Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 2 Ausl 47/13
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten in das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm in dem Europäischen Haftbefehl des Westminster Magistratsgerichts in London vom 19. Dezember 2012 (Az.: k.A.) vorgeworfenen Taten ist unzulässig.
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G r ü n d e :
2I.
3Die britischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten, der die britische und mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 25. Oktober 2001 (Bl. 46 d.A.) auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, die Auslieferung zur Strafverfolgung auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Westminster Magistratsgerichts in London vom 19. Dezember 2012.
4Darin wird dem Verfolgten vorgeworfen, zwischen dem 31. Januar 1960 und dem 30. Oktober 1965 in sechs Fällen seinen damals zwischen vier und acht Jahre alten Bruder sexuell missbraucht zu haben.
5Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hatte mit Zuschrift vom 28. März 2013 beantragt, die Unzulässigkeit der Auslieferung festzustellen, dann jedoch weitere Ermittlungen zum Zeitpunkt des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Verfolgten angestellt und nunmehr mit Zuschrift vom 4. Juni 2013 um Beschlussfassung zur Zulässigkeit der Auslieferung ersucht.
6II.
7Entsprechend dem ursprünglichen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war die Auslieferung des Verfolgten in das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm in dem Europäischen Haftbefehl des Westminster Magistratsgerichts in London vom 19. Dezember 2012 (Az.: k.A.) vorgeworfenen Taten für unzulässig zu erklären.
8Die Auslieferung ist, soweit dem Verfolgten Taten vorgeworfen werden, die er vor Vollendung seines 14. Lebensjahres am 16. Februar 1962 begangen haben soll, bereits wegen der nach deutschem Recht insoweit gegebenen Schuldunfähigkeit (§ 19 StGB) nach § 73 IRG unzulässig.
9Zudem ist die Auslieferung schon deshalb unzulässig, weil für sämtliche vorgeworfenen Taten auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet und die Verfolgung nach deutschem Recht verjährt ist (§ 9 Nr. 2 IRG).
10Die deutsche Gerichtsbarkeit ist begründet, weil der Verfolgte inzwischen Deutscher geworden ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB).
11Nach deutschem Recht ist die Strafverfolgung aber seit dem 25. Oktober 2011 verjährt:
12Die Verjährung begann formal mit der mutmaßlichen Beendigung der Taten (§ 78a StGB), also in den 1960er-Jahren. Sie ruhte allerdings sogleich, da bis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den mutmaßlichen Täter die deutsche Gerichtsbarkeit nicht begründet war, so dass die Strafverfolgung durch deutsche Behörden nicht begonnen werden konnte (§ 78b Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 1 StGB). Faktisch begann die Verjährung damit erst mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit am 25. Oktober 2001.
13Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre, da die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten mit Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht sind.
14In Betracht kommt nach deutschem Strafrecht eine Strafbarkeit allein wegen sexuellen Missbrauchs gemäß § 176 StGB. Diese Vorschrift sieht nach ihrem Abs. 1 und Abs. 2 für den Grundtatbestand eine Höchststrafe von 10 Jahren Freiheitsstrafe vor; auf das höhere Höchstmaß bei besonders schweren Fällen nach Abs. 3 der Vorschrift kommt es für die Frage der Länge der Verjährungsfrist nicht an (§ 78 Abs. 4 StGB).
15Dagegen kommt unabhängig von dem etwaigen Ergebnis weiterer Ermittlungen eine Strafbarkeit nach der Qualifikationsvorschrift des § 176a StGB, die eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren vorsieht, schon deshalb nicht in Betracht, weil die Vorschrift erst 1998 neu geschaffen worden ist und deshalb als strafverschärfende Norm nicht zur Anwendung kommen kann (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB).
16Dasselbe gilt hinsichtlich einer Verwirklichung des Straftatbestandes der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung nach § 177 StGB, die ebenfalls eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren vorsieht. Denn auch insoweit handelt es sich um nach der mutmaßlichen Tatbegehung geschaffene Strafschärfungen. So war beispielsweise in der Bekanntmachung der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 10. März 1987 (BGBl. I, S. 945) die Vergewaltigung nach dem seinerzeitigen § 177 nur bei weiblichen Opfern strafbar und die sexuelle Nötigung nach dem seinerzeitigen § 178 mit einer Höchststrafe von zehn Jahren bedroht.
17Ob die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten zum Tatzeitpunkt oder danach eine seinerzeit in Kraft befindliche Norm mit höherer Strafandrohung als nach aktuellem Recht verwirklicht hatten, bedarf keiner näheren Aufklärung mehr, weil solche Strafvorschriften durch das demgegenüber dann mildere aktuelle Gesetz ohnehin verdrängt würden (2 Abs. 3 StGB).
18Dasselbe gilt für etwaige längere Verjährungsfristen nach früherem Recht; auch insoweit wäre das dann heute günstigere Verjährungsrecht vorrangig (Art. 309 Abs. 1, 3 EGStGB).
19Die Verjährungsfrist endete damit am 25. Oktober 2011. Handlungen, die zwischenzeitlich die Verjährung nach § 78c StGB hätten unterbrechen können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verlangt § 78c StGB das Tätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden, so dass es auf etwaige Strafverfolgungsmaßnahmen der britischen Behörden von vornherein nicht ankommt.
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