Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 5 Ss OWi 2225/80
Tenor
Der Leiter einer Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges, der gegen eine Auflage der Verwaltungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG verstößt, ist jedenfalls dann nicht nach § 25 Nr. 2 VersG strafbar, wenn die zur Tatzeit wegen noch möglichen Widerspruchs noch nicht rechtskräftige, aber auch nicht angefochtene Auflage nicht für sofort vollziehbar gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erklärt und zudem auch nicht rechtmäßig war.
Ob allein schon wegen fehlender Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Straftatbestand des § 25 Nr. 2 VersG entfällt, läßt der Senat offen.
1
Tenor:
2Die Revision wird verworfen.
3Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
4Gründe:
5I.
6Mit Bußgeldbescheid des Ordnungsamtes der Stadt ... vom 5. Oktober 1979 war gegen den Angeklagten wegen Zuwiderhandlung gegen §§ 10 Abs. 2, 17 Abs. 2 Buchstabe a Landesimmissionsschutzgesetz (LImschG) eine Geldbuße in Höhe von 500,- DM festgesetzt worden. Nach seinem hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch wies das Amtsgericht Münster den Angeklagten ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 5. Mai 1980 darauf hin, daß eine Verurteilung auch wegen einer Straftat nach "§§ 15, 22 Versammlungsgesetz" in Betracht komme.
7Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil freigesprochen.
8Es ist hierbei im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausgegangen:
9Der Polizeidirektor in ... bestätigte mit Schreiben vom 24. Juli 1979 einen von dem "Koordinationsausschuß gegen die Richtlinien zur Genehmigung von INFO-Ständen" für den 4. August 1979 ab 12.00 Uhr angemeldeten und zu diesem Zeitpunkt auch durchgeführten Aufzug, dessen Leiter der Angeklagte war. Diesem Schreiben zufolge wurden ca. 1.000 Teilnehmer zu dem durch die Innenstadt von ... führenden Aufzug mit drei Versammlungsorten erwartet. Mit dem genannten Bestätigungsschreiben wurden - ohne Anordnung ihrer sofortigen Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO - u.a. folgende versammlungsrechtliche Auflagen "zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" erteilt:
10"II. ...
111. bis 3. ...
124. Die Lautstärke von Lautsprechern (auch Megaphon) ist so zu wählen, daß nur die Versammlungsteilnehmer erreicht werden. Während des Aufzuges darf ein Lautsprecher nur für Durchsagen, die der Zugordnung dienen, benutzt werden ...
13III. ...
14IV. Im übrigen weise ich Sie auf folgendes hin:
151. Für die Benutzung eines Lautsprechers bedarf es der Erlaubnis der Ordnungsbehörde ... gem. § 10 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes-Immissionsschutzgesetz - LImschG) vom 18. März 1975 (GV NW von 1978 S. 232). ...
162. Die Benutzung eines Lautsprechers ist ohne eine solche Erlaubnis nur dann zulässig, wenn dies aufgrund der Teilnehmerzahl innerhalb der Veranstaltung zur Verständigung erforderlich ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn mindestens 40 Personen an der Versammlung teilnehmen.
173. bis 4. ..."
18Die Durchführung des Aufzuges, an dem sich etwa 200 Personen beteiligten, erfolgte zu dem in dem Bestätigungsschreiben genannten Zeitpunkt. An der Spitze des Zuges gingen der Angeklagte und der frühere Betroffene ... der im vorliegenden Verfahren bereits rechtskräftig freigesprochen wurde. Letzterer benutzte, während der Aufzug sich vom Prinzipalmarkt zu dem Versammlungsplatz in der Salzstraße bewegte, ein nach hinten in Richtung der Aufzugteilnehmer gerichtetes Megaphon und gab mit diesem Parolen durch, die das Anliegen des angemeldeten Aufzuges zum Inhalt hatten. Die Teilnehmer des Aufzuges wiederholten anschließend die durchgegebenen Parolen. Ein Polizeibeamter forderte noch auf dem Prinzipalmarkt sowohl den Angeklagten als auch den neben ihm gehenden Betroffenen Koepsell vergeblich auf, die Durchgabe von Parolen mittels Megaphon einzustellen. Der Angeklagte lehnte deren Einstellung ausdrücklich ab.
