Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 5 W 2/22 (Kart)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 02.03.2022 (Az. 10 O 11/22 [EnW]) in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 11.03.2022 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage, ob die Antragsgegnerin es zu unterlassen hat, ihren Kunden, die Energie über die Grund- oder Ersatzversorgung beziehen, je nach dem Zeitpunkt des Versorgungsbeginns unterschiedliche Preise anzubieten.
4Der Antragsteller ist die Verbraucherzentrale O. e.V., der sich nach seiner Satzung der Durchsetzung von Verbraucherinteressen widmet. Er ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.
5Die in H. ansässige Antragsgegnerin ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen und Grund- und Ersatzversorger i.S.d. §§ 36, 38 EnWG im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Strom und Gas.
6Mit Wirkung ab dem 21.12.2021 unterscheidet die Antragsgegnerin in der Preisgestaltung bei der Grund- und Ersatzversorgung zwischen Alt- und Neukunden. Kunden, deren Vertrag vor dem 21.12.2021 begonnen hat (im Folgenden: Altkunden), zahlen ein geringeres Entgelt als Kunden, deren Vertrag am 21.12.2021 oder später (im Folgenden: Neukunden) begonnen hat. Wegen der Einzelheiten der Tarifgestaltung ab dem 21.12.2021 wird auf die Preisblätter der Antragsgegnerin zu Strom und Gas Bezug genommen (Anl. AS 2). Die Tarife der Grund- und Ersatzversorgung sind im Übrigen identisch.
7Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin erfolglos abgemahnt.
8Er hat behauptet, er habe erstmals am 28.12.2021 von der unterschiedlichen Preisgestaltung bei Alt- und Neukunden Kenntnis erlangt. Er hat gemeint, die Preisgestaltung mit einer Unterscheidung zwischen Alt- und Neukunden sei rechtswidrig. § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG sei eine verbraucherschützende Norm i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Die Differenzierung von Grundversorgungstarifen nach Alt- und Neukunde verstoße gegen § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG, weil eine Aufspaltung innerhalb der gleichen Verbrauchsgruppe unzulässig sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, dem Regelungszweck und der richtlinienkonformen Auslegung der Norm. Der Verfügungsanspruch folge daneben auch aus §§ 3a, 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 S. 1 UWG wegen eines Verstoßes gegen die Marktverhaltensregel des § 36 EnWG.
9Der Antragsteller hat beantragt,
10die Antragsgegnerin zu verpflichten, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollstrecken an den Mitgliedern des Vorstands, es im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Zusammenhang mit Strom- und/oder Gaslieferverträgen in der Grund- und/oder Ersatzversorgung künftig zu unterlassen, Haushaltskunden i.S.d. § 3 Nr. 22 EnWG zu unterschiedlichen Preisen zu beliefern, wenn für die Unterscheidung allein das Datum des Vertragsschlusses wesentlich ist.
11Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
12Sie hat gemeint, § 36 EnWG sei schon kein Verbraucherschutzgesetz i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Jedenfalls aber verstoße ihre Preisdifferenzierung nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses dagegen nicht. Die Differenzierung sei erfolgt, weil zahlreiche Kunden aufgrund von Kündigungen oder Insolvenzen dritter Energielieferanten die Grund- oder Ersatzversorgung in Anspruch nähmen. Daher sei der Energiebedarf der Grundversorger sprunghaft angestiegen, sodass die zusätzlich benötigte Energie kurzfristig am Markt und zwar zu erheblich höheren Preisen beschafft werden müsse.
13Das zunächst angerufene Landgericht Bochum hat sich mit Beschluss vom 10.02.2022 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag des Antragstellers mit Zustimmung der Antragsgegnerin an das Landgericht Dortmund - Kammer für Handelssachen/Energiekammer - verwiesen. Diese hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch den angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Ob ein Verfügungsgrund vorliege, könne offenbleiben, weil kein Verfügungsanspruch bestehe. Dass die von der Antragsgegnerin eingeführte Preisspaltung gegen § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG verstoße, lasse sich nicht feststellen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen.
14Mit seiner hiergegen gerichteten, form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde wiederholt und vertieft der Antragsteller sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint, das Landgericht habe rechtsirrig einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichpreisigkeit und den Kontrahierungszwang abgelehnt und auch eine Diskriminierung durch die Anknüpfung an den Zeitpunkt des Beginns der Belieferung rechtsfehlerhaft verneint. Der sofortigen Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 11.03.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
15Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
16II.
17Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen, weil es schon an einem Verfügungsanspruch fehlt. Ein solcher steht dem Antragsteller unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
181. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde in dieser energiewirtschaftsrechtlichen Streitigkeit i.S.d. § 102 Abs. 1 EnWG ist gem. §§ 106 Abs. 1, 108 EnWG der Kartellsenat zuständig.
192. Aus §§ 2 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1, 2 UKlaG i.V.m. § 36 Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 1 EnWG kann der Antragsteller einen Anspruch auf Unterlassung der Preisdifferenzierung bei Alt- und Neukunden nicht herleiten.
20Dabei kann zugunsten des Antragstellers unterstellt werden, dass es sich bei § 36 Abs. 1 EnWG angesichts des Schutzziels und der gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Grundversorgung um ein Verbraucherschutzgesetz i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG handelt (vgl. dazu nur OLG Köln, Beschl. v. 02.03.2022 – 6 W 10/22, Rn. 23, zit. nach juris). Die Sicherstellung der Elektrizitäts- und Gasversorgung gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge. Sie ist eine Leistung von Verfassungsrang, „deren der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf“ (BVerfG, Beschl. v. 20.03.1984 – 1 BvL 28/82, Rn. 37, BVerfGE 66, 248 – „Enteignung, Enteignung zugunsten Energieversorgung“). Letztlich bedarf - wie schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – diese zwischen den Parteien streitige Frage keiner Vertiefung, weil die Preisgestaltung der Antragsgegnerin mit der Unterscheidung zwischen Alt- und Neukunden in der Grund- und Ersatzversorgung nicht gegen § 36 EnWG verstößt.
21Gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG haben Energieversorgungsunternehmen - wie die Antragsgegnerin - für Netzgebiete, in denen sie die Grundversorgung von Haushaltskunden durchführen, Allgemeine Bedingungen und Allgemeine Preise für die Versorgung öffentlich bekannt zu geben und im Internet zu veröffentlichen und zu diesen Bedingungen und Preisen jeden Haushaltskunden zu versorgen.
222.1. Aus dem Wortlaut der Norm und ihrem Sinn und Zweck lässt sich - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - ein Verbot der Preisgestaltung mit einer Unterscheidung nach Alt- und Neukunden nicht herleiten. Aus § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG folgt zunächst, dass das entsprechend Abs. 2 festgestellte kundenstärkste lokale Energieversorgungsunternehmen verpflichtet ist, Letztverbraucher grundsätzlich mit Energie zu versorgen (sog. Grundversorgung). § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG bestimmt weiter, dass für diese Grundversorgung die öffentlich bekannt zu gebenden und im Internet zu veröffentlichenden Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preise maßgeblich sind. Der Grundversorger ist zum Abschluss des Vertrags und zur Energieversorgung des Haushaltskunden verpflichtet (sog. Kontrahierungszwang). Dieser Kontrahierungszwang gilt für Haushaltskunden zeitlich unbeschränkt und bis zur Grenze der wirtschaftlichen Zumutbarkeit (§ 36 Abs. 1 S. 3 EnWG). Dem begünstigten Haushaltskunden steht spiegelbildlich ein Anspruch auf Abschluss des Grundversorgungsvertrags zu den vom Grundversorger bekannt gegebenen Allgemeinen Bedingungen und Preisen zu. Weitere gesetzliche Vorgaben zu Inhalt und Aufbau der Allgemeinen Preise sowie den tariflichen Rechten und Pflichten der Grundversorger und ihrer Kunden existieren nicht. Von der Verordnungsermächtigung des § 39 Abs. 2 EnWG ist kein Gebrauch gemacht worden.
23Aus einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift des § 36 Abs. 1 EnWG im Lichte des Art. 27 RL 2019/944/EU folgt - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - nichts anderes. In ihr ist nur bestimmt, dass alle Haushaltskunden das Recht auf Versorgung mit Elektrizität/Gas einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen haben. Das schließt eine Preisspaltung nicht schon grundsätzlich, sondern nur dann aus, wenn darin eine unzulässige Diskriminierung liegt. Anderes lässt sich auch Art. 3 RL 2009/73 EG nicht entnehmen.
242.2. Zu Recht hat das Landgericht in der differenzierten Preisgestaltung auch keinen Verstoß gegen das Gebot der Gleichpreisigkeit gesehen.
