Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 20 U 220/77
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. Juni 1977 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
1
Tatbestand
2Der am 5. August 1939 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherungsnehmer) unterhielt bei der Beklagten seit dem 1. Februar 1965 eine Lebensversicherung. Mit Wirkung vom 1. September 1969 wurde die Versicherungssumme, die zunächst 6.000,00 DM betragen hatte, auf 11.484,00 DM erhöht. Sie verdoppelte sich im Falle eines Todes durch Unfall. Die Versicherungsleistung war im Todesfall an die bezugsberechtigte Klägerin und im Erlebensfall mit Ablauf der Versicherungsdauer am 1. Februar 2005 an den Versicherungsnehmer selbst zu zahlen. Die monatlich zu zahlende Prämie betrug nach der Erhöhung 23,60 DM. Grundlage des Vertrages waren die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Großlebensversicherung (AVB) und die Bedingungen für die Unfall-Zusatzversicherung.
3Im Juli 1976 sprach der Versicherungsnehmer mit dem Agenten N der Beklagten über eine Dynamisierung der Lebensversicherung unter gleichzeitiger Erhöhung der Versicherungssumme auf 20.000,00 DM. Der Agent ließ daraufhin durch die Bezirksdirektion C bei der Hauptverwaltung der Beklagten anfragen, welche neuen Konditionen sich ergeben würden, wenn die erörterte Vertragsänderung zum 1. September 1976 durchgeführt werde. Die Hauptverwaltung beantwortete die Fragen mit Schreiben vom 4. August 1976. Danach ergab sich u.a. eine neue Prämie von monatlich 49,35 DM. Am 10. September 1976 suchte der Agent N den Versicherungsnehmer wegen der Vertragsänderung erneut auf. Dieser unterzeichnete nun einen "Spezialantrag zu Aufnahme einer bestehenden VB-Lebensversicherung in das VB-Dynamik-Programm". Handschriftlich wurde auf dem Antrag vermerkt "lt. Angebot vom 4. August 1976". Nach dem Antrage sollte die bestehende Lebensversicherung mit Wirkung vom 1. September 1976 in das Dynamikprogramm aufgenommen werden. Die Versicherungssumme sollte 20.000,00 DM und im Falle des Unfalltodes 40.000,00 DM betragen. Als Bezugsberechtigte im Todesfall war die Klägerin angegeben. In Abänderung der bisherigen Praxis, nach der ein Kassierer der Beklagten die Prämien monatlich abgeholt hatte, ermächtigte der Versicherungsnehmer die Beklagte, in Zukunft die fälligen Prämien von seinem Konto abzubuchen. Das Antragsformular enthielt den Vermerk: "Erklärung des Versicherungsnehmers. An meinen Antrag halte ich mich sechs Wochen vom Tage der Antragstellung an gebunden ....". Der Agent leitete den Antrag sofort weiter, er ging am 13. September 1976 bei der Bezirksdirektion C ein. Am 4. Oktober 1976 starb der Versicherungsnehmer an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bezirksdirektion den Antrag noch nicht an die Hauptverwaltung der Beklagten weitergeleitet. Infolge des Todes des Versicherungsnehmers kam es dann nicht mehr zu einer ausdrücklichen Annahme seines Antrags vom 10. September 1976.
4Unter dem 21. Oktober 1976 erteilte die Beklagte der Klägerin über die Ansprüche aus der Lebensversicherung eine Leistungsabrechnung, die mit einem Auszahlungsbetrag von 12.141,04 DM abschloß. Dabei ging die Beklagte von einer Versicherungssumme von 11.484,00 DM aus. Unter Berücksichtigung eines Überschussanteils und einer Schlußdividende ergab sich ein Betrag von 12.259,04 DM, den die Beklagte um 118,00 DM für Beiträge kürzte. In der Folgezeit zahlte die Beklagte der Klägerin die sich aus der Leistungsabrechnung ergebenden 12.141,04 DM und weitere 11.484,00 DM aus der Unfallzusatzversicherung aus. Den Antrag der Klägerin, das Versicherungsverhältnis aufgrund der Bedingungen des Antrages vom 10. September 1976 abzuwickeln, lehnte die Beklagte ab.
5Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagte habe den Änderungsantrag des Ehemannes vom 10. September 1976 dadurch stillschweigend angenommen, dass sie in ihrer Leistungsabrechnung vom 21. Oktober 1976 118,00 DM für Beiträge abgezogen habe. Bei dem abgezogenen Betrage handle es sich nämlich um die neue Prämie für die Monate September und Oktober 1976. Im übrigen sei die Beklagte aber nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluß) zur Zahlung der Versicherungsleistung entsprechend dem Antrage vom 10. September 1969 selbst dann verpflichtet, wenn ein Vertrag zu den geänderten Bedingungen nicht mehr zustande gekommen sein sollte. Die Beklagte müsse sich nämlich so behandeln lassen, als sei die unter dem 10. September 1976 beantragte Vertragsänderung noch vor dem Tode des Ehemannes wirksam geworden. Die Beklagte habe den Antrag umgehend bearbeiten müssen. Die Initiative zu der Vertragsänderung sei von der Beklagten ausgegangen. Die im Antrag enthaltene sechswöchige Bindungsfrist habe die Beklagte nicht berechtigt, eine genauso lange Zeitspanne für die Bearbeitung in Anspruch zu nehmen. Das ergebe sich daraus, dass die erhöhte Versicherung rückwirkend zum 1. September 1976 habe wirksam werden sollen und daß der Ehemann die Beklagte zur Abbuchung ermächtigt habe. Außerdem sei die Beklagte auch deshalb zu einer beschleunigten Bearbeitung verpflichtet gewesen, weil bereits ein Vertragsverhältnis bestanden habe und lediglich dessen Änderung beantragt worden sei. Eine unverzügliche Annahme des Versicherungsantrages sei auch ohne weiteres möglich gewesen, da sich die persönlichen Verhältnisse des Ehemannes nicht geändert hätten und eine medizinische Untersuchung nicht erforderlich gewesen sei. Tatsächlich habe die Beklagte den Änderungsantrag überhaupt nicht bearbeitet, sondern sie habe ihn unbearbeitet bei der Bezirksdirektion C liegen lassen.
6Die Klägerin hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1977 zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte hat vorgetragen: Ein Vertrag auf der Grundlage des Antrages vom 10. September 1976 sei nicht zustandegekommen. Auch ein Anspruch aus culpa in contrahendo stehe der Klägerin nicht zu. Die in dem Versicherungsantrag enthaltene sechswöchige Bindungsfrist habe für beide Seiten gleichermaßen gegolten, so daß ihr eine Zeitspanne von sechs Wochen für die Überlegung zur Verfügung gestanden habe, ob sie den Änderungsantrag annehmen wolle oder nicht. Außerdem habe sie die Erledigung des gestellten Antrages nicht pflichtwidrig verzögert, denn die Bearbeituung eines solchen Antrages dauere mindestens drei Wochen. Im übrigen sei es eine Unterstellung anzunehmen, daß sie den Antrag überhaupt angenommen hätte.
11In seinem am 23. Juni 1977 verkündeten Urteil, auf das Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
12Hiergegen hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
13Sie führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus: Der Änderungsvertrag sei zustande gekommen. Der Ehemann habe mit dem Antrage vom 10. September 1976 bereits ein Angebot der Beklagten vom 4. August 1976 angenommen, wie sich aus dem handschriftlichen Vermerk auf dem Antrage ergebe. Zumindest aber sei der Vertrag durch die Zusendung der Leistungsabrechnung zustandegekommen. Im übrigen ergebe sich ihr Anspruch aus culpa in contrahendo. Die Beklagte habe die Annahme des Änderungsantrages schuldhaft verzögert, obwohl sie gehalten gewesen sei, den Antrag mit tunlicher Beschleunigung zu prüfen. Die Beklagte habe den Antrag unbearbeitet liegen lassen. Anträge auf Abänderung einer bestehenden Lebensversicherung würden, wenn – wie hier – keine ärztliche Untersuchung erforderlich sei, regelmäßig in einer Woche, höchstens aber in zwei Wochen abgewickelt.
