Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 11 U 27/12
Tenor
Die Berufung des Klägers zu 1) gegen das am 15.12.2011 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung der Klägerin zu 2) wird das vorgenannte Urteil ‑ unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels ‑ teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, über die erstinstanzlich ausgeurteilten Beträge hinaus weitere 6.722,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2010 an die Klägerin zu 2) zu zahlen.
Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) sowie der Beklagten im Berufungsverfahren tragen die Klägerin zu 2) 37 % und die Beklagte 63 %.
Von den Gerichtskosten I. Instanz und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten in I. Instanz tragen der Kläger zu 1) die Hälfte, die Klägerin zu 2) 1/6 und die Beklagte 1/3. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) trägt die Beklagte 63 %.
Im Übrigen findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3Die klagende Stadt verlangt von der Beklagten in Höhe behaupteter Forderungen aus Wasser‑, Abwasser- und Regenwassergebühren aus den Jahren 2007 bis 2009 die Herausgabe von Geldern, welche die Beklagte im Zwangsversteigerungsverfahren gegen den Nachlassverwalter ihrer am 07.02.2007 verstorbenen Darlehensschuldnerin C vor dem Amtsgericht Bad Oeynhausen, Az. 3 K 77/08, nach Versteigerung des zu ihren Gunsten belasteten Grundstücks der Schuldnerin ausgekehrt erhielt.
4Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
5Das Landgericht hat die Klage in Höhe von 267,86 € nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger zu 1) durch Parteiwechsel ausgeschieden und die Klägerin zu 2) an seiner Stelle in den Rechtsstreit eingetreten sei. Die Klägerin zu 2) sei berechtigt, nach den Grundsätzen ungerechtfertigter Bereicherung auf Grund eines besseren Rechts ihr zustehende Ansprüche auch nach Beendigung des Zwangsversteigerungsverfahrens geltend zu machen, obwohl die Rechtsbehelfe dieses Verfahrens nicht ausgeschöpft worden seien. Auf eine ordnungsgemäße Anmeldung der Forderung im Zwangsversteigerungsverfahren komme es daher nicht an. Die klagende Stadt sei wegen ihrer Gebührenforderungen gegenüber den Forderungen der Beklagten bevorrechtigt, da sie gesetzlich privilegierte öffentliche Abgaben geltend mache. Jedoch habe die Klägerin die Berechtigung ihrer Gebührenforderung weitgehend nicht schlüssig dargelegt, weil sie den hohen Wasserverbrauch auf dem unbewohnten Grundstück nach dem Tode Frau C nicht erklärt habe. Daher seien ihre Forderungen wegen der Verbrauchskosten im Jahre 2008 und wegen der Mahn- und Säumnisgebühren unbegründet.
6Mit der von beiden Klägern eingelegten Berufung, welche von dem Kläger zu 1) nicht begründet wurde, macht die Klägerin zu 2) geltend, dass die Beklagte zum einfachen Bestreiten ihrer Gebührenforderung schon deshalb nicht berechtigt gewesen sei, weil ihr ihre Forderung und deren Zusammensetzung schon im Zwangsversteigerungsverfahren bekannt gewesen sei und die Forderung entsprechend ihrer Wasserversorgungssatzung ermittelt worden sei. Der Nachlasspfleger von Frau C, Herr Rechtsanwalt M, habe sie mit Schreiben vom 10.11.2008 gebeten, die Ablesung des Verbrauchs vorzunehmen und die Wasserversorgung abzustellen. Daraufhin sei der Zähler am 18.11.2008 abgelesen und ausgebaut worden. Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Messeinrichtung hätten nicht bestanden. Auf Grund der Ablesung und entsprechend der satzungsmäßigen Vorgaben sei sodann der Gebührenbescheid erstellt und vom Nachlasspfleger nicht beanstandet worden. Zumindest hätte das Landgericht aber darauf hinweisen müssen, dass es die Forderung nicht für ausreichend dargelegt halte. Eine genaue Kenntnis über den Hintergrund des hohen Wasserverbrauchs für 2008 habe sie nicht, sie wisse jedoch vom Hörensagen, dass in das Haus eingebrochen und dabei die Wasserhähne aufgedreht worden seien.
