Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - I-19 U 19/09
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. Oktober 2008 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hagen abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts Anderes ergibt.
4Gegen das Urteil, mit dem sie zur Zahlung von € 63.782,00 nebst Zinsen verurteilt worden ist, richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags wie folgt begründet:
5Sie rügt, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei den Lieferungen vom 30.08.2006 und 20.10.2006 um Nachlieferungen gehandelt habe.
6Die Spezifikation „ZF6“ sei zwischen den Parteien nicht vereinbart worden, insbesondere habe sie – die Beklagte – eine derartige Spezifikation niemals bestätigt. An die Gemeinschuldnerin seien Rohteile aus denselben Chargen wie zuvor an die Fa. E geliefert worden. Die Gemeinschuldnerin habe die Rohteile, die zuvor von ihr – der Beklagten – an die Fa. E geliefert worden seien, von dieser – der Fa. E – übernommen.
7Ein etwaiger Mangel sei jedenfalls nicht erheblich, da die Gemeinschuldnerin die nicht durch Schleifbrand beeinträchtigten Stirnräder an die Fa. E geliefert habe und die Gemeinschuldnerin auch nie darauf hingewiesen habe, dass der Titangehalt wesentlich sei. Dieser werde schließlich im Werkszeugnis des Herstellers auch nicht aufgeführt. Außerdem habe die Fa. E die zu Stirnrädern verarbeiteten Rohlinge auch nach dem Auftreten von Schleifbrand in Kenntnis der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation infolge der Überschreitung des Titangehalts von der Gemeinschuldnerin abgenommen.
8Die fehlende ZF6-Spezifikation sei nicht ursächlich für die Entstehung von Schleifbrand gewesen. Insbesondere sei es auch bei Rohlingen anderer Hersteller zu Schleifbrand gekommen, was bereits die teilweise Klagerücknahme bezüglich von 19 Rohteilen deutlich mache.
9Die Gemeinschuldnerin treffe ein Mitverschulden, weil sie nach der Übernahme der Produktion von der Fa. E und der damit verbundenen Umstellung des Fertigungsprozesses die infolgedessen gebotene Erstbemusterung unterlassen habe. Außerdem fehle es insoweit an der notwendigen Untersuchung der Rohteile und rechtzeitigen Rüge etwaiger Mängel.
10Auch die Anzahl der angeblich durch Schleifbrand in Mitleidenschaft gezogenen Rohteile von 599 Stück werde bestritten.
11Die Beklagte beantragt,
12das am 15. Oktober 2008 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hagen abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
13Der Kläger, der nach der zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz der Gemeinschuldnerin als Insolvenzverwalter über deren Vermögen den Rechtsstreit aufgenommen hat, beantragt,
141. die Berufung zurückzuweisen,
152. die Revision zuzulassen.
16Er verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.
17Er behauptet, die Gemeinschuldnerin hätte die Lieferungen der Beklagten nicht akzeptiert, wenn sie gewusst hätte, dass der Stahl, aus dem die Rohteile hergestellt worden sind, nicht der ZF6-Spezifikation entspricht, da sie die Befürchtung hätte haben müssen, dass dies zu einer geringeren Haltbarkeit führe und die Fa. E ihr die Rohteile nicht abnehmen werde. Aufgrund eines Vorfalls im Jahre 2005, bei dem es bei Stahlteilen, die bei der Gemeinschuldnerin bearbeitet und an die Fa. E geliefert worden seien, zum Auftreten von Schleifbrand gekommen sei, sei die Gemeinschuldnerin diesbezüglich besonders sensibilisiert gewesen.
18Dass der Schleifbrand auf der mangelnden Qualität der Lieferungen der Beklagten beruhe, ergebe sich bereits daraus, dass die bei einer anderen Schmiede bezogenen Rohteile unter den gleichen Bedingungen problemlos hätten bearbeitet werden können.