14Die Klägerin hat zunächst beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1977 zu zahlen. Diesen Antrag hat die Klägerin im Termin eingeschränkt.
15Sie beantragt nun,
16das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.723,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1977 zu zahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Die Beklagte führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus:
20Ein Vertrag auf der Grundlage des Antrages vom 10. September 1976 sei nicht zustande gekommen. Bei dem sog. Angebot vom 4. August 1976 handle es sich um einen internen Schriftwechsel zwischen der Bezirksdirektion C und ihrer Haupverwaltung. Bei dem in der Leistungsabrechnung abgesetzten Betrag von 118,00 DM handle es sich um die Beiträge nach dem alten Tarif für die Monate September 1976 bis Januar 1977, die ihr gemäß § 2 AVB noch zugestanden hätten. Ein Verschulden bei Vertragsschluß könne ihr nicht vorgeworfen werden. Sie sei berechtigt gewesen, die volle Sechswochenfrist für die Bearbeitung auszunutzen. Zu einer beschleunigten Bearbeitung sei sie nicht verpflichtet gewesen. Die beantragte Änderung sei rechtlich als Antrag auf Neuabschluß einer Lebensversicherung zu behandeln. Im übrigen habe sie die Antragsbearbeitung nicht schuldhaft verzögert. Die Bezirksdirektion C habe den Antrag nicht weitergeleitet, weil der Kassierer die unbenutzten Quittungen nicht zurückgesandt habe, die sie für die beantragte Umstellung auf das Lastschriftverfahren benötigt habe. An der Verzögerung treffe aber weder den Kassierer noch sie ein Verschulden, weil das Anforderungsschreiben auf der Post verloren gegangen sei. Außerdem sei es, auch wenn der Antrag mit den restlichen Quittungen schon am 21. September 1976 bei der Hauptverwaltung vorgelegen hätte, selbst bei größtmöglicher Beschleunigung nicht möglich gewesen, den Versicherungsschein vor dem 11. Oktober 1976 an den Versicherungsnehmer abzusenden. Sie hat dazu eine schematische Darstellung vorgelegt, aus der die Bearbeitungsdauer bei einem Änderungsantrag hervorgeht. Danach hätte der Antrag auch dann, wenn er zügig bearbeitet worden wäre, im Zeitpunkt des Todes des Versicherungsnehmers auch nicht angenommen sein können. Die Klägerin hat die Richtigkeit dieser Darstellung bestritten.
21Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe
23A. Die Berufung ist zwar zulässig, aber sachlich nicht gerechtfertigt. Der Klägerin steht eine entsprechend dem Antrage des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976 erhöhte Versicherungsleistung nicht zu.
24I. Zwischen dem Versicherungsnehmer und der Beklagten ist ein Vertrag über die Änderung der Lebensversicherung zum 1. September 1976 nicht zustande gekommen.
251.) Der Versicherungsnehmer hat mit seinem Antrage vom 10. September 1976 kein Angebot der Beklagten angenommen. Bei dem in dem Antrage in Bezug genommenen Angebot vom 4. August 1976 handelt es sich um das Schreiben der Hauptverwaltung der Beklagten an die Bezirksdirektion C, in dem auf die Anfrage des Agenten N hin dargelegt wird, welche neuen Vertragsbedingungen sich bei einer Aufnahme der bestehenden Versicherung in das Dynamik-Programm und einer gleichzeitigen Erhöhung der Versicherungssumme ergeben. Dieses Schreiben enthält keinen die Beklagte bindenden Antrag an den Versicherungsnehmer. Mit der Vorlage des Schreibens bei den Vertragsverhandlungen forderte der Agent der Beklagten den Versicherungsnehmer lediglich auf, seinerseits einen entsprechenden Antrag abzugeben. Das ergibt sich auch eindeutig aus dem Wortlaut des dann vom Versicherungsnehmer unterschriebenen Antragsformulars. Dieses enthält, wie u.a. aus der Bindungsfrist und der Beantwortung von Fragen nach gefahrerheblichen Umständen folgt, nur einen Antrag, dessen Annahme der Beklagten frei stand. Die Bezugnahme auf das Angebot vom 4. August stellt sich unter diesen Umständen nur als Erläuterung des Antrages dar.
