Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 20 U 158/90
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 05. April 1990 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Teilkaskoversicherung für einen Schadensfall vom 19./20.09.1989.
2Am Morgen des 20.09.1989 zeigte der Kläger bei der Polizei in ... den Diebstahl seines PKW an, der ihm in der vorangegangenen Nacht von seinem Abstellplatz vor einem Hotel in ... gestohlen worden sei. Unterdessen war das Fahrzeug am 20.09.1989 gegen 0.30 Uhr bereits in der Nähe der Autobahnausfahrt ... völlig ausgebrannt aufgefunden worden. Vor dem Brand waren aus bzw. von dem Fahrzeug das Radio und die Felgen mit Reifen entfernt worden.
3Nach den Untersuchungen des Hessischen Landeskriminalamtes konnten keine Spuren einer gewaltsamen Überwindung der Lenkradsicherung, dafür aber Schäden an der Zylinderkopfdichtung und den Zylinderwänden des Motors festgestellt werden. Aufgrund dessen leitete die StA ... gegen den Kläger ein Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat ein und erhob schließlich am 28.02.1990 eine entsprechende Anklage. In der Hauptverhandlung vom 13.11.1990 wurde der Kläger freigesprochen.
4Der Kläger behauptet, das Fahrzeug sei ihm, wie angezeigt, von unbekannten Tätern gestohlen worden. Er begehrt in erster Linie Feststellung der Deckungspflicht, nur hilfsweise Zahlung eines Betrags von 24.500,00 DM, wobei er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargestellt hat, daß der Zahlungsantrag ausschließlich auf den Vorschussanspruch nach §15 As. 1 S. 2 AKB gestützt wird.
5Der Beklagte beruft sich vorrangig auf mangelnde Fälligkeit gem. §11 VVG. Insoweit hat er in erster Instanz geltend gemacht, den weiteren Fortgang des Strafverfahrens gegen den Kläger abwarten zu wollen. In der Berufungsinstanz beruft er sich darauf, daß es ihm wegen des laufenden Strafverfahrens nicht möglich sei, Zündschloß und Lenkradspindel, die dort sichergestellt sind, einer sachverständigen Überprüfung zuzuführen, was er beabsichtige. Hierbei handele es sich um eine "nötige Erhebung" im Sinne von §11 Abs. 1 VVG. Hilfsweise hat der Beklagte in erster Instanz den Versicherungsfall bestritten und sich auf §61 VVG berufen.
6Das Landgericht hat die Klage wegen mangelnder Fälligkeit nach §11 Abs. 1 VVG abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
7Der Kläger beantragt,
81.
9den Beklagten zu verurteilen, als Kaskoversicherer des Fahrzeugs Fiat Croma I.E. S Kat, amtliches Kennzeichen ..., aus dem Kraftfahrzeugversicherungsvertrag Nr. ... vom 07.08.1989 Kaskodeckung wegen des Schadensereignisses vom 19./20.09.1989 in ... zu gewähren;
102.
11hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 24.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Von der weiteren Darstellung des den Parteien bekannten Tatbestandes wird gem. §543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
15Entscheidungsgründe
16Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage wegen mangelnder Fälligkeit abgewiesen.
171.
18Die Fälligkeit der Entschädigungsleistung richtet sich in der Kaskoversicherung, worauf die Berufung zu Recht hinweist, nach §15 Abs. 1 AKB. Danach wird die Entschädigung innerhalb zweier Wochen nach ihrer Feststellung gezahlt.
19Der Senat vermag sich allerdings nicht der Auffassung von Hofmann anzuschließen, wonach der Begriff der Feststellung der Entschädigung grundsätzlich nicht die Feststellung der Deckungspflicht für den Versicherer, sondern ausschließlich die Feststellung der Höhe der Entschädigungssumme betreffe. Habe der Versicherer nach Feststellung der Höhe weiterhin Bedenken hinsichtlich der Deckungspflicht, so werde der Anspruch gleichwohl fällig, der Versicherer gerate lediglich nicht in Verzug, wenn ihn kein Verschulden treffe (so Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 14. Aufl., Rdnr. 1 zu §15 AKB). Dies läßt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn der Vorschrift entnehmen.
