Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 9 U 36/02
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 6. Dezember 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsmittels werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die klagende B verlangt aus übergegangenem Recht der bei ihr unfallversicherten Rentnerin O2 (im folgenden: Versicherte) von dem beklagten Verein als Träger des Altenwohnheims G in C Schadensersatz.
3Die Versicherte lebt seit dem 06.11.1997 zusammen mit ihrem Ehemann in einem Zwei-Zimmer-Appartement in dem vorgenannten Altenwohnheim. Sie ist wegen Alterskachexie, Blasen- und Darminkontinenz sowie cerebro-vaskulärer Insuffizienz mit Desorientierung in Pflegestufe II eingeordnet. Infolge ihrer Gebrechen ist sie nicht allein geh- und stehfähig, eine eigene situative Anpassung ist ihr nicht mehr möglich und sie ist nur eingeschränkt fähig, für die eigene Sicherheit zu sorgen. Der Medizinische Dienst erkannte in seinem Gutachten vom 16.12.1997 einen täglichen Hilfebedarf der Versicherten in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität von durchschnittlich 215 Minuten an.
4Am 26. Februar 1998 stellte der betreuende Arzt im Altenwohnheim einen Oberschenkelhalsbruch bei der Versicherten fest, sie wurde mit dem Rettungswagen in die Städtischen Kliniken C verbracht, wo sie bis zum 24.03.1998 in stationärer Behandlung verblieb.
5Die Klägerin hat behauptet, die Versicherte habe sich den Oberschenkelhalsbruch bei einem Sturz aus ihrem Bett am 26.02.1998 zugezogen. Mit ihrer Klage hat sie die Kosten für die stationäre Behandlung der Versicherten einschließlich der Kosten der Krankentransporte geltend gemacht. Sie hat die Ansicht vertreten, ihr stünde ein übergegangener Anspruch aus positiver Vertragsverletzung und §§ 823, 831 BGB gegen die Beklagte zu, denn diese habe die ihr im Rahmen des Pflegevertrages obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, weil sie die Versicherte nicht vor einem Sturz bewahrt habe.
6Die Beklagte hat bestritten, daß die Versicherte aus dem Bett gefallen oder sonstwie gestürzt sei. Sie hat vielmehr behauptet, es handele sich bei dem Oberschenkelhalsbruch um einen Ermüdungsbruch.
7Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe schon zu dem angeblichen Sturz der Versicherten nicht nachprüfbar vorgetragen. Selbst wenn man davon ausginge, daß die Versicherte sich den Oberschenkelhalsbruch bei einem Sturz zugezogen habe, so sei für eine Aufsichts- oder Betreuungspflichtverletzung der Beklagten nichts dargetan.
8Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Schadensersatzansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt. Ergänzend trägt sie vor, die Versicherte sei am 26. Februar1998 morgens von dem Pflegepersonal der Beklagten vor ihrem Bett liegend vorgefunden worden, was auf einen Sturz schließen lasse. Sie meint, die Darlegungs- und Beweislast für ein pflichtgemäßes Verhalten treffe die Beklagte, weil die Versicherte den Oberschenkelhalsbruch im Pflegeheim und damit außerhalb des ihr - der Klägerin - zugänglichen Wahrnehmungsbereiches erlitten habe.
9Entscheidungsgründe:
10Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat hinreichende Tatsachen für eine haftungsbegründende Pflichtverletzung der Beklagten nicht dargetan.
11Die Darlegungs- und Beweislast für die erforderliche Aufsichts- oder Betreuungspflichtverletzung der Beklagten trifft die Klägerin. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass der Anspruchssteller alle Tatsachen behaupten und beweisen muß, aus denen sich sein Anspruch herleitet.
12Eine Beweislastumkehr, auf die die Berufungsbegründung abzielt, kommt hier nicht in Betracht.
13Nicht ausreichend für eine Beweislastumkehr sind Billigkeitgründe im Einzelfall, denn "Unbilligkeiten" als solche sind mit jeder Beweislastentscheidung verbunden. Vielmehr unterliegt eine Beweislastumkehr strengen Voraussetzungen und ist nur in den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen möglich, weil das Prozeßrisiko kalkulierbar bleiben muß, ( BGH, Urteil vom 17.12.1996, NJW-RR 1997, 892 ). Im Streitfall ist danach eine Beweislastumkehr zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen. Vielmehr stimmt der Senat der Berufung insoweit zu, als auf die Heimhaftung, um die es hier geht, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für eine Beweislastumkehr im Rahmen der Arzt- und Krankenhaushaftung ( hierzu BGH,Urteil vom 18.12.1990, VersR 1991, 310) anwendbar sind. Deren Voraussetzungen sind aber nicht dargetan. Denn eine Beweislastumkehr setzt nach der vorgenannten Entscheidung voraus, daß es um Risiken geht, die von dem Träger des Heims und dem dort tätigen Personal voll beherrscht werden können, ( BGH a.a.O.). Daß die Schädigung der Versicherten im voll beherrschbaren Gefahrenbereich der Beklagten erfolgt ist, läßt sich aber dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
14Allein der Umstand, daß die Versicherte in den Räumlichkeiten der Beklagten zu Schaden gekommen ist, besagt noch nicht, daß sich dieser Vorgang auch in ihrem beherrschbaren Gefahrenbereich abgespielt hat und zwar selbst dann nicht, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, daß die Versicherte aus ihrem Bett gestürzt ist. Denn den verantwortbaren Gefahrenbereich bestimmen die konkreten Leistungspflichten der Beklagten, nicht aber die räumlichen Eigentumsverhältnisse. Vor dem Hintergrund, daß die Beklagte der Versicherten gerade keine Rund-um-Betreuung schuldete, sondern lediglich eine Hilfeleistung bei bestimmten Tätigkeiten und auch nur in einem zeitlichen Umfang von 215 Minuten, hätte die Klägerin einen Zusammenhang zwischen den konkret geschuldeten Hilfeleistungen und der Schädigung der Versicherten derart dartun müssen, daß diese entweder anläßlich einer konkreten Hilfsmaßnahme erfolgt ist oder aber eine geschuldete Hilfeleistung verabsäumt worden ist. Es war der Klägerin auch weder unzumutbar noch von vorneherein unmöglich, einen derartigen Zusammenhang aufzuzeigen. Daß sie sich die hierzu notwendigen Informationen über den täglichen Pflegeablauf bei der Versicherten nicht hätte beschaffen können, ist nicht dargetan.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
16Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlaß, insbesondere ist die Frage nach einer Beweislastumkehr im Streitfall durch die vorstehend aufgeführte Entscheidung
17des Bundesgerichtshofs vom 18.12.1990 ( VersR 1991, 310 ) geklärt, ( § 543 Abs.2 ZPO).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.