19Das Amtsgericht ist der Auffassung, daß die Auflage zu Ziffer II 4. der Anmeldebestätigung nicht rechtmäßig gewesen und daher ein strafbares Verhalten des Angeklagten gemäß §§ 15 Abs. 1, 25 Nr. 2 VersG nicht festzustellen sei. Im Hinblick auf den mit jeder Versammlung verbundenen Zweck, die Öffentlichkeit anzusprechen, und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse - der Aufzug habe sich überwiegend durch Fußgängerstraßen bzw. dem Fahrzeugverkehr nur beschränkt zugängliche Straßen bewegt - seien besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, denen durch die fragliche Auflage hätte begegnet werden können, nicht ersichtlich. Desweiteren habe sich der Angeklagte auch nicht einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 33 Abs. 1 Nr. 1, 49 StVO, 24 StVG bzw. nach § 10 Abs. 2 LImschG schuldig gemacht. Einerseits habe eine unmittelbare Gefahr für den öffentlichen Verkehr nicht vorgelegen, andererseits gehe diesen Bestimmungen das Versammlungsgesetz vor.
20Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts infolge Nichtanwendung des § 25 Nr. 2 VersG gerügt wird. Die Revision ist insbesondere der Auffassung, daß die Verwaltungsbehörde den Megaphoneinsatz ermessensfehlerfrei zum Schütze von Gemeinschaftsinteressen, die in dem Schutz vor übermäßigem gesundheitsgefährdendem Lärm (§ 15 Abs. 2 LImschG) gesehen werden, beschränkt habe und die Auflage daher rechtmäßig gewesen sei.
21Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
22II.
23Die Zulässigkeit der hier eingelegten Sprungrevision folgt aus §§ 81 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 OWiG, 335 Abs. 1 StPO. Durch den in der Hauptverhandlung vom 5. Mai 1980 erteilten rechtlichen Hinweis auf die Möglichkeit einer Verurteilung "wegen einer Straftat nach den §§ 15, 22 VersG" hat der vorherige Betroffene gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 OWiG die Rechtsstellung des Angeklagten erhalten. Das Bußgeldverfahren ist damit in ein Strafverfahren übergegangen. Für das weitere Verfahren waren von diesem Zeitpunkt an die besonderen Vorschriften des Ordnungswidrigkeitengesetzes nicht mehr anzuwenden (§ 81 Abs. 3 Satz 1 OWiG); insbesondere sind daher gegen die Entscheidung nach dem Übergang in das Strafverfahren nur die Rechtsmittel der Strafprozeßordnung zulässig (Göhler, OWiG, 6. Aufl., § 81, Rdn. 24). Hierauf ist es ohne Einfluß, daß die Erteilung des rechtlichen Hinweises auf eine mögliche Straftat unter Verkennung der Sach- oder Rechtslage erfolgte, indem zunächst auf eine nicht zutreffende Strafnorm hingewiesen wurde (vgl. Göhler a.a.O., Rdn. 16). Unerheblich ist es auch, daß das Amtsgericht das Vorliegen einer Straftat einer Straftat im Ergebnis verneint und den Angeklagten freigesprochen hat (vgl. Göhler a.a.O., Rdn. 24 m.w.N.).
24Soweit in der Revisionsbegründung vom 7. Juli 1980 ein Revisionsantrag hinsichtlich des Angeklagten ... fehlt, ist dies im Ergebnis unschädlich und führt nicht zur Unzulässigkeit der Revision, da sich das Revisionsbegehren - hier die Verurteilung nach § 25 Nr. 2 VersG - eindeutig aus der Begründung ergibt (vgl. RG 56, 225; Kleinknecht, StPO, 35. Aufl., § 344, Rdn. 2).
25III.