7Die Klägerin zu 2) beantragt,
8unter Abänderung des Urteils der Einzelrichterin des Landgerichts Bielefeld vom 15.12.2011 die Beklagte zu verurteilen, an sie über die erstinstanzlich ausgeurteilten Beträge hinaus weitere 10.677,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2010 zu zahlen.
9Die Beklagte beantragt,
10die Berufung zurückzuweisen.
11Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Verteidigungsvorbringen, rügt den Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren als verspätet und verteidigt das angefochtene Urteil.
12Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen I, T und M. Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 12.07.2013 verwiesen.
13II.
141.
15Die ausdrücklich auch im Namen des – durch die Kostenentscheidung des Landgerichts beschwerten und daher grundsätzlich zur Einlegung der Berufung berechtigten (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.07.2006 zum Aktenzeichen 13 U 149/05, veröffentlicht bei juris) – Klägers zu 1) eingelegte Berufung ist unzulässig und war daher gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Der Kläger zu 1) hat seine Berufung entgegen der Vorschrift des § 520 Abs. 3 ZPO nicht begründet. Berufungsantrag und Berufungsbegründung beziehen sich lediglich auf den erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag, der auf Zahlung an die Klägerin zu 2) gerichtet ist. Eine Rüge etwa dahingehend, dass das Landgericht zu Unrecht von einem Parteiwechsel ausgegangen sei und den Kläger zu 1) mit Kosten belastet habe, hat die Berufung nicht erhoben. Der Senat hat den Kläger zu 1) im Senatstermin vom 20.03.2013 auf die Unzulässigkeit seiner Berufung hingewiesen, ohne dass insofern eine Reaktion erfolgt wäre.
162.
17Hingegen ist die Berufung der Klägerin zu 2) zulässig und teilweise begründet.
18Der Klägerin zu 2) steht gegen die Beklagte ein Bereicherungsanspruch in der titulierten Höhe gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zu, weil sie mit den Wasser- und Abwassergebühren eine bevorrechtigte Forderung geltend macht, die aus dem Versteigerungserlös für das Hausgrundstück der Nachlassschuldnerin C, C-Straße in D, vorrangig zu befriedigen war.
19a) Insoweit hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin zu 2) berechtigt ist, ihren materiell-rechtlichen Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens in der Zwangsversteigerung des Grundstücks durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen geltend zu machen. Obwohl dort ein Teilungsplan gemäß § 114 ZVG erstellt und hiergegen kein Widerspruch seitens der Klägerin erhoben wurde, hat die Feststellung des Teilungsplans durch die Rechtspflegerin keine Auswirkungen auf die materielle Berechtigung der Beteiligten und erwächst nicht in Rechtskraft. Ebenso wenig führt die Versäumung der Monatsfrist der §§ 115 Abs. 1 ZVG, 878 Abs. 1 ZPO dazu, dass der widersprechende Gläubiger mit seinem Recht ausgeschlossen wäre. Vielmehr bleibt die Bereicherungsklage zur Durchsetzung des besseren Rechts zulässig (vgl. Zöller - Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 878 Rdn. 16; Stöber, ZVG, § 115 Anm. 5.19). Dem Landgericht ist weiterhin darin zuzustimmen, dass aus demselben Grund die Frage einer ordnungsgemäßen Forderungsanmeldung im Zwangsversteigerungsverfahren durch die Klägerin ohne Bedeutung für ihre materielle Berechtigung ist.
20b) Durch die Auskehrung des Versteigerungserlöses hat die Beklagte einen Vermögensvorteil erlangt. Dies geschah auf Kosten der Klägerin zu 2) und ohne Rechtsgrund, weil der Klägerin gegenüber der Darlehensforderung der Beklagten gegen den Nachlass der verstorbenen C ein besseres Recht zustand.
