Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 20 W 29/77
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über das Armenrechtsgesuch des Klägers an das Landgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
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Gründe:
2I)
3Der Kläger ist Nachlaßverwalter über das Vermögen der am 8. Januar 1975 verstorbenen Eheleute ... und .... Der verstorbene Ehemann ... hatte bei der Beklagten eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Auf dem von ihm am 10. September 1965 unterzeichneten Versicherungsantrag heißt es:
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| Hiermit wird Versicherungsschutz als Privatperson nach Maßgabe der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung und der sonstigen gesetzlichen Bestimmungen im Umfange der auf der Rückseite abgedruckten Erläuterungen beantragt. |
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In den Erläuterungen zum Versicherungsantrag heißt es unter Ziff. I:
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| Die Versicherung umfaßt - mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes, eines Berufs, eines Amts (auch Ehrenamts), einer verantwortlichen Betätigung in Vereinigungen aller Art oder einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung - die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers 1) als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens ... |
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Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) zugrunde.
8Der Versicherungsnehmer war gelernter Musikinstrumentenbauer und in diesem Beruf bis Anfang 1956 tätig. Er war sodann bis zu seinem Tode als Dreher bei der Firma ... in ... beschäftigt. Seit dem 13. Dezember 1967 war er im Besitz eines Wandergewerbescheines, der sich auf das "Feilbieten und den Ankauf von Musikinstrumenten und Zubehör, Elektrogeräten und Schallplatten" erstreckte. Weiter war der Versicherungsnehmer Mitglied der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr ....
9Der Versicherungsnehmer wohnte bis zu seinem Tode in einer Mietwohnung in .... Im Keller dieses Hauses, dessen Eigentümer sein Schwager war, hatte er sich einen "Bastelraum" eingerichtet. Dort reparierte er nicht nur seine eigenen Musikinstrumente, sondern auch Instrumente - vorwiegend Blasinstrumente - seiner Kameraden von der Feuerwehrkapelle. Wenigstens gelegentlich reparierte er auch gegen Entgelt Instrumente Dritter, mit denen er in Ausübung des nebenberuflichen Wandergewerbes in Kontakt gekommen war. Zur Reparatur der Blasinstrumente waren häufig Lötarbeiten erforderlich, die der Versicherungsnehmer mit Hilfe einer an eine Propan-Gasflasche angeschlossenen Lötpistole vornahm.
10Am 8. Januar 1975 gegen 0.50 Uhr kam es in dem vom Versicherungsnehmer bewohnten Hause zu einer Explosion, durch die das gesamte Haus fast vollständig zerstört wurde. Von den 5 Hausbewohnern kamen drei ums Leben, nämlich der Versicherungsnehmer, seine Ehefrau und seine Schwiegermutter. Der 14-jährige Sohn des Versicherungsnehmers sowie der Hauseigentümer, der sein Schwager war, kamen mit Verletzungen davon. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ..., der im Ermittlungsverfahren 46 (5) Js 79/75 StA Bielefeld mit der Untersuchung der Unglücksursache beauftragt war, ist die Explosion darauf zurückzuführen, daß aus der im Bastelkeller befindlichen Propan-Gasflasche, und zwar durch das Ventil der daran angeschlossenen Lötpistole, Gas ausgeströmt und durch den Kontaktfunken einer elektrischen Schalteinrichtung (Ölfeuerungsanlage oder Radiator mit automatischer Temperaturschaltung im Bastelkeller) gezündet worden ist.
11Mit Schreiben vom 19. Februar 1976 lehnte die Beklagte die Übernahme des Versicherungsschutzes für den durch das Explosionsunglück entstandenen Schaden ab mit der Begründung, die geltend gemachten Ansprüche seien auf eine Tätigkeit des Versicherungsnehmers zurückzuführen, die mit seinem nebenberuflich betriebenen Wandergewerbe im Zusammenhang stünden. Dadurch verursachte Schäden fielen nicht unter den Versicherungsschutz der Privathaftpflichtversicherung.
12Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben, zunächst mit dem Antrag auf Zahlung von 110.000 DM. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1977 hat er den Antrag angekündigt,
13die Beklagte zu verurteilen, ihn von einer Inanspruchnahme durch
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| a) | den geschädigten Hauseigentümer ... in Höhe von 79.474,20 DM, | |
| b) | die Betriebskrankenkasse ... in Höhe von 30.525,80 DM durch Zahlung zu befreien. |
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Er begehrt für diese Klage das Armenrecht. Das Landgericht hat die Bewilligung des Armenrechts abgelehnt mit der Begründung, die beabsichtigte Rechtsverfolg biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Haftpflichtfall sei auf die Gefahren eines Betriebs des Versicherungsnehmers zurückzuführen und deshalb vom Versicherungsschutz nicht umfaßt. Die explodierte Gasflasche nebst Lötkolben habe der Versicherungsnehmer nämlich zur Reparatur von Musikinstrumenten benutzt, mit der er sich auch im Rahmen seines Wandergewerbes beschäftigt habe.
16II)
17Die gegen diesen Beschluß gerichtete Beschwerde des Klägers ist begründet.
181)
19Nach dem bisherigen Sachstand, insbesondere dem Inhalt der Ermittlungsakten, lassen sich sichere Feststellungen dazu, ob die Gefahr, die sich durch die Explosion des Propangases realisierte, dem privaten oder beruflichen und gewerblichen Lebensbereich des Versicherungsnehmers zuzuordnen ist, nicht treffen. Die Propangasflasche im "Bastelkeller" mit der daran angeschlossenen Lötapparatur wurde vom Versicherungsnehmer in erster Linie zur Reparatur von Musikinstrumenten benutzt. Jedenfalls ist von einem anderen Verwendungszweck auch den schon vernommenen Zeugen nichts bekannt gewesen. Aus den Ermittlungsakten ergibt sich ebenfalls kein Anhalt für eine andere Verwendung. Bei den Musikinstrumenten, die der Versicherungsnehmer reparierte, kann es sich einmal um seine eigenen, über deren Art und Anzahl nichts bekannt ist, zum anderen um diejenigen seiner Kameraden von der Feuerwehrkapelle und schließlich um solche gehandelt haben, die er im Rahmen seines nebenberuflichen Wandergewerbes instandsetzte oder beschädigt aufkaufte und wiederherstellte. Worauf dabei das Schwergewicht lag, ist nicht bekannt. Insbesondere ist nicht feststellbar, ob die Reparaturarbeiten, die er im Rahmen seines Wandergewerbes ausführte, einen nennenswerten Umfang einnahmen. Auch nach Darstellung der Beklagten ist bei dem Explosionsunglück, soweit feststellbar, nur ein einziges Instrument beschädigt worden, das der Versicherungsnehmer seinerzeit im Rahmen seines Wandergewerbes zur Reparatur angenommen hatte. Es ist also möglich, daß der Schwerpunkt der Benutzung der Lötapparatur auf der Reparatur der Instrumente der Feuerwehrkapelle einschließlich der eigenen Instrumente des Versicherungsnehmers lag. Angesichts dieser auf tatsächlichem Gebiet liegenden Zweifel ist jedenfalls nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht abschließend zu klären, ob die Tätigkeit des Versicherungsnehmers, die zu dem Unglück führte, dem vom Versicherungsvertrag gedeckten privaten oder dem nicht abgesicherten beruflichen und gewerblichen Bereich zuzuordnen ist.
