Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 20 U 125/78
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. März 1978 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
1
Tatbestand
2Die Klägerin verlangt mit der Klage die Erstattung von Schadensersatzleistungen, die sie als Kfz.-Haftpflichtversicherer der Beklagten an einen Dritten erbracht hat.
3Die Beklagte beantragte unter dem 17. August 1976 bei der Klägerin den Abschluß einer Haftpflichtversicherung für ihren PKW. Bei der Entgegennahme des Antrages erteilte die Klägerin der Beklagten eine vorläufige Deckungszusage i.S.d. §1 II AKB. Am 6. September 1976 verschuldete die Beklagte mit ihrem PKW einen Verkehrsunfall. Der dabei dem Unfallgegner entstandene Schaden von insgesamt 7.177,75 DM wurde von der Klägerin ersetzt.
4Die Klägerin hat vorgetragen: Die vorläufige Deckung sei rückwirkend außer Kraft getreten. Sie habe den Antrag der Beklagten unverändert angenommen und ihr unter dem 21. Oktober 1976 einen entsprechenden Versicherungsschein zugesandt. Der Versicherungsschein sei der Beklagten auch zugegangen, denn diese habe ihre Prozeßbevollmächtigten brieflich dahin informiert, daß sie die Prämienrechnung erhalten und an ihren geschiedenen Ehemann weitergeleitet habe. Dieser Brief sei dem Zeugen ... der für sie - die Klägerin - Ermittlungen angestellt habe - von den Prozeßbevollmächtigten vorgelesen worden. Die Beklagte habe - unstreitig - keinerlei Zahlungen erbracht.
5Die Klägerin hat für Mahnkosten 16,15 DM geltend gemacht.
6Sie hat beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.193,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. März 1977 zu zahlen.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe von der Klägerin weder den Versicherungsschein noch eine Zahlungsaufforderung erhalten.
11Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 7. März 1978 verwiesen.
12In seinem am 7. März 1978 verkündeten Urteil, auf das ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung, der Klage im übrigen verurteilt, an die Klägerin 7.177,75 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 4. März 1977 zu zahlen.
13Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten. Diese führt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen aus: In dem Schreiben an ihre Prozeßbevollmächtigten habe sie lediglich eingeräumt, "später" eine Prämienrechnung erhalten zu haben. Daraus ergebe sich aber nicht, daß sie auch einen Versicherungsschein erhalten habe. Im übrigen habe es die Klägerin aber auch unterlassen, sie über die Folgen einer nicht fristgerechten Prämienzahlung zu belehren.
14Die Beklagte beantragt,
15das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
16Die Klägerin beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Die Klägerin führt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus: Aus dem Zugang der Prämienrechnung ergebe sich, daß der Beklagten auch der Versicherungsschein nebst einer ordnungsgemäßen Belehrung zugegangen sei. Sie verwende nämlich einen Drucksatz, der aus dem Versicherungsschein, der Prämienrechnung und dem Begleitbrief bestehe. Es sei daher ausgeschlossen, daß die Prämienrechnung allein zur Versendung gelange. In dem Begleitbrief sei der Hinweis enthalten: "Eine etwa erteilte Deckungszusage tritt (bei Kraftverkehrsversicherungen rückwirkend) außer Kraft, wenn das Dokument nicht unverzüglich eingelöst wird." Ergänzend heiße es dazu auf der Rückseite des Versicherungsscheins: "Eine etwa erteilte vorläufige Deckung erlischt rückwirkend, falls der Einlösungsbetrag nicht unverzüglich, d.h. innerhalb von 14 Tagen, nach Aufforderung gezahlt wird, auch wenn der Versicherung fall bereits eingetreten ist."
19Darauf entgegnet die Beklagte: Sie habe sich am 25. Oktober 1976 von ihrem Ehemann getrennt. Danach habe sie die gesamte von der Klägerin eingehende Post ungeöffnet an ihren Ehemann weitergeleitet. Dieser sei unter ihrem - der Beklagten - Namen für die Klägerin als Vertreter tätig gewesen. Er habe für die Begleichung der Prämie Sorge tragen wollen. Unter der eingehenden Post habe sich aber weder ein Versicherungsschein noch eine Prämienrechnung befunden. In dem Brief an ihre Prozeßbevollmächtigten habe sie sich mißverständlich ausgedrückt; sie habe lediglich sagen wollen, daß sie die Prämienrechnung, falls diese bei der Post gewesen sei, an ihren Ehemann weitergegeben habe. Außerdem sei die von der Klägerin erteilte Belehrung über die Folgen einer nicht fristgerechten Prämienzahlung nicht ordnungsgemäß.
20Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Partien Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich gerechtfertigt.
23Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der dem Unfallgegner der Beklagten gezahlten Entschädigung. Die Klägerin ist nämlich verpflichtet, der Beklagten für den Unfall, der sich am 6. September 1976 ereignet hat, Versicherungsschutz zu gewähren. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der unstreitig vor dem Unfall erteilten vorläufigen Deckungszusage, die entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht, nicht rückwirkend erloschen ist.