21Während die Beklagte Inhaberin einer Darlehensforderung war, welche durch eine Grundschuld an dem versteigerten Grundstück gesichert war und der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG unterfiel, handelte es sich bei den Gebührenansprüchen der Klägerin zu 2) um solche gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG, welche den Ansprüchen der Beklagten vorgehen. Die Klägerin zu 2) besitzt Ansprüche auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge. Zu den öffentlichen Lasten i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehören Kommunalabgaben, sofern das Landesrecht dies vorsieht. Kommunalabgaben sind die Abgaben, die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Deckung ihres Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung oder Erneuerung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen als sogenannte Benutzungsgebühren erheben. In Betracht kommen hier Anschluss‑, Benutzungs- und Bezugskosten für Gas, Strom, Wasser und Fernwärme, aber auch für Abfall- und Abwasserbeseitigung, Kanalisation, Müllabfuhr und Straßenreinigung. Dabei genügt es, wenn die Leistung von einem gemeindlichen Unternehmen erbracht wird, sofern dies in öffentlich-rechtlicher Organisationsform geführt wird. Die Erhebung der Abgaben erfordert eine Satzungsgrundlage, die den Abgabenschuldner bezeichnen und die Eigenschaft als öffentliche Last erkennbar machen muss (vgl. Stöber, ZVG, § 10 Anm. 6.7).
22Die von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Wasser‑, Schmutz- und Regenwassergebühren fallen sämtlich unter diese Definition. Die Klägerin zu 2) führt ihre Stadtwerke als Eigenbetrieb. Mit der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserversorgungssatzung der Stadt D2 vom 01.09.1981 in der Fassung der 15. Änderungssatzung vom 14. Dezember 2007 und der Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren und Kanalanschlussbeiträgen vom 2. Dezember 1999 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 14. Dezember 2007 besteht die erforderliche Satzungsgrundlage. Gemäß § 6 Abs. 5 KAG NW sind die öffentlich-rechtlichen Gebühren und Beiträge zu öffentlichen Lasten des Grundstücks bestimmt worden.
23Ohne Erfolg wendet die Beklagte ein, dass die Zuordnung der Gebührenansprüche als grundstücksbezogen gegen Verfassungsrecht verstoße und deshalb unwirksam sei und verweist insofern auf Aufsätze von Fischer, ZFLR 2011, S. 468 und 2012, S. 489. Die dort im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 6 Abs. 5 KAG NW teilt der Senat nicht. So ist die gesetzliche Regelung nicht unklar und besteht auch keine Gefahr einer ausufernden Ausweitung des Begriffs der öffentlichen Lasten. Welche öffentlich-rechtlichen Lasten zu grundstücksbezogenen erklärt werden können, ist entsprechend der oben dargestellten Definition geklärt und unterliegt keinem Zweifel. Wasser‑, Abwasser- und Müllgebühren werden von einer Kommune auf dem Grundstück des Gebührenpflichtigen erbracht und fallen daher grundstücksbezogen an. Dass hingegen beliebige zusätzliche Gebührentatbestände zu grundstücksbezogenen erklärt werden könnten, erscheint konkret nicht zu besorgen. Der Grundstücksbezug entfällt zudem regelmäßig auch nicht, soweit die Leistungen der Kommune nicht unmittelbar dem Eigentümer selbst, sondern Dritten zugutekommen. Soweit die Leistungen von Mietern und Pächtern entgegengenommen werden, hat es der Grundstückseigentümer in der Hand, durch entsprechende Regelungen im Miet- oder Pachtvertrag, insbesondere durch Vereinbarung und notfalls Anpassung von Nebenkostenvorauszahlungen, Vorsorge zu schaffen, dass er wegen seiner Erstattungsansprüche befriedigt werden wird. Dem verbleibenden Restrisiko eines Grundstückseigentümers, für einen Verbrauch in Anspruch genommen zu werden, auf den er keinen Einfluss hat, steht das greifbare Interesse der