26Der Freispruch des Angeklagten, insbesondere auch hinsichtlich eines Vergehens nach §§ 15 Abs. 1, 25 Nr. 2 VersG, ist im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
27Über die Frage der Rechtmäßigkeit der Auflagen zur Megaphonbenutzung hinaus (siehe dazu unten) hat der Senat erwogen, ob eine Strafbarkeit des Angeklagten hier nicht schon deshalb entfällt, weil die versammlungsrechtlichen Auflagen im Tatzeitpunkt weder Rechtskraft erlangt hatten noch ihre sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden war.
28Zu dieser Fragestellung hat sich der Senat aus folgenden Gründen veranlaßt gesehen:
29§ 25 Nr. 2 VersG, wonach der Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges sich strafbar macht, der "Auflagen nach § 15 Abs. 1 nicht nachkommt", ist seit Inkrafttreten des Versammlungsgesetzes vom 24. Juli 1953 (BGBl. I 684) im Tatbestand unverändert geblieben. Demgegenüber erfuhr § 26 Nr. 1 VersG, der nach früherem Recht den Veranstalter oder Leiter unter Strafe stellte, der u.a. eine öffentliche Versammlung oder einen Aufzug "trotz Verbots" abhielt, durch Art. 81 Nr. 6 a Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2. Februar 1974 (BGBl. I 469) eine Änderung; tatbestandsmäßig ist hiernach nur noch die Durchführung einer Versammlung pp. "trotz vollziehbaren Verbots". Schließlich wurde mit Änderungsgesetz zum Versammlungsgesetz vom 25. September 1978 (BGBl. I 1571) in § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG ein neuer Bußgeldtatbestand eingeführt, nach dem der Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung pp. ordnungswidrig handelt, der "einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs. 1 nicht nachkommt." Die hierdurch geschaffene Rechtslage ist dadurch gekennzeichnet, daß das Versammlungsgesetz in seinen Straf- bzw. Bußgeldtatbeständen einerseits auf eine "Auflage", andererseits auf eine "vollziehbare Auflage" oder ein "vollziehbares Verbot" abstellt.
30Ob der Gesetzgeber mit der nur teilweisen Einfügung des Rechtsbegriffes der "Vollziehbarkeit" in versammlungsrechtliche Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitstatbestände unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten schaffen wollte, läßt sich den Begründungen des Rechtsausschusses des Bundestages zu den beiden Inderungsgesetzen nicht deutlich entnehmen.
31Im allgemeinen Teil der Begründung zum Entwurf des EGStGB (BT-Drucks. 7/550 S. 194) wird ausgeführt, daß in sog. Blankettvorschriften, in denen Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen oder Verfügungen einer Verwaltungsbehörde mit Strafe oder mit Geldbuße bedroht sind, bestimmt werde, daß der Tatbestand, nur bei Zuwiderhandlungen gegen "vollziehbare" Anordnungen verwirklicht werde. Dies entspreche der Gesetzgebungspraxis der letzten Jahre.
32Dem entspricht die Begründung zur Änderung des § 26 Nr. 1 VersG, die ausführt: "In § 26 Abs. 1 Nr. 1 wird vor dem Wort "Verbot" das Wort "vollziehbar" eingefügt, um klarzustellen, daß das Verbot der Verwaltungsbehörde einerseits ohne Bedeutung ist, wenn nicht die Vollziehbarkeit der Verfügung angeordnet ist und daß das Verbot andererseits nicht unanfechtbar zu sein braucht ..." (BT-Drucks. 7/550 S. 375).
33Die Begründung zur Einfügung des § 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG (BT-Drucks. 8/1845 S. 11) äußert sich lediglich zu dem Anlaß der Gesetzesänderung, der in der Notwendigkeit gesehen wurde, durch Sanktionierung des Teilnehmers einer Versammlung eine Lücke zu schließen. Warum für den Teilnehmer auf einen Verstoß gegen eine "vollziehbare Auflage" abgestellt wurde, während für den Leiter nach wie vor der Verstoß gegen eine "Auflage" strafbewehrt bleibt, läßt die Begründung hingegen offen.
