Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 2 Ws 53/78
Tenor
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; jedoch hat der Angeklagte die Auslagen der Staatskasse im Beschwerdeverfahren zu tragen
1
Gründe
2Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 4. Oktober 1977 wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 35,00 DM verurteilt worden. Seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat die X. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen durch noch nicht rechtskräftiges Urteil am 8. Februar 1978 verworfen.
3Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer in der Sitzung am 8. Februar 1978 den Urteilstenor verlesen hatte, verließ der Angeklagte unter lautem Protest und mit den Worten "das Scheißgericht" den Sitzungssaal - der Staatsanwalt hatte auch den Ausdruck "Idioten" gehört - und trat danach von außen heftig gegen die Tür des Sitzungssaales, die dadurch aufsprang. Da der Angeklagte nach Verlassen des Sitzungssaales nicht mehr erreichbar war - ein Sitzungswachtmeister war nicht anwesend -, setzte die Strafkammer nach Beratung auf Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, ohne dem Angeklagten das rechtliche Gehör zu gewähren, eine Ordnungshaft von drei Tagen gegen ihn fest, weil er, "wie oben festgestellt, sich einer groben Ungebühr in der Sitzung schuldig gemacht hat". Dieser Beschluß und seine Veranlassung sind in das Protokoll aufgenommen worden. Anschließend wurde das Urteil mündlich begründet. Der Ordnungsmittelbeschluß und - in Ablichtung - seine protokollierte Veranlassung sind dem Angeklagten am 13. Februar 1978 mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden.
4Gegen diesen Ordnungsmittelbeschluß hat der Angeklagte rechtzeitig das als "Einspruch" bezeichnete Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei über den Ausgang der Berufung enttäuscht gewesen. Er habe den Saal mit den Worten verlassen, er halte das Gericht für ein Scheißgericht. Das sei seine persönliche, freiheitliche Meinung, die er nicht ändere. Es sei aber keine Person gemeint. Lediglich zu seiner Ehefrau habe er geäußert: "Was sind wir doch für Idioten."
5Die Beschwerde ist gemäß § 181 Abs. 1 GVG zulässig, sachlich jedoch unbegründet.
6Grundsätzlich ist dem Betroffenen vor Verhängung des Ordnungsmittels rechtliches Gehör zu gewähren; eine Anhörung erübrigt sich jedoch ausnahmsweise, wenn der äußere Tathergang und auch der Ungebührwille außer jedem Zweifel stehen, etwa bei Roheitsausschreitungen und gröbsten unflätigen Beleidigungen, und eine Anhörung nicht nur nichts zur Klärung des Falles beitragen kann, sondern nach dem bisherigen Verhalten des Täters bei Gewährung des rechtlichen Gehörs mit weiteren groben Ausfällen gerechnet werden muß (vergl, OLG Hamm, Beschluß vom 18. Februar 1977 - 1 Ws 41/77; Löwe - Rosenberg, GVG, 22. Auflage, § 178 Anm. IV 4 mit weiteren Nachweisen). Äußerer Tathergang und die Motivation des Angeklagten für sein Verhalten stehen hier zweifelsfrei fest, wie sich auch aus der Beschwerdebegründung ergibt. Hinzukommt auch, daß der Angeklagte die Möglichkeit, ihm rechtliches Gehör zu gewähren, dadurch selbst vereitelt hat, daß er sich nach seinem Verhalten aus dem sitzungspolizeilichen Bereich der Strafkammer entfernte und nicht mehr erreichbar war.
7Grundsätzlich ist der Ordnungsmittelbeschluß zu begründen (§ 34 StPO) und mit den Gründen in das Protokoll aufzunehmen. Das Fehlen einer Begründung und ihre Ersetzung durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Protokollvermerk über die Veranlassung - wie hier - ist jedoch dann unschädlich, wenn nach der Darstellung im Protokoll die Gründe der Entscheidung für den Betroffenen außer Zweifel stehen und auch für das Beschwerdegericht voll erkennbar sind (vergl. OLG Celle in MDR 58, 265 mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist dem Angeklagten der Protokollvermerk über die Veranlassung in Ablichtung mit dem Ordnungsmittelbeschluß zugestellt worden, sodaß dem Angeklagten wie auch dem Senat die Gründe der Entscheidung zweifelsfrei erkennbar sind.
8Nach dem Protokollvermerk steht fest - und der Angeklagte räumt dies auch im wesentlichen ein -, daß der Angeklagte beim Verlassen des Sitzungssaales "Scheißgericht" gesagt und danach, von außen heftig gegen die Tür getreten hat, sodaß sie aufsprang. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß diese Äußerung, die nicht aus dem grundgesetzlich garantierten Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) gerechtfertigt oder entschuldigt werden kann (Art. 5 Abs. 2 GG), eine grobe Beleidigung des Gerichts und das heftige Treten gegen die Tür eine Tätlichkeit darstellen, die nur als grobe Ungebühr in der Sitzung bezeichnet und gewertet werden können. Daß die Verhaltensweise des Angeklagten auch von Ungebührwillen getragen ist und nicht, wie er behauptet, auf einem "Enttäuschungsschock" wegen des Ausgangs der Berufungsverhandlung beruht, ergibt sich auch aus der Beschwerdebegründung, in der er an seiner Äußerung festhält und seine Meinung nicht zu ändern gedenkt. Demnach hat die Strafkammer zu Recht gemäß § 178 Abs. 1 GVG ein Ordnungsmittel gegen den Angeklagten festgesetzt.
9Zweifelhaft ist jedoch, ob die Strafkammer den Ordnungsmittelbeschluß auch auf den Ausdruck "Idioten" gestützt hat, da diese Äußerung lediglich vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gehört worden ist. Sollte dies der Fall sein, so wäre das Vorliegen einer Ungebühr insoweit zweifelhaft, weil nicht auszuschließen ist, daß der Angeklagte, wie er behauptet, aus Verägerung diesen Ausdruck lediglich auf sich und seine Ehefrau, nicht aber auf das Gericht bezogen hat und beziehen wollte.
10Die Art und die Höhe des festgesetzten Ordnungsmittels sind nicht zu beanstanden, wobei der Senat allein den Ausdruck "Scheißgericht" und die Tätlichkeit zugrunde legt. Das Ausmaß der begangenen Ungebühr wiegt schon objektiv schwer. Hinzukommt aber auch, daß der Angeklagte, wie er in seiner Beschwerdeschrift ausgeführt hat, an seiner Äußerung festhält und seine Meinung nicht zu ändern beabsichtigt.
11Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO, bezogen auf die Auslagen der Staatskasse (§ 464 a Abs. 1 StPO) im Beschwerdeverfahren zu verwerfen.
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