262.) Die Beklagte hat den Antrag des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976 nicht dadurch angenommen, daß sie der Klägerin die Leistungsabrechnung vom 21. Oktober 1976 zugesandt hat. Diese Abrechnung würde sich allenfalls dann als Annahme darstellen, wenn die Beklagte darin bereits die entsprechend dem Antrage vom 10. September erhöhte Prämie berechnet hätte. Das ist aber nicht der Fall. Nach dem Vortrag der Beklagten handelt es sich bei dem abgesetzten Beitrag von 118,00 DM um die nach dem alten Vertrage noch zu zahlenden Prämien für die Monate September 1976 bis Januar 1977. Von der Richtigkeit dieses Vortrages ist auszugehen. Gemäß § 2 AVB waren Jahresbeiträge zu zahlen. Da im vorliegenden Fall das Versicherungsjahr jeweils zum 1. Februar begann und die letzte Monatsrate im August 1976 bezahlt worden war, waren noch die Raten für September 1976 bis Januar 1977 zu zahlen. Das ergab bei einer unstreitigen Monatsrate von 23,60 DM eine Beitragsschuld von 5 x 23,60 DM = 118,00 DM. Die demgegenüber von der Klägerin aufgestellte Behauptung, bei den 118,00 DM handle es sich um die neue Prämie für die Monate September und Oktober 1976, kann nicht richtig sein, denn die neue Prämie betrug ausweislich des sog. Angebots der Beklagten vom 4. August 1976 monatlich 49,35 DM.
27II. Der Klägerin steht kein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zu. Dieser Anspruch hätte zur Voraussetzung, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Antrag des Versicherungsnehmers vom 10. September 1976 mit tunlicher Beschleunigung zu prüfen, und daß der Antrag wegen einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht nicht mehr rechtzeitig angenommen worden wäre. Außerdem müßte die Klägerin überhaupt berechtigt sein, den Anspruch geltend zu machen.
281.) Im gegebenen Fall ergeben sich bereits gegen das Vorliegen der zuletzt genannten Voraussetzung erhebliche Bedenken. Es erscheint zweifelhaft, ob sich die Bezugsberechtigung der Klägerin ohne weiteres auch auf einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß erstreckt, mag der Schadensersatz auch durch Anzahlung der Versicherungsleistung zu gewähren sein. Erfaßt die Bezugsberechtigung aber nicht die Schadensersatzforderung, so steht der Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß den Erben des Verhandlungspartners, also des Versicherungsnehmers, zu, wobei sich ihre Berechtigung zur Geltendmachung des letztlich nur bei der bezugsberechtigten Klägerin entstandenen Schadens aus den Grundsätzen der Schadensliquidation im Drittinteresse ergibt (vgl. BGH VersR 75, 1090). Damit stände der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nur zu, wenn sie Alleinerbin ihres Ehemannes wäre oder wenn die Erben ihr den Anspruch abgetreten hätten. Diese Fragen können aber letztlich dahin stehen, da auch die oben dargelegte erste Voraussetzung eines Schadensersatzanpruchs nicht gegeben ist.
292.) Die Beklagte war nicht verpflichtet, den Antrag des Versicherungsnehmers mit tunlicher Beschleunigung zu prüfen. Sie durfte den Antrag auch bis Anfang Oktober 1976 unbearbeitet bei der Bezirksdirektion C liegen lassen. Es kommt daher weder darauf an, ob die Beklagte die unterbliebene Weiterleitung des Antrages zu vertreten hat, noch darauf, ob bei einer sofortigen ordnungsgemäßen Bearbeitung eine Annahme noch vor dem Tode des Versicherungsnehmers erfolgt wäre.
30a) Auch im Versicherungsvertragsrecht können nach allgemeiner Auffassung durch den Eintritt in Vertragsverhandlungen und das dadurch begründete vertragsähnliche Vertrauensverhältnis Sorgfaltspflichten der Parteien entstehen, deren schuldhafte Verletzung zur Haftung nach Maßgabe des § 276 BGB führt (BGH NJW 1966, 1407). Der bloße Eintritt in Vertragsverhandlungen hatte aber im vorliegenden Falle noch nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Folge, den Versicherungsantrag beschleunigt zu prüfen.