34Es stellt sich angesichts dieses unterschiedlichen Gesetzeswortlauts und der den Entwürfen beigefügten Begründungen die Frage, ob der Gesetzgeber für die Blankettvorschrift des § 25 Nr. 2 VersG ebenfalls von der in der Bundestagsdrucksache 7/550 S. 194 zum Ausdruck kommenden Auffassung ausgegangen ist, daß eine Tatbestandswirkung nur der Zuwiderhandlung gegen eine "vollziehbare" Anordnung zukommen soll. Die Begründung zur Änderung des § 26 Nr. 1 VersG spricht jedenfalls dafür, daß der Gesetzgeber für die Zuwiderhandlung gegen ein Versammlungsverbot dessen Vollziehbarkeit bereits unabhängig von der vorgenommenen Änderung vorausgesetzt hat, wenn er die Einfügung des Begriffes der Vollziehbarkeit lediglich "zur Klarstellung" vorgenommen hat. Würde für § 25 Nr. 2 VersG dasselbe anzunehmen sein, so wäre insoweit lediglich von einem Redaktionsversehen auszugehen, das auf die materielle Rechtslage keinen Einfluß hätte.
35Dafür, daß ein strafbewehrter Verstoß gegen eine verwaltungsbehördliche Verfügung grundsätzlich deren "Vollziehbarkeit" im Zeitpunkt der Tatbegehung voraussetzt, spricht auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Frage der (früheren) Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen ein amtliches Verkehrszeichen trotz dessen verwaltungsrechtlicher Anfechtung (BGHSt 23, 86, 91).
36Der Bundesgerichtshof unterscheidet hierbei ausdrücklich zwischen der verwaltungsrechtlichen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes, die bereits mit seinem Erlaß eintritt und bestehen bleibt, solange er nicht mit aufschiebender Wirkung angefochten worden ist, und der für die strafrechtliche Beurteilung maßgebenden Verbindlichkeit eines Verwaltungsaktes, die er nur dann für gegeben hält, wenn sein Adressat die verwaltungsbehördliche Verfügung ohne die Möglichkeit hemmender Rechtsbehelfe hinnehmen muß und die Anordnung ohne Rücksicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels vollziehbar ist. Hiernach sollen Zuwiderhandlungen gegen verwaltungsbehördliche Anordnungen nur dann strafbar sein, wenn im Zeitpunkt der Tat die sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VWGO angeordnet war, wenn es sich um kraft Gesetzes sofort vollziehbare Anordnungen handelt oder wenn der Verwaltungsakt zur Tatzeit bereits rechtskräftig geworden war.
37Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen entfällt allerdings zugleich auch das Kriterium der Rechtmäßigkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit. Der Straf- oder Ordnungswidrigkeitstatbestand greift vielmehr auch dann ein, wenn noch nicht feststeht, ob eine Zuwiderhandlung letztlich das sachliche Recht verletzt, also auch dann, wenn die verwaltungsbehördliche Anordnung möglicherweise rechtswidrig (nicht: nichtig) ist (BGH a.a.O. 92; OLG Karlsruhe, Die Justiz, 1977, 354). Dieser Rechtsansicht folgen neuere Entscheidungen, denen verwaltungsbehördliche Anordnungen nach dem Versammlungsgesetz zugrunde lagen, deren sofortige Vollziehbarkeit jeweils angeordnet worden war (vgl. OLG Oldenburg MDR 1980, 255 = Nds. Rpfl. 1980, 35; OLG Schleswig SchlHA 1981, 52; ähnlich - nur eingeschränkte Rechtmäßigkeitsprüfung - OLG Oldenburg, Beschluß vom 30.4.1979 - Ss 41/79 - und Beschluß vom 29.5.1979 - Ss 19/79 -).