19Eine erneute Untersuchung bzw. Erstbemusterung habe sie nicht durchführen müssen, da dies bereits ursprünglich von der Fa. E durchgeführt worden sei und ihr außerdem ein Werkszeugnis des Herstellers mitgeliefert worden sei, aus der sich die Einhaltung der ZF6-Spezifikation ergeben habe. Sie habe bei den streitgegenständlichen Rohlingen eine insoweit übliche Eingangskontrolle durchgeführt, bei der die Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation nicht feststellbar gewesen sei. Eine chemische Untersuchung der Rohlinge sei ihr ohnehin nicht zumutbar gewesen, da dies mit deren Zerstörung einher gegangen wäre. Eine Berufung auf eine etwaige Verletzung der Untersuchungs- und Rügepflicht sei der Beklagten ohnehin verwehrt, da sie Kenntnis von der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation gehabt und insoweit arglistig gehandelt habe.
20Die Einschränkung des Titangehalts bei dem Werkstoff ZF6 sei im Hinblick auf die Beanspruchbarkeit und Gebrauchsdauer von Stahlteilen erfolgt, wobei es sich bei den streitgegenständlichen Rohlingen, aus denen Stirnräder für industrielle Webstühle hergestellt werden sollten, um höchst beanspruchte Stahlteile handele.
21Soweit im Anschluss an das Treffen bei dem IWT in C am 23.11.2006 die von der Beklagten gelieferten Rohlinge weiterverwendet worden seien, sei dies nur notfallmäßig geschehen, da die Fa. E anderenfalls nicht hätte weiterproduzieren können. Voraussetzung dafür sei gewesen, dass eine zusätzliche Maßnahme der Qualitätssicherung implementiert worden sei, indem die Rohteile durch die Fa. E vor der Bearbeitung auf ihre Korngröße untersucht worden seien.
22Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.
23Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung von schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. L und Prof. Dr. I - dieser hat sein Gutachten vor dem Senat mündlich ergänzt und erläutert - ,sowie die Vernehmung der Zeugen y, T, I4, I2 und Schlotmann. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen L vom 26.10.2009 (Bl. 228) und I vom 29.09.2010 nebst Ergänzung vom 20.01.2011 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 20.04.2012 und den Berichterstattervermerk vom selben Tage.
24II.
25Die zulässige Berufung ist begründet.
261.
27Der Kläger hat gegen die Beklagte hinsichtlich der noch streitgegenständlichen 599 Schmiederohlinge keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises infolge der von der Gesamtschuldnerin erklärten Rücktritts, §§ 433, 434 I, 437 Nr. 2, 440, 323, 346 BGB i.V.m. § 80 I InsO. Soweit ein Mangel i.S.d. § 434 I BGB feststellbar ist, ist ein Anspruch jedenfalls gem. § 323 V 2 BGB sowie gem. § 377 II HGB ausgeschlossen.
28a)
29Die Parteien haben hinsichtlich der gelieferten Schmiederohlinge einen Kaufvertrag geschlossen, § 433 BGB. Ob die Parteien dabei eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Inhalt getroffen haben, dass der Stahl, aus denen die Rohlinge hergestellt werden sollten, aus dem Material „16MnCr5 ZF6“ bestehen sollte, also insbesondere die ZF6-Spezifikation aufweisen sollte, kann zu Gunsten des Klägers zugrundegelegt werden.
30b)
31Ein Mangel i.S.d. § 434 I BGB ist nur feststellbar, soweit die Rohlinge die ZF6-Spezifikation nicht erfüllen, weil der zulässige Titangehalt überschritten ist und dadurch die Gefahr der Verkürzung der Gebrauchsdauer besteht.
32aa)
33Demgegenüber steht nicht fest, dass die Abweichung von der ZF6-Spezifikation in Gestalt der Überschreitung des zulässigen Titangehalts eine Beeinträchtigung der Schleifbarkeit des Rohlings und das Auftreten von Schleifbrand bewirkt hat, so dass insoweit keine negative Abweichung vorliegt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen I ist der erhöhte Titangehalt nicht die Ursache des Schleifbrands, sondern wirkt der Entstehung von Schleifbrand sogar eher entgegen. Die Einschränkung des Titangehalts bei ZF6 erfolgt auch nicht im Hinblick auf die Schleifbarkeit (d.h. zur Vermeidung von Schleifbrand), sondern – wie bereits oben festgestellt – wegen der Beanspruchbarkeit bei höchstbeanspruchten Zahnrädern. Zur Vermeidung von Schleifbrand kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass das Schleifen dem Wärmebehandlungsprozess (dem Gefügezustand) angepasst werden muss, d.h. maßgeblich für die Vermeidung von Schleifbrand sind die Schleifbedingungen, nicht der Zustand des Rohlings.
