Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 VAs 1/99
Tenor
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbe-gründet kostenpflichtig verworfen.
Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde vom Landgericht Wuppertal am 27. Mai 1993 wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit jeweils gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung mit Todesfolge, erpresserischem Menschenraub, schwerem Raub und schwerer räuberischer Erpressung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Betroffenen war in diesem Verfahren zur Last gelegt worden, in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1992 gemeinsam mit zwei türkischen Mittätern einen 71-jährigen wohlhabenden Rentner in einer Gaststätte in ihre Gewalt gebracht und sodann seines Bargeldes und seiner Auto- und Wohnungsschlüssel beraubt zu haben. Aus der Wohnung des Opfers wurden Elektrogeräte, Schecks, Scheckkarten, Sparbücher und die Kraftfahrzeugpapiere entwendet. Nachdem das Opfer gezwungen worden war, die Scheckformulare zu unterschreiben, tötete einer der Mittäter dem gemeinsamen Tatplan entsprechend das Opfer, indem er es erwürgte. Das Schwurgericht hat dazu ergänzend festgestellt, daß bei dem Betroffenen die besondere Schwere der Schuld zu bejahen sei.
3Mit Schreiben vom 6. Januar 1997 hat der Betroffene einen Antrag auf Überstellung in die Türkei gestellt und dazu ausgeführt:
4"Hiermit beantrage ich, gemäß dem Transferübereinkommen zur weiteren Verbüßung der hier gegen mich verhängten Freiheitsstrafe in mein Heimatland Türkei überstellt zu werden."
5Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat den Antrag abschlägig beschieden und dazu ausgeführt:
6"
7...
8Nach Abwägung Ihrer Belange, namentlich Ihres Resozialisierungsinteresses, und der dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke habe ich ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung an die türkischen Behörden nicht angeregt. Denn die besondere Schwere Ihrer Schuld gebietet unter Hintanstellung Ihres Resozialisierungsinteresses eine Vollstreckungsdauer von deutlich über 15 Jahren. Eine Erklärung der türkischen Behörden über eine entsprechende Dauer der Vollstreckung im vorliegenden Fall war jedoch nicht zu erlangen."
9Der Betroffene hat diese Entscheidung in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten und dazu ausgeführt, daß "sich alle sozialen Bindungen in der Türkei befinden". Er habe in der JVA B keinen Anlaß zur Beanstandung gegeben; auch müsse er damit rechnen, in der Türkei aufgrund der hier ergangenen Verurteilung eine Freiheitsstrafe von mindestens 16 Jahren und 2 Tage zu verbüßen. Damit werde dem Aspekt der Schuldschwere ausreichend Rechnung getragen.
10Die Generalstaatsanwaltschaft hat den als Beschwerde anzusehenden Antrag des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen und dazu u.a. folgendes ausgeführt:
11"Bei meiner Entschließung habe ich die dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke in Rechnung gestellt und gegenüber Ihren persönlichen Belangen, namentlich Ihrem Resozialisierungsinteresse, abgewogen. Dabei habe ich insbesondere den Strafzweck der Generalprävention berücksichtigt, nach dem durch die Verbüßung eines großen Teils der Strafe potentielle Straftäter abgeschreckt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts gewahrt werden sollen. In meine Ermessens-
12entscheidung habe ich auch die Vollstreckungspraxis des Vollstreckungsstaates einbezogen.
13In Anbetracht der erheblichen Schuld, die in der Verurteilung durch das Landgericht Wuppertal vom 27. Mai 1993 zum Ausdruck gekommen ist, sowie in Ansehung der üblichen Praxis der Vollstreckung in der Türkei ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Wuppertal nicht zu beanstanden. Nach türkischem Recht ist die bedingte Entlassung eines zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten bereits nach Verbüßung von 16 Jahren und 2 Tagen Freiheitsstrafe bei guter Führung vorgesehen. Nach deutschem Recht jedoch ist in einem Fall wie dem Ihren, in dem die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches durch das Urteil festgestellt worden ist, mit einer Vollstreckungsdauer von deutlich mehr als 15 Jahren zu rechnen. Eine Entlassung bereits nach 16 Jahren und 2 Tagen widerspräche den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Strafrecht verfolgten Zwecken und würde den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen.