38Im Hinblick auf den von den §§ 26 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 3 VersG abweichenden Wortlaut des § 25 Nr. 2 VersG stellt sich andererseits aber auch die Frage, ob der Gesetzgeber insoweit bewußt davon abgesehen hat, wie in den anderen Tatbeständen das Wort "vollziehbar" einzufügen, um dadurch eine Strafbarkeit des gegen Auflagen verstoßenden Leiters einer Versammlung auch dann zu ermöglichen, wenn es sich zwar nicht um vollziehbare Auflagen in vorstehendem Sinn, jedoch um rechtmäßige Beschränkungen einer Versammlung handelt. Da die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes - auch die versammlungsrechtliche Auflage ist entgegen ihrer Bezeichnung ein selbständiger Verwaltungsakt (vgl. z.B. Dietel/Gintzel, Demonstrations und Versammlungsfreiheit, 6. Aufl. 1979, § 15 Rdn. 15) - nicht unbeschränkt zulässig ist, sondern das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses voraussetzt (vgl. Eyermann-Fröhler, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rdn. 28), könnte die Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit versammlungsrechtlicher Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG im Einzelfall fragwürdig sein und die Verwaltungsbehörde veranlassen, von der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit Abstand zu nehmen.
39Vom Gesetzgeber mit § 25 Nr. 2 VersG verfolgter Zweck kann es dann auch gewesen sein, auch in diesen Fällen durch eine Strafdrohung zumindest gegenüber dem Leiter die Einhaltung von Auflagen bei Durchführung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges zu gewährleisten.
40Ob dies der Gesetzeszweck des § 25 Nr. 2 VersG ist und eine derartige Auslegung sich zu den vom BGH a.a.O. für Zuwiderhandlungen gegen verwaltungsbehördliche Anordnungen dargelegten Rechtsgrundsätzen sowie zu der zitierten amtlichen Begründung zu Verstößen gegen Blankettgesetze nicht in Widerspruch setzen würde, wofür einiges spricht, bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung.
41Auch wenn aus den dargelegten Gründen ein strafbares Handeln des Angeklagten gemäß §§ 15 Abs. 1, 25 Nr. 2 VersG nicht schon deshalb zu verneinen sein sollte, weil die mit Bescheid des Polizeidirektors der Stadt ... vom 24. Juli 1979 erteilte Auflage betreffend die Megaphonbenutzung während des Aufzuges nicht für sofort vollziehbar erklärt worden war, scheitert eine Verurteilung des Angeklagten wegen dieses Tatbestandes hier jedenfalls daran, daß die Auflage zudem auch nicht rechtmäßig war.
42Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannten Auffassung ist die Rechtmäßigkeit der gemäß § 15 Abs. 1 VersG erteilten Auflage für die Durchführung einer gemäß § 14 VersG angemeldeten Versammlung oder eines Aufzuges nämlich objektive Bedingung der. Strafbarkeit des Leiters nach § 25 Nr. 2 VersG (OLG Celle NJW 1977, 444; OLG Köln NStZ 1981, 227; OLG Koblenz NStZ 1981, 187; OLG Hamm, Urt. vom 10.10.1975 - 3 Ss 377/75 -; Dietel/Gintzel, a.a.O., § 25 Rdn. 2; Ott, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 3. Aufl., 1979, § 25 Rdn. 5; Erbs/Kohlhaas/Meyer, Strafrechtliche Nebengesetze, § 25 VersG, Anm. 4; Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl., 1961, § 25 VersG, Anm. 4; vgl. auch Lorenz, DVBl. 1971, 165, 170).
