Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 1 UF 165/79
Tenor
Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 22. März 1979 verkündete Urteil des Amtsgerichts (Familiengerichts) Bielefeld abgeändert, soweit der Antragsteller verurteilt worden ist, an die Antragsgegnerin für die Zeit ab Rechtskraft des Scheidungsausspruches monatlich 340,- DM Unterhalt zu zahlen.
Der Unterhaltsanspruch wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien haben am 15. August 1973 geheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder, nämlich die am ... geborene Tochter ... und der am ... geborene Sohn ... hervorgegangen. Seit November 1978 leben die Parteien voneinander getrennt.
3Die Parteien haben beantragt,
4die am 15. August 1973 vor dem Standesbeamten des Standesamts Bielefeld Mitte Registernummer 774/73 geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.
5Die elterliche Gewalt über die Tochter ... dem Antragsteller und die elterliche Gewalt über den Sohn ... der Antragsgegnerin zu übertragen.
6Die Antragsgegnerin hat ferner beantragt,
7den Antragsteller zu verurteilen, ab Rechtskraft des Scheidungsverfahrens
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a) | für den Sohn ... monatlich 205,- DM Unterhalt und |
b) | für sie selbst monatlich 516,- DM Unterhalt zu zahlen. |
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Der Antragssteller hat den Unterhaltsanspruch bezüglich des Sohnes Michael in Höhe von 205,- DM monatlich anerkannt und im übrigen beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Durch das am 22. März 1979 verkündete Urteil hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Gewalt über Andrea auf den Antragsteller und über ... auf die Antragsgegnerin übertragen. Ferner hat das Amtsgericht den Antragsteller verurteilt, ab Rechtskraft des Scheidungsurteils an die Antragsgegnerin für den Sohn ... monatlich 205,- DM und für die Antragsgegnerin selbst 340,- DM monatlichen Unterhalt zu zahlen.
12Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
13Gegen dieses am 29. März 1979 verkündete Urteil wendet sich der Antragsteller mit der am 25. Juni 1979 eingelegten und nach der am 25. Juli 1979 erfolgten Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.
14Er will den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin insgesamt abgewiesen wissen.
15Er macht geltend, sein Einkommen sei nur zur Hälfte anzurechnen, da auch er ein minderjähriges Kind betreue und deshalb im Verhältnis zur Antragsgegnerin nicht arbeitspflichtig sei. Doch selbst wenn man sein gesamtes Nettoeinkommen zugrundelege, so sei er nicht in der Lage, Unterhalt zu zahlen, weil er für die Betreuung des bei ihm lebenden Kindes während einer Arbeitszeit 350,- DM aufwenden müsse. Ferner habe er Miete, Kindergarten, Rundfunk, Fernsehen, Versicherungen monatlich 527,- DM aufzuwenden. Darüber hinaus müsse er anfallende Krankheitskosten zu 20 % selbst tragen, da er nur 80 % dieser Kosten ersetzt erhalte.
16Er beantragt,
17unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit er verurteilt worden ist, ab Rechtskraft des Scheidungsurteils an die Antragsgegnerin monatlich 340,- DM Unterhalt zu zahlen.
18Die Antragsgegnerin beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie macht geltend, sie sei wegen der Betreuung eines der minderjährigen Kinder aus der gemeinsamen Ehe nicht arbeitspflichtig und daher unterhaltsbedürftig. Unter Hinweis auf § 1577 Abs. 2 BGB beziffert sie ihren Unterhaltsbedarf auf wenigstens 1.000,- DM und hat unter Berücksichtigung des Einkommens des Antragstellers, das sie auf monatlich knapp 2.060,- DM ohne Kindergeld beziffert hat, zunächst Anschlußberufung angekündigt, mit dem Antrag,
21unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Antragsteller zu verurteilen, an sie ab Rechtskraft des Scheidungsurteils monatlich 516,- DM zu zahlen.
