Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 20 U 165/98
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. Juli 1998 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen des Schadensereignisses vom 01.01.1997 Haftpflichtver-sicherungsschutz zu gewähren.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auf-erlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000,00 DM abzu-wenden, soweit der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beiden Parteien wird nachgelassen, die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zu erbringen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt Haftpflichtversicherungsschutz aus einer von ihm bei der Beklagten abgeschlossenen Privathaftpflichtversicherung wegen eines Vorfalls in der Sylvesternacht 1996/97.
3Der Kläger hatte einen Sprengstoff entwickelt und 1969 beim Bundespatentamt angemeldet. Die besonderen chemischen Eigenschaften des Sprengstoffes ermöglichten es, daß geringe Mengen auf der bloßen Handfläche mit einer hellen Stichflamme zur Explosion gebracht werden konnten. Um das zu demonstrieren, hatte der Kläger gelegentlich kleine Mengen des Sprengstoffes hergestellt. Dies war letztmals 1995 geschehen. Ein nichtverbrauchter Rest dieses Sprengstoffes war im Keller seines Hauses in einem Schraubdeckelglas aufbewahrt. In der Sylvesternacht 1996/97 wollte er seine schon häufiger durchgeführte Demonstration auf Bitte seiner Gäste wiederholen und holte deshalb den Sprengstoff aus dem Keller. Als er mit einem Spatel eine geringe Menge vom Rand des Glases gelöst hatte und entnehmen wollte, explodierte das Glas. Dabei wurden der Kläger selbst und drei seiner Gäste zum Teil erheblich verletzt. Der Kläger wird von seinen Gästen und deren Sozialversicherungsträger auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
4Die Beklagte hält sich für leistungsfrei. Sie beruft sich auf Ziffer I der besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Privathaftpflichtversicherung, die unstreitig Gegenstand des Versicherungsvertrages sind.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Schadensfall habe sich im Rahmen einer gefährlichen und ungewöhnlichen Beschäftigung ereignet.
6Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers.
7Beide Parteien wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Kläger begehrt weiter Haftpflichtversicherungsschutz.
8Entscheidungsgründe:
9Die Berufung ist begründet.
10Die Beklagte ist nach § 1 AHB zur Gewährung von Versicherungsschutz verpflichtet. Bei dem Schadensereignis zu Sylvester 1996/97 haben sich Gefahren des täglichen Lebens ausgewirkt, die der Kläger als Privatperson gesetzt hat. Die in Ziffer I der besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen in Paranthese gesetzten und von der Einstandspflicht des Versicherers ausgenommenen Gefahren entfallen. Hier könnten allenfalls die Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung in Betracht gezogen werden. Dies ist jedoch nach Überzeugung des Senats abzulehnen.
11Es ist schon zweifelhaft und letztlich zu verneinen, ob die konkrete Einzelhandlung, für sich gesehen, ungewöhnlich und gefährlich ist. An deren Gefährlichkeit wird zwar kaum gezweifelt werden können. Es ist aber nicht ungewöhnlich, daß man sich auf Feiern auch leichtsinnig verhält. Dazu gehört gerade zu Sylvester das Abbrennen von nicht alltäglichen, selbstgefertigten und gefährlichen Feuerwerken.
12Darüber hinaus ist auch nicht entscheidend, ob die aktuelle schadenstiftende Handlung ungewöhnlich und gefährlich ist. Sie müßte in eine allgemeine Betätigung des Versicherten eingeordnet werden können, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist (BGH VersR 96, 495; 81, 271).
13Entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Beklagten ist diese allgemeine Tätigkeit nicht das Herstellen, Lagern und Abbrennen hochbrisanten Sprengstoffes in einem Wohnhaus. Bei einer solchen Wertung werden die zwar zeitlich aufeinanderfolgenden Tätigkeiten unzulässig zu einer allgemeinen Beschäftigung zusammengefaßt. Die Gefahren einer Tätigkeit wirken sich auf die Vornahme der nächsten nicht aus. So sind die Gefahren des Herstellungsprozesses mit der Fertigstellung abgeschlossen. Die der Lagerung wirkten sich bei dem Abbrand nicht mehr aus. Weiter bedingt auch nicht eine Tätigkeit die andere. Die Herstellung zieht nicht unbedingt Lagerung und Abbrand nach sind. Abbrand setzt vorherige Herstellung und Lagerung durch den Handelnden nicht voraus.
14Letztlich handelt es sich bei der Auffassung des Landgerichts um eine unzulässige Verknüpfung konkreter Einzelhandlungen zu einer Beschäftigung, die ihrerseits zu einzelfallbezogen geblieben ist und nicht auf eine allgemeine, gleichsam übergeordnete, Beschäftigung abstellt. Als solche könnte der Umgang mit Sprengstoff gesehen werden. Dieser mag gefährlich sein, ist aber nicht ungewöhnlich, wie die häufigere Anwendung im Arbeitsleben oder eben auch bei Feuerwerken beweist.
15Außerdem ist bei der Qualifikation als ungewöhnlich und gefährlich auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des Handelnden abzustellen (Prölss/Martin, Privathaftpflicht RNote 11). Der Kläger hatte hier nicht unerhebliche chemische Kenntnisse, wie aus seiner Patentanmeldung folgt. Dann aber sind chemische Experimente auch Herstellung explosiver Materialien und deren Lagerung im Keller eines Hauses, wenn es sich um kleinere Mengen handel, möglicherweise gefährlich, aber wohl kaum so selten, daß sie als ungewöhnlich eingestuft werden können. Das Abbrennen allein reicht als punktuelles Ereignis nicht aus, die Gesamttätigkeit, wenn man hier entgegen der Auffassung des Senats der Meinung des Landgerichts folgen sollte, als ungewöhnlich und gefährlich zu bezeichnen. Im übrigen ist das bewußte Verbrennen kleinerer Mengen explosiver Stoffe in Rahmen eines chemischen Experimentes nicht ungewöhnlich.
16Der Senat ist damit der Auffassung, daß weder die konkrete Einzelhandlung als ungewöhnlich einzustufen ist noch in den Rahmen einer übergeordneten Gesamttätigkeit einzuordnen ist, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist.
17Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
18Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,00 DM.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.