20Denn in §15 Abs. 1 S. 1 AKB ist entgegen Satz 2 der Bestimmung gerade nicht nur von der Höhe der Entschädigung die Rede. Damit gibt der Wortlaut keinen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, daß im Bereich der Fahrzeugversicherung von der allgemeinen Regel des §11 Abs. 1 VVG abzuweichen wäre, wonach die "nötigen Erhebungen" des Versicherers abgeschlossen sein müssen, um die Fälligkeit des Zahlungsanspruchs herbeizuführen. Gerade die Formulierung "die Entschädigung wird ... gezahlt" setzt ersichtlich voraus, daß - auch - der Anspruchsgrund geklärt ist. Es kann nicht der Sinn der Klausel sein, einen Versicherer, der dem Grunde nach womöglich nicht eintrittspflichtig ist, nur wegen Feststellung der Schadenshöhe zur Zahlung zu verpflichten (zu ähnlichen Formulierungen in anderen Bedingungswerken vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 1986, Y, I, 3).
212.
22Vorliegend sind die nötigen Erhebungen des Beklagten noch nicht abgeschlossen, und eine vorzeitige Fälligkeit ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gegeben, daß der Beklagte die sachdienlichen Erhebungen schuldhaft verzögert hat, oder daß er bereits endgültig seine Eintrittpflicht verweigert hat.
23a)
24Die vom Beklagten beabsichtigte Untersuchung der Lenkspindel des ausgebrannten Fahrzeuges durch einen spezialisierten Gutachter ist vorliegend als eine nötige Erhebung im Sinne des §11 Abs. 1 VVG anzusehen. Dies hat nichts damit zu tun, daß der Versicherer nach Einsichtnahme in die Akten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sich grundsätzlich seine Meinung bilden und seine Leistungspflicht entweder anerkennen oder ablehnen muß, und diese nicht bis zum Abschluß der amtlichen Ermittlungen aufschieben darf (vgl. Senat Beschluß vom 06.02.1987, 20 W 2/87, in Versicherungsrecht 87, 1129 nur Leitsatz wiedergegeben). Denn vorliegend will der Beklagte, wie zumindest in zweiter Instanz ausdrücklich klargestellt ist, seine Entscheidung über die Eintrittspflicht nicht vom Ausgang des Strafverfahrens abhängig machen, sondern unabhängig davon durch die Beauftragung eines spezialisierten Sachverständigen eine weitere technische Untersuchung zum Schadensfall durchführen lassen. Diese Erhebung ist sachdienlich:
25Denn ob vorliegend das äußere Bild eines KFZ-Diebstahles gegeben ist, ggf. ob eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine Vortäuschung des Diebstahles durch den Kläger spricht, (was wiederum als Indiztatsache für eine vorsätzliche Herbeiführung des weiteren, selbständigen Versicherungsfalles Brand durch den Kläger Bedeutung haben kann) hängt wesentlich davon ab, ob das Fahrzeug mit einem Originalschlüssel oder mit einem passenden Schlüssel gefahren ist, worüber die geplante Untersuchung Aufschluß geben kann. Dieser Umstand hat vor allem deshalb einiges Gewicht für die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Vortäuschung, weil der vorliegende Fall auch darüber hinaus einige Merkwürdigkeiten aufweist. So hat der Kläger, wofür er allerdings eine nachvollziehbare Begründung gegeben hat, nach seinem Vorbringen einen Fahrzeugschlüssel nachgemacht, andererseits aber zwei Schlüssel weggeworfen. An dem Fahrzeug ist nach dem Inhalt der Strafakten von den ermittelnden Polizeibeamten ein Motorschaden festgestellt worden, und es sind darüber hinaus an dem Fahrzeug die Felgen demontiert worden, was jedenfalls grundsätzlich nur mit dem Felgenschlüssel erfolgen konnte, den der Kläger im Besitz hatte. Berücksichtigt man weiter, daß der Kläger früher mehrfach wegen Eigentumsdelikten in Erscheinung getreten und damit nicht der Prototyp des redlichen Versicherungsnehmers ist, dessen Angaben der Versicherer ohne weiteres Glauben schenken kann, so stellt es ein berechtigtes Anliegen des Beklagten dar, das Schloß zu untersuchen.