34bb)
35Ebenfalls ist nicht erwiesen, dass ein Mangel i.S.d. § 434 I 2 BGB im Hinblick darauf vorliegt, dass die Rohteile einem zu schnellen Abkühlungsprozess ausgesetzt waren und dies zum Entstehen von Schleifbrand geführt hat. Dass die Rohteile einem zu schnellen Abkühlungsprozess ausgesetzt waren, ist zwar zwischen den Parteien unstreitig. Es steht jedoch nicht fest, dass dieser unsachgemäße Abkühlungsprozess bereits zu einem Zeitpunkt erfolgt war, als die Rohlinge an die Gemeinschuldnerin geliefert worden sind, § 446 BGB. Der Sachverständige I hat dazu ausgeführt, dass für die Schleifbrandentstehung der Gefügezustand entscheidend ist, der in der Härterei eingestellt wird. Maßgeblich ist der Zustand, der nach dem Einsatzhärten und unmittelbar vor dem Schleifen vorliegt. In der Fertigungskette liegt der Auslieferungszustand der Rohlinge weiter vorne; der Randschichtzustand wird bis zum Schleifen jedoch signifikant u.a. durch Weichbearbeitung und Einsatzhärten, beeinflusst. Um diesbezüglich genauere Aussagen treffen zu können, wäre die Untersuchung der Halbfabrikate aus der Fertigung sowohl von E als auch von der Gemeinschuldnerin erforderlich gewesen, was jedoch nicht möglich ist, da unstreitig solche Teile nicht mehr vorliegen.
36cc)
37Eine negative Abweichung der Soll- von der Ist-Beschaffenheit liegt (lediglich) darin, dass bei den Rohlingen der nach der ZF6-Spezifikation zulässige Titangehalt überschritten worden ist und dadurch die Gefahr der Verkürzung der Gebrauchsdauer besteht. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen I, denen der Senat mangels anderer Erkenntnisse folgt, besteht bei der Erhöhung des Titangehalts die Gefahr, dass es zu einer Verminderung der Gebrauchsdauer kommt, insbesondere – wie hier bei dem Einsatz der Rohlinge in industriellen Webstühlen – bei hohen Spannungsspitzen im Betrieb.
38c)
39Hinsichtlich dieses Mangels der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation wegen der Überschreitung des Titangehalts und der daraus folgenden Gefahr der Verminderung der Gebrauchsdauer ist der Rücktritt aber wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 V 2 BGB ausgeschlossen. Es steht fest, dass dieser Mangel für die Erfüllung der eigenen Lieferpflicht der Gemeinschuldnerin gegenüber der Fa. E letztlich keine Rolle gespielt hat, da die Fa. E die bearbeiteten Rohteile auch in Kenntnis des erhöhten Titangehalts abgenommen hat und hätte, wenn sie nicht – was der Beklagten indes nicht zurechenbar ist – durch Schleifbrand in Mitleidenschaft gezogen worden wären. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest.
40Gegen eine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung spricht grundsätzlich, wenn die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung hier in Gestalt der ZF6-Spezifikation getroffen haben (vgl. dazu Palandt-Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 323, Rn. 32). Ferner ist davon auszugehen, dass es auch der Fa. E grundsätzlich auf die Einhaltung der ZF6-Spezifikation ankam, da sie dies anderenfalls nicht mit der Gemeinschuldnerin und – bevor sie die entsprechenden Produktionsschritte an die Gemeinschuldnerin ausgelagert hatte – der Beklagten vereinbart hätte.
41Gleichwohl ist vorliegend aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls von der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung auszugehen.
42Nach den Feststellungen des Sachverständigen I steht fest, dass die Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation in Gestalt der Überschreitung des zulässigen Titangehalts nicht kausal für den Schleifbrand geworden ist. Der Schleifbrand wäre folglich auch bei Lieferung von Rohteilen mit ordnungsgemäßem Titangehalt aufgetreten. Das Auftreten des Schleifbrands stellt aber die Ursache für die Störung in der Abwicklung der jeweiligen Vertragsverhältnisse (Gemeinschuldnerin und Beklagte sowie Gemeinschuldnerin und E) dar, die Haltbarkeitsproblematik hat insoweit keine maßgebende Rolle gespielt.
