Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - Verg 53/18
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland, Spruchkörper Düsseldorf, vom 24.08.2018 (VK D – 25/2018 – B) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der der Beigeladenen in diesem Verfahren entstandenen Kosten, die diese selbst zu tragen hat.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 6.000 € festgesetzt.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Antragsgegnerin, ein Universitätsklinikum in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts, machte am 30.09.2017 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union einen als Lieferauftrag bezeichneten Auftrag bekannt, dessen Gegenstand laut Bekanntmachung die Lieferung und der Aufbau eines Sterilisators mit einem Kammervolumen von 9 Sterilguteinheiten sein sollte. Der Laborsterilisator war für den Neubau des Zentrums für Synthetische Lebenswissenschaften der Antragsgegnerin vorgesehen, dessen geschätzte Gesamtbaukosten sich auf 31,45 Mio. Euro brutto beliefen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Angebote waren nach der Bekanntmachung (Anlage B1) bis zum 02.11.2017, 11:00 Uhr, bei der Antragsgegnerin einzureichen. Ausweislich des Inhalts der Vergabeakte schätzte die Antragsgegnerin den Auftragswert für den Sterilisator zuletzt auf ... € brutto.
4Mit Angebotsschreiben vom 26.10.2017, bei der Antragsgegnerin am 02.11.2017 eingegangen, bot die Beigeladene der Antragsgegnerin die ausgeschriebene Leistung zu einem Preis von [………] € brutto an. Die Antragstellerin unterbreitete mit Angebotsschreiben vom 14.11.2017 ein Angebot zu einem Bruttopreis von [………..] €. Nach dem Ergebnis des Submissionstermins vom 15.11.2017 lag das Angebot der Beigeladenen preislich auf dem ersten Platz vor dem Angebot der Antragstellerin, deren Angebot auf Platz zwei lag.
5Am 26.03.2018, die Antragsgegnerin hatte ihre Vergabeentscheidung noch nicht getroffen, sandte die Antragstellerin der Antragsgegnerin wie auch der Vergabekammer Rheinland jeweils ein gleichlautendes Schreiben (Anlage B2) mit folgendem Inhalt:
6„[…] hiermit legen wir vorsorglich Widerspruch ein, sollte die Vergabeentscheidung zu o.g. Ausschreibung zugunsten der Firma N. GmbH D. fallen.
7Begründung:
8Ausschreibungskriterium für die Abfallprogramme war, dass diese in der Liste der vom RKI geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel- und verfahren unter der Ziffer 3.4.3.3 Fraktionierte Vakuumverfahren entsprechen.
9Die von der Firma N. GmbH vertriebenen Autoklaven sind nicht in der Liste der vom Robert Koch-Institut gelisteten Desinfektionsmittel- und Verfahren aufgeführt.
10Damit ist das Angebot von der Wertung auszuschließen. […]“
11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beiden Schreiben in der Vergabeakte und der Verfahrensakte der Vergabekammer verwiesen.
12Die Antragsgegnerin nahm dieses Schreiben der Antragstellerin zum Anlass, um die Beigeladene mit einem Schreiben vom 07.05.2018 (Anlage B3) um Aufklärung zu bitten. Die Beigeladene antwortete der Antragsgegnerin binnen der gesetzten Frist.
13Mit am selben Tag übermitteltem Telefaxschreiben vom 16.05.2018 (Anlage B4) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin zu deren Schreiben vom 26.03.2018 mit, dass das Angebot der Beigeladenen nicht von der Wertung auszuschließen sei. Sie gab ferner bekannt, dass sie der Beigeladenen frühestens am 28.05.2018 den Zuschlag erteilen werde.
14Die Antragstellerin wandte sich daraufhin mit inhaltsgleichen Schreiben vom 23.05.2018 (Anlage B5) sowohl an die Antragsgegnerin wie auch die Vergabekammer und beanstandete die Vergabeentscheidung. Die Schreiben schlossen jeweils mit folgender Formulierung:
15„Dieses Schreiben ist ausdrücklich im Sinne eines Nachprüfungsantrags als sofortige Rüge zu behandeln.“
16Die Beisitzerin L. der Vergabekammer Rheinland antwortete auf das an die Vergabekammer Rheinland gerichtete Schreiben vom 23.05.2018 mit einer E-Mail vom selben Tag, in dem sie darauf hinwies, dass sie die Eingabe als Rüge und nicht als Nachprüfungsantrag ansehe. Wegen der Einzelheiten der E-Mail wird auf die Verfahrensakte der Vergabekammer verwiesen. Weiteres unternahm die Vergabekammer nicht.
