Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 9 U 55/75
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 15. Oktober 1974 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall, den er mit seinem Pkw erlitten hat, zunächst von dem Fahrer des unfallbeteiligten Postfahrzeugs als Beklagtem zu 1) und der Beklagten - zu 2) - als Halterin vollen Ersatz seines Schadens verlangt. Die Klage gegen, den Beklagten zu 1), den späteren Zeugen ..., hat der Kläger im ersten Rechtszuge vor Verlesung der Anträge zurückgenommen.
3Der Kläger befuhr am 10. April 1974 gegen 15,30 Uhr mit seinem Pkw in ... die Hauptstraße. Dabei stieß er mit dem im Fernmeldebaudienst eingesetzten VW-Bus der Beklagten zusammen.
4Der Kläger hat vorgetragen: Die Beklagte müsse voll für seinen Schaden einstehen. Der Zeuge ... sei aus einer Einfahrt rückwärts auf die Fahrbahn gerollt und habe mit der Rückfront des Postfahrzeugs seinen, des Klägers, Pkw an dessen rechter Seitenwand gerammt. Sein Schaden betrage insgesamt 644,30 DM.
5Nach Zurücknahme der Klage gegen ... hat der Kläger beantragt
6die Beklagte zu verurteilen, an ihn 644,30 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
7Die Beklagte hat beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie hat vorgetragen: Der Kläger könne keinen Ersatz seines Schaden verlangen. Er habe den Unfall allein selbst verschuldet, da er unaufmerksam gegen das Heck des schon etwa 2 Minuten stillstehenden und nur etwa 0,50m mit dem Heck in die Fahrbahn hineinragenden VW-Bus gefahren sei. Die Höhe des vom Kläger verlangten Schadensersatzes sei überdies nicht gerechtfertigt.
10Das Landgericht hat durch Vernehmung des Zeugen Brakhage Beweis erhoben.
11Durch das angefochtene Urteil, auf das gemäß § 545 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Klageabweisung im übrigem verurteilt, an den Kläger 483,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Juni 1974 zu zahlen. Dazu ist in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Beklagte müsse gemäß §§ 7, 17 StVG, 839, 264 BGH Art. 34 GG für den Schaden des Klägers zu drei Vierteln einstehen. Danach habe die Beklagte dem Kläger 483,22 DM nebst Zinsen zu ersetzen.
12Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung, soweit sie zur Zahlung von mehr als 214,77 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist. Die Beklagte wendet sich gegen die vom Landgericht vorgenommene Schadensteilung und meint, bei richtiger Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge brauche sie nur für ein Drittel des Schadens des Klägers einzustehen.
13Die Beklagte beantragt,
14unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in Höhe weiterer 268,46 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Juni 1974 abzuweisen.
15Der Kläger beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen,
17hilfsweise ihm Vollstreckungsnachlaß zu gewähren.
18Er vertritt in erster Linie die Auffassung, die Berufung sei unzulässig, jedenfalls aber, meint er, sei sie unbegründet. Dazu trägt er vor: Die Beklagte habe nach Ankündigung durch Schreiben vom 31. Januar 1975 am 6. Februar 1975 die Urteilssumme mit Zinsen in Gesamthöhe von 496,14 DM bezahlt. Die Berufung sei von der Beklagten erst danach, am 25. Februar 1975, eingelegt worden. Deshalb sei die Berufung unzulässig, weil die Beklagte durch das vorgenannte Schreiben zuvor auf Rechtsmittel verzichtet habe. Die Zahlung der Beklagten sei nicht etwa zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt, weil er noch nicht einmal die Sicherheit geleistet gehabt habe, von der die Zwangsvollstreckung für ihn abhängig ... gewesen sei.
19Im übrigen treffe das Urteil entgegen der Auffassung der Beklagten zu .... Selbst wenn man von dem festgestellten Verschulden des Postfahrers Brakhage absehe, ergebe allein schon die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge eine Schadensersatzquote zu seinen Gunsten von mehr als 1: 1, weil sich das Fahrzeug der Beklagten auf der Fahrbahn quer zur Fahrbahnrichtung bewegt habe. Zur Höhe der Reparaturkosten und des Nutzungsausfalls beziehe er sich auf die von ihm bereits benannten zeugen. Der Kläger legt das Schreiben der Oberpostdirektion Münster vom 31. Januar 1975 (Blatt 70 der Akten) an seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vor.
