Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 35 U 92/97
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. September 1997 verkündete Urteil der V. Kammer für Handelssa-chen des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 19.000,00 DM abzuwenden, sofern nicht der Beklagte zuvor Sicher-heit in gleicher Höhe, die auch durch eine selbst-schuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse er-bracht werden darf, leistet.
Das Urteil beschwert die Klägerin um mehr als 60.000,00 DM.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Frage, ob der zwischen ihnen abgeschlossene Handelsvertretervertrag durch die vom Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung beendet worden ist.
3Die Klägerin war aufgrund des Vertrages vom 11.05.1988 (Bl. 6 d. A.) für die Beklagte als Handelsvertreterin tätig. Zu ihren Aufgaben zählte neben der Vermittlung von Versicherungsverträgen die Mithilfe bei der Meldung und Feststellung von Versicherungsschäden sowie die Verpflichtung, dem Beklagten alle Umstände mitzuteilen, die auf einen Mißbrauch der Versicherung durch den Versicherungsnehmer hindeuten (II Ziffer 4, 5 des Vertrages).
4Im März 1995 erlitten der Versicherungsnehmer A, im Juni 1995 der Versicherungsnehmer N mit ihren beim Beklagten teilkaskoversicherten Pkws einen Verkehrsunfall, die beide in den unter Mithilfe der Klägerin gefertigten Schadensmeldungen als Wildschaden deklariert und von dem Beklagten reguliert wurden.
5Mit dem Schreiben vom 11.12.1996 (Bl. 16 d. A.) kündigte der Beklagte den Handelsvertretervertrag aus wichtigem Grund, weil die Klägerin gewußt habe, daß beide Schadensfälle von den Versicherungsnehmern selbst verschuldet worden seien und sie das pflichtwidrig dem Beklagten nicht mitgeteilt habe.
6Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit der Klage. Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen, der Verkehrsunfall mit dem Pkw des Versicherungsnehmers A sei tatsächlich durch Wild verursacht worden. Ihr sei nicht bekannt gewesen, daß die Unfallschilderung des Versicherungsnehmers N nicht der Wahrheit entsprochen habe und dessen Fahrzeug tatsächlich nicht durch den Zusammenstoß mit einem Fuchs ins Schleudern gekommen sei. Da der Beklagte zu Unrecht gekündigt habe, müsse er ihr den durch die sofortige Kündigung entstandenen Provisionsausfall erstatten (7 Monate x 7.203,00 DM). Zusätzlich habe sie einen Anspruch auf einen noch zu beziffernden Handelsvertreterausgleich.
7Die Klägerin hat beantragt,
81.
9festzustellen, daß die fristlose Kündigung vom 11.12.1996 unwirksam ist,
102.
11den Beklagten zu verurteilen, an sie 50.421,00 DM nebst 4 % Zinsen ab 30.06.1997 zu zahlen.
12Der Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er hat im wesentlichen behauptet, die Klägerin habe ihren früheren Mitarbeiterinnen, den Zeugen S und N2 erzählt, daß die beiden Unfälle nicht durch Wild verursacht worden seien, aber als Wildschaden bei der Beklagten gemeldet worden seien um zu erreichen, daß sie den Versicherungsnehmer aufgrund der für beide Kraftfahrzeuge abgeschlossenen Teilkaskoversicherungen die Schäden ersetzen müsse. Der Zeuge N habe den Versicherungsbetrug inzwischen eingeräumt.
15Das Landgericht hat die Zeugen S, N2, A und N vernommen (Bl. 54 ff. d. A.) und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, wie sich der Verkehrsunfall mit dem Pkw des Versicherungsnehmers A ereignet habe. Die Kündigung aus wichtigem Grund sei schon deshalb gerechtfertigt, weil die Klägerin bei dem Schadensfall N gegenüber dem Beklagten falsche Angaben gemacht habe. Durch die Aussagen der Zeugen N und N2 sei bewiesen worden, daß der Klägerin vom Zeugen N der wahre Unfallhergang geschildert worden sei, nämlich, daß der Zeuge infolge eines entgegenkommenden Fahrzeugs mit seinem Pkw von der Fahrbahn abgekommen sei, und daß die Klägerin den Zeugen N auf den Gedanken gebracht habe, den Unfall als Wildschaden darzustellen, um Ansprüche aus der Teilkaskoversicherung herleiten zu können.
16Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie trägt im wesentlichen vor, der Zeuge N habe sie noch am Unfalltag abends aufgesucht und ihr aufgeregt von dem Schaden berichtet. Auf ihre Frage, ob ihm ein Tier, ein Hase oder so etwas ins Auto gelaufen sei, habe der Zeuge geantwortet, es sei ein Hase über die Fahrbahn gekommen. Schon bevor der Zeuge zu ihr gekommen sei, habe dieser den Jagdpächter angerufen gehabt und diesen davon unterrichtet, daß sich in seinem Revier ein Wildunfall ereignet habe, an dem ein Fuchs beteiligt gewesen sei. Der Unfall mit dem Pkw des Zeugen A sei tatsächlich durch Wild verursacht worden. Sie selbst sei damals mit ihrem Pkw hinter dem Fahrzeug des Zeugen A, das von dessen Ehefrau gesteuert worden sei, hergefahren und habe unmittelbar vor dem Unfall einen Schatten über die Fahrbahn laufen sehen. Als sie die Ehefrau des Zeugen A nach dem Unfall darauf angesprochen habe, habe diese ihr geantwortet, ihr sei so, als sei ein Tier über die Fahrbahn gelaufen. Die Aussagen der Zeugen S, N2 und N seien falsch.
17Die Klägerin beantragt,
18das erstinstanzliche Urteil abzuändern und nach den Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen.
19Der Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und trägt im wesentlichen vor, die Klägerin habe die Versicherungsnehmer auf den Gedanken gebracht, falsche Anzeigen bei den Versicherungsanzeigen zu machen und sie bei der Durchsetzung der tatsächlich nicht begründeten Versicherungsansprüche unterstützt.
22Wegen des Sachvortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, die überreichten Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen. Die Akte 207 JS 16216/97 StA Nürnberg-Fürth hat vorgelegen. Durch den Einzelrichter des Senats sind die Zeugen N und N2 vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll Bezug genommen (Bl. 137 d. A.).
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Entscheidungsgründe:
25Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet, denn die Beklagte hat die fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages zu Recht ausgesprochen.
261.
27Nach § 89 a HGB kann ein Handelsvertretervertrag durch Kündigung vorzeitig beendet werden, sofern ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem Kündigenden unzumutbar macht, bis zum Ablauf der vereinbarten oder gesetzlichen Kündigungsfrist oder bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer am Vertrag festzuhalten. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn dem Kündigenden bei gerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages bis zu dem durch fristgerechte Kündigung herbeigeführten oder von vornherein vereinbarten Vertragsablauf mit Rücksicht auf die im Einzelfall vorliegenden besonderen Umstände sowie auf Wesen und Zweck eines Handelsvertretervertrages und die durch ihn begründeten Rechten und Pflichten beider Parteien nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist (Küstner/v. Manteufel, Außendienstrecht, Band 1, 2. Aufl., Rn. 1706 m.N.). Ein wichtiger Grund zur Kündigung durch den Unternehmer ist angenommen worden, wenn der Handelsvertreter sich eines Betrugsversuchs zu Lasten des Unternehmers schuldig gemacht hat und dadurch das zwischen Unternehmer und Handelsvertreter erforderliche Vertrauensverhältnis unheilbar zerrütet worden ist (Küstner/v. Manteufel, a.a.O., Rn. 1855 m.N.). Deshalb ist auch angenommen worden, daß eine Versicherung zur fristlosen Kündigung des Versicherungsvertreters berechtigt ist, wenn dieser seine sich aus dem Handelsvertretervertrag ergebenden Aufgaben und Pflichten nachhaltig verletzt, wenn er etwa Tatsachen, welche eine geringere Bewertung des vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Schadens rechtfertigen, der Versicherung nicht mitteilt (Küstner/v. Manteufel, a.a.O., Rn. 1922 m.N.). Der zu entscheidende Sachverhalt ist mit den genannten Fällen vergleichbar.
28a)
29Die Klägerin hat bewußt bei dem Versicherungsbetrug des Zeugen N mitgewirkt, um diesen die Möglichkeit zu eröffnen, aus der Teilkaskoversicherung nicht gerechtfertigte Versicherungsleistungen vom Beklagten zu erhalten.
