Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 Vollz (Ws) 738/09
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 15. September 2009 wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Gründe:
2I.
3Gegen den Betroffenen ist die Sicherungsverwahrung angeordnet, die derzeit in der Justizvollzugsanstalt Aachen vollzogen wird.
4Seit Mitte des Jahres 2008 kam es in der Justizvollzugsanstalt Aachen in der Abteilung, in der auch der Betroffene untergebracht ist, zu mehreren Zwischenfällen im Zusammenhang mit von Sicherungsverwahrten illegal hergestelltem Alkohol. Am 19. Juni 2008 wurden in dem Haftraum eines Sicherungsverwahrten 25 Liter selbst hergestellter, destillierter Alkohol und Gegenstände, die vermutlich zur Produktion benutzt wurden, sichergestellt. Im Dezember 2008 kam es zwischen zwei Sicherungsverwahrten zu einer tätlichen Auseinandersetzung unter Alkoholeinfluss. Am 27. Juli 2009 wurde ein Sicherungsverwahrter morgens mit einem Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille in seinem Haftraum aufgefunden. Er war im alkoholisierten Zustand gegen eine Tischkante gefallen und hatte sich eine große Platzwunde am Kopf zugezogen. Aufgrund dieser Zwischenfälle hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt
5Aachen die stichprobenartige Kontrolle der Sicherungsverwahrten auf Alkoholkonsum mittels der Durchführung von Atemalkoholtests angeordnet. Diese Maßnahme sollte den Kontrolldruck erhöhen, helfen, Alkoholkonsumenten ausfindig zu machen sowie der massiven Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt und erheblichen Gesundheitsgefahren durch den Konsum des selbst hergestellten Alkohols entgegenwirken.
6Am 28. Juni 2009 wurde bei dem Betroffenen ein Atemalkoholtest mit negativem
7Ergebnis durchgeführt.
8Mit Schreiben vom 29. Juni 2009 hat der Betroffene bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und dabei beantragt, festzustellen, dass der durchgeführte Atemalkoholtest rechtswidrig war. Zur Begründung hat er ausgeführt, er fühle sich durch die ohne einen konkreten, gegen ihn gerichteten Verdacht durchgeführte Maßnahme diskriminiert. Mit weiterem Schreiben vom 29. August 2009 hat er weiter ausgeführt, gerichtliche Entscheidungen betreffend die Vornahme von Drogenkontrollen könnten nicht als Maßstab herangezogen werden, da Alkoholkonsum und Drogenkonsum nicht vergleichbar seien. Zudem ergebe sich aus Nr. 3 Satz 2 der VV zu § 22 StVollzG, dass der Einkauf alkoholischer Getränke für einzelne Anstalten und Abteilungen sowie für bestimmte Gruppen von Insassen zugelassen werden könne.
9Die Antragsgegnerin hat die Zurückweisung des Feststellungsantrags beantragt und zur Begründung ausgeführt, zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme müssten die zu der Durchführung von Urinkontrollen zur Verhinderung des Drogenmissbrauchs von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden. Die Alkoholkontrolle mittels Atemalkoholtest stelle auch keinen schwerwiegenderen Eingriff dar als eine Urinkontrolle. Angesichts der erheblichen Gefahren, die von dem unkontrollierten Konsum von Alkohol in der Justizvollzugsanstalt ausgingen, müsse es möglich sein, durch verdachtsunabhängige Kontrollen dem illegalen Alkoholkonsum entgegenzuwirken.
10Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 15. September 2009 dem Antrag des Betroffenen entsprochen und zur Begründung ausgeführt, hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Alkoholkontrolle habe keine Duldungspflicht des Gefangenen bestanden. Für die Maßnahme fehle es an einer Rechtsgrundlage. Insbesondere könnten die zur Durchführung von Urinkontrollen zum Zwecke der Überprüfung von Drogenkonsum von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht herangezogen werden, da anders als bei Drogen außerhalb des Strafvollzuges der Erwerb, Besitz und Vertrieb von Alkohol nicht unter Strafe gestellt sei. Zudem ergebe sich aus der zu § 22 StVollzG ergangenen Verordnung, dass Ausnahmen zum grundsätzlich nicht gestatteten Einkauf alkoholhaltiger Getränke möglich seien. Daraus folge, dass Gefahren und Auswirkungen von Alkoholkonsum letztlich nicht mit denen des Drogenkonsums vergleichbar seien.
11Gegen diesen Beschluss wendet sich die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Aachen mit ihrer Rechtsbeschwerde vom 12. Oktober 2009, der das Justizministerium Nordrhein-Westfalen beigetreten ist.
12II.
13Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
14Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und zur Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet.