43Dies zeigt sich insbesondere daran, dass E im Nachgang zu den hier streitgegenständlichen Lieferungen die – nicht durch Schleifbrand geschädigten – bearbeiteten Rohteile in Kenntnis des erhöhten Titangehalts als vertragsgemäß akzeptiert hat und auch nach Vortrag des Klägers lediglich zur Vermeidung des Auftretens von Schleifbrand eine weitere Stufe der Qualitätskontrolle implementiert - ohne dass das Entstehen einer Kostenbelastung der Gemeinschuldnerin dadurch ersichtlich wäre - hat, indem die Korngröße der Rohteile zunächst mikroskopisch von ihr untersucht worden ist.
44Dies steht fest aufgrund des vom Zeugen y den Akten gereichten Besprechungsvermerks von dem Treffen der Beteiligten bei dem IWT in C am 23.11.2006. Auf der Grundlage der vom IWT durchgeführten Untersuchungen bestand demnach Einigkeit zwischen den Parteien, dass kein negativer Einfluss auf die Gebrauchsdauer zu erwarten ist und die Rohteile aufgrund dessen von der Fa. E freigegeben werden. Die Freigabe wurde zwar lediglich unter Vorbehalt erklärt; dieser bezog sich indes lediglich auf die Gesichtspunkte des Härteverzugs, der Gefügeausbildung und des Schleifbrands, nicht hingegen auf den Gesichtspunkt der Gebrauchsdauer. Dass der Inhalt dieses Besprechungsprotokolls zutreffend ist und in der Folgezeit in der Praxis umgesetzt worden ist, haben alle angehörten Zeugen bestätigt.
45Infolgedessen lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit feststellen, dass seitens der Fa. E keine durchgreifenden Bedenken gegen die Einsatzfähigkeit und die Gebrauchsdauer in Bezug auf die konkrete weitere Verwendung der Rohlinge bestanden.
46Zwar ergibt sich aus einer E-Mail des Zeugen y, wie dieser als Zeuge bestätigte, an die Gemeinschuldnerin vom 12.12.2006 (Anlage K9), dass sich die Fa. E zusätzlich zu den o.g. Vorbehalten ausdrücklich eine Gewährleistungspflicht der Beklagten in Bezug auf die Gebrauchsdauer ausbedungen hat. Dies entspricht jedoch gesetzlichen Rechten der Fa. E und sollte offenbar entgegen wirken, dass E ohne Gewährleistungsrechte im Hinblick auf die Regelung des § 442 I BGB blieb. Jedenfalls bestanden nach der Aussage des Zeugen y seitens der Fa. E als Endabnehmerin keine Bedenken, die aus den Rohteilen gefertigten Stirnräder ohne weiteren Aufwand für die Gemeinschuldnerin abzunehmen und einzusetzen, obwohl E Kenntnis von der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation in Gestalt der Überschreitung des Titangehalts hatte.
47Soweit der Kläger behauptet und die Zeugen I4 und I2 bekundet haben, dass E die Rohteile mit dem erhöhten Titangehalt lediglich notfallmäßig akzeptiert habe, ändert dies nichts daran, dass von der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung auszugehen ist.
48Zunächst kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Fa. E die Stirnräder abgenommen hat. Maßgeblich ist, dass die Fa. E diese in Kenntnis der Abweichung als vertragsgemäß akzeptiert hat. Da für die Gemeinschuldnerin somit sichergestellt war, dass sie die aus den (wegen der Überschreitung des Titangehalts) mangelhaften Rohteilen gefertigten Stirnräder ohne finanzielle Einbußen wird absetzen können, liegt unabhängig von den dabei bestehenden Beweggründen der Fa. E eine unerhebliche Pflichtverletzung vor.
49Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass die Endabnehmerin Fa. E Bedenken in Bezug auf die Haltbarkeit der Stirnräder wegen der Überschreitung des Titangehalts hatte, diese also aufgrund dessen lediglich notfallmäßig abgenommen hat. Dies ergibt sich bereits aus dem weiteren Vortrag des Klägers, wonach es im Vorfeld des streitgegenständlichen Vorfalls im Jahr 2005 bereits einmal zu Problemen mit einem von der Gemeinschuldnerin bearbeiteten Bauteil gekommen ist, bei dem die Haltbarkeit infolge Schleifbrands beeinträchtigt war. Bei dieser Sachlage wäre zu erwarten gewesen, dass die Fa. E zur Vermeidung eines erneuten derartigen Vorfalls die Abnahme der Stirnräder ablehnt. Da die Fa. E die Stirnräder aber gleichwohl abgenommen hat, waren aus ihrer Sicht im konkreten Fall keine Haltbarkeitsprobleme wegen der Überschreitung des Titangehalts zu befürchten. Für die Fa. E war nur maßgeblich, dass kein die Haltbarkeit beeinträchtigender Schleifbrand auftritt, was aufgrund des zu hohen Titangehalts nach dem Ergebnis des Treffens bei dem IWT in C am 23.11.2006 aber gerade nicht zu erwarten war. Dass für die Fa. E im Rahmen der ZF6-Spezifikation von Anfang an der Titangehalt keine Rolle spielte, ergibt sich auch aus der Aussage des bei der Fa. E leitend tätig gewesenen Zeugen T, wonach die Rohlinge bei der Erstbemusterung nicht auf den Titangehalt untersucht worden seien, weil es darauf nicht angekommen sei.
50Eine Unerheblichkeit ist auch nicht im Hinblick auf eine etwaige Arglist der Beklagte zu verneinen (vgl. dazu Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 323, Rn. 32, m.w.N.).
51Es ist bereits zweifelhaft, ob der Beklagten in Bezug auf die Mangelhaftigkeit der Rohlinge wegen Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation in Gestalt der Überschreitung des Titangehalts Arglist zur Last fällt oder ob sie lediglich wusste, dass der Lieferant Fa. S mangels ZF-Zulassung keine formale ZF6-Zertifizierung durchführen konnte.
52Letztlich kann dies dahinstehen, da die Voraussetzungen vergleichbar wie beim § 377 V HGB nicht vorliegen. Für ein arglistiges Verschweigen in diesem Sinne reicht es nicht bereits aus, dass der Verkäufer den Vertrag wissentlich mit fehlerhafter Ware erfüllt; dies gilt allerdings nicht, wenn der Verkäufer mit einem Untersuchungs- und Rügeversäumnis durch den Käufer rechnet und ihm bewusst ist, dass der Käufer nach dem Vertragsinhalt nur Ware von einer ganz bestimmten Beschaffenheit gebrauchen kann, die gelieferte Ware diese Beschaffenheit aber nicht besitzt und ihr vorgesehener Absatz daher unmöglich ist (BGH, NJW 1986, 316, 317). Letzteres ist hier nicht der Fall, so dass es bei dem Grundsatz verbleibt, dass allein die (unterstellte) Kenntnis der Beklagten von der Überschreitung des Titangehalts nicht zum Vorwurf der Arglist führt. Die Beklagte durfte im vorliegenden Fall vielmehr berechtigter- und redlicherweise davon ausgehen, dass die von ihr gelieferten Rohteile trotz der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation infolge der Überschreitung des Titangehalts als vertragsgemäß akzeptiert werden. Aufgrund ihrer vorherigen Lieferungen an die Fa. E und deren Prüfung und Freigabe der Rohteile durfte die Beklagte erwarten, dass diese Rohteile auch nach der Auslagerung der Produktion von der Fa. E an die Gemeinschuldnerin von dieser abgenommen werden und die Gemeinschuldnerin diese an die Fa. E wird absetzen können bzw. dass jedenfalls in Bezug auf den erhöhten Titangehalt keine Bedenken bestehen, da insofern keine Gefahr der Entstehung von Schleifbrand bestand, was für E maßgebend war.
53Aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs (NJW 2011, 3640), ergibt sich nichts anderes. Diese Entscheidung betraf zunächst nicht eine Fallgestaltung wie hier im Rahmen der Abwicklung eines Kaufvertrags, sondern die Anforderungen an eine Offenbarungspflicht des Verkäufers und die Kausalität eines arglistig verschwiegenen Mangels auf den Willensentschluss des Käufers bei Abschluss des Vertrags im Rahmen des § 444 BGB. Soweit der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Feststellung der Arglist ausführt, dass es darauf ankommt, ob ein verständiger Verkäufer damit rechnen muss, dass der verschwiegene Mangel Einfluss auf die Entscheidung des Verkäufers hat (NJW 2011, 3640, 3641, Rn. 8), deckt sich dies im Übrigen mit den oben dargestellten Maßstäben.
54d)
55Unabhängig von der Regelung des § 323 V 2 BGB ist der Rücktritt der Gemeinschuldnerin auch im Hinblick auf § 377 II HGB ausgeschlossen. Die Rüge der Gemeinschuldnerin gegenüber der Beklagten, die im August 2006 im Anschluss an das Auftreten des Schleifbrands im Zuge der Bearbeitung der Rohlinge vorgenommen worden ist, erfolgte nicht unverzüglich i.S.d. § 377 I, II HGB. Vielmehr wäre ausnahmsweise eine Untersuchung der Rohteile bereits bei ihrer Anlieferung durch die Beklagte geboten gewesen, die dazu geführt hätte, dass der Mangel der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation wegen Überschreiten des zulässigen Titangehalts festgestellt worden wäre und unverzüglich hätte gerügt werden können.
56Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls oblag der Gemeinschuldnerin die Pflicht zur zumindest stichprobenartigen Untersuchung der von der Beklagten gelieferten Rohlinge auf die Einhaltung der ZF6-Spezifikation in Gestalt der Nichtüberschreitung des Titangehalts. Dieser Untersuchungspflicht ist die Gemeinschuldnerin unstreitig nicht nachgekommen. Sie hat sich vielmehr auf das von der Beklagten überreichte Werkzeugnis gemäß Anlage zur Klageschrift K4 (Bl. 4, 18 d.A.) und die durch die Fa. E durchgeführte Erstbemusterung verlassen. Dies war hier nicht ausreichend. Vielmehr hätte die Gemeinschuldnerin unmittelbar nach der Anlieferung der Rohteile durch die Beklagte eine eigene, zumindest stichprobenartige Untersuchung (auch) auf den Titangehalt vornehmen müssen.
57Eine Untersuchungspflicht resultierte aus dem Umstand, dass es der Gemeinschuldnerin nach ihren eigenen – von den Zeugen I4 und I2 bestätigten – Angaben in ganz besonderem Maße auf die Einhaltung der ZF6-Spezifikation angekommen sei, da die Gemeinschuldnerin – auch vor dem Hintergrund des vorausgegangenen Schadensfalls im Jahre 2005 – die Rohteile nicht abgenommen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass die ZF6-Spezifikation nicht voll eingehalten ist. Bei dieser Sachlage wäre eine eigene Untersuchung der Rohlinge veranlasst gewesen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen I ist zwar grundsätzlich bei Vorliegen eines Prüfzeugnisses – wie hier – eine Untersuchung nur dann geboten und auch branchenüblich, wenn der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten besteht. Anders ist es, wenn der Empfänger besonderen Wert auf die Einhaltung der ZF6-Spezifikation legt. Wenn der Empfänger sicher gehen will, dass diese Spezifikation eingehalten ist, dann muss er das Rohteil prüfen, wenn außerdem in dem Werkzeugnis entsprechende Werte fehlen. Da das Werkzeugnis hier unstreitig keine Angaben in Bezug den Titangehalt enthielt, es der Gemeinschuldnerin aber maßgeblich auf die Einhaltung der ZF6-Spezifikation angekommen, wozu auch ein bestimmter Titangehalt gehört, wäre eine Untersuchung veranlasst gewesen.
58Auf die seitens der Fa. E ursprünglich durchgeführte Erstbemusterung durfte sich die Gemeinschuldnerin nicht verlassen. Der Sachverständige I hat insoweit ausgeführt, dass bei einer Erstlieferung auf jeden Fall eine Analyse gemacht werden sollte. Bei Folgelieferungen ist das nicht notwendig, jedenfalls wenn die Teile aus einer Charge stammen. Ändern sich hingegen die Verfahrensbedingungen, besteht Anlass zu einer erneuten Überprüfung und Abnahme des Rohlings für den zweiten Fertigungsschritt.