26b)
27Daß es bisher nicht zu dieser Untersuchung gekommen ist, hat der Beklagte nicht zu vertreten. Wegen des laufenden Strafverfahrens war ihm die Begutachtung der Lenkspindel durch einen Sachverständigen nicht möglich. Auch wenn mittlerweile mehr als ein Jahr seit dem Schadensfall vergangen ist, so muß der Kläger in diesem Falle hinnehmen, daß eine Entscheidung des Versicherers über den Versicherungsanspruch bisher nicht möglich gewesen ist.
283.
29Vor der Fälligkeit des etwa gegebenen Zahlungsanspruches ist auch eine Klage auf Feststellung der Deckungspflicht nicht möglich.
30Das ergibt sich daraus, daß das gesamte Versicherungsrecht von dem Grundsatz beherrscht wird, daß der Versicherer vor seiner Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch die Möglichkeit haben soll, Ermittlungen zum Grund und zur Höhe des Anspruches durchzuführen (die er nicht schuldhaft verzögern darf), und daß er vorher nicht mit Klagen des Versicherungsnehmers überzogen werden soll.
31Dies wird aus der grundlegenden Regelung des §11 Abs. 1 VVG deutlich, wonach der Anspruch eben nicht mit Eintritt des Versicherungsfalles fällig wird, sondern erst wenn der Versicherer die nötigen Erhebungen abgeschlossen hat. Deutlich ausgeprägt ist dies darüber hinaus in zahlreichen Versicherungsbedingungen anderer Versicherungszweige (s. z.B. §24 VHB 84). Daß für den Bereich der Fahrzeugversicherung etwas anderes gelten soll, läßt sich der Regelung in §15 AKB nicht entnehmen.
32Würde man dies anders sehen, so würde der Versicherer bei nicht abgeschlossenen Erhebungen zum Anspruchsgrund verfrüht in Prozesse hineingezogen werden können, weil dann bei Klagen, die die Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers zum Ziele haben, im Rechtsstreit geklärt werden müßte, ob der Versicherungsanspruch dem Grunde nach gegeben ist. Es müßten dann die nötigen Erhebungen erstmals durch das Gericht vorgenommen werden, die nach §11 Abs. 1 VVG gerade der Versicherer vor seiner Entscheidung durchführen können soll.
334.
34Ebenfalls unbegründet ist die mit dem Hilfsantrag verfolgte Klage auf Zahlung eines Vorschusses. §15 Abs. 1 S. 2 AKB setzt nämlich ebenfalls voraus, daß der Grund des Anspruchs außer Streit ist. Dies ist allgemeine Meinung (vgl. Stiefel/Hofmann, a.a.O. Rdnr. 9 zu §15 AKB; Prölss/Martin, VVG, 24. Aufl., Anm. 1 zu §15 AKB, Anm. 3 zu §11 VVG mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Angemessen im Sinne von §15 Abs. 1 S. 2 AKB ist ein Vorschuß nämlich nur in der Höhe, den der Versicherer mindestens zahlen muß. Das entspricht sachlich der Regelung in §11 Abs. 2 VVG. Keinesfalls darf die Abschlagszahlung die vermutlich zu zahlende Gesamtentschädigung übersteigen. Deshalb ist bei noch offenem Anspruchsgrund ein Vorschußanspruch nicht gegeben.
355.
36Die Kostenentscheidung beruht auf §97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §708 Nr. 10, 713 ZPO. Das Urteil beschwert den Kläger um weniger als 40.000,00 DM.
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