30Daß es sich bei dem Verkehrsunfall nicht um einen Wildschaden gehandelt hat, steht aufgrund der insoweit glaubhaften Aussage des Zeugen N über den tatsächlichen Unfallhergang fest und wird von der Klägerin auch nicht mehr in Zweifel gezogen. Der Klägerin war der wahre Unfallhergang auch bekannt. Das wird zur Überzeugung des Senats durch die Bekundung der Zeugin N2 bewiesen, die vor dem Senat eine glaubhafte, in sich schlüssige, bei ihren mehrfachen Vernehmungen gleichbleibende und widerspruchslose Aussage gemacht hat. Die Zeugin hat geschildert, daß sie bei einem Besuch, den der Zeuge N kurze Zeit nach dem Verkehrsunfall bei der Klägerin gemacht hat, zufällig zugegen gewesen ist und daß sie mitangehört hat, wie der Zeuge N der Klägerin den wahren Unfallhergang geschildert hat, nämlich daß er einem entgegenkommenden Fahrzeug mit seinem Pkw ausgewichen ist und dadurch von der Fahrbahn abgekommen ist. Weshalb die Zeugin N2, die bei der Vernehmung durch den Einzelrichter einen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat und erkennbar bemüht war, nur die Tatsachen auszusagen, an die sie sich noch zuverlässig erinnern konnte, die Unwahrheit sagen sollte, ist nicht erkennbar und wird von der Klägerin auch nicht aufgezeigt. Das Vorbringen der Klägerin, die Zeugin N2 sei naiv und habe sich durch die vom Amtsgericht vernommene Zeugin S beeinflussen lassen, liegt neben der Sache. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Aussage der Zeugin S, die bei ihrer Vernehmung durch das Landgericht von einem späteren Gespräch zwischen der Klägerin und ihr über die Schadensfälle N und A berichtet hat, gefolgt werden kann oder nicht. Jedenfalls ist nicht erkennbar, weshalb die Zeugin N2 sich einer Falschaussage - so die Klägerin - der Zeugin S anschließen sollte und weshalb die Zeugin N2 das von ihr geschilderte Gespräch zusätzlich erfunden haben sollte. Für die Richtigkeit der Aussage der Zeugin N2 spricht auch die Tatsache, daß sie im Rahmen ihrer Tätigkeit im Büro der Klägerin mit der Abwicklung des Schadensfalls N befaßt gewesen ist. Die von der Klägerin aufgestellte Vermutung, der Zeuge N könnte der Zeugin N2 den wahren Unfallhergang geschildert haben und diese könnte die Ereignisse verwechseln und meinen, die wahre Unfallschilderung sei in Gegenwart der Klägerin erfolgt, überzeugt nicht. Die Zeugin hat den Hergang des Geschehens noch genau in Erinnerung und ihr hatte sich auch eingeprägt, daß der ihr später von der Klägerin mitgeteilte Schadenshergang - nämlich daß ein Fuchs über die Fahrbahn gelaufen war - ihr so ungewöhnlich erschienen war, daß sie geäußert hatte, das müsse ein großer Fuchs gewesen sein. Die Aussagen der Zeugen N und S stehen zu der Bekundung der Zeugin N2 nicht im Widerspruch. Ob der Zeuge N, wie die Klägerin in der zweiten Instanz behauptet, den Verkehrsunfall schon am Tag des Schadensereignisses beim Jagdpächter als Wildschaden gemeldet hat oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Wenn das der Fall gewesen sein sollte, so wäre das nur ein Indiz dafür, daß der Zeuge N selbst auf den Gedanken gekommen ist, den Verkehrsunfall als Wildschaden darzustellen. Dadurch würde aber nicht die Aussage der Zeugin N2 in Zweifel gezogen, daß der Zeuge N der Klägerin den wahren Unfallhergang geschildert hat. Fest steht jedenfalls, daß die Klägerin die mit einem Computer geschriebene Schadensmeldung erst abgab, als sie der Zeuge von dem wahren Unfallhergang bereits informiert hatte. Die Schadensmeldung erfolgte nämlich erst nach der Mitteilung der Klägerin an die erstaunte Zeugin N2, dem Zeugen sei ein Fuchs über den Weg gelaufen.