31aa) Der Versicherungsnehmer hielt sich in seinem Antrag sechs Wochen vom Tage der Antragstellung an gebunden. Diese Bindungsfrist ist zugleich eine Annahmefrist i.S.d. § 148 BGB für die Beklagte (BGH NJW 1975, 751). Der Ansicht der Klägerin, die Gleichsetzung von Bindungs- und Annahmefrist gelte nicht, wenn der Antrag nicht auf Neuabschluß, sondern auf Änderung eines Vertrages gerichtet sei, vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Die von der Klägerin für ihre Ansicht zitierte Stelle bei Prölss/Martin (21. Aufl. § 3 Anm. 3) trifft den vorliegenden Fall nicht. Wenn es dort unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH VersR 52, 37) sinngemäß heißt, daß in Antragsvordrucken oder im Gesetz enthaltene Bindungs- bzw. Annahmefristen nur für den Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages, aber nicht für Anträge auf Änderung, Verlängerung oder Aufhebung des Vertrages gelten, so wird damit nicht gesagt, daß eine ausdrücklich in einem Antrag auf Vertragsänderung aufgenommene Bindungsfrist wirkungslos sei. An diese Bindungsfrist ist der Antragsteller vielmehr gebunden, was wiederum zur Folge hat, daß eine Annahme nur in dieser Frist erfolgen kann.
32bb) Nach allgemeinem Vertragsrecht hat der Antragende kein Recht darauf, daß sich der Empfänger innerhalb der für die Annahme vorgesehenen Frist alsbald mit dem Antrage befaßt und nach Prüfung die Annahme oder Ablehnung erklärt. Dem Antragsgegner steht die volle Frist zur Verfügung. Äußert er sich nicht, so ist der Antrag abgelehnt (§ 146 BGB). Der bloße Eintritt in Vertragsverhandlungen hat noch keine Änderung dieser Rechtslage zur Folge (BGH NJW 1966, 1407). Etwas anderes gilt im allgemeinen auch nicht unter den besonderen Verhältnissen bei Versicherungsanträgen. Zwar besteht hier die Gefahr, daß der Antragsteller ein unter Umständen lebenswichtiges Risiko nicht mehr rechtzeitig versichern kann, weil der Versicherer seinen Antrag im letzten Augenblick ablehnt oder sich überhaupt nicht äußert. Diese Konsequenz ist aber hinzunehmen, denn sie kann durch die Vereinbarung einer kürzeren Annahmefrist vermieden werden (BGH a.a.O.). Der Versicherer ist somit grundsätzlich befugt, die Annahmefrist voll auszuschöpfen (BGH VersR 1975, 1090). Er kann den Antrag im letzten Augenblick annehmen oder ablehnen, er kann auch jede Äußerung unterlassen. Der Versicherer ist auch nicht verpflichtet, dem Antragsteller einen vor Ablauf der Annahmefrist gefaßten Entschluß über die Ablehnung oder Annahme alsbald mitzuteilen (BGH NJW 1966, 1407). Aus alledem folgt, daß die Beklagte hier grundsätzlich berechtigt war, den Antrag bis Anfang Oktober unbearbeitet liegen zu lassen.
