Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 13 W 11/07
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 29.12.2006, zugestellt am 17.01.2007 wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e :
2Der Kläger (Antragsteller) will mit der von ihm beabsichtigten Klage den beklagten Verein gem. §§ 12, 13 PflVG auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch nehmen und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Dem liegt ein Verkehrsunfall des Klägers vom 12.04.2000 in K auf der X-Straße zugrunde. Dem Kläger kam auf seiner Fahrspur ein Fahrzeug entgegen, dem er nach links auswich, um eine Frontalkollision zu vermeiden; auf der Gegenfahrbahn kollidierte der Kläger mit einem anderen Pkw. Da das entgegenkommende unfallauslösende Kraftfahrzeug nicht ermittelt werden konnte, weil sich der Fahrer entfernte, wandte sich der Kläger an die Beklagte, zunächst wegen eines materiellen Schadens, dann auch wegen eines Schmerzensgeldanspruchs mit der Behauptung, er habe durch den Unfall eine Rotatorenmanschettenverletzung erlitten, durch die er einen Dauerschaden mit weitreichenden Folgen und dauernden Beeinträchtigungen erlitten habe, wegen derer er seinen Beruf als Schweißer nicht mehr ausüben könne, die ihm dauernde Beschwerden bereiteten, die sich auch im privaten Bereich auswirkten. Die vorgerichtlichen Regulierungsverhandlungen und das von dem beklagten Verein eingeleitete Schlichtungsverfahren hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Verkehrsopferhilfe ein Schmerzensgeld von 4.000,00 € und an materiellem Schaden 280,71 € anerkannt hat und insgesamt 4.280,71 € an den Antragsteller zahlte. Der Kläger will weiterhin ein Schmerzensgeld im Gesamtbetrag von 20.000,00 € geltend machen (20.000,00 € ./. 4.280,15 € = 15.719,29 €). Den zunächst auch verfolgten Anspruch auf Zahlung einer Schmerzensgeldrente will der Kläger nicht weiterverfolgen. Der beklagte Verein meint, dass ein weitergehender Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus dem Unfallereignis vom 04.12.2000 nicht bestehe, weil der Anspruch nach § 12 Abs. 2 S. 1 PflVG auch der Höhe nach eingeschränkt sei, da die Genugtuungsfunktion des Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens nach § 847 BGB in ihrer Position als Schuldner entfalle und im Übrigen die Einschränkung bestehe, dass der Anspruch nach § 12 Abs. 2 S. 1 PflVG nur in der Höhe gegeben sei, die den Ausgleich einer groben Unbilligkeit erfordere.
3Dem hat sich das Landgericht im Wesentlichen angeschlossen und ausgeführt, dass nach der Schwere der Verletzung und selbst dann, wenn die fortbestehenden Dauerbeschwerden auch schließlich auf den Unfall vom 12.04.2000 zurückzuführen seien, keinesfalls ein Schmerzensgeld über 12.000,00 € im Grundbetrag in Betracht käme, so dass der Anspruch durch die unstreitige Zahlung ausgeglichen sei und die beabsichtigte weitere Rechtsverfolgung daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
4Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde mit der Begründung, es sei rechtlich unzutreffend, den Schmerzensgeldanspruch wegen Wegfall der Genugtuungsfunktion im Verhältnis zu dem beklagten Verein von vornherein um 1/3 zu beschränken. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 € bestehe.
5II.
6Die nach §§ 127, 567, 569 statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.