öffentlichen Versorger gegenüber, für ihr auf erbrachten Leistungen beruhendes Entgelt notfalls, falls der Eigentümer sonst nicht leistungsfähig ist, auf den Wert des Grundstücks zurückgreifen zu können, ohne dass etwa zugunsten von Banken bestellte Darlehenssicherheiten ihren Ansprüchen vorgehen können. Hingegen sind die Interessen der eingetragenen Grundstücksgläubiger weniger schutzwürdig, da sie es regelmäßig selbst in der Hand haben, ihr Risiko gerade bei Darlehensgeschäften zu bewerten und ggf. durch geeignete andere Sicherheiten abzusichern bzw. von der Darlehensvergabe notfalls abzusehen, zumal sie ohnehin nicht vor allen Risiken und Eventualitäten zu schützen sind, wenn etwa ein Eigentümer das Grundstück verwahrlosen lässt. Für etwaige verbleibende Härtefälle ist zu berücksichtigen, dass die klagende Gemeinde jedenfalls in ihrer Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren und Kanalanschlussbeiträgen in § 20 eine Regelung aufgenommen hat, auf Grund derer bei nicht beabsichtigten Härten Kanalanschlussbeiträge, Abwassergebühren und der Kostenersatz gestundet, ermäßigt, niedergeschlagen oder erlassen werden können, so dass eine Korrektur bei groben Unbilligkeiten möglich bleibt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung (WuM 2010, S. 594) keinen Anlass gesehen hat, die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 6 Abs. 5 KAG NW in Frage zu stellen; gleiches gilt für eine weitgehend vergleichbare Regelung im Recht Baden-Württembergs (WM 2012, S. 997).
24c) Die daher gegenüber den Forderungen der Beklagten gegen den Nachlass bevorrechtigten Ansprüche der Klägerin zu 2) bestehen in der ausgeurteilten Höhe. Die Klägerin zu 2) hat schlüssig dargelegt und in der Beweisaufnahme nachgewiesen, dass aus dem Hause C-Straße in D2 im Jahre 2008 bis zum Zeitpunkt, in dem die Wasserversorgung endgültig abgestellt wurde, eine Frischwassermenge von 2.181 cm³ aus dem Leitungssystem entnommen wurde, welche mit einem Betrag von 3.315,12 € zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer in Höhe von 232,06 € zu vergüten ist. Hinzu kommt ein Betrag von 1,85 €, der an Mehrwertsteuer auf die bereits vom Landgericht zuerkannte Vorhaltegebühr zu entrichten ist.
25c.1) Soweit das Landgericht beanstandet hatte, dass die Klägerin den hohen Verbrauch in dem leer stehenden Haus nicht schlüssig erklärt habe, hat die Klägerin zu 2) schlüssig dargelegt, dass ein derartiger Verbrauch etwa durch einen Wasserrohrbruch erklärlich gewesen wäre, wobei allerdings auch das Herbeiführen von Vandalismusschäden im Haus durch dort unbefugt eingedrungene Personen in Betracht kam. Mit ihrem neuen Vortrag im Berufungsverfahren war die Klägerin zu 2) nicht gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen, weil ihr Vortrag infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist. Das Landgericht hat gegen seine Verpflichtung aus § 139 Abs. 1 und 2 ZPO verstoßen, den Sachverhalt mit den Parteien zu erörtern und rechtzeitig auf die von ihm angenommene Unschlüssigkeit der klägerischen Darlegung hinzuweisen. Die Klägerin zu 2) vertrat erstinstanzlich die Auffassung, dass durch die bestandskräftig gewordenen Gebührenbescheide, welche der Nachlassverwalter der verstorbenen Frau C nicht angefochten hatte, sie ihrer Darlegungslast Genüge getan habe. Dies war zwar insofern von Rechtsirrtum beeinflusst, als die Bestandkraft der Bescheide nur im Verhältnis des Gebührenschuldners zur klagenden Gemeinde eingetreten sein kann, während es der Beklagten als nachrangigem Grundstücksgläubiger unbenommen bleiben musste, eine fehlerhafte Abrechnung zu rügen. Das Landgericht war jedoch gehalten, die Klägerin zu 2) auf ihren Rechtsirrtum aufmerksam zu machen und sie auf die von ihm angenommene Unzulänglichkeit ihres Vortrages hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags zu geben.
