Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 11 U 95/14
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 27.05.2014 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das vorgenannte Urteil teilweise abgeändert.
Das beklagte Land bleibt verurteilt, an den Kläger 34.711,22 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.11.2013 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des beklagten Landes wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 68 % und das beklagte Land zu 32 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die andere Partei vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Der Kl. verlangt Geldentschädigung und Schadensersatz für eine in der Zeit vom 02.11.1998 bis zum 16.09.2010 gegen ihn konventionswidrig vollzogene Sicherungsverwahrung.
4Er hat in erster Instanz die Zahlung von 108.425,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt und den Zahlungsanspruch auf einen Tagessatz von 25 € für die insgesamt 4.337 Tage währende Sicherungsverwahrung gestützt (4.337 x 25 € = 108.425,00 €), die Klageforderung daneben aber auch mit von ihm während der Dauer der Sicherungsverwahrung erhobenen Haftkostenbeiträgen von insgesamt 1.922,87 € und einem – vom Gericht zu schätzenden – Verdienstausfall und Ausfall an Rentenanwartschaften sowie ferner mit Vermögensschäden in Form von Umzugskosten, Hotelkosten und erhöhte Lebenshaltungskosten, die durch eine nach der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung erfolgte Observierung durch Polizeibeamte verursacht worden seien, und mit vorgerichtlichen Anwaltskosten begründet.
5Das beklagte Land hat die Auffassung vertreten, dass ein Tagessatz von 25,00 € nicht gerechtfertigt sei und hilfsweise die Aufrechnung mit einer Justizkostenforderung in Höhe von 38.211,65 € aus dem nach der Entlassung des Klägers geführten weiteren Strafverfahren 27 KLs 31/12 – 12 Js 1200/12 LG Essen erklärt, in dem der Kläger mit Urteil vom 19.07.2013 wegen schwerer sexueller Nötigung und Besitzes jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten mit anschließender Anordnung der Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist (Bl. 118 ff).
6Das Landgericht hat das Land – unter Abweisung der weitergehenden Klage - zur Zahlung von 72.922,87 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt:
7Für die konventionswidrig vollzogene Sicherungsverwahrung vom 02.11.1998 bis zum 16.09.2010 stehe dem Kläger gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK ein Anspruch von 71.000,00 € zu, was einem für angemessen erachteten Betrag von etwa 500,00 € pro Monat entspreche. § 7 StrEG sei für die Berechnung nicht heranzuziehen.
8Ferner stehe dem Kläger gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK ein Anspruch auf Erstattung der Haftkostenbeiträge in Höhe von 1.922,87 € zu. Ein weitergehender Schaden sei hingegen weder hinreichend vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der geltend gemachte Verdienstausfall sei nicht hinreichend substantiiert; zudem lasse sich dem Vortrag nicht entnehmen, dass der Kläger bei einer Entlassung nach dem 10-Jahres-Zeitraum eine dauerhafte Anstellung gefunden hätte, da er bereits kurze Zeit nach der Anstellung aufgrund einer erneuten Straftat wieder inhaftiert worden sei.
9Die Hilfsaufrechnung des beklagten Landes scheide in Anlehnung an die Entscheidung des BGH vom 24.03.2011 – IX ZR 180/10 – gem. §§ 394, 393, 399 BGB und 851 ZPO aus.
10Wegen der weiteren Einzelheiten einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
11Gegen dieses Urteil richten sich die wechselseitigen Berufungen.
12Das beklagte Land erstrebt eine weitergehende Klageabweisung, soweit es zu mehr als 34.711,22 € verurteilt worden ist. Es vertritt mit näheren Ausführungen die Auffassung, das Landgericht habe die Aufrechnung zu Unrecht als unzulässig angesehen.
13Das beklagte Land beantragt,
14- 15
1. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen, soweit es zur Zahlung eines höheren Betrages als 34.711,22 € nebst Zinsen verurteilt worden ist,
- 17
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
19- 20
1. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen,
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2. das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 27. Mai 2014 – 25 O 74/14 – insoweit abzuändern, als die Klage abgewiesen wird, und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 58.425,01 €, in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz für dem Kläger entstandenen Verdienstausfall mindestens in Höhe von 109.327,21 € und ebenfalls in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz für dem Kläger entstandenen Vermögensschaden durch Observierung mindestens in Höhe von 5.000,00 € jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
24die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
25Der Kläger erstrebt mit seiner Berufung eine weitergehende Verurteilung zur Zahlung von weiteren 172.752,22 €. Er macht geltend:
26Ein Anspruch auf Zahlung weiterer 37.425,00 € ergebe sich, weil entgegen der Auffassung des Landgerichts in Anlehnung an § 7 StrEG für die konventionswidrig vollzogene Sicherungsverwahrung ein Tagessatz von 25,00 € gerechtfertigt sei.