59Vorliegend ist es zum einen nach den Darlegungen des Sachverständigen I zu einer grundlegenden Änderung der Produktionsbedingungen gekommen, als die ursprünglich bei der Fa. E angesiedelte Produktion auf die Gemeinschuldnerin ausgelagert worden ist. Zudem steht aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der damals sachzuständigen Zeugen I2 (als ehemaliger Angestellter bei der Gemeinschuldnerin) und Schlotmann (als ehemaliger Angestellter bei der Beklagten) fest, dass die von der Beklagten zunächst an die Fa. E und später an die Gemeinschuldnerin gelieferten Rohlinge sowohl aus unterschiedlichen Lieferchargen als auch aus unterschiedlichen Schmelzchargen stammten. Bei dieser Sachlage durfte sich die Gemeinschuldnerin nicht auf die zuvor erfolgte Prüfung und Freigabe der Rohlinge durch die Fa. E verlassen.
60Die Untersuchungspflicht entfiel auch nicht ohne weiteres aufgrund des mitgelieferten Werkzeugnisses. Die grundsätzlich bestehende Pflicht zur zumindest stichprobenartigen Untersuchung (vgl. Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 377, Rn. 27, m.w.N.) ist grundsätzlich nicht im Hinblick auf ein mitgeliefertes Werkszeugnis oder Zertifikat entbehrlich (vgl. Senatsurteil vom 25.06.2010, 19 U 154/09), und zwar umso mehr, als das mitgelieferte Werkzeugnis hier in Bezug auf den Titangehalt keine Angaben enthielt.
61Bei der insofern gebotenen Untersuchung wäre die Überschreitung des Titangehalts auch festgestellt worden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen I werden bei der insoweit gebotenen Analyse alle Elemente überprüft, die die ZF6-Spezifikation bewirken. Da die ZF6-Spezifikation die Einhaltung eines bestimmten Titanwerts vorsieht, wäre demzufolge im vorliegenden Fall bei einer Untersuchung dessen Überschreitung festgestellt worden. Insbesondere ist unstreitig, dass der erhöhte Titangehalt bei allen Rohteilen vorgelegen hat, so dass unerheblich ist, dass diese aus unterschiedliche Lieferchargen und Schmelzchargen stammten.
62Die Untersuchung erforderte keinen unverhältnismäßigen Aufwand. Der Sachverständige I hat insoweit ausgeführt, dass bereits mit einem mobilen Spektrometer aussagekräftige Ergebnisse hätten erzielt werden können. Die Analyse selbst dauert lediglich ca. 20 Minuten und kostet bei der Beauftragung eines externen Prüflabors ca. € 100,00 bis € 300,00. Bei einer Menge von – wie hier streitgegenständlich – ca. 600 Rohteilen sind ein bis fünf Stichproben angemessen. Die Rohteile werden durch diese Untersuchung auch nicht in Mitleidenschaft gezogen, sondern können weiterverwendet werden. Angesichts der drohenden Schäden bei der Weiterverwendung der weltweit für industrielle Webstühle bestimmten Teile war eine solche Untersuchung zumutbar.
63Dem Beklagten ist die Berufung auf die der Gemeinschuldnerin obliegende Untersuchungs- und Rügepflicht auch nicht im Hinblick auf die Regelung des § 377 V HGB verwehrt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
642.
65Der Kläger hat gegen die Beklagten ebenfalls keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 433, 434 I, 437 Nr. 3, 280, 281 BGB i.V.m. § 80 I InsO.
66a)
67Der oben dargelegte Gewährleistungsausschluss nach § 377 HGB bezieht sich auch auf den vorgenannten Schadensersatzanspruch.
