Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 4 Ss 888/95
Tenor
1.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Tatvorwürfe aus der Nachtragsanklage vom 6. April 1995 betrifft (Vorwürfe des zweifachen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen in ... im Zeitraum Januar bis März 1994). Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2.
Im übrigen wird das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die nicht unter Nr. 1.) überbürdeten Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brilon zurückverwiesen.
1
Gründe:
2Das Amtsgericht Brilon hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen erlaubnislosen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen" und des "gewerbsmäßigen erlaubnislosen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 43 Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
3Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
41.
5Soweit der Angeklagte wegen "gewerbsmäßigen erlaubnislosen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln" in den in der Beschlußformel zu 1) näher bezeichneten zwei Fällen verurteilt worden ist, ist das Verfahren wegen eines Prozeßhindernisses einzustellen, weil es hinsichtlich der zugrundeliegenden Taten an einem wirksamen Einbeziehungsbeschluß nach §266 Abs. 1 StPO fehlt. Die Staatsanwaltschaft hat bezüglich dieser Taten in der Hauptverhandlung am 6. April 1995 Nachtragsanklage erhoben. Zwar hat das Schöffengericht die Nachtragsanklage durch Beschluß von demselben Tage in das Verfahren einbezogen. Dieser Beschluß ist jedoch unwirksam. Die Einbeziehung setzt voraus, daß der Angeklagte ihr ausdrücklich und eindeutig zustimmt (§266 Abs. 1, letzter Teilsatz StPO). Daran fehlt es hier. Es genügt hierzu nicht, daß der Angeklagte insoweit lediglich keine Einwendungen erhebt und sich darauf beschränkt, von seinem Recht auf Unterbrechung der Hauptverhandlung nach §266 Abs. 3 StPO Gebrauch zu machen. Die nach §266 Abs. 1 StPO erforderliche Zustimmung des Angeklagten - eine verfahrensrechtliche Willenserklärung - gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens (§273 Abs. 1 StPO), die nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (§274 Satz 1 StPO) (vgl. BGH, NJW 1984, 2172 m.w.N.; KK-Hürxthal, StPO, §266 Rn. 71). Danach ist die Verfahrensrüge (vgl. BGH, MDR 77, 784; KK a.a.O., Rn. 11) des Angeklagten begründet, denn dem Hauptverhandlungsprotokoll kann nicht entnommen werden, daß der Angeklagte der Einbeziehung der Nachtragsanklage zugestimmt hat. Das Protokoll sagt hierüber nichts aus.
6Die fehlende Zustimmung führt zur Einstellung des Verfahrens, weil insoweit mangels wirksamen Einbeziehungsbeschlusses ein auf die Verfahrensrüge zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis besteht (vgl. auch BGH, Beschluß vom 24. August 1995 in 4 StR 279/95; BGH, MDR 1977, 1984 (bei Holz); Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl., §266 Rn. 14; KMR-Paulus, StPO, §266 Rn. 12; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer, StPO, §266 Rn. 14 und 17). Umstände, die es ermöglichen könnten ausnahmsweise von der Einstellung des Verfahrens abzusehen, sind nach Lage des Falles hier nicht gegeben (vgl. insoweit z.B. auch KK-Hürxthal, §266 Rn. 7; BGH, NJW 1984, 2172 = JR 1985, 126 mit zustimmender Anm. v. Gollwitzer; BGH, NJW 1990, 1055; BGH, NJW 1970, 904).
7Die Kostenentscheidung bezüglich des eingestellten Verfahrensteils beruht auf §467 Abs. 1 StPO.
82.
9Im übrigen führt die Revision bereits auf die Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, so daß es eines Eingehens auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts nicht bedarf.
10Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung den Dolmetscher ... hinzugezogen. Es hat diesen zu Beginn der Hauptverhandlung zwar belehrt, aber nicht vereidigt. Der Dolmetscher hat auch nicht etwa unter Berufung auf einem etwa allgemein geleisteten Eid versichert, daß er treu und gewissenhaft übertragen werde. Diesen Verfahrensmangel rügt die Revision zu Recht.
11Durch §189 GVG ist die Beeidigung eines nach §185 GVG zugezogenen Dolmetschers zwingend vorgeschrieben. Die Nichtvereidigung ist ein Verfahrensverstoß, der weder durch Rügeverzicht geheilt (etwa durch widerspruchslose Entgegennahme der Übersetzung) noch durch sonstiges Verhalten (etwa durch einen hier wohl in Anlehnung in §79 StPO erklärten Verzicht aller Prozeßbeteiligten auf die Vereidigung des Dolmetschers) verwirkt ist (vgl. BGH, NJW 1987, 260, 261). Im übrigen haben im vorliegenden Verfahren offenbar alle Beteiligten die zwingende Bestimmung des §189 GVG übersehen, so daß auch deshalb ein bewußter Verzicht des Angeklagten auf ein ihm zustehendes Verfahrensrecht ausscheidet (vgl. auch OLG Hamm, VRS 20, 68, 69).
12Auf diesem Verfahrensmangel kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß bei Hinzuziehung eines vereidigten Dolmetschers infolge einer deswegen gewissenhafteren Übersetzung der Vorgänge während der Beweisaufnahme die Sachverhaltsaufklärung zu anderen, dem Angeklagten günstigeren Feststellungen und hiernach zu einer anderen Entscheidung des Gerichts geführt hätte.
13Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß ggf. das Wort "gewerbsmäßig" nicht in den Schuldspruch aufzunehmen ist. Das gewerbsmäßige Handeltreiben i.S.d. §29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG geht in dem Verbrechenstatbestand des §29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auf (vgl. BGH, NStZ 1994, 39).
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