14Den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Recht verfolgten Zwecken ist aus den aufgezeigten Gesichtspunkten der Vorrang vor Ihren persönlichen Belangen beizumessen, deren Beeinträchtigung sich als selbstverschuldete Folge schwerwiegender Straftaten darstellt."
15Gegen diese Entschließungen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
16Die Zulässigkeit des Antrags ergibt sich aus §§ 23 ff. EGGVG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom
1718. Juni 1997 (NJW 1997, S. 3013) festgestellt, daß die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung nicht anzuregen, sich als Rechtsakt mit unmittelbarer Außenwirkung für den Betroffenen darstellt und sich damit auch auf das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten auswirkt. Daraus folge zugleich, daß ein gerichtlicher Rechtsschutz, zu überprüfen, ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, nicht verwehrt werden darf (Art. 19 Abs. 4 GG). Mangels anderweitiger Rechtsbehelfsmöglichkeiten ist hierfür der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. Senatsbeschluß vom 29. Januar 1998 - 1 VAs 7/98 -; Senatsbeschluß vom 14. Juli 1998 - 1 VAs 31/98 -).
18Daraus folgt, daß die staatsanwaltschaftlichen Entschließungen für den Betroffenen und das Gericht die Nachprüfung ermöglichen müssen, ob die Behörde das ihr zustehende Ermessen rechts-fehlerfrei ausgeübt hat. Insbesondere muß erkennbar sein, daß die Staatsanwaltschaft den ihr eingeräumten Ermessensspielraum eingehalten und dabei von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und daß sie alle zu berücksichtigenden Umstände abgewogen und in ihrer Ent-
19schließung einbezogen hat. Diesen Anforderungen werden die Entschließungen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls im vorliegenden Fall noch gerecht, weil der Betroffene in seinem Antrag vom 6. Januar 1997 keine Gründe dafür vorgetragen hat, warum eine Strafverbüßung in der Türkei seine Resozialisierung besser gewährleisten könnte. Auch der Beschwerdebegründung sowie seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist dazu lediglich zu entnehmen, daß sich "alle sozialen Bindungen in der Türkei befinden." Um welche Bindungen es sich dabei handelt, wird von dem Betroffenen, der sich seit 1975 in Deutschland befindet und in X die Hauptschule besuchte, nicht vorgetragen. Hinzu kommt, daß nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt B davon ausgegangen werden kann, daß sich die Familienangehörigen des Betroffenen in Deutschland befinden und nur im Falle seiner Überstellung in die Türkei zurückkehren würden. Auch aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, warum die Resozialisierung des Betroffenen, der wegen seines langen Aufenthalts in Deutschland auch im Vollzug keinen besonderen Schwierigkeiten als Ausländer unterworfen ist, durch eine Überstellung in die Türkei gefördert werden könnte. Deshalb ist es im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise nicht zu beanstanden, daß die Staatsanwaltschaft auf die von dem Betroffenen behaupteten sozialen Bindungen in ihrer Abwägung nicht näher eingegangen ist.
20Im übrigen hat die Generalstaatsanwaltschaft aber auch zu Recht darauf abgestellt, daß der Betroffene damit rechnen kann, im Falle seiner Überstellung bei guter Führung in der Türkei nur 16 Jahre und 2 Tage in der Strafhaft verbleiben zu müssen. Das Schwurgericht hat hingegen mit nachvollziehbaren Erwägungen die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht. Es erscheint unter diesen Umständen fernliegend, daß der Betroffene im Falle der Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland bereits nach 16 Jahren wieder in die Freiheit entlassen würde. Daraus folgt, daß der Betroffene - würde man seinem Antrag entsprechen -, durch die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in der Türkei eine Besserstellung erfahren würde, die ihn im Vergleich mit deutschen Straftätern, die ihre Strafe im Inland verbüßen müssen, in ungerechtfertigter Weise bevorzugen würde.
21Die Nebenentscheidung folgt aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.