27Weitere 20.000,01 € verlangt der Kläger als Teilschaden mit der Behauptung, bei rechtzeitiger Entlassung im Jahre 1998 wäre ihm das Hausgrundstück seines Vaters vererbt oder geschenkt worden, das nunmehr sein Bruder erhalten habe.
28Zudem stünden ihm auf der Grundlage seines erstinstanzlichen Vortrages die geltend gemachten vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.000,00 € zu.
29Durch die konventionswidrig vollzogene Sicherungsverwahrung sei ihm ein Verdienstausfall von mindestens 109.327,21 € entstanden. Es sei davon auszugehen, dass er bei einer Entlassung am 02.11.1998 eine Erwerbstätigkeit mit dauerhafter Anstellung wie später tatsächlich vom 25.05.2012 bis zu seiner erneuten Inhaftierung am 06.09.2012 gefunden hätte. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass er 1998 aufgrund seines geringeren Lebensalters bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätte. Dass er nach seiner am 16.09.2010 erfolgten Entlassung erst am 25.05.2012 einen Arbeitsplatz gefunden habe, sei hauptsächlich darin begründet, dass er nach der Entlassung ständig durch die Polizei observiert worden sei. Die Annahme, er hätte bei früherer Entlassung einen Arbeitsplatz wieder wegen erneuter Straffälligkeit verloren, verstoße gegen die Unschuldsvermutung.
30Durch die Observierung sei ihm zudem ein Vermögensschaden von mindestens 5.000,00 € entstanden, der gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK zu ersetzen sei. Die erforderliche Kausalität sei zu bejahen, weil die Observierung zwar die Abwehr möglicher Gefahren bezweckt habe, diese aber ohne die Freiheitsentziehung des Klägers nicht erfolgt wäre.
31II.
32Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Hingegen erweist sich die Berufung des beklagten Landes als begründet.
331.
34Der Kläger hat gegen das beklagte Land keinen höheren Anspruch auf Zahlung als die vom beklagten Land in der Berufung hingenommene Verurteilung in Höhe von 34.711,22 €. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die vom beklagten Land erklärte Aufrechnung zulässig und wirksam (a.). Eine höhere Entschädigung für die konventionswidrige Freiheitsentziehung in der Zeit vom 02.11.1998 bis zum 16.09.2010 als die auf Basis eines Monatsbetrages von etwa 500,00 € vom Landgericht zuerkannten 71.000,00 € steht dem Kläger nicht zu (b.). Die weiter vom Kläger ersetzt verlangten Vermögensschäden können teilweise aus prozessualen Gründen im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht werden, im Übrigen besteht kein ihren Ersatz begründender Anspruch (c.).
35a.
36Die vom beklagten Land erklärte Aufrechnung mit dem Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 38.211,65 € aus dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren 27 KLs 31/12 - 12 Js 1200/12 LG Essen ist zulässig und hat das Erlöschen des vom Landgericht zuerkannten Anspruchs des Klägers in dieser Höhe gem. § 389 BGB bewirkt.
37(1)
38Beachtliche Einwendungen gegen Bestand und Höhe der Forderung sind vom Kläger nicht erhoben worden. Soweit der Kläger rügt, die Forderung sei nicht transparent und nachvollziehbar dargelegt, ist dies unbeachtlich. Denn die Forderung ist durch den Kläger anerkannt worden. In der von ihm am 09.04.2014 unterzeichneten Abtretungserklärung (Bl. 330) heißt es einleitend „Ich schulde dem Land … die nachstehend aufgeführten Beträge“. Aufgeführt ist in der Erklärung nachfolgend eine Justizkostenforderung in Höhe von 38.211,65 €, wobei als Geschäftszeichen des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft das Aktenzeichen des der Verurteilung des Klägers vom 19.07.2013 zu Grunde liegenden Strafverfahrens genannt ist. Die Erklärung beinhaltet damit zumindest ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit der Folge, dass alle Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Natur ausgeschlossen sind, die der Schuldner bei Abgabe kannte oder mit denen er rechnen musste (vgl. Bamberger/Roth in BeckOK BGB, Stand 01.02.2015, § 781 Rn. 10 m.w.N.)