17Am 28.05.2018 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen den ausgeschriebenen Auftrag. Den Vertragsschluss machte die Antragsgegnerin am 31.05.2018 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (Anlage B6) bekannt.
18Am 15.06.2018 haben die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin bei der Vergabekammer Rheinland einen Nachprüfungsantrag gestellt. Mit diesem Nachprüfungsantrag hat die Antragstellerin zunächst beantragt,
191. der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Prüfung und Wertung der Angebote zurückzuversetzen,
202. die Antragsgegnerin anzuweisen, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen und es unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Antragstellerin von diesem Stand an zu wiederholen,
21hilfsweise,
223. andere geeignete Maßnahmen anzuordnen, um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens herzustellen.
23Auf den Hinweis der Vergabekammer, dass die Antragsgegnerin den Vertrag bereits abgeschlossen habe, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 05.07.2018 beantragt,
24festzustellen, dass der aufgrund der Vergabeentscheidung geschlossene Vertrag unwirksam ist.
25Die Vergabekammer hat davon abgesehen, den Nachprüfungsantrag der Antragsgegnerin zuzustellen. Mit Beschluss vom 24.08.2018, der Antragstellerin am 28.08.2018 zugestellt, hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Antrag nach § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB bereits unstatthaft sei, weil die Vergabekammer den wirksam erteilten Zuschlag nicht aufheben könne.
26Hiergegen richtet sich die am 07.09.2018 beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin mit der sie ihr Begehren unter Berufung darauf weiterverfolgt, dass das von der Beigeladenen angebotene Sterilisationsverfahren nicht, wie von der Antragsgegnerin verlangt, in eine Liste des Robert-Koch-Instituts aufgenommen sei. Sie, die Antragstellerin, habe bereits am 23.05.2018 Nachprüfungsantrag gestellt.
27Die Antragstellerin beantragt,
28festzustellen, dass der aufgrund der Vergabeentscheidung geschlossene Vertrag unwirksam ist.
29Die Antragsgegnerin beantragt,
30die Beschwerde vom 07.09.2018 kostenpflichtig zurückzuweisen.
31Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer als zutreffend. Da sie, die Antragsgegnerin, von der Vergabekammer nicht über einen bei dieser eingegangenen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unterrichtet worden sei, sei das Zuschlagsverbot nicht ausgelöst worden. Der Zuschlag sei wirksam erteilt und könne nicht mehr aufgehoben werden. Sie, die Antragsgegnerin, habe nicht gegen § 134 GWB verstoßen. Im Übrigen sei der Feststellungsantrag der Antragstellerin erst nach Ablauf der Frist des § 135 Abs. 2 Satz 2 GWB bei der Vergabekammer eingegangen. Der Laborsterilisator unterfalle mit seinem Bruttoauftragswert dem sog. 20 %-Kontingent. Darüber hinaus werde er auch in der Liste des Robert-Koch-Instituts (Anlage B7) geführt.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie die Vergabeakte verwiesen.
33II.
34Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist bereits unzulässig.
351.
36Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag statthaft und der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen gemäß §§ 155, 156 Abs. 2 GWB eröffnet.
37a)
38Bei dem von der Antragsgegnerin an die Beigeladene vergebenen Auftrag handelt es sich um einen den relevanten Schwellenwert überschreitenden öffentlichen Auftrag im Sinne von §§ 103, 106 GWB. Ein solcher ist auch für den von der Antragstellerin gestellten Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB Statthaftigkeitsvoraussetzung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20.03.2018 – VII-Verg 65/18, zitiert nach juris, Tz. 68, und vom 19.04.2017 – VII-Verg 38/16, zitiert nach juris, Tz. 25). Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 GWB gilt Teil 4 des GWB, der in seinem Kapitel 2 das Nachprüfungsverfahren regelt, nur für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB ergibt sich der jeweilige Schwellenwert für öffentliche Aufträge öffentlicher Auftraggeber aus Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU. Nach dieser Vorschrift i.V.m. Art. 1 Abs. 1 lit. a) und c) der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2170 der Kommission vom 24.11.2015 lagen die Schwellenwerte zum hier maßgeblichen Zeitpunkt bei Einleitung des Vergabeverfahrens für öffentliche Bauaufträge bei 5.225.000 € netto und für öffentliche Liefer- und Dienstleistungsaufträge, die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, bei 207.000 € netto.