26c.2) Die Klägerin hat weiterhin durch die Vernehmung der Zeugen I und T nachgewiesen, dass die Entnahme einer Frischwassermenge von 2.181 m³ im Jahre 2008 zutreffend ermittelt worden war. Die beiden Zeugen haben übereinstimmend und glaubhaft ausgesagt, dass sie damit beauftragt waren, den Wasserzähler aus dem Haus C-Straße in D2 auszubauen, und anlässlich dieses Ausbaus den Zählerstand abgelesen und notiert hatten. Soweit sie dabei einen Zählerstand von 2.620 notierten, dem ein Zählerstand im Jahr 2007 von 439 gegenüberstand, besteht an der Richtigkeit ihrer Ablesung kein Zweifel. Die Zeugen haben plausibel dargestellt, dass es im Haus insgesamt sehr feucht war und im Keller in erheblichem Maße Wasser stand. Dies ist damit zu vereinbaren, dass während des Leerstands durch in das Haus eingedrungene Personen sehr große Mengen Wasser aus dem Leitungssystem entnommen worden sein müssen, die zumindest zum erheblichen Teil nicht in die Kanalisation, sondern in das Haus gelaufen sind. Die Richtigkeit ihrer Bekundungen wird gestützt durch das Gutachten des Sachverständigen Kruse im Zwangsversteigerungsverfahren vom 10.01.2009, welches der Senat mit den Parteien erörtert hat und das belegt, dass im Inneren des Hauses alle Räume feucht gewesen seien, Möbel, Wände, Decken und Türen in desolatem Zustand und erhebliche Schäden durch Vandalismus feststellbar waren. Der Zeuge M berichtete zudem von Anrufen der Polizei, wonach Jugendliche in das Haus eingedrungen seien und im Haus gewütet hätten. Soweit der Zeuge T die Möglichkeit ansprach, dass es sich um eindringendes Grundwasser handelte, spricht gegen diese Überlegung nicht nur die Menge des dort stehenden Wassers, sondern insbesondere der Umstand, dass im gesamten Haus in erheblichem Umfang Feuchtigkeit vorhanden war, was auf einen Wasserfluss von oben nach unten in den Keller schließen lässt. Schließlich sind auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Ablesung der Zeugen I und T deshalb angebracht, weil die Wasseruhr nicht geeicht gewesen war, denn nach der Aussage des Zeugen T erscheint es praktisch ausgeschlossen, dass im Haus eine ungeeichte und falsch zählende Wasseruhr montiert war, weil nach seiner auch insofern glaubhaften Aussage die Wasseruhren aufgrund entsprechender Planung rechtzeitig vor Ablauf der Eichzeit ausgetauscht werden.
27c.3) Ohne Bedeutung für die Gebührenpflicht des Nachlasses ist, dass die Wasserentnahme nicht durch den Nachlasspfleger oder sonstige berechtigte Personen erfolgte, sondern durch unbefugt ins Haus eingedrungene Personen, welche die Wasserhähne aufgedreht haben und das Wasser ins Haus hineinlaufen ließen. Gemäß § 8 Abs. 6 der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserversorgungssatzung der Stadt D2 wird die ordnungsgemäß ermittelte Wassermenge auch dann der Gebührenberechnung zugrunde gelegt, wenn sie ungenutzt hinter dem Wasserzähler verlorengegangen ist. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Regelung bestehen nicht, zumal die klagende Stadt in diesem Fall ihre Leistungen tatsächlich erbracht hat.
28d) Die Gebührenforderung der Klägerin zu 2) auf Grund des angefallenen Abwassers ist hingegen nur teilweise berechtigt. Zwar knüpft nach der Satzung die Schmutzwassergebühr an die entnommene Frischwassermenge an und geht die Gebührenabrechnung für das Abwasser vom 27.11.2008 zutreffend von einem Frischwasserverbrauch von 2.181 m³ aus. Jedoch wirkt sich zugunsten der Beklagten aus, dass sehr erhebliche Teile des entnommenen Frischwassers nicht durch die Kanalisation des Hauses abgeführt worden sein können.