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b)
33Die Klägerin hat auch beim Schadensfall A falsche Angaben gegenüber den Beklagten über das Unfallgeschehen gemacht. Der Klägerin war nämlich bekannt, daß die in der Schadensanzeige aufgestellte Behauptung, aus dem Wald sei ein Reh auf die Fahrbahn gelaufen und es sei zu einer Berührung zwischen dem Pkw und dem Tier gekommen, falsch war. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat weder die Klägerin noch ein anderer Zeuge ein Reh gesehen. Die Klägerin, die nach ihrer Darstellung mit dem eigenen Pkw hinter dem Unfallfahrzeug hergefahren ist, hat "einen Schatten über die Fahrbahn laufen sehen" Die Ehefrau des Zeugen A, von welcher der verunglückte Pkw gesteuert worden war, hat der Klägerin direkt nach dem Unfall auf deren Frage erklärt, "ihr sei so, als sei ein Tier über die Fahrbahn gelaufen". Der Zeuge A hat nach seiner Aussage vor dem Landgericht auf dem Beifahrersitz zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls geschlafen. Das war der Klägerin nach ihrem Sachvortrag im Berufungsverfahren auch bekannt. Die Klägerin wußte auch, daß die Polizeiinspektion O nicht bereit gewesen war, einen Wildunfall zu bescheinigen, weil bei dem Gespräch des zuständigen Polizeibeamten mit Frau A, der Klägerin und Herrn C, der im Kraftfahrzeug der Klägerin mitgefahren war, nicht festgestellt werden konnte, daß es sich um einen Wildschaden gehandelt hat. Dennoch hat die Klägerin die Schadensanzeige mit den aus ihrer Kenntnis ersichtlich falschen Angaben über den Schadensverlauf kommentarlos an die Beklagte weitergeleitet. Darüber hinaus hat die Klägerin mit dem Schreiben vom 04.04.1995 auf die Nachfrage des Beklagten die falschen Angaben zum Unfallhergang wider besseres Wissen ausdrücklich bestätigt. Sie hat nämlich angegeben, sie habe gesehen, daß ein Reh über die Fahrbahn gelaufen sei. Hinzu kommt, daß die Klägerin nach der unwidersprochen gebliebenen Aussage des Zeugen A vor dem Amtsgericht diesem bei der Formulierung seines Schreibens vom 31.03.1995 an den Beklagten geholfen hat. Auch in diesem Schreiben wird die Unfallschilderung in der Schadensanzeige wiederholt, und zwar als eigene Wahrnehmung des Herrn A. Dabei hat der Zeuge A das Unfallgeschehen selbst nicht wahrgenommen. Das war der Klägerin auch bekannt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin schon bei der Abfassung des Schreibens vom 31.03.1995 gewußt hat, daß der Zeuge A geschlafen hatte oder ob ihr das erst später bekannt war. Auch im letzteren Fall hätte sie die Beklagten unterrichten müssen.
34c)
35Die Klägerin hat damit in schwerwiegender Weise gegen ihre Pflichten aus dem Handelsvertretervertrag verstoßen und damit das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten zerstört. Der Beklagte muß sich darauf verlassen können, daß die Klägerin ihr bei der Schadensfeststellung alle wesentlichen Umstände mitteilt und weder Tatsachen unterdrückt noch bewußt falsche Behauptungen aufstellt. Die Klägerin hat die von ihr gemeldeten Schadensfälle bewußt falsch dargestellt. Daß der Klägerin bekannt gewesen ist, daß diese Tatsachen für die Bearbeitung der Schadensfälle durch die Beklagten von grundlegender Bedeutung gewesen sind, kann nicht zweifelhaft sein.
362.
37Wegen des Fehlverhaltens der Klägerin ist es dem Beklagten unzumutbar, weiter an dem Handelsvertretervertrag festzuhalten. Gemäß IV Ziffer 1 des Handelsvertretervertrages war eine ordentliche Kündigung erst mit einer Frist von 6 Monaten zum Halbjahresschluß möglich. Der Vertrag hätte also bei einer ordentlichen Kündigung noch bis zum 30.06.1997 fortbestanden. Das war dem Beklagten bei der Schwere der Pflichtverletzungen der Klägerin nicht zuzumuten. Gerade weil es nicht ungewöhnlich ist, daß Versicherungsnehmer bei der Darstellung der Schadensfälle falsche Angaben machen, um Versicherungsleistungen zu erschleichen, muß sich das Versicherungsunternehmen auf seine Handelsvertreter bei der Bearbeitung von Schadensfällen verlassen können. Muß ein Versicherungsunternehmen feststellen, daß sein Versicherungsunternehmer die Versicherten bei der Darstellung falscher Schadensabläufe unterstützt, so führt das zu einer völligen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, weil das Versicherungsunternehmen sich nicht sicher sein kann, daß es sich nur um abgeschlossene Einzelfälle handelt. Das Versicherungsunternehmen muß vielmehr damit rechnen, daß der Handelsvertreter sich auch in anderen Fällen in Zukunft pflichtwidrig verhalten wird, und zwar nicht nur bei der Schadensabwicklung, sondern auch etwa bei der Vermittlung und bei der Betreuung von Versicherungsverträgen.
