Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 Vollz (Ws) 256/13
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 19. April 2013 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
1
Gründe:
2I.
3Der Betroffene verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren wegen erpresserischen Menschenraubes in der JVA Düsseldorf. Im Anschluss ist noch eine Restjugendstrafe von 217 Tagen von ursprünglich 5 Jahren und 3 Monaten wegen schweren Menschenhandels u.a. zu vollstrecken. Das Strafende ist auf den 27.03.2016 notiert.
4Der Betroffene begehrte vor dem Hintergrund seiner beabsichtigten Teilnahme an einer beruflichen Qualifizierungsmaßnahme zum Gärtner mit Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau im offenen Vollzug der JVA Bochum-Langendreer die Feststellung seiner Eignung für Vollzugslockerungen.
5Einen entsprechenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 07. März 2013 sowie einen Antrag auf entsprechende Feststellung im Wege der einstweiligen Anordnung wies die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. April 2013 als unbegründet zurück. Aus den Gründen einer Stellungnahme der JVA Düsseldorf vom 16. April 2013 ergebe sich, dass die Erwägungen der JVA Düsseldorf, den Betroffenen als derzeit nicht lockerungsgeeignet anzusehen, unter Berücksichtigung des bestehenden Ermessensspielraums nicht zu beanstanden seien.
6Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug festzustellen, hilfsweise, die JVA Düsseldorf zu verpflichten, die Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug festzustellen und diese Feststellung in den Vollzugsplan aufzunehmen, weiter hilfsweise, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur Nachholung rechtlichen Gehörs an das Landgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
7Er hat die Verletzung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG gerügt, weil die Strafvollstreckungskammer den angefochtenen Beschluss ohne Gewährung beantragter Akteneinsicht und ohne Anhörung zur Stellungnahme der JVA Düsseldorf erlassen habe.
8Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat Stellung genommen und die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes der Fortbildung des Rechts oder einer Sicherung einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung für unzulässig erachtet.
9II.
10Die Rechtsbeschwerde hat lediglich insoweit Erfolg, als die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf zurückzuverweisen ist.
11Die gemäß § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Sie ist im vorliegenden Einzelfall zuzulassen, weil der zwar nicht in § 116 StVollzG verankerte, aber allgemein anerkannte weitere Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Auflage 2008, § 116 Rdnr. 3; Arloth, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl., § 116 Rdnr. 3 jeweils m.w.N.) durchgreift.
12Allerdings ist zweifelhaft, ob der Betroffene eine entsprechende Verfahrensrüge in zulässiger Weise gemäß der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO erhoben hat. Er hat lediglich – zutreffend – ausgeführt, dass die Strafvollstreckungskammer ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Schreiben des Leiters der JVA Düsseldorf vom 16. April 2013 gewährt habe. Unabhängig davon, dass sich eine gerichtliche Verfügung zur Übersendung dieser Stellungnahme an den Betroffenen oder seinen Verfahrensbevollmächtigten nicht in den Akten befindet, ergibt sich schon aus den Daten der Stellungnahme und der Beschlussfassung (16. und 19. April 2013), dass eine ordnungsgemäße Anhörung nicht erfolgt sein kann.
13Damit hat die Strafvollstreckungskammer das rechtliche Gehör des Betroffenen gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, zumal sie ihrer Würdigung maßgeblich auch die Umstände zugrunde gelegt hat, die sich aus der Stellungnahme des Leiters der JVA Düsseldorf vom 16. April 2013 ergeben. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06. Juni 2011 – 2 BvR 2076/08 –, juris).
14Andererseits führt der Gehörsverstoß nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn diese auf dem Verstoß beruht (vgl. BVerfG a.a.O.).
15Der Betroffene hat indes mit seiner Rechtsbeschwerde vorliegend nichts Konkretes dazu ausgeführt, was er im Falle seiner Anhörung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vorgetragen hätte. Die revisionsähnliche Ausgestaltung der Rechtsbeschwerde gemäß der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO erfordert grundsätzlich, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein durch die Begründung der Rechtsbeschwerde in die Lage versetzt werden muss, zu überprüfen, ob ein verfahrensrelevanter Rechtsverstoß gegeben ist. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht grundsätzlich das Erfordernis, die Rüge eines Gehörsverstoßes zu substantiieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.07.2008 – 2 BvR 610/08).