29Allerdings ist die Regelung des § 4 Abs. 5 der Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren und Kanalanschlussbeträgen nicht zu Gunsten der Beklagten anwendbar. Nach dieser Norm reduziert sich die Gebührenpflicht für das Abwasser um solche Wassermengen, die nachweisbar auf dem Grundstück verbraucht und zurückgehalten wurden und so nicht in die öffentliche Abwasseranlage eingeleitet wurden. Angesichts der Bekundungen der Zeugen I und T steht zwar außer Frage, dass hier erhebliche Mengen des aus der Leitung entnommenen Frischwassers in das Haus gelaufen und dort versickert oder verdunstet sein müssen, denn es fehlt jeglicher schlüssige Vortrag der Klägerin zu 2) oder sonstige Anhaltspunkt dafür, dass auch diese Wassermengen letztlich von der Kanalisation aufgenommen wurden. Der Umstand, dass nach ihren auch insofern glaubhaften Aussagen im Keller 20 bis 30 cm Wasser standen, als die Zeugen I und T den Wasserzähler ausbauten, lässt nur den Schluss zu, dass dieses Wasser bereits längere Zeit aufgelaufen sein muss und nicht durch die Kanalisation abgeführt werden konnte.
30Jedoch besteht keine Möglichkeit, die Menge des ins Haus gelaufenen und nicht durch die Kanalisation entsorgten Wassers i.S.d. § 287 ZPO zuverlässig zu bestimmen oder auch nur zu schätzen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens kann nach dem Abriss des Hauses zu keinen verwertbaren Erkenntnissen führen, zumal auch sonstige Anknüpfungstatsachen wie etwa die Größe der Kellerfläche oder die exakte Höhe des Wasserstandes wie auch die Dauer des Eintretens von Wasser in das Haus nicht bekannt sind. Diese Unaufklärbarkeit wirkt sich zu Lasten der Beklagten aus, welche eine für sie günstige Ausnahme von der Regel, wonach die gebührenpflichtige Abwassermenge aufgrund des entnommenen Frischwassers zu berechnen ist, nachweisen muss. Auf die Frage, ob die in § 4 Abs. 2 der Abwassersatzung normierte Beweislastverteilung vorliegend Anwendung findet, obwohl die Beklagte nicht selbst Gebührenpflichtiger ist, kommt es nicht an, denn ihre Beweislast ergibt sich bereits aus den allgemeinen prozessualen Beweislastregeln.
31Gleichwohl kann die Klägerin zu 2) nicht die gesamte Gebührenforderung gegenüber der Beklagten durchsetzen. Vielmehr ist sie aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls verpflichtet, gemäß ihrer Billigkeits- und Härteregelung in § 20 ihrer Abwassersatzung von der Geltendmachung der Hälfte ihrer Forderung abzusehen. Durch die Geltendmachung der vollen, allein an der Frischwassermenge bemessenen Abwassergebühr entstünde eine besondere Härte, die mit dem Grundgedanken des Kommunalabgabenrechts, wonach den erhobenen Gebühren entsprechende Leistungen der Kommune gegenüberstehen, nicht zu vereinbaren ist.