38Die dadurch für den Beklagten eintretende Gefährdung seiner Interessen läßt sich nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen ausräumen. Eine Überwachung der Klägerin, wie diese das vorschlägt, erscheint nicht möglich. Der Beklagte ist gerade, weil die Klägerin im Außendienst mit Kundenkontakt arbeitet, darauf angewiesen, von der Klägerin zutreffende und richtige Informationen zu erhalten. Deshalb würde eine Überwachung erfordern, daß der Beklagte einen Mitarbeiter beauftragt, durch den die Tätigkeit der Klägerin ständig kontrolliert wird. Das kann von der Beklagten aber nicht verlangt werden. Die Interessen der Beklagten hätten sich auch nicht dadurch wahren lassen, daß der Klägerin die Bearbeitung von Schadensfällen entzogen worden wäre. Wie ausgeführt, ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten grundlegend zerstört, weil sie damit rechnen mußte, daß die Klägerin sich auch in anderen Bereichen ihrer Tätigkeit pflichtwidrig verhalten würde.
39Eine abweichende Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte die fristlose Kündigung an den Verband meldet und weil eine AVAD-Eintragung für die Klägerin die Aufnahme einer Tätigkeit als Versicherungsvertreterin für eine andere Versicherung erheblich erschwert. Die Meldung der fristlosen Kündigung an den Verband diente dazu, nicht nur Versicherungen bei der Neueinstellung von Mitarbeitern sondern auch die Kunden der Versicherungen vor unzuverlässigen Versicherungsvertretern zu schützen. Hierbei handelt es sich um ein berechtigtes Interesse der Versicherungswirtschaft. Dadurch bedingte Nachteile für die Handelsvertreter sind zwangsläufig und von diesen leicht dadurch zu vermeiden, daß sie schwere Pflichtverstöße zum Nachteil der Versicherungsunternehmen nicht begehen. Daß die Klägerin im Interesse einer sachgerechten Betreuung der Versicherungsnehmer unter den Folgen ihrer Pflichtverstöße zu leiden hat, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Jedenfalls in einem Fall wie dem zu entscheidenden, in dem der Handelsvertreter bewußt bei falschen Angaben über den Schadensablauf zum Nachteil des Versicherungsunternehmens mitwirkt, können die Auswirkungen der AVAD-Eintragung einer fristlosen Kündigung nicht entgegenstehen.
40Die Tatsache, daß die Beklagte an den Zeugen N nur den halben Schadensbetrag ausgezahlt hat, führt nicht zu einer milderen Beurteilung des Pflichtverstoßes der Klägerin. Hätte die Klägerin, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, den Beklagten über den wahren Schadensablauf unterrichtet, so wären Zahlungen gar nicht erfolgt.
41Schließlich steht der Kündigung aus wichtigem Grund auch nicht entgegen, daß die Klägerin, wie sie meint, nicht im eigenen Interesse gehandelt hätte. Die Klägerin hat dem Beklagten, und das ist ausschlaggebend, Schaden zugefügt, zumindest die Vermögensinteressen des Beklagten nachhaltig gefährdet. Ihr Verhalten ist auch nicht selbstlos erfolgt, denn es liegt auf der Hand, daß ein Handelsvertreter dem Kunden in solchen Fällen nicht uneigennützig hilft, sondern im eigenen Interesse, nämlich um die Bindung des Kunden an den Handelsvertreter zu festigen.
423.
43Mit dem Vortrag, die Kündigung sei verspätet erfolgt und deshalb unwirksam, dringt die Klägerin nicht durch.
44Eine Kündigungsfrist ist bei der Kündigung aus wichtigem Grund nicht einzuhalten. Der Berechtigte kann sein Kündigungsrecht allerdings verwirken, wenn er nach Ablauf einer angemessenen Überlegungsfrist die Tätigkeit des Handelsvertreters weiter zuläßt, ohne die Kündigung auszusprechen (Münchener Kommentar, HGB (v. Hoyningen-Huene) § 89 a, Rn. 66; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., § 89 a, Rn. 30). Nach dem unwiderlegten Vortrag des Beklagten haben seine Mitarbeiter erst Ende November 1996 durch ein Gespräch mit den Zeuginnen N2 und S von Pflichtverstößen der Beklagten erfahren. Diesen Angaben ist nachgegangen worden und schon im Dezember 1996 hat der Beklagte gekündigt.
45Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt ihr Fehlverhalten auch nicht solange zurück, daß daraus im Dezember 1996 nicht mehr auf eine Unzuverlässigkeit der Klägerin hätte geschlossen werden können. Beide Fälle haben sich 1995 ereignet. Bis zur Kündigung war also nur etwas mehr als ein Jahr vergangen. Bei so schweren Pflichtverstößen, wie die Klägerin sie begangen hat, mußte die Beklagte auch nach dem Ablauf dieser Zeit Mißtrauen gegen die Zuverlässigkeit der Klägerin haben.
464.
47Da die Kündigung der Beklagten rechtmäßig erfolgt ist, war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
48Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 a, § 92, § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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