweisen.
65Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.
66Der streitgegenständliche Patentanspruch 1 sehe lediglich vor, dass das Schiebeelement einerseits in eine Nut oder Schiene am Radschützer einschiebbar und andererseits in einer Endposition lösbar festlegbar sei. Vor diesem Hintergrund habe das Landgericht den Begriff „Schiebeelement“ zu Recht weit ausgelegt. Insbesondere verlange der streitgegenständliche Patentanspruch 1 nicht, dass das Schiebeelement bereits in die Nut oder Schiene eingeschoben und anschließend „verschiebbar“ sei. Mithin sei ein Verschieben des Schiebeelements in eine bestimmte Richtung nicht erforderlich. Zudem werde die Kompatibilität der Befestigungsvorrichtung für Zweiräder mit einfedernder Vorderradgabel auch nicht durch die Einschiebbarkeit, sondern durch die Form des Radschützers, der einen stufenförmigen Versatz mit einer senkrechten Wandung und einer Aussparungen aufweise, realisiert.
67Unabhängig davon konkretisiere Patentanspruch 1 die Verbindung zwischen Schiebeelement und Radschützer bis auf die Merkmale des „Einschiebens“ und „Festlegens“ nicht. Auch bei der angegriffenen Ausführungsform werde das Schiebeelement (der Schwenkhebel) mit der Nut am Radschützer verbunden, denn das kugelförmige Ende des Schwenkhebels werde von der am Radschützer angeformten Nut festgehalten. Der Schwenkhebel könne bei der angegriffenen Ausführungsform auch an dem Radschützer montiert und von diesem demontiert werden. Der streitgegenständliche Patentanspruch 1 fordere nicht, dass das Schiebeelement oder das Spreizelement zwingend am Rad verbleibe, während der Radschützer von diesen Elementen getrennt und vom Fahrrad entfernt werde. Die fakultative Ausgestaltung ermögliche es, dass der Radschützer auch zusammen mit dem Schiebeelement und dem Spreizelement vom Rad gelöst werden könne. Gefordert werde lediglich, dass das Schiebeelement werkzeuglos am Radschützer montiert oder von diesem demontiert werden könne. Tatsächlich könne der Schwenkhebel von Hand von dem Radschützer gelöst werden. Er könne aus der Nut herausgezogen und anschließend ohne gesondertes Werkzeug von dem eigentlichen Radschützer getrennt werden. Dazu sei der Schwenkhebel lediglich so zu drehen, dass sich das Ende mit dem Gewinde aus der Verschlusskappe löse.
68Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
69II.
70Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts macht die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch. Daher stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten sowie auf Feststellung der Schadenersatz- und Entschädigungspflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB, Art. II § 1 IntPatÜG nicht zu.
711.
72Das Klagepatent betrifft einen Radschützer.
73Da insbesondere Mountainbikes je nach Witterung mit und ohne Radschützer gefahren werden, bedarf es einer einfach lösbaren Befestigung, die es dem Benutzer ermöglicht, den Radschützer möglichst ohne Werkzeug vom Vorderrad des Zweirades zu demontieren. Allerdings sind viele Zweiräder und insbesondere Mountainbikes, mit denen im Gelände gefahren wird, heute bereits mit einer in sich federnden Vorderradgabel ausgerüstet, um beim Fahren durch Schlaglöcher einen entsprechenden Dämpfungseffekt zu erzielen. Die bislang bekannten Zweiräder haben, sofern der Radschützer für das Vorderrad demontierbar ist, in der Regel solche Befestigungseinrichtungen, die eine umständliche Montage nur mit Hilfe eines Werkzeugs ermöglichen. Außerdem sind die Befestigungseinrichtungen für den Radschützer nicht immer für Zweiräder mit einfedernder Vorderradgabel geeignet (Abs. [0002]).
