Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 15 W 226/85
Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat die dem Beteiligten zu 2) im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 5.150,-- DM festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Mit Schriftsatz ihrer erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten vom 16. März 1983 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, eine vom Beteiligten zu 2) getroffene Unterhaltsbestimmung vormundschaftsgerichtlich dahingehend zu ändern, daß der Beteiligte zu 2) der Beteiligten zu 1) rückwirkend ab 3. Mai 1982 Unterhalt in Form einer monatlichen Geldrente zu gewähren habe. Der Antrag ist am 17. März 1983 beim Amtsgericht eingegangen und auf Grund einer Verfügung vom gleichen Tage dem Beteiligten zu 2) formlos übermittelt worden. Mit Beschluß des Rechtspflegers vom 20. Dezember 1983 hat das Amtsgericht diesem Antrag in vollem Umfang entsprochen. Auf das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Beteiligten zu 2), dem Rechtspfleger und Richter des Amtsgerichts nicht abgeholfen haben, hat das Landgericht die erstinstanzliche Entscheidung dahingehend geändert, daß Unterhalt in Form einer Geldrente erst ab dem 20. März 1983 zu leisten sei; im übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.
4Gegen den landgerichtlichen Beschluß vom 21. Februar 1985 wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer weiteren Beschwerde, mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt.
5II.
6Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 FGG). Zu Recht hat das Landgericht die gerichtliche Änderung der vom Beteiligten zu 2) getroffenen Unterhaltsbestimmung auf die Zeit seit der Übermittlung der Antragsschrift beschränkt.
7Daß einer auf § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB gestützten Entscheidung des Vormundschaftsgerichts, die eine Bestimmung des Unterhaltspflichtigen ändert, grundsätzlich keine Rückwirkung zukommt, entspricht zumindest der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (BayObLG, Recht 1909, Nr. 3091; Köhler in Münchener Kommentar, BGB, Rn. 20; Soergel-Lange, BGB, 11. Aufl., Rn. 17; Staudinger-Gotthardt, BGB, 10./11. Aufl., Rn. 36, jeweils zu § 1612). Gegen eine Rückwirkung der Entscheidung, die mit gestaltender Kraft die vom Unterhaltspflichtigen getroffene Bestimmung ändert, nicht etwa ihre Unwirksamkeit feststellt, spricht bereits der Wortlaut des § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB; das Gesetz spricht von einer Änderung, nicht etwa einer Aufhebung der getroffenen Bestimmung. Auch die Voraussetzungen, an die eine Ersetzungsbestimmung geknüpft ist, zeigen, daß das Gesetz ihr grundsätzlich keine rückwirkende Kraft beimessen will; § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB knüpft an das Vorliegen besonderer Umstände zum Zeitpunkt der vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung, nicht etwa an irgendwelche ursprünglichen rechtlichen Mängel der Unterhaltsbestimmung an. Neben diesen Erwägungen sprechen auch die schutzwürdigen Interessen der unterhaltspflichtigen Eltern gegen die Annahme einer grundsätzlichen Rückwirkung. Wenn ihnen das Gesetz in § 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB die Möglichkeit einräumt, die auf Zahlung einer Geldrente gerichtete Verpflichtung durch eine eigene Bestimmung über die Art und den Entrichtungszeitraum umzugestalten, so müssen sie sich bis zur Änderung dieser Bestimmung durch das Gericht auch darauf einrichten und verlassen können, daß sie den Unterhalt in der von ihnen bestimmten Form leisten dürfen.