20Entgegen der Auffassung der Beklagten ist zunächst nicht jede Tätigkeit eine berufliche, die bestimmte Fertigkeiten erfordert, die der Versicherungsnehmer im Rahmen seines beruflichen Werdeganges erworben hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Versicherungsnehmer etwaige in seinem Beruf erworbene Fähigkeiten in einem Rahmen einsetzt, der bei vernünftiger Betrachtung in den beruflichen Tätigkeitsbereich einzuordnen ist. Repariert z.B. ein Ingenieur auf einer Abendgesellschaft ein defekt gewordenes Radio, um weiter tanzen zu können, so wird er, auch wenn er dabei seine beruflich erworbenen Fertigkeiten einsetzt, privat als Gast und nicht beruflich tätig (so Wussow AHB, §4 Anm. 51, 3). Andererseits wird allgemein die Auffassung vertreten, daß eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Sinne der Haftpflichtversicherung auch dann vorliegt, wenn sie im Einzelfall aus privaten oder freundschaftlichen Motiven ausgeübt wird (z.B. handelt ein Radiomonteur, der seinem Freund abends aus Gefälligkeit einen Radioapparatausbessert, im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit, vgl. Wussow a.a.O. Anm. 50).
21Im vorliegenden Fall befaßte sich der Versicherungsnehmer, von Beruf Dreher, im Nebenberuf mit dem "Feilbieten und dem Ankauf von Musikinstrumenten und Zubehör, Elektrogeräten und Schallplatten" (so der Inhalt des Wandergewerbescheines). Es liegt nahe, daß sich unter den angekauften Instrumenten auch gelegentlich reparaturbedürftige befanden. Die Reparatur solcher Instrumente fiel ebenso in den beruflichen Bereich des Versicherungsnehmers wie die Reparatur im Auftrage Dritter, auch wenn es sich bei dieser Tätigkeit nur um eine nebenberufliche handelte. Hätte der Versicherungsnehmer dann, wenn das Schwergewicht seiner Tätigkeit auf diesem nebenberuflichen Gebiet lag, aus Gefälligkeit in seinem Werkstattraum auch einmal ein Instrument eines Kollegen von der Feuerwehrkapelle repariert, so wäre dies seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzuordnen, denn er hätte seine beruflichen Fertigkeiten und die zum Zwecke der Berufsausübung angeschafften Geräte und Werkzeuge eingesetzt, wenn auch aus privaten Motiven und ohne die Absicht, einen Gewinn zu erzielen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn, was hier möglich erscheint, das Schwergewicht der Basteltätigkeit des Versicherungsnehmers darauf lag, daß er die Instrumente der Mitglieder der Feuerwehrkapelle in Ordnung brachte, ohne dafür ein Entgelt zu erhalten, wobei belohnende Geschenke der Eigentümer im üblichen Rahmen (Flasche Schnaps, Zigaretten o.ä.) wohl als Entgelt anzusehen wären. Dann wurde die Tätigkeit des Versicherungsnehmers, für die er seine ursprünglich beruflich erworbenen Fähigkeiten und die gekauften Geräte, einsetzte, in der Hauptsache aus privaten Motiven und zu privaten Zwecken ausgeführt. Eine solche Tätigkeit kann dann nicht mehr dem beruflichen Bereich zugeordnet werden, da nicht dort, sondern in der privaten Sphäre als Mitglied der Feuerwehrkapelle das Schwergewicht des Tätigkeitsbereichs des Versicherungsnehmers bei seinen Arbeiten an Musikinstrumenten lag. Zumindest bedarf diese Rechtsfrage der Klärung im ordentlichen Verfahren mit der Möglichkeit der vollen Ausschöpfung des Instanzenzuges.