74Ein Radschützer ist aus der TW 82214AAB bekannt. Dieser weist ein Spreizelement auf, das in ein rohrförmiges Teil der Gabel eines Zweirades einschiebbar und dort mittels Einschrauben eines Spreizkonus in eine Spreizhülse mit Hilfe einer Schraube festlegbar ist. Mit diesem Spreizelement kann ein Verbindungsteil über weitere Schrauben befestigt werden, wobei die Schrauben durch die Langlöcher des Radschützers in das Verbindungsteil eingeschraubt und in ihrer Endposition an dem Verbindungsteil festgelegt werden können. Der Radschützer besteht, wie die nachfolgend verkleinert eingeblendete, der vorgenannten Schrift entnommene Figur verdeutlicht, aus zwei Teilen, die an zwei gegenüberliegenden Seiten des Verbindungsteils angebracht werden können (Abs. [0003]).
75Darüber hinaus offenbart die DE 88 04 AAC U1 Radschützer, die an dem Rahmen des Zweirades festlegbare Schiebeelemente aufweisen, die in entsprechende Aufnahmen an dem Radschützer einschiebbar und klemmend darin festlegbar sind. Mittels dieser Rastelemente kann die Position des Radschützers nach dessen Montage verändert werden (Abs. [0004]).
76Davon ausgehend liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, einen Radschützer für ein Zweirad mit einer Einrichtung zur lösbaren Befestigung des Radschützers im Bereich der Gabel des Zweirades zu schaffen, der einfach und ohne Werkzeug auch an Zweirädern mit einfedernder Vorderradgabel montiert werden kann (Abs. [0005]).
77Zur Lösung dieser Aufgabe ist in Patentanspruch 1 Radschützer mit den folgenden Merkmalen vorgesehen:
781. Radschützer (14) für ein Zweirad.
792. Der Radschützer (14) umfasst eine Einrichtung zur lösbaren Befestigung des Radschützers (14) im Bereich der Gabel (2, 3) eines Zweirads.
802.1. Die Einrichtung zur Befestigung umfasst wenigstens ein Spreizelement (10).
812.1.2. Das Spreizelement (10) ist in das Innere eines rohrförmigen Teils (11) der Gabel schiebbar und dort klemmend festlegbar.
822.2. Die Einrichtung zur Befestigung umfasst wenigstens ein Schiebeelement (12), das
832.2.1. mit dem Spreizelement (10) verbindbar,
842.2.2. in eine Nut (13) oder eine Schiene am Radschützer (14) einschiebbar
852.2.3. und in einer Endposition festlegbar ist.
863. Der Radschützer (14) ist werkzeuglos an dem Schiebeelement (12) montierbar und/oder demontierbar.
874. Der Radschützer (14) weist - in der Seitenansicht gesehen - im Bereich der Einrichtung zur Befestigung wenigstens einen stufenförmigen Versatz (29) auf.
884.1. Im Bereich des stufenförmigen Versatzes ist eine senkrechte Wandung (30) angeordnet.
89b)
90Vor dem Hintergrund des Vorbringens der Parteien bedürfen insbesondere die Merkmalsgruppen 2.2 und 3 der vorstehend eingeblendeten Merkmalsgliederung näherer Erläuterung.
91Klagepatentgemäß umfasst die Einrichtung zur Befestigung des Radschützers wenigstens ein mit einem Spreizelement verbindbares Schiebeelement, das in eine Nut oder eine Schiene am Radschützer einschiebbar und in einer Endposition festlegbar ist. Die Merkmalsgruppe 2.2 beschäftigt sich demnach mit einem Bestandteil der (lösbaren) Befestigung des Radschützers am Fahrradrahmen. Aus der Tatsache, dass das Spreizelement in der Gabel festlegbar und das Schiebeelement seinerseits mit dem Spreizelement verbindbar ist, ersieht der Fachmann zweierlei: Erstens, dass Spreiz- und Schiebeelement voneinander lösbare und getrennte Bauteile sind. Zweitens, dass sich die Befestigungseinrichtung nach erfolgter Montage auch wieder von der Fahrradgabel entfernen lässt.