22Nach Verweigerung des hierfür begehrten Armenrechts durch den Senat hat sie diesen Antrag nicht weiterverfolgt.
23Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien einen Teilvergleich geschlossen, indem der Antragsteller sich verpflichtet hat, für den Sohn ..., der von der Antragsgegnerin versorgt wird, zu den vom Familiengericht zuerkannten 205,- DM ab Rechtskraft der Scheidung noch 1/4 des auf beide Kinder entfallenden Kindergeldes also noch 37,50 DM zu zahlen.
24Wegen des Einkommens des Antragstellers wird auf die von ihm vorgelegte Gehaltsauskunft seines Arbeitgebers vom 9. August 1979 (Bl. 123, 124) sowie auf die von ihm im Termin vorgelegte Gehaltsabrechnung für die Monate August, September und Oktober 1979 verwiesen.
25Entscheidungsgründe
26Die Berufung hat Erfolg.
27Zwar hat die Antragsgegnerin im Grundsatz einen Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB, da sie eine entgeltliche Erwerbstätigkeit nicht ausübt und eine solche von ihr, die sie den aus der Ehe der Parteien stammenden vier Jahre alten Sohn ... betreut, auch nicht erwartet werden kann. Zudem ist sie während der Ehe nicht regelmäßig einer Berufstätigkeit nachgegangen, so daß es auch den Lebensverhältnissen der Parteien, nicht entspricht, evtl. trotz der Betreuung eines Kindes berufstätig zu sein.
28Der Antragsteller ist jedoch unter Berücksichtigung seiner Erwerbs- und Vermögensverhältnisse und unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts der Antragsgegnerin Unterhalt zu gewähren (§ 1581 BGB). Sein monatliches Bruttoeinkommen beläuft sich, wie sich aus den Gehaltsstreifen für die Monate August bis Oktober 1979 ergibt, auf 1.921,02 DM. Hiervon muß er, da er inzwischen von der Antragsgegnerin geschieden ist, und nur eines der beiden aus der Ehe stammenden Kinder bei sich hat, Steuern nach der Steuerklasse 2, ein Kind, entrichten. Das sind 204,- DM Lohnsteuern und 13,86 DM Kirchensteuern, also 217,86 DM. Sein monatliches Bruttoeinkommen vermindert sich deshalb auf 1.703,16 DM.
29Diesem Einkommen sind das anteilige Weihnachtsgeld und das anteilige Urlaubsgeld zuzurechnen. Aus der Gehaltsbescheinigung seines Arbeitsgebers vom 9. August 1979 ergibt sich, daß er 1978 Weihnachtsgeld in Höhe von 1.948,65 DM brutto bezogen hat, das sich um 278,- DM Lohnsteuer vermindert hat. Ihm sind somit 1.670,- DM im Jahr oder 139,40 DM auf den Monat umgerechnet verblieben. Von 300,- DM Urlaubsgeld brutto verbleiben ihm, so ist zu schätzen, 200,- DM netto, oder 16,66 DM pro Monat. Dem monatlichen Einkommen des Antragstellers sind deshalb insgesamt 156,06 DM hinzuzurechnen, so daß er ein Nettoeinkommen von 1.859,22 DM hat. Dieses Einkommen vermindert sich um 59,- DM monatlich für Krankenversorgung, wie sich aus den vorgelegten Gehaltsstreifen für die Monate August bis Oktober 1979 ergibt. Es verbleiben ihm somit rd. 1.800,- DM.
30Dieses Einkommen vermindert sich um weitere 100,- DM, die der Antragsteller monatlich zurückzahlen muß, da er ein Darlehen in Höhe von 2.000,- DM aufgenommen hat, um der Antragsgegnerin den Ankauf von Möbeln für ihre neueinzurichtende Wohnung zu ermöglichen.