68b)
69Ferner mangelt es an der Kausalität zwischen Mangel und Schaden. Der Kläger macht Mehrkosten in Gestalt von nutzlosem Aufwand der Bearbeitung der 599 von Schleifbrand betroffenen Rohlingen, sog. zusätzliche Kosten (externe Prüfkosten sowie Reisekosten und Verdienstausfall des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin), Mehrkosten des Deckungskaufs sowie durch den Deckungskauf angefallene Kosten in Form von Überstunden, Vertriebs- und Verwaltungsgemeinkosten und Materialgemeinkosten geltend. Diese Kosten sind indes nicht durch den einzig feststellbaren Mangel der Nichteinhaltung der ZF6-Spezifikation wegen der Überschreitung des Titangehalts, sondern unabhängig davon durch das Auftreten von Schleifbrand – wofür die Beklagte nicht verantwortlich ist – entstanden. Durch den zu hohen Titangehalt wäre der Gemeinschuldnerin nur ein Schaden entstanden, wenn infolgedessen ein Weiterverkauf an die Fa. E nicht möglich gewesen wäre. Dies war jedoch nicht der Fall. Nach den obigen Ausführungen hat die Fa. E die durch die Gemeinschuldnerin zu Stirnrädern weiterverarbeiteten Rohlinge in Kenntnis der nicht eingehaltenen ZF6-Spezifikation infolge der Überschreitung des Titangehalts abgenommen.
70Ebenfalls keinen Erfolg hat der Ansatz des Klägers, soweit er geltend macht, dass die Gemeinschuldnerin die Rohteile nicht zur Weiterverarbeitung angenommen hätte, wenn sie von dem erhöhten Titangehalt gewusst hätte, da sie die Befürchtung hätte haben müssen, dass dies zu einer geringeren Haltbarkeit führe, mit der Folge, dass E ihr die Stirnräder nicht abnimmt.
71Im Rahmen des Kaufmängelgewährleistungsrechts haftet der Verkäufer gem. §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB auf Schadensersatz in Gestalt des Nichterfüllungsschaden, d.h. auf das positive Interesse (Palandt-Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 249, Rn. 16). Das positive Interesse umfasst das Erfüllungsinteresse, d.h. der Käufer ist so zu stellen, als wenn der Verkäufer ordnungsgemäß geliefert hätte (Palandt-Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 249, Rn. 16). Soweit der Kläger darauf abstellt, dass er die Rohteile nicht weiterverarbeitet hätte, wenn er von dem erhöhten Titangehalt gewusst hätte, macht er jedoch nicht das positive Interesse geltend, sondern er verlangt das negative Interesse, da er so gestellt werden will, als wäre das Geschäft nicht durchgeführt worden (vgl. Palandt-Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 249, Rn. 17). Das negative Interesse kann aber nur im Falle des Eingreifens von Sondertatbeständen (§ 122 BGB, § 179 II BGB, c.i.c. gem. §§ 311, 241 BGB, unerlaubte Handlung) gefordert werden (Palandt-Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 249, Rn. 17). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, sondern es geht um die Mangelhaftigkeit eines Kaufgegenstands.
723.
73Zwar macht der Kläger eine Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten – aufgrund derer nach §§ 311 II Nr. 1, 241 II, 280 I BGB (culpa in contrahendo) das negative Interesse geschuldet werden würde gestützt darauf geltend, die Beklagte hätte ihn darüber informieren müssen, dass die ZF6-Spezifikation aufgrund des erhöhten Titangehalts nicht vorliege. Dies greift jedoch nicht durch, da aus der Mangelhaftigkeit der Sache kein Anspruch auf Schutzpflichtverletzung hergeleitet werden kann (Palandt-Weidenkaff, a.a.O., § 437, Rn. 32).
74Unabhängig davon greift der Ansatz des Klägers auch in tatsächlicher Hinsicht nicht durch. Auf der Grundlage seiner Argumentation, wonach die Gemeinschuldnerin die Rohteile nicht angenommen hätte, wenn sie von dem erhöhten Titangehalt gewusst hätte, da sie die Befürchtung hätte haben müssen, dass dies zu einer geringeren Haltbarkeit führt und E ihr die Rohteile infolgedessen nicht abnimmt, ist wiederum ein Schaden nicht feststellbar, da gemäß den obigen Ausführungen feststeht, dass die Fa. E die zu Stirnrädern weiterverarbeiteten Rohteilen unabhängig vom erhöhten Titangehalt abgenommen hat.
75Unter dem Gesichtspunkt der Arglist ergibt sich aus den obigen Gründen nichts anderes.
764.
77Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91, 269 III, 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
785.
79Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO. Bei den im vorliegenden Rechtsstreit zu entscheidenden Fragen handelt es sich um die Würdigung eines Einzelfalls.
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