92Dieser Vorgang eines vollständigen Rückbaus der Befestigungseinrichtung ist jedoch nicht das, was der Patentanspruch mit der werkzeuglosen Montage oder Demontage des Radschützers meint. Bei Letzterer geht es vielmehr darum, den Radschützer von der Befestigungseinrichtung zu trennen oder ihn wieder mit ihr zu verbinden, je nachdem, ob das befahrende Gelände einen Radschützer erfordert oder nicht. Diese Montage/Demontage erfolgt durch eine Trennung des Radschützers von dem Schiebeelement der Befestigungseinrichtung, weswegen es in Merkmal 3. auch heißt, dass der Radschützer werkzeuglos an dem Schiebeelement montierbar oder demontierbar ist. Wo die werkzeuglose Trennung erfolgen soll, ist damit eindeutig festgelegt, nämlich zwischen der Befestigungseinrichtung (mit ihrem Spreiz- und Schiebeelement) einerseits und dem Radschützer andererseits, und zwar durch Ein-/ Ausschieben des mit einer Nut oder Schiene ausgestatteten Radschützers gegenüber dem Schiebeelement der Befestigungseinrichtung. Dem Fachmann ist deshalb klar, dass, soweit es nur um die besagte Montage bzw. Demontage des Radschützers von der Befestigungseinrichtung geht, Letztere am Fahrradrahmen verbleibt.
93Genau so wird dem Fachmann das Prinzip der Erfindung auch in Abs. [0009] der Klagepatentbeschreibung erläutert:
94„Gemäß der vorliegenden Erfindung wirken […] im Prinzip zwei Elemente zusammen, die die Befestigungseinrichtung des Radschützers bilden, nämlich zum einen das Spreizelement, das in das Innere eines rohrförmigen Teils der Gabel (Vorderradgabel) des Zweirades schiebbar und dort klemmend festlegbar ist. Wird der Radschützer von dem Zweirad demontiert, dann kann dieses Spreizelement im Inneren der Gabel verbleiben, auch wenn der Benutzer anschließend das Fahrrad ohne Radschützer fährt, so dass anschließend, wenn erneut ein Radschützer gebraucht wird, dieser wieder mit wenigen Handgriffen anbringbar ist, und zwar über das genannte Schiebeelement, das das zweite wesentliche Element der Befestigungseinrichtung ist und das mit dem Spreizelement verbindbar ist, wobei auch das Schiebeelement bei der Demontage des Radschützers an der Vorderradgabel verbleiben kann. Das Lösen des Radschützers von dem Schiebeelement erfolgt durch eine einfache Schiebebewegung, wobei zuvor vorzugsweise eine Entriegelung gelöst wird und erst dann der Radschützer aus dem Schiebeelement herausschiebbar ist.“
95Für die mit der Erfindung angestrebte einfache Montage bzw. Demontage des Radschützers (vgl. Abs. [0005]) ist somit eine 2-teilige Befestigungsvorrichtung vorgesehen. Ausgangspunkt der Befestigung des Radschützers ist ein Spreizelement, das in das Innere eines rohrförmigen Teils der Gabel einschiebbar und dort klemmend festlegbar ist (Merkmalsgruppe 2.1). Die genaue Ausgestaltung des Spreizelements stellt das Klagepatent in das Belieben des Fachmanns. Ohne dass die beanspruchte Erfindung auf dieses Ausführungsbeispiel reduziert werden darf, kann es sich dabei beispielsweise um einen Spreizkonus handeln, in den eine Mutter eingelegt ist, in die eine Schraube eingreift, die axial durch eine Bohrung der Spreizelementes hindurchgreift (vgl. Unteranspruch 11 sowie Abs. [0015]). Wird der Radschützer von dem Zweirad demontiert, kann das Spreizelement im Inneren der Gabel verbleiben, auch wenn der Benutzer das Zweirad anschließend ohne Radschützer fährt. Braucht er den Radschützer sodann erneut, ist dieser wieder mit wenigen Handgriffen anbringbar (vgl. Abs. [0009]). Soweit das Klagepatent in diesem Zusammenhang davon spricht, dass das Spreizelement im Inneren der Gabel verbleiben kann, lässt dies nicht den Schluss zu, in Abs. [0009] werde lediglich ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel beschrieben. Vielmehr handelt es sich um einen Teil der allgemeinen Patentbeschreibung. Das Wort „kann“ verdeutlicht dem Fachmann daher kein optionales Vorgehen, sondern denjenigen Sachverhalt, der sich dank der erfindungsgemäßen Ausgestaltung zwingend einstellt.