39(2)
40Die Aufrechnung ist auch materiell-rechtlich zulässig. Ein Aufrechnungsverbot besteht nicht.
41Hierzu hat der Senat mit am 06.02.2015 verkündetem Urteil (Az.: 11 U 131/13) in einem gleich gelagerten Fall Folgendes ausgeführt:
42„Des Weiteren ergibt sich hier auch kein Aufrechnungsverbot aus § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung. Eine Vergleichbarkeit dieses Falles mit den Fällen der Entschädigung für menschenunwürdige Haftbedingungen, in welchen höchstrichterlich regelmäßig von einem Aufrechnungsverbot gegen den Entschädigungsanspruch ausgegangen wird, ist nicht gegeben. Ein Aufrechnungsverbot gemäß § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung kommt dann in Frage, wenn die Aufrechnung nach der Eigenart des Schuldverhältnisses oder dem Zweck der geschuldeten Leistung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheint (BGH, NJW-RR 2010, 167). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Insbesondere ist von erheblicher Bedeutung, dass es bei den Fällen der Entschädigung für menschenunwürdige Haftunterbringung in der Regel zu einem nicht unerheblichen Verschulden der Amtsträger gekommen ist. Jedenfalls besteht ein Anspruch nur verschuldensabhängig. Demgegenüber ist in dem hier vorliegenden Fall ein Verschulden weder erforderlich, noch ersichtlich. Aufgrund der damaligen eindeutigen Rechtslage, die auch von dem Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist, kann nicht von einem Verschulden der tätigen Amtsträger ausgegangen werden. Danach ist jedenfalls eine Sanktionswirkung und eine Präventionswirkung der in diesem Fall geschuldeten Entschädigung anders als in den Fällen der Entschädigung für menschenunwürdige Haftunterbringung nicht vorhanden und auch nicht erforderlich. Die Amtsträger sind nicht für schuldhaftes Verhalten zu sanktionieren. Außerdem besteht mittlerweile auch keine Wiederholungsgefahr mehr, die eine Präventionswirkung der Entschädigungszahlung gebieten würde. Die Sanktions- und Präventionswirkung des immateriellen Schadensersatzes in den Fällen der menschenunwürdigen Haftunterbringung war jedoch in dem vorgenannten Urteil des BGH ein entscheidender Grund dafür, ein Aufrechnungsverbot anzunehmen.
43In dem hier vorliegenden Fall hat die Entschädigung lediglich Genugtuungsfunktion. Damit unterscheidet sich dieser Fall aber nicht von anderen Amtshaftungsfällen, in denen mangels erheblichen Verschuldens und Wiederholungsgefahr ebenfalls eine Sanktions- und Präventionsfunktion nicht angenommen wird und somit ein Aufrechnungsverbot wegen unzulässiger Rechtsausübung nicht greift.
44Ergänzend kommt hier noch hinzu, dass die zur Aufrechnung gestellte Kostenforderung des beklagten Landes anders als in dem vorgenannten Fall des BGH nicht aus dem Strafverfahren herrührt, wegen dem der Kläger in die unrechtmäßige Sicherungsverwahrung genommen worden ist, sondern aus einem neuen weiteren Verfahren.
45Der Aufrechnung steht auch nicht § 394 BGB entgegen. Der Senat vermag eine Unzulässigkeit der Aufrechnung gemäß § 394 BGB wegen Unpfändbarkeit des Entschädigungsanspruchs des Klägers auch unter Berücksichtigung der Erwägungen des BGH in dem Urteil vom 24.03.2011 – IX ZR 180/10 – nicht anzunehmen. Der BGH hat in dem angeführten Urteil entschieden, dass ein von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugesprochener Anspruch nach Art. 41 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer gemäß §§ 851 Abs. 1 ZPO, 399 BGB nicht pfändbar sei, weil die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft sei, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erscheinen würde. Der hiesige Fall ist zwar mit dem von dem BGH entschiedenen Fall insoweit vergleichbar, weil es auch hier um eine Geldentschädigung für eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung geht. Die Eigenarten des vorliegenden Falles und insbesondere der Aufrechnungsforderung lassen jedoch gemäß § 242 BGB nach Treu und Glauben wegen unzulässiger Rechtsausübung ein Zurücktreten des Aufrechnungsverbots erforderlich erscheinen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 394, Rn. 2; MüKo/Schlüter, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 394, Rn. 13).