20Die Beklagte bestreitet die Zahlung nicht. Sie tritt der Auffassung des Klägers entgegen, die Berufung sei unzulässig, und überreicht dazu ein Schreiben der ... vom 21. Januar 1975 an ihre erstinstanzlichen Anwälte (Blatt 72 der Akten) und ein weiteres vom 13. Februar 1975 an ihre derzeitigen Prozeßbevollmächtigten (Blatt 71 der Akten).
21Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die vorbezeichneten von den Parteien überreichten Schriftstücke Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe
23Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.
24Aus den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergibt sich, daß die Beklagte nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils, aber noch vor Einlegung der Berufung die Urteilssumme einschließlich der Zinsen bezahlt hat. Damit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt worden und die Beschwer der Beklagten vor Einlegung des Rechtsmittels fortgefallen. Die Beklagte hat nämlich das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis durch Erfüllung zum Erlöschen gebrach indem sie nicht ausdrücklich - auch nicht einmal erkennbar - zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt hat. Aus den Umständen ergibt sich vielmehr, daß die Beklagte sich mit ihrer Zahlung der Entscheidung des Landgerichts gebeugt hat. Diese Einstellung der Beklagten ist zwar, wie aus den von den Parteien dem Senat überreichten Schreiben ersichtlich ist, auf die rechtsirrtümliche Annähme zurückzuführen, das Gesetz zur Entlastung der Landgerichte vom 20. Dezember 1974 finde schon auf diesen Rechtsstreit Anwendung, während es in Wirklichkeit nach seinem Art. 8 Abs. 2 zur Zulässigkeit von Rechtsmitteln nur anzuwenden ist, wenn die anzufechtende Entscheidung nach dem Inkrafttreten - also gemäß Art. 10 nach dem 1. Januar 1975 - verkündet worden ist. Ein solcher Rechtsirrtum, der Beklagten hindert aber die Erfüllung und damit das Erlöschen des Schuldverhältnisses nicht.
25Grunsky vertritt in seiner Anmerkung zu dem in NJW 1975, 935 - VersR 1975, 525 veröffentlichten, einen ähnlichen Fall betreffenden Urteil des Senats vom 26.11.1974 - 9 U 66/74 - u.a. die Ansicht, die bloße Zahlung des Urteilsbetrages führe nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels. Dem ist nicht beizutreten. Wird nicht ausdrücklich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlt, so erlischt das Schuldverhältnis (BGH Urt. v. 24.6.1953 - II ZR 200/52 LM § 91a ZPO Nr. 4) und die Hauptsache ist erledigt. Erfolgt die Zahlung wie hier vor Einlegung des Rechtsmittels, so entfällt die Beschwer das Rechtsmittel ist unzulässig und zu verwerfen (BGH a.a.O.). Er folgt die Zahlung nach Rechtsmitteleinlegung, so wird das Rechtsmittel unzulässig, wenn die spätere Verminderung des Beschwerdegegenstandes auf willkürlicher Beschränkung des Rechtsmittels durch den Rechtsmittelkläger beruht (BGH Urt. 19.12.50 - I ZR 7/50 - NJW 51, 19b und BGH 16.01.50 - I ZR 1/50 - NJW 51, 274).
26Durch Erledigung der Hauptsache dieses Rechtsstreits ist die Beschwer der Beklagten fortgefallen und die spätere Einlegung der Berufung unzulässig geworden, denn der mit der Berufung gegen die Schadensersatzquote gerichtete Angriff ist durch die Erledigung der Hauptsache gegenstandslos geworden. Eine Anfechtung der nicht miterledigten Kostenentscheidung, die die Beklagte in den erwähnten Schreiben bereits vor Erledigung der Hauptsache mißbilligt hatte, ist für sich allein nach § 99 Abs. 1 ZPO unzulässig. § 91a ZPO kann auf die Kostenentscheidung nicht angewendet werden weil eine Entscheidung nach § 91a ZPO voraussetzt, daß, das Rechts mittel zulässig eingelegt worden ist (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat kann die nicht miterledigte Kostenentscheidung des ersten Rechtszuges auch nicht von Amts wegen nachprüfen, weil er nach Feststellung der Unzulässigkeit des Rechtsmittels in diese materielle Prüfung nicht mehr eintreten kann.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 708 Nr. 7 ZPO. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Vollstreckungsnachlaß ist gegenstandslos.
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