15Die Anordnung und Durchführung der verfahrensgegenständlichen Atemalkoholkontrolle bei dem Betroffenen ist nicht zu beanstanden.
16Die Zulässigkeit der Maßnahme ergibt sich aus §§ 130, 56 Abs. 2 StVollzG, da mit ihr auch Belange der Gesundheitsfürsorge verfolgt wurden und der Betroffene daher gemäß § 56 Abs. 2 StVollzG zur Mitwirkung und Unterstützung verpflichtet war.
17Insoweit sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Abgabe von Urinproben zum Zwecke der Kontrolle eines möglichen Drogenkonsums entsprechend heranzuziehen (vgl. hierzu OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 295, OLG Hamm FS 2009, 40 m.w.N.).
18Durch die von der Antragsgegnerin angeordneten, stichprobenartigen Alkoholkontrollen soll unter anderem dem illegalen Alkoholkonsum vorgebeugt und die Alkoholisierung von Verwahrten im Einzelfall festgestellt werden. Daher dient die Maßnahme auch den Belangen der Gesundheitsfürsorge.
19Unabhängig von dem Umstand, dass der Erwerb, Besitz und Konsum von Alkohol außerhalb des Strafvollzugs nicht unter Strafe gestellt ist und dass der Erwerb alkoholischer Getränke durch Strafgefangene im Ausnahmefall nach Nr. 3 Satz 2 VV zu
20§ 22 StVollzG gestattet werden kann, sind die Gefahren für die Gesundheit der Gefangenen, die von dem unkontrollierten Konsum illegal hergestellten Alkohols in der Justizvollzugsanstalt ausgehen, mit den Gefahren des illegalen Drogenkonsums vergleichbar.
21Die illegal in der Justizvollzugsanstalt hergestellten alkoholischen Getränke weisen in der Regel einen sehr hohen Alkoholgehalt auf und sind weder im Hinblick auf ihre konkrete Zusammensetzung noch im Hinblick auf den konkreten Alkoholgehalt irgendeiner Kontrolle unterworfen. Der unkontrollierte Konsum solcher Getränke birgt daher bereits wegen der Vergiftungsgefahr ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Weitere Gesundheitsgefahren ergeben sich – wie die Vorfälle in der Justizvollzugsanstalt Aachen aus den Jahren 2008 und 2009 zeigen – aus den allgemein bekannten Auswirkungen des Alkoholkonsums, wie erhöhter Unfallgefahr aufgrund körperlicher Ausfallerscheinungen und der bei dem Konsum großer Mengen eintretenden Enthemmung. Gerade Letztere kann unter den besonderen Bedingungen des Strafvollzugs zu aggressiven Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen oder Bediensteten führen.
22Dass neben den Belangen der Gesundheitsfürsorge mit den stichprobenartigen Alkoholkontrollen auch andere Vollzugsziele, wie insbesondere die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt verfolgt werden, ist unschädlich, da diese Vollzugsziele nicht im Widerspruch zueinander stehen sondern einander bedingen (vgl. hierzu OLG Hamm, a.a.O).
23Die Mitwirkungspflicht des Gefangenen an stichprobenartigen Alkoholkontrollen besteht auch dann, wenn bei dem von der Maßnahme Betroffenen keine konkreten Anhaltspunkte für einen aktuellen Alkoholmissbrauch bestehen.
24Die Bereitschaft zum Alkoholkonsum und Alkoholmissbrauch ist noch weiter verbreitet, als diejenige zum Drogenkonsum. Daher besteht auch bei Inhaftierten, bei denen bisher nie Alkoholkonsum festgestellt werden konnte, stets die Gefahr, dass auch diese bei entsprechender Verfügbarkeit Alkohol konsumieren (vgl. zu der Abgabe von Urinproben ohne konkreten Verdacht des Drogenmissbrauchs OLG Hamm, a.a.O.).
25Die Durchführung einer Atemalkoholkontrolle ist für den davon betroffenen Gefangenen auch zumutbar. Die Atemalkoholkontrolle stellt weder einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit noch in das körperliche Wohlbefinden dar. Der betroffene Gefangene wird durch die Maßnahme weder diskriminiert noch stigmatisiert, da grundsätzlich alle Gefangenen unterschiedslos der Maßnahme unterworfen sind.
26Angesichts der oben beschriebenen erheblichen Gesundheitsgefahren, die von dem unkontrollierten Konsum illegal hergestellten Alkohols ausgehen, steht die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Atemalkoholkontrolle nicht infrage.
27Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, da vorliegend nur die Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in Betracht kommt.
28III.
29Einer Entscheidung des Senats über den Aussetzungsantrag der Leiterin der Justizvollzugsanstalt bedurfte es nicht mehr, nachdem der Senat eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat.
30IV.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 StVollzG.
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