31Ferner sind von dem Einkommen des Antragstellers vorab die Beträge abzuziehen, die er zum Unterhalt für die beiden aus der Ehe stammenden minderjährigen Kinder aufwenden muß. Darüber waren sich die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat einig.
32Für den Sohn Michael, der bei der Antragsgegnerin versorgt wird, sind hier vom Antragsteller nach dem vor dem Senat geschlossenen Vergleich vom 25. Oktober 1979 242,50 DM pro Monat aufzuwenden.
33Ferner hat er Aufwendungen für die bei ihm lebende Tochter ... Der zu ihrer Betreuung notwendige finanzielle Aufwand ist ebenfalls vor Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin vom Einkommen des Antragstellers abzuziehen. Ihr Unterhaltsbedarf ist unter Anwendung der gleichen Grundsätze, wie bei der Berechnung des Bedarfs des Sohnes ... bei der gebotenen Gleichbehandlung beider Kinder unter Berücksichtigung des Altersunterschieds einschließlich des Kindergeldes nach der Düsseldorfer Tabelle, die der Senat bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen in ständiger Rechtsprechung zugrundelegt, auf monatlich 222,50 DM festzusetzen.
34Weil die Sätze der Düsseldorfer Tabelle lediglich die Unterhaltsverpflichtung des barunterhaltspflichtigen Elternteils festlegen, der neben dem anderen Elternteil unterhaltsverpflichtet ist, der die Betreuung des Kindes übernommen hat, so stellen die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Sätze nur rd. die Hälfte des wahren Unterhaltsbedarfs des Kindes dar. Da die Unterhaltsleistungen beider Elternteile grundsätzlich gleichwertig sind, der Antragsteller im vorliegenden Fall auch die Betrauung von Andrea übernommen hat, ist von seinem Einkommen vorweg weiterhin eine Pauschale für die Betreuung der Tochter in Höhe von mindestens weiteren 222,50 DM abzusetzen, -wenn nicht ein Betrag von 350,- DM, der den tatsächlichen Aufwendungen entspricht,- so daß sich der gesamte Unterhaltsbedarf der Kinder auf mindestens 687,50 DM beläuft.
35Von dem Einkommen des Antragstellers verbleiben daher noch 1.012,50 DM.
36Der Senat ist der Auffassung, daß der Antragsteller von diesem restlichen Einkommen der Antragsgegnerin keinen Unterhalt mehr zu zahlen und sich insbesondere nicht mit dem sogen, notwendigen Selbstbehalt von ca. 800,- DM zu bescheiden braucht.
37Ebenso wie die Antragsgegnerin betreut er ein minderjähriges Kind. Nach der Vorschrift des § 1570 BGB kann daher von ihm im Grundsatz nicht erwartet werden, daß er einer Erwerbstätigkeit nachgeht, um Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten erfüllen zu können. Daran kann sich nicht deshalb etwas ändern, weil auch der andere Ehegatte ein gemeinsames minderjähriges Kind betreut. Beide geschiedenen Ehegatten befinden sich in der gleichen Situation. Beide könnten sie, gestützt auf § 1570 BGB, Unterhaltsansprüche gegen den anderen geltend machen, wenn nicht, wie hier der Antragsteller selbst für seinen Unterhalt sorgte (§ 1569 BGB). Es besteht angesichts der in Art. 3 Abs. 2 GG festgelegten Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Ausgestaltung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehegatten gegeneinander nach dem 1. EheRG keine Möglichkeit, dem Ehegatten, der bei Bestehen der Ehe durch seine Arbeit für den finanziellen Unterhalt der Familie gesorgt hat, nach der Auflösung der Familie weiterhin die Verpflichtung aufzuerlegen, zur Deckung des Unterhaltsbedarfs des anderen Ehegatten, der ein minderjähriges Kind versorgt, einer Berufstätigkeit nachzugehen, wenn auch er selbst ein minderjähriges Kind betreut. Es gibt nach der durch das 1. EheRG Art. 1 Ziff. 20 eingeführten Vorschrift der § 1569 BGB keinen allgemeinen Grundsatz zur Unterhaltsverpflichtung der geschiedenen Ehegatten gegeneinander, sondern nur, gleichsam als Ausnahmevorschriften eingeführte, Einzeltatbestände die zu einer Unterhaltsberechtigung führen können (BT-DruckS. 7/650 S. 121 und 7/4361 S. 16). Das durch das 1. EheRG Gesetz gewordene nacheheliche Unterhaltsrecht verfolgt gerade in Abkehr von dem bisherigen Verschuldensprinzip den Grundsatz, daß jeder Ehegatte nach der Scheidung für sich selbst zu sorgen habe. (Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit). (Vgl. Palandt-Diederichs BGB, 37. Aufl., § 1569 Anm. 1; Erman-Ronke, BGB, Nachtragsheft neues Familienrecht § 1569 Rdn. 5; Münchener Kommentar BGB, Familiengericht 1978 § 1569 Anm. 1).