16Für den Fall des ähnlich ausgestalteten Verfahrens auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 OWiG ist nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung anerkannt, dass bei Geltendmachung des in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (insoweit abweichend von der Regelung des § 116 Abs. 1 StVollzG) ausdrücklich aufgeführten Zulassungsgrundes einer Verletzung rechtlichen Gehörs mit der Rüge vorzutragen ist, was im Fall der Anhörung vorgetragen worden wäre (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 04. Juli 2011 – 3 Ss OWi 606/11 –, juris). In dem – auch hier geltend gemachten – Fall einer Nichtgewährung von Akteneinsicht muss sich der Verteidiger zudem jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen mit seiner Verfahrensrüge auch darlegen (OLG Hamm, Beschluss vom 03. September 2012 – III-3 RBs 235/12 –, juris). Auch daran fehlt es hier.
17Nach Auffassung des Senats besteht grundsätzlich keine Veranlassung, an die Rügebegründung hinsichtlich des bezüglich der Regelung des § 116 Abs. 1 StVollzG zudem „außergesetzlichen“ Zulassungsgrundes der Verletzung rechtlichen Gehörs, dessen Anerkennung vornehmlich einer Vermeidung unnötiger Verfassungsbeschwerden dient, im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem StVollzG geringere Anforderungen zu stellen.
18Andererseits ist die Rechtsprechung des erkennenden Senats selbst zu dieser Frage in Teilen uneinheitlich. So hat der Senat z.B. mit Beschluss vom 25.01.2007 - 1 Vollz (Ws) 67/07 OLG Hamm - ausdrücklich dargelegt, der Betroffene habe im Fall der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs vorzutragen, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht hätte. Demgegenüber ist mit Beschluss vom 28. Februar 2013 - III-1 Vollz (Ws) 24/13 – in einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation (mangelnde Anhörung zur Stellungnahme des JVA) die Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs mit eher großzügiger Betrachtungsweise zugelassen worden, obgleich – wie hier – kein substantiiertes Vorbringen zur der Frage vorlag, was im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre.
19Der Senat erachtet es im Hinblick auf die insoweit gegebenenfalls verursachte Rechtsunsicherheit unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens im vorliegenden Einzelfall für sachgerecht, die erhobene Rüge als noch ausreichend im Sinne der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO zu bewerten.
20Für zukünftige Fälle wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass grundsätzlich die o.a. aufgeführten strengeren Rügeanforderungen zu beachten sein werden.
21Der Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen. Da die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Strafvollstreckungskammer nämlich nicht dadurch geheilt werden kann, dass rechtliches Gehör im Rechtsbeschwerdeverfahren gewährt wird (vgl. OLG Bamberg, ZfStrVo SH 79, 111; Calliess/Müller/Dietz, a.a.O., § 119 Rdnr. 6 m.w.N.), ist die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
22Dem weitergehenden Begehren auf Feststellung der Eignung für den offenen Vollzug (§ 10 Abs. 1 StVollZG) war unabhängig davon, dass aus den bisher vorliegenden Unterlagen tatsächlich eher das Gegenteil herzuleiten ist, schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dieses Begehren über das ursprünglich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgte Begehren auf die Feststellung der Eignung des Betroffenen für Vollzugslockerungen (§ 11 StVollZG) hinausgeht und mithin nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
23Im Hinblick auf die gleichzeitige Rüge der Nichtgewährung von Akteneinsicht wird für das weitere Verfahren darauf hingewiesen, dass es nach Auffassung des Senats einer Beiziehung der bei der Staatsanwaltschaft geführten Vollstreckungshefte und der Gewährung entsprechender Akteneinsicht nicht bedarf. Im Hinblick auf die bei den Akten befindlichen Gefangenenpersonalakten wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 185 StVollZG insoweit vorrangig ein Auskunftsrecht des Betroffenen besteht und Akteneinsicht (über welche die JVA zu befinden hat) nur bei Darlegung eines über den Auskunftsanspruch hinausgehenden rechtlichen Interesses zu gewähren ist (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 01. Juni 2005, 1 Vollz (Ws) 75/05, zitiert nach juris).
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