43Maßstab für die Rechtmäßigkeit einer beschränkenden Auflage ist nach § 15 Abs. 1 VersG, daß nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dabei ist für die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Auflage ausschließlich auf den Zeitpunkt ihrer Anordnung im Sinne einer Prognose abzustellen (OLG Koblenz, GA 1981, 175; Dietel/Gintzel, a.a.O., § 15 Rdn. 11). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung liegt vor, wenn nach den vorhandenen oder erkennbaren Tatsachen durch den Ablauf des Aufzuges unter den aus der Anmeldung ersichtlichen Umständen eine Störung sofort und nahezu mit Gewißheit zu erwarten ist; nur die bloße Wahrscheinlichkeit genügt hierfür nicht (Ott a.a.O., § 15 Rdn. 5; Bericht des Rechtsausschusses zur Gesetzesnovelle 1978, BT-Drucks. 8/1845 S. 11). Zugleich müssen die Auflagen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet und erforderlich sein, diese Gefahr zu verhindern (OLG Köln, NStZ 1981, 227). Unzulässig sind Beschränkungen, die dem Normzweck widersprechen (Dietel/Gintzel, a.a.O., § 15 Rdn. 17). In die Abwägung der widerstreitenden Interessen ist dabei auch der Schutz des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) einzubeziehen, da es zum Begriff der Versammlung oder des Aufzuges gehört, daß auf ihnen öffentliche Angelegenheiten erörtert werden, also Meinungsäußerungen stattfinden, und der Grundrechtsschutz grundsätzlich die Mittel zur Meinungskundgabe mit einschließt (BVerwG, DRiZ 1969, 158; Dietel/Gintzel, a.a.O., § 15 Rdn. 18 m.w.N.). Die Auslegung und Anwendung der das Grundrecht gemäß Art. 5 Abs. 2 GG einschränkenden allgemeinen Gesetze muß wiederum dem Grundrecht einen angemessenen Raum sichern (BVerfGE 7, 198, 208; BVerwG, DRiZ 1969, 158).
44Welche Kriterien die Verwaltungsbehörde für die von ihr angeordnete Beschränkung des Megaphoneinsatzes während des Aufzuges als maßgeblich erachtet hat, läßt sich aus der Verfügung vom 24. Juli 1979 nicht ersehen, da diese eine Begründung der Auflagen nicht enthält. Den Feststellungen des Amtsgerichts ist zu entnehmen, daß der Aufzug - jedenfalls in dem Zeitraum des auflagenwidrigen Megaphoneinsatzes - überwiegend durch Fußgängerstraßen bzw. dem Fahrzeugverkehr nur beschränkt zugängliche Straßen führte. Die hieran anknüpfende Schlußfolgerung des Amtsgerichts, es sei nicht ersichtlich, welche besonderen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit der Auflage zu Ziffer II 4 der Verfügung vom 24. Juli 1979 abgewendet werden sollten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das Amtsgericht auch darauf hingewiesen, daß ohnehin mit jedem Aufzug eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit - insbesondere der Verkehrssicherheit - verbunden sei. Es müssen daher besondere Feststellungen hinzukommen, aus denen sich ergibt, daß der über die zugelassenen Durchsagen zur Zugordnung hinausgehende Einsatz eines Megaphons Verkehrsgefährdungen oder sonstige Störungen nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen nahezu mit Gewißheit bewirken konnte, die über die ohnehin zu erwartenden Störungen hinausgehen würden (vgl. BVerwG VM 1980, 74, 75).
45Wenn derartige Feststellungen im angefochtenen Urteil fehlen, begründet dies nicht den Vorwurf lückenhafter tatrichterlicher Feststellungen. Das Amtsgericht hat nicht verkannt, daß Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung möglich sind und beschränkende Auflagen daher rechtmäßig sein können. Es hat jedoch - bezogen auf den vorliegenden Fall - derartige Gefahren verneint. Das ist nicht rechtsfehlerhaft. Die Auffassung der Revision, die Tatsachenfeststellungen zur Frage der Rechtsmäßigkeit der Auflage seien deswegen unvollständig, weil die am Mittag eines verkaufsoffenen Samstags im allgemeinen zu erwartenden örtlichen Verkehrs- und Lärmverhältnisse nicht aufgeklärt worden seien, vermag der Senat nicht zu teilen.
46Bezogen auf die Frage der Verkehrssicherheit stellte die Auflage, während des Aufzuges ein Megaphon nur für Durchsagen zur Zugordnung zu benutzen, schon deswegen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Demonstrationsrecht dar, weil der Aufzug nach den Feststellungen des Amtsgerichts überwiegend durch Fußgängerstraßen oder dem Fahrzeugverkehr nur beschränkt zugängliche Straßen führte, in denen mithin besondere, auf akustischer Beeinflussung beruhende Gefahren für den öffentlichen Verkehr nicht entstehen konnten.