38Das bedeutet jedoch nicht, daß in einem wie dem vorliegenden Falle die Unterhaltsverpflichtung der geschiedenen Ehegatten gegeneinander vollends entfällt. Denn das neue nacheheliche Unterhaltsrecht enthält neben dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit ferner den der Mitverantwortlichkeit. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegatten gegeneinander ist seiner Rechtsnatur nach, wie schon nach dem bisherigen Recht, ein familienrechtlicher Anspruch, der sich als Nachwirkung der Ehe ergibt (BGHZ 20, 127/135; Münchener Kommentar a.a.O. Rdn. 2 und 5; Rolland, 1. EheRG § 1569 Rdn. 6 m.w.N.). Besteht deshalb nach Scheidung der Ehe eine ehebedingte Bedürftigkeit, weil z.B. ein Ehegatte wegen der Betreuung minderjähriger Kinder von der Begründung einer eigenen wirtschaftlicher Existenz abgesehen hat, so besteht eine Unterhaltsberechtigung und auf der anderen Seite eine Unterhaltsverpflichtung. Letztere kann den erwerbstätigen geschiedenen Ehegatten, der ebenfalls ein aus der Ehe stammendes minderjähriges Kind betreut, jedoch nicht in gleicher Weise treffen, wie denjenigen, der sich in einer solchen Lage nicht befindet. Er ist zwar wegen der auch weiterhin von ihm ausgeübten Berufstätigkeit nicht bedürftig und kann daher keine Unterhaltsansprüche gegen den anderen Ehegatten geltend machen. Doch, da er im übrigen durch die Betreuung des minderjährigen Kindes in der gleichen Lage sich befindet wie der andere Ehegatte, also "quasi unterhaltsberechtigt" ist, erscheint es gerechtfertigt, seine Einkünfte gegenüber einem Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten in Anwendung des Gedankens des § 1577 Abs. 2 BGB nur insoweit anzurechnen, als sie nach Abzug der übrigen gegenüber Unterhaltsansprüchen relevanten oben genannten Verbindlichkeiten seinen eigenen "vollen Unterhalt" im Sinne des § 1578 BGB übersteigen. Der zur Deckung seines Lebensbedarfs angemessene Betrag hat daher hier dem Antragsteller zu verbleiben. Dieser Betrag wird vom Senat in Übereinstimmung mit den übrigen Familiensenaten des hiesigen OLG mit wenigstens 1.000,- DM angesetzt. Nach Abzug des auf die minderjährigen Kinder entfallenden oben berechneten Unterhaltsbedarfs von 687,50 DM verbleiben dem Antragsteller gerade 1.000,- DM, so daß ein Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin entfällt.
39Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
40Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entsprechenden Anwendung des Rechtsgedanken des § 1577 Abs. 2 BGB in ähnlichen Fällen gem. § 621 d Abs. 1 ZPO zugelassen worden.
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