25Da der Grundversorger kraft Gesetzes im Rahmen der Grundversorgung Monopolist ist und das Wettbewerbsprinzip in Anbetracht dieser Versorgungspflicht nicht greift, schreibt § 36 Abs. 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 S. 3 EnWG zwar im Grundsatz eine Gleichpreisigkeit im Bereich der Grund- und Ersatzversorgung von Haushaltskunden vor. Indessen ist ein Energieversorgungsunternehmen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch im Rahmen der Grundversorgung frei, verschiedene, wie etwa verbrauchsabhängige Tarife anzubieten (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2017 - EnZR 56/15, Rn. 25; v. 31.07.2013 - VIII ZR 162/09, Rn. 34; v. 11.05.2011 - VIII ZR 42/10, Rn. 32; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.04.2011 - VI-2 U (Kart) 3/09, Rn. 19; sämtlich zit. nach juris; ebenso: Kment/Rasbach, EnWG, 2. A., 2019, § 36 Rn. 15; Säcker/Busche, BerlKommEnR, 4. A., 2019, vor § 36 Rn. 11). Die Grenze der Zulässigkeit liegt im Bereich der Monopolversorgung in der Ungleichbehandlung ohne sachlich gerechtfertigten Grund.
26Entgegen dem Angriff der Beschwerde erfolgt die Tarifspaltung zwischen Alt- und Neukunden nicht ohne sachlichen Grund und stellt daher - wie schon das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - keine Diskriminierung dar. Mit ihr will die Antragsgegnerin dem Umstand Rechnung tragen, dass sie als Grund- und Ersatzversorgerin durch die unvorhersehbare Entwicklung auf den Energiemärkten zum Ende des Jahres 2021 und das kurzfristige Ausscheiden einzelner Energielieferanten aus dem Markt zumindest vorübergehend zusätzliche Haushaltskunden in einem solchen Umfang zu beliefern hatte, dass sie in einem nicht vorhersehbaren Maße zusätzliche Energie - und das zu höheren Preisen - beschaffen musste. Kurzfristig und unterjährig von dem Grundversorger zu beschaffende Ersatzenergie ist typischerweise um ein Vielfaches teurer als die Energie, die der Versorger geplant und mit großem zeitlichen Vorlauf beschaffen kann (Theobald/Kühling/Heinlein/Weitenberg, EnWG, 113. EL Aug. 2021, § 38 Rn. 35; Kment/Rasbach, aaO, § 38 Rn. 9). Gerade weil die Ersatzversorgung nicht planbar ist, ergeben sich schon dadurch naturgemäß höhere Kosten. Dementsprechend sieht § 38 Abs. 1 S. 2 EnWG zwar vor, dass der Grundversorger für diese Kundengruppe „gesonderte allgemeine Preise“ veröffentlichen kann. Indessen wird diese Regelung, die dem Grundsatz verursachungsgerechter Kostenzuordnung entspricht, durch S. 3 wieder entwertet. Das Gebot der Gleichpreisigkeit von Grund- und Ersatzversorgung der Haushaltskunden (§ 38 Abs. 1 S. 3 EnWG) untersagt es dem Grundversorger gerade, seine Zusatzbelastung durch die höheren Kosten (nur) den ersatzversorgten Haushaltskunden mit höheren Preisen als im Rahmen der Grundversorgung in Rechnung zu stellen. Auf diese Weise will der Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge dieser Verbrauchergruppe besonderen Schutz zukommen lassen (Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. A., 2015, § 38 Rn. 20). Faktisch läuft dies allerdings auf eine Subventionierung der ersatzversorgten Kunden durch die grundversorgten Kunden und damit auf eine Durchbrechung des Prinzips der verursachungsgerechten Kostenzuordnung hinaus, was der Regelung des § 38 Abs. 1 S. 3 EnWG im Gesetzgebungsverfahren auch - erfolglos - entgegengehalten worden ist (BR-Drs. 613/1/04, S. 32).