47Auch soweit die Auflage unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Allgemeinheit vor übermäßigen Lärmbelästigungen zu würdigen ist, hat das Amtsgericht ihre Rechtmäßigkeit im Ergebnis zu Recht verneint, ohne daß es hierzu weiterer Feststellungen bedurfte. Der die Mittel zur Meinungskundgabe umschließende Schutz des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit kann zwar durch den notwendigen Schutz der Allgemeinheit vor Lärmbelästigungen Beschränkungen erfahren, jedoch sind dabei die Grenzen zu beachten, die der Grundrechtseinschränkung durch allgemeine Gesetze gezogen sind. Konkret bedeutet dies, daß versammlungsrechtliche Auflagen sich nach Umfang und Inhalt auf das zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter unbedingt notwendige Maß beschränken müssen (vgl. BVerwG DRiZ 1969, 158). Diese Voraussetzung erfüllt die hier zu beurteilende Auflage, während des Aufzuges ein Megaphon nur für Ordnungsdurchsagen zu benutzen, nicht. Unter Berücksichtigung der vom Amtsgericht bereits festgestellten örtlichen und zeitlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Demonstration sowie der ursprünglich erwarteten höheren Teilnehmerzahl war eine so weitreichende Beschränkung, mit der der Einsatz eines Megaphons zur Meinungskundgabe während des gesamten Aufzuges völlig unterbunden werden sollte, aus keinem ersichtlichen Grunde notwendig. Dadurch, daß der Aufzug sich fortbewegte, war die mögliche akustische Einwirkung auch durch Demonstrationsparolen unter Verwendung eines Megaphons an jedem Ort des Aufzuges nur kurzfristig und daher relativ gering. Der Aufzug führte erkennbar nicht durch besondere Ruhezonen oder Wohngebiete, für die ein erhöhter Lärmschutz verlangt werden kann. Die Verhältnisse in Geschäftsstraßen am Mittag eines verkaufsoffenen Samstags erfordern demgegenüber nicht denselben Lärmschutz wie zu anderen Tageszeiten oder in anderen Gebieten. Ob die Verwaltungsbehörde hier auch erwogen hat, zum Schutz vor besonderen Lärmimmissionen nicht den Inhalt der Megaphondurchsagen, sondern die jeweilige Zeitdauer des Megaphoneinsatzes und insbesondere seine Lautstärke sowie die Anzahl der zu verwendenden Geräte zu beschränken, ist nicht ersichtlich.
48Hiernach ist festzustellen, daß die Verwaltungsbehörde von dem ihr in § 15 Abs. 1 VersG eingeräumten Entschließungs- und Auswahlermessen in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat. Das Amtsgericht hat den Angeklagten mithin zu Recht von dem Vorwurf eines Vergehens nach § 25 Nr. 2 VersG freigesprochen.
49IV.
50Das Amtsgericht hat desweiteren eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 33 Abs. 1 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 28 StVO, 24 StVG wegen verkehrsgefährdenden Betriebes des Megaphons aufgrund seiner Feststellung verneint, durch die Benutzung des Megaphons habe dieser keine Gefahr für den Verkehr verursacht. Das greift die Revision nicht an und läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. auch OLG Celle NJW 1977, 444). Fraglich erscheint allerdings in diesem Zusammenhang die Auffassung des Amtsgerichts, daß die versammlungsrechtlichen Bestimmungen auch dem § 33 Abs. 1 Nr. 1 StVO vorgingen (vgl. hierzu BVerwG VM 1980, 74, 75; DRiZ 1969, 158). Das kann indes dahingestellt bleiben.
51Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht hingegen eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 10 Abs. 2, 17 Abs. 2 a LImschG wegen des Vorrangs der bundesgesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 1 VersG verneint (vgl. auch OLG Celle NJW 1977, 445 für § 5 Abs. 2 NdsLärmBekVO). Darüberhinaus war die Verwendung eines Megaphons ohne vorherige Erlaubnis nach dem LImschG hier auf Grund des Wortlautes der verwaltungsbehördlichen Verfügung in Ziffer IV Nr. 2 schon deshalb zulässig, weil eine Teilnehmerzahl von 40 Personen überschritten wurde.
52Nach allem war die Revision daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 und 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
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