32Nach den Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen ist unzweifelhaft, dass ein erheblicher, wenn auch mengenmäßig nicht mehr zu bestimmender Teil des im Haus entnommenen Frischwassers nicht über die Kanalisation abgeführt wurde. Während einerseits nicht auszuschließen ist, dass das gesamte oder nahezu gesamte aus dem Leitungssystem entnommene Wasser ins Haus gelaufen und nicht in die Kanalisation gelangt ist, fehlt es an jedem konkreten Anhaltspunkt dafür, dass auch nur der Großteil des entnommenen Wassers über die Kanalisation entsorgt wurde. Bei der hier in Rede stehenden Wasserentnahme verwirklichte sich nach den Umständen des vorliegenden Falls zudem ein seltenes und vom Eigentümer bzw. dem Nachlassverwalter nicht beherrschbares Risiko, dass unbekannte Personen in ein leerstehendes Haus eindringen und dort infolge Vandalismus Wasserleitungen aufdrehen und nach Verschluss der Abläufe das Wasser ins Haus laufen lassen. Technische Möglichkeiten, mit denen eine Mengenerfassung nicht in die Kanalisation gelangenden Wassers möglich wäre, sind nicht vorhanden und deren Einbau nicht zumutbar. Dass den seinerzeit die Interessen der Grundstückseigentümer wahrnehmenden Nachlassverwalter M am Eindringen der Personen oder aufgrund des Fortbestehens einer Wasserversorgung ein Verschulden treffen würde, lässt sich nicht feststellen, zumal der Zeuge M bei seiner Vernehmung glaubhaft bekundet hat, dass er bei seiner ersten Besichtigung des Hauses entsprechend ständiger Übung bei den von ihm verwalteten Objekten mit einer Zange die Wasserzufuhr im Haus zugedreht habe, falls diese nicht bereits anderweitig abgestellt worden war. Auch wenn damit nicht vollständig ausgeschlossen ist, dass unbefugte Dritte die Wasserzufuhr wieder aufdrehen, hat der Zeuge M damit das in seiner Situation zur Verhütung eines Wasserschadens Gebotene getan. Von ihm zu verlangen, stets bei Übernahme eines leer stehenden Hauses im Rahmen einer Nachlassverwaltung die Sperrung der Wasserzufuhr an der Hausanschlussstelle und den Ausbau des Wasserzählers zu veranlassen, würde die Anforderungen an einen Nachlassverwalter überspannen.
33In Anbetracht aller Umstände konnte es nicht lediglich im freien Ermessen der Klägerin zu 2) stehen, ob sie die Abwassergebühren für das Jahr 2008 ermäßigen würde, sondern war die Ermäßigung der Gebühr auf die Hälfte zur Herbeiführung einer angemessenen und billigen Lösung nach § 242 BGB zwingend geboten. Daran ändert sich auch nichts aufgrund des Umstands, dass sich im vorliegenden Fall die Anwendung der Härteregelung nicht zugunsten eines Eigentümers bzw. dessen überschuldeten Nachlass auswirkt, sondern zugunsten eines Grundstücksgläubigers im Rahmen der Zwangsversteigerung, denn auch diesem gegenüber ist die Geltendmachung der vollständigen Forderung aus den genannten Umständen unbillig.
34e) Die Klägerin zu 2) kann daher von ihrer im Gebührenbescheid vom 27.11.2008 errechneten Abwassergebührenforderung in Höhe von 6.346,71 € den Betrag von 3.173,35 € gegenüber dem Nachlass privilegiert geltend machen. Die Summe der vorgenannten Beträge ergibt bei Addition mit der berechtigten Gebührenforderung für den Wasserverbrauch i.H.v. 3.575,50 € einschließlich Mehrwertsteuer abzüglich bereits vom Landgericht ausgeurteilter 26,47 € den vom Senat ausgeurteilten Betrag.
35f) Wegen der weiterhin geltend gemachten Mahngebühren und Säumniszuschläge war die Berufung zurückzuweisen. Zweifelhaft ist bereits, ob derartige Forderungen, welche gegenüber dem Grundstückseigentümer bzw. dessen Nachlass entstanden sind, unter das Privileg der §§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG, 6 Abs. 5 KAG NW fallen. Jedenfalls ist aber eine schlüssige Darlegung der Klägerin zu 2), wie sich die Mahngebühren und Säumniszuschläge errechnen, nicht erfolgt. Insbesondere hat die Klägerin zu 2) in der Berufung hierzu nicht näher vorgetragen, obwohl bereits das Landgericht im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen hat, dass sich die geltend gemachten Mahnkosten und Säumniszuschläge nicht feststellen lassen.
36Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
37Die Zulassung der Revision war nicht geboten, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO hierfür nicht vorliegen.
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