39Zwar hat die Antragsgegnerin den Auftrag in der Auftragsbekanntmachung selbst als Lieferauftrag bezeichnet, so dass der maßgebliche Schwellenwert, wenn es sich um einen Lieferauftrag handeln würde, nicht erreicht wäre. Tatsächlich ist die Lieferung des Laborsterilisators (Autoklav) jedoch ein Teillos des Bauauftrags betreffend den Neubau des Zentrums für Synthetische Lebenswissenschaften der Antragsgegnerin. Dessen Auftragswert von insgesamt … Mio. Euro brutto, der nach § 3 Abs. 6 und 7 VgV unter Berücksichtigung aller im Zusammenhang mit der Bauleistung stehender Liefer- und Dienstleistungen sowie aller Lose zu berechnen ist, liegt deutlich über dem seinerzeit maßgeblichen Schwellenwert für öffentliche Bauaufträge. Die Zugehörigkeit der Lieferung des Sterilisators zu dem Bauauftrag mit der Folge, dass es für das Überschreiten des Schwellenwerts gemäß § 3 Abs. 7 Satz 3 VgV auf den geschätzten Gesamtwert des Bauauftrags ankommt, folgt aus dem funktionalen Zusammenhang des zu liefernden Geräts für das bestimmten technischen Zwecken dienende Gebäude. Zu diesem notwendigen funktionalen Zusammenhang, der für die Abgrenzung von Bau- und Lieferauftrag entscheidend ist, hat der Senat im Beschluss vom 16.10.2019 – VII-Verg 66/18 – Folgendes ausgeführt:
40„Bauaufträge sind insbesondere Verträge über die Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU genannt sind (§ 103 Abs. 3 S. 1 1. Alt. GWB). Der Begriff der Bauleistung ist vergaberechtlich nicht definiert und weit zu verstehen. Er umfasst alle Arbeiten an einem Bauwerk, die im Zusammenhang mit einer der in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU genannten Tätigkeiten stehen. Der Zusammenhang mit den genannten Tätigkeiten besteht aber nur dann, wenn die Tätigkeit einem Bauvorhaben gilt (Senatsbeschluss vom 30. April 2014, VII-Verg 35/13 – juris, Rn. 21; Wegener/Pünder in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 103 Rn. 62). Als Bauvorhaben ist danach jedes Vorhaben anzusehen, ein Bauwerk (im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU) zu errichten oder zu ändern.
41[…]
42Ausgehend von § 103 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB, der das Bauwerk als Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten beschreibt, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche technische Funktion erfüllen soll, werden von der vergaberechtlichen Rechtsprechung in Einschränkung des Lieferauftrags Beschaffungsmaßnahmen als Bauauftrag qualifiziert, wenn die Anlagen für ein funktionsfähiges Bauwerk erforderlich und von wesentlicher Bedeutung sind (OLG München, Beschlüsse vom 19. März 2019, Verg 3/19 – juris, Rn. 88; OLG Dresden, Beschluss vom 2. November 2004, W Verg 11/04; BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2002, Verg 17/02 – juris, Rn. 7; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 103 Rn. 62; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage 2016, § 103 Rn. 396). Voraussetzung hierfür ist, dass die gelieferten Gegenstände in einem Funktionszusammenhang mit einer Bauleistung stehen, etwa weil die zur Erfüllung des Bauauftrags notwendigen Bauteile geliefert werden, oder der Beschaffungsgegenstand für die Herstellung eines funktionsfähigen Gebäudes mit seinem spezifischen Nutzungszweck erforderlich ist (OLG München, Beschlüsse vom 19. März 2019, Verg 3/19 – juris, Rn. 86; OLG München, Beschluss vom 28. September 2005, Verg 19/05; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. März, 12 Verg W 2/12; OLG Jena, Beschluss vom 31. Juli 2002, 6 Verg 5/01). Unerheblich ist, ob die Leistung nach deutschem Zivilrecht oder nach VOB/B als Bauleistung einzuordnen ist.“
43Hiernach ist vorliegend der notwendige Funktionszusammenhang mit dem zu errichtenden Gebäude, dem Zentrum für Synthetische Lebenswissenschaften, zu bejahen. Dieses Gebäude kann – wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat – seinen spezifischen Nutzungszweck nur erfüllen, wenn es mit dem fest in die Baulichkeit integrierten Laborsterilisator ausgestattet ist (siehe für einen ähnlichen, ebenfalls einen Autoklaven betreffenden Fall auch OLG Jena, Beschluss vom 31.07.2002 – 6 Verg 5/01, zitiert nach juris, Tz. 22).
44Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin unterfällt die Lieferung des Laborsterilisators nicht der Vorschrift des § 3 Abs. 9 VgV mit der Folge, dass für die Frage einer Schwellenwertüberschreitung allein auf den Auftragswert dieser Lieferung abzustellen wäre. Nach § 3 Abs. 9 VgV kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einzelner Lose von § 3 Abs. 7 Satz 3 VgV zwar abweichen, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Bauleistungen – wie hier – unter 1 Million Euro liegt und die Summe der Nettowerte der Lose, mit denen von § 3 Abs. 7 Satz 3 VgV abgewichen werden soll, 20 Prozent des Gesamtwerts aller Lose nicht übersteigt. Die nachträgliche Erklärung der Antragsgegnerin, der Auftrag über die Lieferung des Laborsterilisators unterfalle diesem sogenannten 20 %-Kontingent, ist jedoch unbeachtlich. Der Auftraggeber muss die Lose, die unter die 20 %-Grenze fallen sollen, bei Einleitung des Vergabeverfahrens festlegen und diese Festlegung dokumentieren. Das ist hier nicht geschehen. Eine entsprechende Festlegung hat die Antragsgegnerin ausweislich der Vergabeakte nicht getroffen. Vielmehr hat sie sich für das betreffende Los für eine europaweite Ausschreibung entschieden und in der Auftragsbekanntmachung über die Möglichkeit vergaberechtlichen Rechtsschutzes bei der Vergabekammer Rheinland belehrt. Damit hat sich die Antragsgegnerin im Wege der Selbstbindung festgelegt, das Los nicht dem 20 %-Kontingent zuzuordnen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 01.10.2001 – Verg 6/01, zitiert nach juris, T. 29).
45b)
46Der Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags steht entgegen der Annahme der Vergabekammer auch der der Beigeladenen am 28.05.2018 erteilte Zuschlag nicht entgegen. Zwar ist ein Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur solange der statthafte Rechtsbehelf, wie ein Vergabeverfahren noch nicht durch einen wirksam erteilten Zuschlag beendet ist. Eine Ausnahme gilt aber in den beiden in § 135 Abs. 1 GWB geregelten Fällen, in denen der Zuschlag zunächst nur zu einem schwebend wirksamen Vertrag führt (Senatsbeschluss vom 19.04.2017 – VII-Verg 38/16, zitiert nach juris, Tz. 22 f.). Der Grundsatz des § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, dass ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden kann, wird dadurch dahingehend eingeschränkt, dass dies nicht gilt, wenn einer der in § 135 Abs. 1 GWB genannten Fälle vorliegt und dies in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Im Ergebnis trifft § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB eine Aussage damit nur für den endgültig wirksam erteilten Zuschlag. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist über das Vorliegen einer der in § 135 Abs. 1 GWB genannten Vergaberechtsverstöße noch nicht im Rahmen der Prüfung der Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags abschließend zu entscheiden, sondern im Rahmen der Begründetheit, wenn der Nachprüfungsantrag im Übrigen zulässig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19.04.2017 – VII-Verg 38/16, zitiert nach juris, Tz. 24; ebenso Gnittke/Hattig, in: Müller-Wrede, GWB, § 135 Rn. 64).
472.