7Ein über den gezahlten Betrag hinausgehendes Schmerzensgeld steht dem Antragsteller auch nach Auffassung des Senats gem. § 12 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 PflVG, § 847 BGB nicht zu. Die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 1 PflVG für einen Anspruch gegen den beklagten Verein liegen zwar vor, ein weitergehender Anspruch ist jedoch der Höhe nach nicht gerechtfertigt. Aus den in § 12 Abs. 1 S. 1 normierten Voraussetzungen des gegen den beklagten Verein zu richtenden Anspruchs ergibt sich, dass der Anspruch auch an den gesetzlichen Zweck des § 12 PflVG und die subsidiäre Eintrittspflicht der Verkehrsopferhilfe zur Vermeidung unbilliger Härte gebunden und deshalb auch der Höhe nach zu beschränken ist. Der Anspruch besteht nur insoweit, als unbillige Härten auszugleichen sind. Dies hat der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 PflVG für Ansprüche auf Schmerzensgeld ausdrücklich bestimmt. Da ein ganz anderer Schuldner in Anspruch genommen werden soll als der Schädiger selbst, liegt dem Anspruch die gesetzliche Wertung zugrunde, Ansprüche daran zu binden, soweit sie zum Ausgleich besonderer Härten erforderlich sind. Die besondere Härte liegt darin, dass ein Verkehrsopfer dann keinen Ausgleich für seine erlittene Verletzung bekäme, weil der Gegner sich seiner Verantwortung rechtswidrig entzogen hat und es deshalb dann auch nicht zur Inanspruchnahme des hinter dem Verursacher stehenden Pflichtversicherers kommt. Dies soll den Haftpflichtversicherungen nicht zugute kommen. Die Haftpflichtversicherungen bleiben im Zusammenschluss einer Art Solidargemeinschaft zum Ausgleich unbilliger Härten gegenüber Verkehrsopfern unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 PflVG verpflichtet. Die unbillige Härte i.S.d. § 12 bestünde in erster Linie darin, dass das Verkehrsopfer für die erlittenen Verletzungen wegen der Verkehrsunfallflucht des Unfallgegners nichts bekäme, weil sich dieser seiner Verantwortung entzogen hatte, wobei andererseits feststeht, dass hinter dem Verursacher ein Haftpflichtversicherer steht. Ob die unbillige Härte i.S.d. § 12 PflVG auch besonders schwere Verletzungen voraussetzt, wie dies in der Rechtsprechung teilweise vertreten wurde (vgl. LG Hamburg, VersR 77, 581; LG Darmstadt VersR 80, 365; OLG Hamm VersR 1987, 456) kann dahinstehen, da im Streitfall jedenfalls eine erhebliche Verletzung mit Dauerfolgen feststeht, wobei streitig ist, ob diese Dauerfolgen auch auf degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette beim Kläger beruhen. Der beklagte Verein hat durch die unstreitige Zahlung dem Grunde nach anerkannt, dass eine erhebliche Verletzung, die geeignet war, zu seiner Eintrittspflicht zu führen vorlag.
8Die Ablehnung eines weiteren Anspruchs kann jedoch nicht ohne weiteres darauf gestützt werden, dass mit der Zahlung von 4.000,00 € auf den immateriellen Schaden der Schmerzengeldanspruch auch deshalb ausgeglichen sei, weil für den beklagten Verein die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes entfalle. Seit langem ist anerkannt, dass der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens eine Doppelfunktion habe, nämlich die Ausgleichs- und die Genugtuungsfunktion (vgl. BGH GrZS NJW 1955, 1675; 1995, 781; RGZ 117, 118). Die Ausgleichsfunktion besteht im Wesentlichen darin, dass der Geschädigte durch die Zahlung eines Geldbetrages für immaterielle Schäden in die Lage versetzt werde, sich zur Kompensation der Beeinträchtigungen Erleichterungen und Annehmlichkeit zu verschaffen. Außerdem soll das Schmerzensgeld dem Verletzten einen Ausgleich für das erlittene deliktische Unrecht geben. Im Vordergrund steht dabei Art und Maß des gegnerischen Verschuldens, so dass die Genugtuungsfunktion insbesondere bei Vorsatz ins Gewicht fällt. Auch wenn das Schmerzensgeld dem Opfer eine gewisse Befriedigung (Satisfikation) dafür verschaffen soll, dass der Schädiger auch wegen des Grades eines Verschuldens in Anspruch genommen wird, lässt sich nach Auffassung des Senats bei Ansprüchen gegen den M e.V. die Genugtuungsfunktion nicht ohne weiteres in Zahlen herausrechnen, wie dies der Beklagte meint und zum Teil in der Rechtsprechung vertreten wird. Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens ist in keinem Fall rechenhafter Struktur, da immaterielle Schäden von vornherein nicht in Geld messbar sind und nicht exakt bestimmt werden können. Deshalb haben auch Präjudizsammlungen nur einen eingeschränkten Aussagewert und sind keinesfalls schablonenhaft anwendbar (vgl. ZfS 07, S. 10).
9Bei dem gegen den M e.V. gerichteten Anspruch ergibt sich die Bemessung im Übrigen aus Art und Schwere der Verletzung, ihrer Folgen, des Maßes der Beeinträchtigungen und der Heftigkeit der erlittenen Schmerzen, zusätzlich aus dem Zweck der Verkehrsopferhilfe, dem Ausgleich grober Unbilligkeit, die dadurch entstünde, dass, wie dargelegt, ohne dessen Eintritt das Verkehrsopfer keine Entschädigung für immaterielle Schäden bekäme. Dies vor allem rechtfertigt es, den gegen den Beklagten zu richtenden Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes auf die gezahlten 4.000,00 € zu beschränken, und zwar unabhängig davon, was nach den vorliegenden Gutachten noch offen ist, ob durch den Unfall eine Primärrotatorenmanschettenverletzung verursacht wurde oder bereits vorhandene degenerative Veränderungen erst unfallbedingt symptomatisch geworden sind.
10Nach der im PKH-Prüfungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung der Erfolgsaussichten ist daher der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.
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