27Vor diesem Hintergrund begegnet es auch aus der Sicht des Senats in der Sache keinen Bedenken, wenn der Grundversorger, der dem Kontrahierungszwang unterliegt, die zusätzlichen Beschaffungskosten, die ihm hier in der unvorhersehbaren Sondersituation zum Ende des Jahres 2021 durch das kurzfristige Ausscheiden einzelner Energielieferanten und zudem angesichts der Preisentwicklung im Markt in erheblichem Umfang entstanden sind, im Wege einer Preisspaltung zeitnah und verursachungsgerecht der Gruppe der Neukunden weiterbelastet. Die Alternative einer Preiserhöhung hätte sich - worauf das Landgericht schon hingewiesen hat - nach den maßgeblichen Bestimmungen der §§ 5 f. Strom-/Gas-GVV frühestens zum 01.03.2022 umsetzen lassen, weil sie nur zum Monatsersten und auch dann nur möglich ist, wenn sie mindestens sechs Wochen vorher angekündigt worden ist. Sie hätte auch nur die zu diesem Stichtag noch in der Grund- und Ersatzversorgung befindlichen Kunden betroffen, d.h. nicht diejenigen, durch deren Ersatzversorgung die höheren Kosten verursacht worden sind, sofern diese bis dahin von der gesetzlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen, aus der Ersatzversorgung in einen Sondervertrag zu wechseln. Die Antragsgegnerin hatte mit Blick auf ihre Verpflichtung als Grundversorger - anders als bei der Versorgung von Sondervertragskunden - keine Möglichkeit, die Ersatz- und auch die Grundversorgung ihrer Kunden zu beenden und sich damit den zusätzlichen, erheblich erhöhten Beschaffungskosten zu entziehen. § 36 Abs. 1 S. 2 EnWG sieht die Beendigung des konkreten Grundversorgungsverhältnisses durch den Grundversorger nur für den Fall der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit vor. Durch diese Begrenzung der Grundversorgungspflicht wird die Verfassungsmäßigkeit der Grundversorgung sichergestellt, denn der Grundversorger wird durch die Verpflichtung zur Grundversorgung in seinen Grundrechten aus Art. 14 GG (Eigentum), Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit) berührt. Er wird daher vom Kontrahierungszwang frei, wenn diese Grundrechte unverhältnismäßig tangiert werden (OLG Köln, Beschl. v. 02.03.2022 – 6 W 10/22, Rn. 36, zit. nach juris; Theobald/Kühling/Heinlein/Weitenberg, aaO, § 36 Rn. 11, 72). Da die wirtschaftliche Unzumutbarkeit die Ausnahme zur grundsätzlich bestehenden Grundversorgungspflicht ist, ist sie eng auszulegen (Theobald/Kühling/Heinlein/Weitenberg, aaO, EnWG § 36 Rn. 72). Erfasst werden nur wirtschaftliche Gründe, die die konkrete Lieferbeziehung, also die Person oder die Abnahmestelle bzw. Marktlokation des Grundversorgungsberechtigten betreffen (BeckOK EnWG/Schnurre, 1. Ed. 15.7.2021, § 36 Rn. 24 ff.). Sonstige Gründe rechtfertigen keinen Ausschluss der Grundversorgung. Von daher können erhöhte Beschaffungskosten des Grundversorgers keinen Fall der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit begründen.
282.3. Ob und inwieweit im Einzelfall in der Höhe der für Neukunden maßgeblichen Preise eine sachlich nicht gerechtfertigte und damit missbräuchliche Erhöhung liegt, betrifft nicht die hier geltend gemachte generelle Unzulässigkeit der Preisspaltung für Alt- und Neukunden. Vielmehr unterliegt ein für Neukunden erhöhter Grundversorgungstarif der kartellrechtlichen Überprüfung nach Maßgabe der §§ 19 Abs. 2 Nr. 3, 29 GWB. Da die Grundversorger aus rechtlichen Gründen (§ 36 EnWG, § 1 Abs. 3 Strom-/Gas-GVV) eine Monopolstellung innehaben, greift insoweit insbesondere die spezielle Missbrauchsaufsicht im Bereich der Energieversorgung nach § 29 GWB ein. Missbräuchlich ist gem. § 29 S. 1 Nr. 1 GWB das Fordern von Entgelten oder sonstigen Geschäftsbedingungen, die ungünstiger sind als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen (Alt. 1) oder von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten (Alt. 2). § 29 S. 1 Nr. 2 GWB regelt weiter, dass es verboten ist, Entgelte zu fordern, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten, so dass die Kartellbehörde alternativ zu