222)
23Besteht die Möglichkeit, daß das Schwergewicht der Verwendung der Lötapparatur im privaten Bereich lag, ohne daß dies - wie es nach dem gegenwärtigen Sachstand der Fall ist - eindeutig abzuklären ist, so ist die Beklagte verpflichtet, aus dem Versicherungsvertrag Deckungsschutz zu gewähren. Nach den Erläuterungen zum Versicherungsantrag, auf die im Antrag zur Bestimmung des Inhalts des Vertrages ausdrücklich Bezug genommen wird, und die daher Vertragsinhalt geworden sind (vgl. BGH VersR 77, 468), umfaßt die Versicherung die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus den im einzelnen aufgeführten Tatbeständen mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes eines Berufs usw.. Soweit es sichum die Gefahren eines Betriebes oder Berufes handelt, liegt nach der ausdrücklichen Formulierung der Vertragsinhalt gewordenen Erläuterungen also ein Ausnahmetatbestand vor und handelt es sich nicht um eine primäre Risikobegrenzung. Die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes sind aber von der Beklagten zu beweisen. Dies wird durch folgende Überlegung gestützt: Besteht neben einer Privathaftpflichtversicherung bei einer anderen Versicherungsgesellschaft eine Berufs- oder (und) Betriebshaftpflichtversicherung, so kann die Unmöglichkeit der Aufklärung der tatsächlichen Voraussetzungen der Haftung aus einem Versicherungsvertrag nicht dazu führen, daß der Versicherungsnehmer nunmehr aus keiner Versicherung eine Entschädigung bekommt, obwohl sicher feststeht, daß ihm jedenfalls aus einem der Versicherungsverträge eine Entschädigung gebührt. Der Vermeidung derartiger unbilliger Ergebnisse dient die Regelung in den Erläuterungen zum Versicherungsantrag, wonach die Gefahren des Berufs und Gewerbes einen - vom Versicherer zu beweisenden - Ausnahmetatbestand darstellen, so daß dann, wenn sich tatsächlich nicht aufklären läßt, ob ein Schaden aus dem privaten oder beruflichen Lebensbereich resultiert, jedenfalls eine Haftung aus der Privathaftpflichtversicherung besteht. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes, hier der Frage, ob die Lötapparatur vorwiegend beruflichen oder privaten Zwecken diente, geht dann zu Lasten des Versicherers.
24Der Kläger wird allerdings seinen Klageantrag zu überprüfen haben. Er hat in seinem bisherigen Antrag Haftpflichtansprüche des Hauseigentümers Leicht und auf die Betriebskrankenkasse Bertelsmann übergegangene Haftpflichtansprüche gegen den Ehemann Eser, die nach seiner Ansicht begründet sind, ziffernmäßig festgelegt und insoweit Freistellung durch Zahlung dieser Beträge verlangt. Der versicherungsrechtliche Deckungsanspruch in der Haftpflichtversicherung, der auf Freistellung von begründeten und Abwehr unbegründeter Ansprüche geht, kann in der Regel zunächst nur unbeziffert, d.h. zweckmäßigerweise mit der Feststellungsklage (Feststellung, daß der Versicherer verpflichtet sei, Versicherungsschutz für einen bestimmten Schadensfall zu gewähren) geltend gemacht werden (OLG Hamm in VersR 75/173). Dieser Versicherungsanspruch wandelt sich erst dann in einen bezifferbaren Zahlungsanspruch um, wenn der Haftpflichtanspruch durch rechtskräftiges Urteil, Vergleich oder Anerkenntnis festgestellt ist (§156 Abs. 2 VVG). Entsprechendes könnte gelten, wenn der Haftpflichtanspruch nach Grund und Höhe zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer unstreitig ist und die Parteien nur darüber streiten, ob der berechtigte Haftpflichtanspruch unter den Deckungsbereich des Versicherungsvertrages fällt. Es ist nicht ersichtlich, daß im vorliegenden Fall einer der Haftpflichtansprüche auf diese Weise festgelegt worden ist. Vor einer solchen Festlegung kann im Deckungsprozeß kein bezifferter Anspruch geltend gemacht werden. Das würde dem Trennungsprinzip widersprechen (Prölß-Martin, 21. Aufl., Anm. 5 zu §149 VVG). Im Deckungsprozeß kann in der Regel nicht entschieden werden, ob und in welcher Höhe Haftpflichtansprüche gegen den Versicherten begründet sind. Entscheidend ist allein, daß Haftpflichtansprüche gegen ihn geltend gemacht werden.
25Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§1 GKG i.V.m. Nr. 1271 des Kostenverzeichnisses, 118 a Abs. 4 ZPO.
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