Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - I-19 U 67/10
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18. März 2010 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.988,33 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 15.705,25 Euro seit dem 10.07.2009 und aus 7.283,08 Euro seit dem 29.09.2009 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen, die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden zu 12 % der Klägerin und zu 88 % dem Beklagten auferlegt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3Nach § 540 Abs.1 Nr.1 ZPO wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil verwiesen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
4Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.
5Sie rügt eine fehlerhafte Berechnung des Gaspreises für den Abrechnungszeitraum vom 28.03.2008 bis zum 28.03.2009. Für die Preisberechnung könne nicht der vom Landgericht berechnete durchschnittliche Verbrauchspreis zugrunde gelegt werden. Auf diese Weise blieben die Geltung der Preisstufen und der jahreszeitliche Verbrauchsunterschied unberücksichtigt. Vielmehr müsse der in der Abrechnung vom 09.06.2009 ermittelte Gaspreis verhältnismäßig herabgesetzt werden. Danach ergebe sich eine weitere Forderung von 1.881,05 €.
6Ein weiterer Zahlungsanspruch ergebe sich auch für den Verbrauchszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008. Auf der Grundlage des § 18 Abs.2 alt.2 GasGVV könne eine Nachberechnung erfolgen, da der Verbrauch fehlerhaft gemessen worden sei. Es sei ausgeschlossen, dass der Beklagte in diesem Zeitraum 40 % weniger Gas verbraucht habe als im Vorjahreszeitraum.
7Sie beantragt,
8den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 22.988,33 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2009 zu zahlen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Berufung zurückzuweisen.
11Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien zu Protokoll verwiesen.
13II.
14Die zulässige Berufung hat überwiegend Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von insgesamt 22.988,33 € gem. §§ 453 Abs.1, 433 Abs.2 BGB aus dem zwischen den Parteien bestehenden Energielieferungs- und Versorgungsvertrag.
151. Wegen der Forderung aufgrund der Lieferung von Strom in dem Zeitraum vom 28.03.2008 bis zum 28.03.2009 und von Gas in dem Zeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 in Höhe von 13.824,27 € wird auf das angefochtene Urteil verwiesen. Insoweit haben die Parteien die erstinstanzliche Entscheidung nicht angegriffen.
162. Darüber hinaus hat die Klägerin gegen den Beklagten für den Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 einen Anspruch auf Zahlung weiterer 7.283,08 € aus §§ 453 Abs.1, 433 Abs.2 BGB i.V.m. § 26 EnWG, § 18 Abs.1 S.1 GasGVV. Die für diesen Zeitraum erteilte Abrechnung vom 14.04.2008 beruht auf einem Berechnungsfehler. a) Die Abrechnung vom 14.04.2008 konnte gem. § 18 Abs.1 S.1 GasGVV korrigiert werden, da sie auf einer fehlerhaften Verbrauchserfassung durch eine defekte Verbrauchsuhr beruht (vgl. Hempel/Franke-Hempel, AVBeltV 1997, § 21 Rn.24, 33; Steenbuck in MDR 2010, 357, 360). Die Klägerin hat am 27.04.2009 festgestellt, dass der Zähler der Verbrauchsuhr des Beklagten zum Stillstand gekommen war. Der Beklagte hatte den Zählerdefekt zunächst bestritten. Nach Vorlage der Befundprüfung vom 27.04.2009 stellt der Beklagte den Defekt nicht mehr in Abrede. Ansprüche des Versorgers wegen eines Messfehlers sind gem. § 18 Abs.2 alt.1 GasGVV grundsätzlich auf den der Feststellung vorhergehenden Abrechnungszeitraum beschränkt, es sei denn die Auswirkung des Fehlers kann über einen größeren Zeitraum festgestellt werden. Im vorliegenden Fall ist eine Nachberechnung für den Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 zulässig. Es steht zweifelsfrei fest, dass der Zählerstillstand bereits in dem vorangegangenen Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 aufgetreten ist und sich auf den in diesem Zeitraum ermittelten Gasverbrauch ausgewirkt hat. Zwar ist es möglich, dass der Zähler unmittelbar vor der Ablesung am 27.03.2009 zum Stillstand