48Der im Ergebnis statthafte Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist aus einem anderen als dem von der Vergabekammer angenommenen Grund unzulässig. Der Antragstellerin fehlt für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB die von § 160 Abs. 2 GWB geforderte Antragsbefugnis. Gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB ist nur das Unternehmen antragsbefugt, das mit seinem Nachprüfungsantrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Im Fall eines Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB muss sich diese Geltendmachung auf mindestens zwei Vergaberechtsverstöße beziehen, zum einen auf einen der Verstöße, die in § 135 Abs. 1 GWB genannt sind (siehe Senatsbeschluss vom 19.04.2017 – VII-Verg 38/16, zitiert nach juris, Tz. 13 und 24 f.) und den Weg in den Primärrechtsschutz eröffnen, und zum anderen auf sonstige Vergaberechtsverstöße. Erst diese Letzteren, nicht aber allein die in § 135 Abs. 1 GWB genannten Verstöße können zu einer Beeinträchtigung von Zuschlagschancen führen und damit einen zumindest drohenden Schaden im Sinne von § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB begründen, den das antragstellende Unternehmen darlegen muss. Ein Nachprüfungsbegehren, das gestützt auf einen der Unwirksamkeitsgründe des § 135 Abs. 1 GWB nur auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertragsschlusses gerichtet ist, mit dem aber keine sonstigen Verstöße gegen Vergabevorschriften geltend gemacht werden und mit dem damit nicht um einen über die Unwirksamkeitsfeststellung hinausgehenden Primärrechtsschutz nachgesucht wird, ist wegen fehlender Antragsbefugnis unzulässig (vgl. Sommer, in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 135 GWB Rn. 6 und 62). Umgekehrt genügt es für die Antragsbefugnis eines Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 1 i.V.m. § 135 GWB nicht, wenn ein Unternehmen nur für die Zuschlagsentscheidung relevante Vergaberechtsverstöße rügt, aber keinen der in § 135 Abs. 1 GWB genannten Verstöße geltend macht. Denn auch in diesem Fall fehlt es an der Darlegung eines Schadens. Ist die Wirksamkeit eines geschlossenen Vertrags aufgrund eines in § 135 Abs. 1 GWB genannten Vergaberechtsverstoßes nicht zumindest noch in der Schwebe, kommt eine Zuschlagserteilung an das antragstellende Unternehmen nicht mehr in Betracht. Der beanstandete Vertragsschluss hat vielmehr nach § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB Bestand und der Weg in den Primärrechtsschutz bleibt verschlossen. So verhält es sich hier. Die Antragstellerin macht mit ihrem Nachprüfungsantrag keinen der in § 135 Abs. 1 GWB genannten Vergaberechtsverstöße geltend. Sie beruft sich auf keinen einzigen dieser Verstöße.
49Nur ergänzend weist der Senat daher darauf hin, dass der Nachprüfungsantrag auch dann erfolglos geblieben wäre, wenn die Antragstellerin den Anforderungen des § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB genügt hätte. Denn tatsächlich lag keiner der Fälle des § 135 Abs. 1 GWB vor. Insbesondere genügte das Schreiben der Antragsgegnerin vom 16.05.2018 den Anforderungen an ein Vorabinformationsschreiben nach § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB. Die darin genannte Frist bis zur Erteilung des Zuschlags von knapp mehr als zehn, aber weniger als fünfzehn Kalendertagen bis zur Zuschlagserteilung genügte, da es sich bei dem Vorabinformationsschreiben um ein Faxschreiben handelte. Nach der Vorgabe in § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB war damit nur eine zehntätige Wartefrist einzuhalten. Die Antragsgegnerin hat den Zuschlag auch erst am 28.05.2018 und damit nicht vor dem der Antragstellerin mitgeteilten Termin erteilt.
50Zum Zeitpunkt des Zuschlags am 28.05.2018 unterlag die Antragsgegnerin auch keinem Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 GWB mit der Folge, dass ein gleichwohl erteilter Zuschlag nach § 134 BGB nichtig gewesen wäre. Das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB wird erst durch eine Information der Vergabestelle seitens der Vergabekammer ausgelöst, dass ein Antrag auf Nachprüfung vorliegt. Dass der Bieter selbst die Vergabestelle über seinen Nachprüfungsantrag informiert, genügt nicht (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 06.03.2013 – 11 Verg 7/12, zitiert nach juris, Tz. 36 m.w.N.; Kadenbach, in: Müller-Wrede, GWB, § 169 Rn. 7; Nowak, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl., § 169 GWB Rn. 6). Selbst wenn dem Schreiben der Antragstellerin an die Antragsgegnerin vom 23.05.2018 ein Hinweis auf einen eingelegten Nachprüfungsantrag zu entnehmen gewesen sein sollte und ein solcher zeitgleich bei der Vergabekammer gestellt worden wäre, bliebe dies hier daher folgenlos.
51Nach alledem bedarf es keiner weiteren Aufklärung, wie das am 14.11.2017 bei der Antragsgegnerin eingegangene Angebot der Antragstellerin überhaupt in die Angebotswertung gelangen konnte, obwohl die Angebotsfrist laut Auftragsbekanntmachung nur bis zum 02.11.2017 lief.
52III.
53Da die Antragstellerin unterlegen ist, hat sie gemäß § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Hiervon auszunehmen waren nur die der Beigeladenen entstandenen Kosten, weil sich die Beigeladene nicht aktiv am Verfahren beteiligt hat, so dass es nicht der Billigkeit gemäß § 78 GWB entspräche, der Antragstellerin auch diese Kosten aufzuerlegen.
54Die Entscheidung über den Streitwert des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
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Referenzen
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