96Allein mit dem Spreizelement lässt sich der Radschützer erfindungsgemäß jedoch nicht befestigen. Vielmehr bedarf es zusätzlich eines mit dem Spreizelement verbindbaren Schiebeelements, wobei sich das Klagepatent auch hier nicht auf eine bestimmte Art der Verbindung festlegt. Eine Möglichkeit einer solchen Verbindung ist die bereits im Zusammenhang mit der technischen Gestaltung des Spreizelements erwähnte Schraube, die nicht nur axial durch eine Bohrung der Spreizhülse hindurchgreift, sondern mittels derer die Spreizhülse auch an dem Schiebeelement befestigt werden kann (vgl. Unteranspruch 12 sowie Abs. [0016]).
97Die technische Gestaltung der Verbindung zwischen dem Schiebeelement und dem Radschützer wird dem Fachmann in den Merkmalen 2.2.2 und 2.2.3 der vorstehend eingeblendeten Merkmalsgliederung näher erläutert. Danach soll das Schiebeelement in eine Nut oder eine Schiene am Radschützer einschiebbar und in einer Endposition festlegbar sein. Weitere Vorgaben zur technischen Gestaltung des Schiebeelements und der Nut bzw. Schiene finden sich im streitgegenständlichen Patentanspruch demgegenüber nicht. Diese steht somit im Belieben des Fachmanns, solange ihre Gestaltung es zulässt, den Radschützer an dem Schiebeelement zu montieren bzw. von diesem zu demontieren. Soweit das Schiebeelement in Unteranspruch 2 dahingehend näher beschrieben wird, dass es plattenförmig ausgebildet und in eine schienenartige Anformung am Radschützer einschiebbar ist, handelt es sich ebenso um ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel wie bei der in Unteranspruch 3 vorgeschlagenen Lösung, wonach das Schiebelement seitliche Nuten aufweisen soll, in die Teile der schienenartigen Anformungen eingreifen. Hierauf darf die Erfindung jedoch nicht reduziert werden (vgl. BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe; GRUR 2012, 1242 – Steckverbindung).
98Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Patentanspruch 1 nicht auf Gestaltungen beschränkt, bei denen das Schiebeelement zu Beginn einer Schiebebewegung eine von der Endposition räumlich unterscheidbare Anfangsposition und während des Schiebevorgangs eine Zwischenposition einnehmen muss, so dass das Schiebeelement also durch eine entsprechende Schiebebewegung eine räumlich klar unterscheidbare Distanz zwischen einer Anfangs- und einer Endposition in der Nut oder Schiene zurücklegen muss. Denn Patentanspruch 1 fordert lediglich allgemein eine Einschiebbarkeit des Schiebeelements in die Nut. Eine Verschiebung entlang der Nut ist demgegenüber erst im Rahmen der Erörterung der bevorzugten Ausführungsbeispiele angesprochen. Dort findet sich in Abs. [0016] im Rahmen der Erörterung der in Figur 2 gezeigten Lösung:
99„Die Befestigung des Radschützers (14) geschieht so, dass dieser in Richtung des in Fig. 2 gezeigten Pfeils vom Benutzer soweit auf das Schiebeelement (12) aufgeschoben wird, bis die in Fig. 2 dargestellte Endposition erreicht ist, in der eine Verrastung gegeben ist.“
100(Unterstreichung hinzugefügt)
101Zudem wird in Abs. [0017] das Anbringen bzw. Entfernen des Radschützers wie folgt beschrieben:
102„Man erkennt aber in Fig. 3 die etwa schienenartige Anformung (15) des Radschützers (14), in die das Schiebeelement (12), das jeweils seitliche Nuten (16) aufweist, […] in Längsrichtung des Radschützers (14) einschiebbar ist bzw. umgekehrt nach Lösen der Entriegelungsvorrichtung (21) wird der Radschützer entgegen der Richtung des in Fig. 2 eingezeichneten Pfeils in Längsrichtung verschoben, da die Rasteinrichtung (17/18) gelöst ist, solange die Zunge (20) heruntergedrückt ist und der Radschützer (14) kann dann vom Fahrrad genommen werden.“
103(Unterstreichung hinzugefügt)
104Die allgemeine Patentbeschreibung lässt demgegenüber – spiegelbildlich zu dem im Anspruch genannten Einschieben – ein Herausschieben genügen, ohne sich auf eine bestimmte Richtung des Schiebens festzulegen (vgl. Abs. [0009]).