geraten ist und der Defekt die Abrechnung vom 14.04.2008 nicht beeinflusst hat. Der Vergleich des in diesem Abrechnungszeitraum festgestellten Gasverbrauchs von 21.027 m³ mit den Verbrauchszahlen für den Vorjahreszeitraum sowie für den Zeitraum ab dem 27.04.2009 steht einer solchen Annahme aber unzweifelhaft entgegen. Die in diesen drei Zeiträumen abgelesenen Verbrauchszahlen sprechen zwingend für den Eintritt des Zählerdefekts während des Abrechnungszeitraums vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008. Während des Abrechnungszeitraums vom 06.05.2006 bis zum 26.03.2007 hat der Beklagte in 11 Monaten 29.175 m³ Gas verbraucht, und damit bereits mehr als der defekte Gaszähler für die nachfolgenden 12 Monate des streitigen Abrechnungsjahres ermittelt hat. Nach dem Zähleraustausch in der Zeit vom 27.04.2009 bis zum 24.02.2010 ist in 10 Monaten ebenfalls ein deutlich höherer Verbrauch von 32.024 m³ gemessen worden als in dem streitgegenständlichen Zeitraum. Ein Grund, weshalb der Verbrauch in dem Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 deutlich unterhalb des Verbrauchs des kürzeren vorherigen Abrechnungszeitraums und des Zeitraums ab dem 27.04.2009 liegen sollte, ist nicht erkennbar. Soweit der Beklagte darauf verweist, die Verbrauchszahlen für das Objekt seien nach der Übernahme des Objekts aufgrund von Sparmaßnahmen geringer ausgefallen, mag dies zutreffen. Die nach Übernahme des Objekts eingeleiteten Energiesparmaßnehmen vermögen aber nur den geringeren Verbrauch für den Abrechnungszeitraum vom 06.05.2006 bis zum 26.03.2007 erklären. Es gibt aber - abgesehen von einem Zählerdefekt - keine Erklärung dafür, weshalb der Verbrauch für das streitgegenständliche Jahr nochmals signifikant hinter dem des Vorjahres und auch des letzten Jahres zurückgeblieben sein sollte. b) Die Klägerin hat den nachberechneten Verbrauch von insg. 32.060 m³ ermessensfehlerfrei gem. § 18 Abs.1 S.2 alt.2 GasGVV auf der Grundlage des vorjährigen Verbrauchs im Wege einer Schätzung unter der angemessenen Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse ermittelt. Die Klägerin hat den nachberechneten Verbrauch von 32.060 m³ auf der Grundlage des Vorjahresverbrauchs von 29.175 m³ ermittelt. Die Art und Weise der Verbrauchsermittlung ist nicht zu beanstanden. Das Ergebnis der Verbrauchsschätzung bewegt sich in den Grenzen des korrekt festgestellten Verbrauchs für das Vorjahr. Zwar haben Schätzungen auf der Grundlage des Verbrauchs des letzten vollen Kalenderjahrs vor der Feststellung des Fehlers zu erfolgen (Hempel/Franke-Hempel, AVBeltV 2001, § 21 Rn.64). Im vorliegenden Fall ist jedoch ausnahmsweise die Schätzung des Verbrauchs auf der Grundlage eines geringfügig kürzeren Zeitraums von 11 Monaten zulässig. Die Verbrauchsschätzung kann nicht auf einen längeren Zeitraum gestützt werden, da der Beklagte das Objekt erst am 01.05.2006 übernommen hat. Auf den "fehlenden" Monat April lässt die Klägerin gem. der Anlage K 5 zu dem Schriftsatz vom 15.01.2010 unter Berücksichtigung der Gradtagszahlen ermessensfehlerfrei 9 % des Gasverbrauchs entfallen. Dies entspricht in etwa dem Verbrauch für den klimatisch vergleichbaren Monat Oktober und liegt im Mittel zwischen dem maximalen Verbrauch im Januar und dem geringsten Verbrauch im Juli und August. c) Von dem auf diese Weise ermittelten Gesamtverbrauch hat die Klägerin mit der Abrechnung vom 14.04.2008 bereits 21.027 m³ abgerechnet. Daher schuldet der Beklagte im Wege der Nachberechnung die Zahlung des vertraglich vereinbarten Gaspreises für die noch nicht berechneten 11.033 m³. Nachberechnet hat die Klägerin 121.046 kWh auf der Grundlage der vom Beklagten prinzipiell akzeptierten Gaspreise. Dabei hat sie einen Faktor für die Umrechnung des in Kubikmetern gemessenen Gasverbrauchs in Kilowattstunden von 10,97 zu Grunde gelegt. Soweit der Beklagte die Richtigkeit des Faktors bestreiten will, ergeben sich aus den vorliegenden Rechnungen, die Umrechnungsfaktoren von 11,2 und 11,21 ausweisen, keine Anhaltspunkte dafür, dass der für alle Kunden der Klägerin gleichermaßen geltende Faktor fehlerhaft ermittelt ist.