24Die vorläufige Deckung tritt dann rückwirkend außer Kraft, wenn der Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages unverändert angenommen, der Versicherungsschein aber nicht spätestens innerhalb von vierzehn Tagen eingelöst wird und der Versicherungsnehmer die Verspätung zu vertreten hat (§1 II AKB). Da der Versicherungsschein durch die Zahlung der Erstprämie, deren Höhe dem Versicherungsnehmer erst durch die Prämienrechnung bekannt gegeben wird, eingelöst wird, kann der Versicherungsnehmer vor Zugang der Prämienrechnung nicht in Verzug kommen. Daraus folgt, daß die vierzehntägige Frist zur Zahlung der Erstprämie zwecks Einlösung des Versicherungsscheins erst mit dem Zugang einer Zahlungsaufforderung beginnen kann (BGH NJW 1967, 1800). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Frist zur Zahlung nicht wirksam in Gang gesetzt, so daß von einer nicht fristgerechten Einlösung des Versicherungsscheins schon aus diesem Grunde keine Rede sein kann. Es fehlt eine wirksame Zahlungsaufforderung, und zwar auch dann, wenn der Beklagen entsprechend dem Vortrag der Klägerin der Versicherungsschein die Prämienrechnung und das Begleitschreiben zugegangen sein sollten. Die in der Zusendung dieser Schriftstücke liegende Zahlungsaufforderung genügt nämlich inhaltlich nicht den an sie zu stellenden Anforderungen.
25Der Versicherer muß bei der vorläufigen Deckungszusage den Versicherungsnehmer mit der Zahlungsaufforderung darüber belehren, daß der gewährte Versicherungsschutz rückwirkend wegfällt, wenn die Prämienrechnung nicht binnen vierzehn Tagen bezahlt wird. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des §39 VVG, dem über sein Anwendungsgebiet hinaus der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen ist, daß eine notwendige Zahlungsaufforderung auf die Rechtsfolgen hinweisen muß, die eintreten, wenn die verlangte Zahlung nicht innerhalb der in Lauf gesetzten Frist geleistet wird (BGH NJW 1967, 1800). Die mit der Zahlungsaufforderung erteilte Belehrung muß, wie zu §39 VVG anerkannt, ist (BGH NJW 1967, 1229), richtig, eindeutig und vollständig sein. Der Versicherungsnehmer darf über die wirkliche Rechtslage und die weitreichenden Folgen seiner Säumnis nicht im Unklaren gelassen werden; er darf nicht durch unvollständige oder mißverständliche Hinweise von einem der wirklichen Sach- und Rechtslage entsprechenden Entschlüsse abgehalten werden (BGH a.a.O.; RGZ 93, 80).
26Diesen strengen Anforderungen entspricht die Zahlungsaufforderung nicht, die die Klägerin der Beklagten übersandt haben will. Die in dem Begleitschreiben enthaltene Belehrung war falsch; gemäß §1 II AKB in der seit dem 1. Januar 1971 geltenden Fassung ist der Versicherungsschein nicht unverzüglich, sondern innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen einzulösen. Die fehlerhafte Belehrung war geeignet, die Beklagte von einem sachgerechten Entschluß abzuhalten. Es bestand die Gefahr, daß die Beklagte nach Ablauf der Frist zur unverzüglichen Zahlung, die allenfalls eine Woche betrug (vgl. Prölss, 16. Aufl., §1 AKB Anm. 2), die Prämie deshalb nicht zahlte, weil sie die Deckungszusage als bereits erloschen ansah. Durch die Angabe einer zu kurzen Frist geriet die Beklagte in die gleiche Lage, in der sich ein Versicherungsnehmer befindet, der durch eine qualifizierte Mahnung nach §39 VVG in den Glauben versetzt wird, daß eine Zahlung nach Fristablauf nichts mehr nütze. Eine solche Mahnung ist aber unwirksam (RGZ 93, 80; Prölss-Martin, 21. Aufl., §39 Anm. 6). An der Fehlerhaftigkeit der von der Klägerin erteilten Belehrung ändert es nichts, daß auf der Rückseite des Versicherungsscheins darauf hingewiesen wird, die vorläufige Deckung erlösche rückwirkend, falls der Einlösungsbetrag nicht unverzüglich, d.h. innerhalb von 14 Tagen nach Aufforderung gezahlt werde. Dieser Hinweis konnte vom Versicherungsnehmer leicht übersehen werden. Las dieser, weil es zweckmäßig und üblich ist, zunächst das Begleitschreiben, so hatte er im Hinblick auf die klare und eindeutige Belehrung, die Prämie sei unverzüglich zu zahlen, kein Veranlassung, die Anlagen daraufhin zu überprüfen, ob sich darin eine Richtigstellung befand. Der Versicherungsnehmer brauchte und konnte nicht damit rechnen, daß die Klägerin die Fristangabe des Begleitschreibens in einem weiteren Hinweis auf der Rückseite des Versicherungsscheins berichtigte. Unter diesen Umständen ist die Zahlungsaufforderung der Klägerin nicht geeignet, die Beklagte zuverlässig über die Rechtslage zu unterrichten.
27Da eine ausreichende Belehrung die Voraussetzung einer wirksamen Zahlungsaufforderung ist, kommt es nicht darauf an, ob die fehlerhafte Belehrung die Beklagte auch tatsächlich von einer rechtzeitigen Zahlung abgehalten hat. Das schließt nicht aus, daß es dem Versicherungsnehmer ausnahmsweise nach §242 BGB verwehrt sein kann, sich auf die fehlende oder ungenügende Belehrung zu berufen. Für das Vorliegen eines solchen Falles ergeben sich hier aber keine Anhaltspunkte.
28Die Kostenentscheidung beruht auf §91 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nicht erforderlich, da nach dem Ermessen des Senats die Revisionssumme unzweifelhaft nicht erreicht wird. Der Wert der Beschwer beträgt für die Klägerin 7.177,75 DM.
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