105Dass das Schiebeelement nicht nur in eine Nut oder Schiene einschiebbar, sondern nach Merkmal 2.2.3 darüber hinaus auch in einer Endposition festlegbar sein muss, vermag das Erfordernis einer irgendwie gearteten (Längs-)Verschiebbarkeit des Schiebeelements in der Nut ebenfalls nicht zu begründen. Denn der Fachmann entnimmt dem streitgegenständlichen Patentanspruch über das Erfordernis der Einschiebbarkeit hinaus keinen Hinweis, wie das Schiebeteil in die Endposition gelangt. Insbesondere lässt allein die Verwendung des Begriffes „Endposition“ nicht den Schluss zu, dass eine solche lediglich über eine Längsverschiebung in der Nut, ausgehend von einer Ausgangs- über eine Zwischenstation, erreicht werden muss. Ausreichend, aber auch erforderlich ist vielmehr nur, dass das Schiebeelement einerseits in die Nut oder Schiene einschiebbar und darüber hinaus in einer Endposition – etwa über eine lediglich fakultative Rastverbindung (vgl. Abs. [0019] und Unteransprüche 3 bis 8) – festlegbar ist. Dass es einer solchen Festlegung in der Endposition, d. h. der Position, in welcher der Radschützer beim Betrieb des Fahrrades Verwendung findet, bedarf, liegt auch auf der Hand, da das Fahrrad andernfalls nicht bestimmungsgemäß gemeinsam mit dem Radschützer verwendet werden könnte.
106Einer Längsverschiebbarkeit des Schiebeelements bedarf es schließlich auch nicht zur Erfüllung der in Abs. [0005] der Klagepatentschrift formulierten Aufgabe, eine einfache Montage des Radschützers ohne Werkzeug zu ermöglichen, wobei der Radschützer auch mit einer einfedernden Vorderradgabel verwendet werden kann. Zwar geht das Klagepatent im Rahmen der Erörterung des Standes der Technik (Abs. [0003] und [0004]) darüber hinaus auch auf die Möglichkeit der Positionierung des Radschützers ein, welcher einer derartigen Längsverschiebbarkeit dienen kann (vgl. Abs. [0003] f.). Ein Hinweis darauf, dass es dem Klagepatent gerade auf die Möglichkeit der Positionierung des Radschützers durch das Einschieben des Schiebeelements in die Nut bzw. Schiene ankommt, findet sich in der Klagepatentschrift jedoch nicht.
1072.
108Ausgehend von diesen Überlegungen macht die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch.
109a)
110Soweit die Klägerin in dem bei der angegriffenen Ausführungsform zu findenden Schwenkhebel ein patentgemäßes Schiebeelement sehen will, erscheint bereits fraglich, ob es sich bei diesem Hebel tatsächlich um ein mit dem Spreizelement verbindbares Schiebeelement handelt.
111Die durch den streitgegenständlichen Patentanspruch geforderte Verbindbarkeit bedingt, dass das Spreiz- und das Schiebeelement nicht untrennbar miteinander verbunden sind. Ebenso wenig kann ein Bauteil sowohl als Spreiz- als auch als Schiebeelement fungieren. Denn in beiden Fällen wäre das Schiebeelement nicht wie von Merkmal 2.2.1 gefordert mit dem Spreizelement verbindbar, sondern dauerhaft mit diesem verbunden. Das Erfordernis der Verbindbarkeit ist auch kein Selbstzweck, sondern Folge des in Abs. [0009] beschriebenen modularen Aufbaus. Dieser eröffnet erst die Möglichkeit, dass bei einer Demontage des Radschützers die aus Spreiz- und Schiebeelement bestehende Befestigungsvorrichtung am Zweirad verbleiben kann, sich die Befestigungsvorrichtung insgesamt jedoch in zwei Schritten (endgültig) aus dem Fahrrad ausbauen lässt.
112Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin bereits nicht überzeugend darzulegen vermocht, weshalb es sich bei dem Schwenkhebel gleichwohl um ein von dem Spreizelement zu unterscheidendes Bauteil handeln soll. Zwar lässt sich der Schwenkhebel gemeinsam mit der Spreizhülse entlang des im Radschützer zu findenden Langlochs schieben, um so die Position des Radschützers zur Gabel des Zweirades einzustellen. Die Einordnung des Schwenkhebels als - von dem Spreizelement zu trennendes - Schiebeelement ließe jedoch die tatsächliche Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform außer Betracht. Denn der Schwenkhebel stellt letztlich nichts anderes als die in den Unteransprüchen 10 und 11 genannte Schraube dar, welche den Spreizkonus betätigt und die damit letztlich ein Bestandteil des Spreizelementes ist. Der einzige Unterschied liegt darin, dass es zur Betätigung dieser Schraube keines Schraubenziehers und damit keines Werkzeugs bedarf, sondern dass es sich um eine über den Schwenkhebel zu betätigende Spannschraube handelt. Bei der angegriffenen Ausführungsform ist somit letztlich ein in einem Langloch verschiebbar angeordnetes Spreizelement vorhanden, welches jedoch nicht mit einem Schiebeelement verbindbar ist.
113b)
114Letztlich kann dies sogar dahinstehen. Jedenfalls fehlt es an einer Verwirklichung der Merkmalsgruppe 3. In diesem Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob es sich bei dem Schwenkhebel, wie die Beklagte meint, tatsächlich um ein Werkzeug handelt. Selbst wenn man mit der Klägerin den Schwenkhebel als Schiebeelement im Sinne des Klagepatents ansieht und zugleich unterstellt, dass dieser kein Werkzeug im Sinne von Merkmal 3 darstellt, ist der Radschützer bei der angegriffenen Ausführungsform jedenfalls nicht an dem Schiebeelement montierbar bzw. von diesem demontierbar. Vielmehr werden das Spreizelement und der Schwenkhebel an dem Radschützer montiert. Unabhängig davon, ob man auf das Durchschieben des Gewindes durch den Schlitz des Langlochs und die anschließende Verbindung mit dem Spreizkonus (Alternative 2 der Klagebegründung) oder auf das Einklipsen des Schwenkhebels während der Montage am Zweirad (Alternative 1 der Klagebegründung) abstellt, kann von einer Montier- bzw. Demontierbarkeit des Radschützers an dem nach Auffassung der Klägerin das Schiebeelement bildenden Schwenkhebel keine Rede sein. Während Alternative 2 lediglich die Montage des Schwenkhebels (und damit in der Terminologie der Klägerin des Schiebeelements) an dem Radschützer (und nicht des Radschützers am Schwenkhebel) beschreibt, ist der Schwenkhebel bei Alternative 1 ebenso wie das Spreizelement bereits am Radschützer montiert. Das Einrasten des Schwenkhebels in die am Radschützer befindliche Nut dient demgegenüber lediglich der Sicherung der Position des Schwenkhebels, ohne dass der Radschützer dadurch – wie von Patentanspruch 1 gefordert – an dem Schiebeelement montiert würde.
115c)
116Von dem nicht wortsinngemäß verwirklichten Merkmal macht die angegriffene Ausführungsform auch nicht mit äquivalenten Mitteln Gebrauch.
117(1)
118Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot von Art. 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen. Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag, und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (st. Rspr. des BGH; vgl. BGH, GRUR 2002, 511 – Kunststoffhohlprofil; BGH, GRUR 2007, 510 – Kettenradanordnung; BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallzeitmessgerät; BGH, GRUR 2011, 313 – Crimpwerkzeug IV; BGH, GRUR 2015, 361 – Gefäß; vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2013, 12504 - Chipkarte, unter B. 3.; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185 – WC-Sitzgelenk; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.08.2014 – Az.: 15 U 16/14; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2015, Az.: I-15 U 139/14).