173. Die Klägerin hat für den Abrechnungszeitraum vom 27.03.2008 bis zum 27.03.2009 einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung weiterer 1.881,05 € aus §§ 453 Abs.1, 433 Abs.2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Energielieferungs- und Versorgungsvertrag. Im Berufungsverfahren streiten die Parteien lediglich darüber, ob das Landgericht den Zahlungsanspruch der Klägerin der Höhe nach zutreffend errechnet hat. Die Verbrauchsmenge haben die Parteien mit 33.000 m³ unstreitig gestellt. Dahin stehen kann, ob der Senat an die Schätzung des Preises durch das erstinstanzliche Gericht gem. § 287 ZPO gebunden ist. § 287 ZPO findet keine Anwendung, soweit es um die Höhe vertraglicher Ansprüche geht. Im Rahmen eines bestehenden Gaslieferungsvertrages ist der Gasverbrauch nach einem Zählerdefekt auf der Grundlage einer Schätzung entsprechend § 11 Abs.3 S.1 GasGVV unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse abzurechnen (Hempel/Franke-Hempel, AVBeltV 2003, § 24 Rn.3). Die Abrechnung auf der Grundlage der tatsächlichen Verhältnisse erfolgt unter Berücksichtigung der jeweils gültigen Gaspreise sowie des unterschiedlichen Jahresverbrauchs und nicht auf der Grundlage eines Durchschnittspreises. Daher ist der Preis für die Verbrauchsmenge von 33.000 m³ durch eine verhältnismäßige Herabsetzung der in der Rechnung vom 09.06.2009 dargestellten Preise für einen Verbrauch von 36.737 m³ zu ermitteln. Soweit der Beklagte rügt, die Klägerin habe die Berechnungsgrundlage für die in Ansatz gebrachten Gaspreise und Jahresverbräuche nicht dargelegt, ist dies nicht zutreffend. Die der Berechnung zugrunde liegenden Faktoren, nämlich die Einzelpreise und die jahreszeitlichen Verbräuche, ergeben sich aus der streitgegenständlichen Rechnung vom 09.06.2009.
184. Der Klägerin stehen Verzugszinsen aus §§ 280 Abs.1, 2, 286 Abs. 2 Nr.1 u. 3, 288 Abs.1 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 15.705,25 € seit dem 10.07.2009 sowie aus weiteren 7.283,08 € seit dem 29.09.2009 zu. Wegen des auf eine Hauptforderung von 13.824,27 € entfallenden Zinsanspruchs wird auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen. Darüber hinaus stehen der Klägerin gem. § 286 Abs.2 Nr.3 BGB Verzugszinsen aus 1.881,05 € seit dem 10.07.2009 zu, nachdem der Beklagte den Ausgleich der geltend gemachten Forderung mit Schreiben vom 10.07.2009 insgesamt verweigert hat. Auf die mit der Nachberechnung geltend gemachte Forderung von 7.283,08 € schuldet der Beklagte Verzugszinsen seit dem 29.09.2009. Die Klägerin hat dem Beklagten die Nachberechnung vom 09.06.2009 kommentarlos übersandt und erst auf das Schreiben des Beklagten vom 10.07.2009 mit Schreiben vom 17.09.2009 erläutert, dass sie den Abrechnungszeitraum vom 27.03.2007 bis zum 27.03.2008 nicht doppelt in Rechnung stellt sondern nachberechnet. Zahlungsverzug gem. § 286 Abs.2 Nr.1 BGB ist daher erst mit Ablauf der im Schreiben vom 17.09.2009 gesetzten Zahlungsfrist eingetreten.
195. Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs.1, 97 Abs.1, 708 Nr.10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gem. § 543 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.
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