33b) Das grundsätzliche Recht des Versicherers, die Annahmefrist voll auszunutzen, kann allerdings dann entfallen, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit ersichtlich ist (BGH NJW 1966, 1407; VersR 1975, 1090). Dafür hat die Klägerin jedoch nicht genügend vorgetragen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Versicherungsnehmer auf einen alsbaldigen Abschluß entscheidenden Wert legte und dies zum Ausdruck gebracht hätte. Eine solche Situation hätte zum Beispiel vorgelegen, wenn der Versicherungsnehmer plötzlich aus irgendwelchen Gründen gezwungen gewesen wäre, seine Familie für den Fall seines Todes schnellstmöglich durch den Abschluß einer Lebensversicherung zu versorgen. Allein aus der Tatsache, daß die Vertragsänderung schon zum 1. September 1976 wirksam werden sollte, ergibt sich keine besondere Eilbedürftigkeit. Es ist zwar richtig, daß der Versicherungsnehmer, wäre der Vertrag zustande gekommen, die Prämien schon seit dem 1. September 1976 zu zahlen gehabt hätte, während die Beklagte das Risiko frühestens ab Abschluß des Vertrages getragen hätte. Bei einem gesunden jungen Versicherungsnehmer konnte die Beklagte jedoch davon ausgehen, daß dieser die auf den Todes- und den Erlebensfall abgeschlossene Lebensversicherung zum Zwecke der Kapitalanlage zu erhöhen wünschte und nicht, weil er mit der Möglichkeit seines alsbaldigen Todes rechnete. Wird eine Lebensversicherung aber zum Zwecke der Kapitalanlage abgeschlossen, so ist ein früherer Beginn des prämienbelasteten Zeitraums durchaus von Vorteil. Durch die längere Laufzeit der Versicherung verringert sich die monatliche Beitragsbelastung und steigt die Überschußbeteiligung. Im vorliegenden Fall steht im übrigen auch fest, daß der Änderungstermin lediglich deshalb auf den 1. September 1976 festgelegt wurde, weil das sog. Angebot der Beklagten vom 4. August 1976 die neuen Vertragsdaten auf der Grundlage dieses Termins enthielt.
34c) Der Versicherer kann grundsätzlich auch dann verpflichtet sein, einen Antrag mit tunlicher Beschleunigung zu prüfen, wenn vertragliche Beziehungen schon bestehen, insbesondere also dann, wenn ein bestehender Vertrag geändert werden soll (Prölss/Martin, 21. Aufl., § 3 Anm. 5). Der Grund dafür ist, daß den Versicherer wegen der bereits bestehenden Beziehungen gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Obschon hier seit langem ein Lebensversicherungsvertrag zwischen den Parteien bestand, war die Beklagte jedoch nicht verpflichtet, den Antrag des Versicherungsnehmers beschleunigt zu bearbeiten. Der dargelegte Grundsatz gilt nämlich nicht, wenn für den Änderungsantrag eine Bindungsfrist (= Annahmefrist) bestimmt ist (Prölss/Martin, 21. Aufl., § 3 Anm. 5). Dafür spricht bereits die oben zu a) bb) dargelegte Regelung des allgemeinen Vertragsrechts. Außerdem besteht für die Annahme einer Beschleunigungspflicht kein Bedürfnis. Für den Versicherungsnehmer war bei einiger Sorgfalt ohne weiteres erkennbar, daß die Bearbeitung und Bescheidung seines Antrags sechs Wochen dauern konnte. Nach dem von der Beklagten entworfenen Antragsformular war er sechs Wochen gebunden, konnte also seinen Antrag in dieser Zeitspanne nicht zurückziehen. An einer solchen Bindung konnte der Beklagten aber ersichtlich nur gelegen sein, wenn sie damit rechnete, daß die Erledigung sechs Wochen dauern könne. Unter diesen Umständen hätte der Versicherungsnehmer, wenn er an einer Beschleunigung interessiert war, auf eine Abkürzung der Bindungsfrist drängen müssen. Er konnte nicht erwarten, daß die Beklagte die eigens in dem Änderungsantrage beanspruchte Bearbeitungsfrist nicht in Anspruch nehmen würde.
35d) Unter Umständen kann der Versicherer auch dann zu einer beschleunigten Prüfung eines Antrages verpflichtet sein, wenn die Anregung zu dem Antrage, was die Klägerin im vorliegenden Fall behauptet, von dem Versicherer ausgegangen ist (KG JR 1972, 24). Das kann aber nur in ganz besonders gelagerten Fällen zutreffen (Prölss/Martin, 21. Aufl., § 3 Anm. 5), für die die Klägerin nichts vorgetragen hat. Im hier gegebenen Fall war die Beklagte jedenfalls befugt, die sechswöchige Annahmefrist voll auszunutzen.
36B. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 515 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich, da nach dem Ermessen des Senats die Revisionssumme unzweifelhaft nicht erreicht wird. Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin 16.723,00 DM.
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