8Kommt der ändernden Entscheidung des Vormundschaftsgerichts somit grundsätzlich keine Rückwirkung zu, so schließt das nach Auffassung des Senats doch nicht aus, daß das Gericht ihr im zeitlichen Rahmen des gerichtlichen Verfahrens rückwirkende Kraft durch eine ausdrückliche zeitliche Bestimmung beimißt. Mit Einleitung des Verfahrens unterliegt die Unterhaltsbestimmung der Eltern der Prüfung und Änderungsbefugnis des Vormundschaftsgerichts. Wie viel Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung vergeht, wird vielfach von Umständen abhängen, auf die das unterhaltsberechtigte Kind keinen oder nur geringen Einfluß nehmen kann. Gerade in denjenigen Fällen, in denen besonders schwerwiegende Gründe für eine gerichtliche Änderung der elterlichen Unterhaltsbestimmung vorhanden sind, wird es dem unterhaltsberechtigten Kind oft schlechthin unzumutbar sein, während der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens noch Naturalunterhalt in Anspruch zu nehmen. Vielfach wird es die Zeit bis zur Erlangung von Geldunterhalt mit anderweitiger Hilfe überbrücken müssen. Es wäre deshalb in hohem Maße unbillig, dem unterhaltsberechtigten Kind die Möglichkeit, für die Zeit zwischen Einleitung des gerichtlichen Verfahrens und erstinstanzlicher Entscheidung im nachhinein Barunterhalt zu erlangen, von vornherein zu versagen.
9Entscheidend tritt hinzu, daß mit der Übermittlung der Antragsschrift - bzw. ihrer zu empfehlenden Zustellung - der Unterhaltspflichtige von der gerichtlichen Prüfung seiner Unterhaltsbestimmung Kenntnis erhält und sich auf deren etwaige Änderung durch das Vormundschaftsgericht einrichten kann und muß. Für eine ähnliche Interessenlage bestimmt § 323 Abs. 3 ZPO, daß ein rechtskräftiges Urteil für die Zeit nach Erhebung einer darauf gerichteten Klage abgeändert werden kann. Dieser Rechtsgedanke kann, mag auch ansonsten die Durchbrechung der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen mit der gerichtlichen Änderung der elterlichen Bestimmungserklärung nicht ohne weiteres vergleichbar sein, auf das Verfahren nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB übertragen werden. Er ermöglicht es dem Vormundschaftsgericht, wenn dies beantragt wird und die vom Gesetz geforderten besonderen Gründe bereits bei Einleitung des Verfahrens vorliegen, ausdrücklich auszusprechen, daß die gerichtliche Änderung der elterlichen Unterhaltsbestimmung bereits ab Übermittlung bzw. Zustellung der Antragsschrift wirkt (so auch BayObLG, FamRZ 1985, 515 f; KG, FamRZ 1970, 415 ff; Göppinger, Unterhaltsrecht, 4. Aufl., Rn. 3286). Dem steht die eingangs genannte Entscheidung des Bayrischen Obersten Landesgerichts (Recht 1909, Nr. 3091) nicht entgegen, da im dort entschiedenen Fall das Vormundschaftsgericht eine ausdrückliche Anordnung der Rückwirkung gerade nicht ausgesprochen hatte.
10Die Anordnung einer weitergehenden Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Eingangs der Antragsschrift bei Gericht in entsprechender Anwendung des § 270 Abs. 3 ZPO kommt dagegen nach Auffassung des Senats nicht in Betracht. Diese Vorschrift will vor den irreparablen und oft schwerwiegenden Folgen bestimmter Fristversäumnisse schützen. Sie paßt nicht, wenn es lediglich darum geht, die Verbindlichkeit einer Regelung von einem bestimmten Zeitpunkt an zu beseitigen. Eben deshalb wird von der ganz herrschenden Meinung auch die entsprechende Anwendung des § 270 Abs. 3 ZPO im Verfahren nach § 323 Abs. 1 bis 3 ZPO abgelehnt (Baumbach-Hartmann, ZPO, 43. Aufl., Anm. 4 B zu § 323 m.w.N.; Rosenberg-Schwab, ZPO, 13. Aufl., § 159 VI 4 Fn. 35). Im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren nach § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB, in dem der umgehenden Übermittlung oder Zustellung der eingegangenen Antragsschrift in der Regel nichts im Wege stehen dürfte, kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschrift erst recht nicht in Betracht.
11Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG und den §§ 131 Abs. 2, 30 KostO.
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