119(2)
120Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlt es hier bereits an der objektiven Gleichwirkung.
121Zwar fällt eine Ausführungsform, die anstelle eines im Patentanspruch genannten Merkmals eine abweichende Gestaltung aufweist, nicht nur dann in den Schutzbereich eines Patents, wenn sie die erfindungsgemäßen Wirkungen ohne jede Einschränkung erreicht. Für eine Gleichwirkung kann es vielmehr genügen, dass eine nach dem Patentanspruch erforderliche Wirkung durch abgewandelte Mittel nur in eingeschränktem Umfang erzielt wird. Unter dem Gesichtspunkt angemessener Belohnung des Erfinders kann die Einbeziehung in den Schutzbereich eines Patents bereits dann sachgerecht sein, wenn die erfindungsgemäßen Wirkungen im Wesentlichen, also in einem praktisch noch erheblichen Maße, erzielt werden, wofür es auf die patentgemäße Wirkung und eine sich hieran orientierende Gewichtung der bei der angegriffenen Ausführungsform festgestellten Defizite ankommt (BGH, GRUR 1999, 909 914 – Spannschraube; BGH, GRUR 2005, 1005, 1006 – Bratgeschirr; GRUR 2012, 1122 – Palettenbehälter III; BGH, GRUR 2015, 361, 363 – Gefäß).
122Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform jedoch nicht der Fall. Die klagepatentgemäße Befestigung des Radschützers zeichnet sich gerade dadurch aus, dass der Radschützer an einem einen Bestandteil einer zweiteiligen Befestigungseinrichtung bildenden Schiebeelement werkzeuglos montier- und/oder demontierbar ist. Die Montage des Radschützers an der von diesem getrennten Befestigungseinrichtung ermöglicht den Verbleib der Befestigungseinrichtung am Zweirad, wenn der Radschützer demontiert wird (vgl. Abs. [0009] und [0016]). Ein solches Verbleiben der Befestigungsvorrichtung am Zweirad lässt die angegriffene Ausführungsform jedoch nicht zu. Hier sind das Spreizelement und der Schwenkhebel vielmehr am Radschützer montiert, so dass der Radschützer lediglich gemeinsam mit der kompletten Befestigungseinrichtung am Zweirad montiert bzw. von diesem demontiert werden kann. Zwar kann die Montage bzw. Demontage zumindest dann, wenn man den Schwenkhebel nicht als Werkzeug im Sinne des streitgegenständlichen Patentanspruchs ansieht, bei der angegriffenen Ausführungsform ebenfalls werkzeuglos erfolgen. Aufgabe des Klagepatents ist es jedoch nicht nur, eine werkzeuglose Montage zu ermöglichen. Eine solche wird vielmehr bereits in Abs. [0004] im Zusammenhang mit dem Stand der Technik beschrieben, wo die Befestigung des Radschützers über am Rahmen des Zweirades festlegbare Schiebeelemente erfolgte, die in entsprechende Aufnahmen an dem Radschützer einschiebbar und klemmend darin festlegbar sind. Die durch das Klagepatent darüber hinausgehend angestrebte einfache Montage wird vielmehr durch die Trennung der 2-teilig ausgebildeten Befestigungsvorrichtung von dem an dieser montier- bzw. von dieser demontierbaren Radschützer erreicht, wodurch die Befestigungsvorrichtung auch bei demontiertem Radschützer am Fahrrad verbleibt, so dass die für die Befestigung des Radschützers erforderliche Vorrichtung jederzeit zur Verfügung steht und für die Zwecke eines Radschützerwechsels nicht erst noch vorbereitend an der Fahrradgabel platziert werden muss. Dies ist bei der Ausführungsform jedoch, wie bereits ausgeführt, gerade nicht Fall.
123III.
124Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
125Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
126Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).
127X Y Z
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