der Vergleichsmarktbetrachtung nach Nr. 1 dieser Vorschrift eine kostenbasierte Entgeltkontrolle durchführen kann. Somit ist auch der absolute und nicht nur der relativ im Vergleich zu anderen Unternehmen überhöhte Preis Gegenstand der Missbrauchsaufsicht (Theobald/Kühling, aaO, Wettbewerbsrecht/Vergaberecht Wettbewerbsrecht I. Missbrauchsaufsicht in der Energiewirtschaft Rn. 78). Der zeitliche Geltungsbereich des § 29 GWB ist zwar derzeit gem. § 186 Abs. 1 GWB bis zum 31.12.2022 beschränkt. Der Referentenentwurf des BMWK vom 16.03.2022 für ein ‚Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung‘ sieht allerdings gerade vor dem Hintergrund dieser jüngsten Entwicklungen auf den Strom- und Gasmärkten u.a. eine bis zum 31.12.2027 verlängerte Geltungsdauer vor (Art. 2 Nr. 3, S. 14, 27, 48). Flankierend dazu ist nach dem Referentenentwurf eine Änderung des § 36 EnWG dahin beabsichtigt, dass zukünftig die für die Grundversorgung veröffentlichten Allgemeinen Preise und Bedingungen nicht danach unterscheiden dürfen, wann der Abschluss eines Grundversorgungsvertrags erfolgt (Art. 1 Nr. 16a, S. 10, 24). Ergänzt werden soll dies im Rahmen des § 38 EnWG durch eine grundsätzliche Aufgabe des Gebots der Gleichpreisigkeit der Ersatz- mit der Grundversorgung. Danach soll der Grundversorger künftig die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung jeweils zum ersten Tag eines Kalendermonats neu ermitteln und ohne Einhaltung einer Frist anpassen können, bei ihrer Ermittlung kann er einen Aufschlag für erhöhte Vertriebskosten und einen besonderen Beschaffungskostenanteil vorsehen (Art. 1 Nr. 17, S. 10, 24). Damit soll den - schon unter 2.2. angesprochenen und hier gegenständlichen - überraschenden Entwicklungen an den Energiemärkten zum Ende des Jahres 2021 mit dem kurzfristigen Ausscheiden einzelner Energielieferanten aus dem Markt und dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch den Grundversorger jedenfalls vorübergehend teilweise zusätzliche Haushaltskunden in einem solchen Umfang zu beliefern waren, dass er in einem nicht vorhersehbaren Maße zusätzliche Energie beschaffen musste (S. 24, 39 f.). Dieses Bedürfnis von Grundversorgern, in ihrer Funktion als Interimsversorger auch preislich kurzfristig auf insoweit gegebenenfalls höhere Beschaffungs- und Vertriebskosten für die Ersatzversorgung reagieren zu können, soll durch die Anpassung des § 38 EnWG berücksichtigt werden (S. 40).
292.4. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller schließlich aus den Entscheidungen der Landgerichte Hannover (v. 03.03.2022 – 25 O 6/22, BeckRS 2022, 4179), Mannheim (v. 17.02.2022 – 22 O 3/22 Kart) und Frankfurt (v. 14.02.2022 – 3-06 O 6/22, BeckRS 2022, 2402) nichts zu seinen Gunsten herleiten, da diese sich zu wettbewerbs- und kartellrechtlichen Unterlassungsansprüchen von Mitwettbewerbern hinsichtlich der konkreten Preisgestaltung verhalten.
303. Da ein Verstoß gegen §§ 36 Abs. 1 S. 1, 38 Abs. 1 EnWG schon nicht vorliegt, ergibt sich ein Unterlassungsanspruch auch nicht aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 3 UWG.
31III.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
33Den Wert für das Beschwerdeverfahren hat der Senat gem. § 3 ZPO unter Berücksichtigung des Unterlassungsinteresses des Antragstellers und des lediglich vorläufigen Charakters des einstweiligen Verfügungsverfahrens in Übereinstimmung mit dem Landgericht mit 10.000 € bewertet. Dabei trägt die Wertfestsetzung auch der herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung der angegriffenen Preisbildungspraxis für die betroffenen Verkehrskreise Rechnung, denn die Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Praxis ist aktuell nicht nur für die Antragsgegnerin und die von ihr versorgten Verbraucher, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung.
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Referenzen
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- 22 O 3/22 1x (nicht zugeordnet)
- 25 O 6/22 1x (nicht zugeordnet)