46Zu berücksichtigen ist hier, dass seitens des beklagten Landes mit einer Forderung aufgerechnet wird, die erst nach der entschädigungspflichtigen Menschenrechtsverletzung entstanden ist. Darüber hinaus beruht die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen erheblichen Straftat des Klägers. Letztlich würde die dem Kläger wegen der konventionswidrigen Sicherungsverwahrung zustehende Kompensationsleistung hier bei Zulassung der Aufrechnung dazu eingesetzt, einen Schaden auszugleichen, dessen Entstehung befürchtet worden war und der (auch) durch die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gerade verhindert werden sollte. Dem beklagten Land die Möglichkeit zu versagen, dem Kläger die von ihm aufgrund des weiteren Strafverfahrens geschuldete Forderung entgegenhalten zu dürfen, würde – auch in Ansehung des Umstandes, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung konventionswidrig gewesen ist – gegen Treu und Glauben verstoßen, da es dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufen würde.“
47An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Fallkonstellation ist hier identisch. Auch hier erfolgt die Aufrechnung mit einer Kostenforderung des beklagten Landes aus einem neuen Strafverfahren, welches aufgrund einer nach Entlassung des Klägers aus der Sicherungsverwahrung begangenen neuen einschlägigen Straftat durchgeführt werden musste und an dessen Ende der Kläger zu einer erneuten mehrjährigen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist.
48b.
49Eine höhere Entschädigung für die konventionswidrige Freiheitsentziehung in der Zeit vom 02.11.1998 bis zum 16.09.2010 als die auf Basis eines Monatsbetrages von etwa 500,00 € vom Landgericht zuerkannten 71.000,00 € steht dem Kläger nicht zu.
50Das Landgericht hat für die konventionswidrig vollzogene Sicherungsverwahrung zu Recht einen Betrag von rund 500,00 € pro Monat angesetzt und somit für den geltend gemachten Zeitraum einen Gesamtentschädigungsbetrag in Höhe von 71.000,00 € für gerechtfertigt erachtet.
51Zur Frage der Entschädigungshöhe hat der Senat in seinen Urteilen vom 14.11.2014 zu I-11 U 80/13 und I-11 U 16/14 ausgeführt:
52Diese Entschädigungshöhe entspricht der Entschädigungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen. Demgegenüber ist die von dem Kläger begehrte Entschädigung i.H.v. 25 € pro Tag übersetzt. Ein Anspruch in dieser Höhe ergibt sich insbesondere nicht aus einer direkten oder analogen Anwendung von § 7 Abs. 3 StrEG. Eine direkte Anwendung von § 7 Abs. 3 StrEG scheitert schon daran, dass die Anspruchsvoraussetzungen von §§ 1, 2 StrEG nicht gegeben sind. Es handelt sich hier nicht gemäß § 1 StrEG um einen Fall einer strafgerichtlichen Verurteilung, die im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, fortgefallen oder gemildert worden wäre. Die Voraussetzungen von § 2 StrEG liegen darüber hinaus ebenfalls nicht vor, weil der Kläger nicht freigesprochen worden ist und gegen ihn auch nicht ein Verfahren eingestellt, bzw. nicht eröffnet worden ist.
53Eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 3 StrEG kommt – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Gesetzgeber sich nur im Rahmen des Strafrechtsentschädigungsgesetzes und damit ausnahmsweise für eine Pauschalierung des Betrages der immateriellen Entschädigung entschieden habe. Darüber hinaus ist die Ermittlung der Höhe des immateriellen Schadens jedoch ebenfalls insoweit geregelt, als dass diese grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters liegt, welcher nach Art, Schwere und Umfang der Beeinträchtigung unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle nach freiem Ermessen eine immaterielle Entschädigung festzulegen hat. Mangels planwidriger Regelungslücke kommt es an dieser Stelle für die Analogie von § 7 Abs. 3 StrEG auf die von dem Kläger besonders betonte Vergleichbarkeit von Strafe und Sicherungsverwahrung nicht an.
54…
55In der Rechtsprechung deutscher Gerichte hat sich bislang keine einheitliche Bemessung der Entschädigungshöhe für vergleichbare Fälle herausgestellt.
56Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2012, 12 U 60/12) hat in einem Fall konventionswidriger Sicherungsverwahrung – ebenso wie das Landgericht Dortmund in 1. Instanz – in Anlehnung an die Entschädigungspraxis des EGMR einen Betrag von rund 500 € pro Monat für angemessen erachtet. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 19.09.2013, III ZR 406/12) hat darin jedenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des beklagten Landes gesehen.
57Das Oberlandesgericht Schleswig (Beschluss vom 26.11.2001, 11 W 23/01) hat in einem Fall für rechtswidrig verhängte Abschiebungshaft in Anlehnung an die damalige Regelung in § 7 Abs. 3 StrEG 20 DM pro Tag für angemessen erachtet.
58Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 27.12.2011, 10 W 14/11) hat in einem Fall für zu Unrecht erlittene Abschiebungshaft von knapp 2 Monaten 40 € pro Tag zur Kompensierung und Genugtuung für das erlittene Unrecht für angemessen erachtet. § 7 Abs. 3 StrEG biete nach dieser Entscheidung nur eine Orientierung.
59Das Oberlandesgericht München (Urteil vom 22.08.2013, 1 U 1488/13) hat in einem Fall für rechtswidrig verbüßte Zurückschiebungshaft von rund einem Monat 30 € pro Tag für angemessen erachtet. Eine über den Tagessatz des § 7 Abs. 3 StrEG hinausgehende Entschädigung sei deshalb angemessen, weil § 7 Abs. 3 StrEG eine Entschädigung für rechtmäßige Haft gewähre, während Art. 5 Abs. 5 EMRK eine Entschädigung für rechtswidrige Haft zubillige.
60Das Brandenburgische Oberlandesgericht (Beschluss vom 12.09.2013, 2 W 2/13) hat in einem Fall für rechtswidrige Abschiebungshaft von 11 Tagen 20 € pro Tag für angemessen erachtet. Die Beeinträchtigungen in diesem Fall blieben hinter dem typischen Fall zurück, da keine Stigmatisierung und kein Herausreißen aus dem sozialen Umfeld zu verzeichnen gewesen sei.
61Demgegenüber hat sich eine stetige Rechtsprechung des EGMR entwickelt, wonach durchgängig rund 500 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen angesehen worden sind (Urteil vom 19.04.2012, 61272/09; Urteil vom 19.01.2012, 21906/09; Urteil vom 24.11.2011, 48038/06; Urteile vom 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urteil vom 17.12.2009, 19359/04). Dabei ist der EGMR auch nicht von seiner stetigen Rechtsprechung abgewichen, als der Beschwerdeführer in einem Fall ausdrücklich auf die Regelung in § 7 Abs. 3 StrEG n.F. hingewiesen und danach 25 € pro Tag für angemessen angesehen hatte (Urteil vom 19.01.2012, 21906/09, Rn. 106 ff. = NJW 2013, 1791).
62Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die von dem EGMR zuerkannten Entschädigungen gemäß Art. 41 EMRK eine umfassende Kompensation der immateriellen Beeinträchtigungen zum Ziel hatten und demnach weitere Entschädigungsansprüche ausgeschlossen sind. Um die Möglichkeit, nach Art. 41 EMRK eine Entschädigung zu erlangen, nicht unzumutbar langwierig zu gestalten, legt der EGMR die Subsidiaritätsklausel aus Art. 41 EMRK seit jeher so aus, dass ein Anspruch aus Art. 41 EMRK nur dann hinter dem innerstaatlichen Recht zurücktritt, wenn dieses eine „vollständige Wiederherstellung des status quo ante“ ermöglicht (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, 16. Teil, IV, 2.). Der EGMR spricht daher in ständiger Rechtsprechung nicht nur in Fällen unvollkommener nationaler Entschädigungsregelungen dem jeweiligen Beschwerdeführer eine gerechte Entschädigung zu, sondern auch dann, wenn nach innerstaatlichem Recht ein Entschädigungsanspruch gegeben ist. Das Vorhandensein eines solchen im nationalen Recht schließt die Anwendung von Art. 41 EMRK im Anschluss an die Feststellung einer Konventionsverletzung nicht aus, denn es wäre unzumutbar und mit dem Zweck des Menschenrechtsschutzes nicht vereinbar, einen Beschwerdeführer nach mehrjährigem Verfahren vor den Konventionsorganen erneut auf den innerstaatlichen Rechtsweg zu verweisen (Frowein/Peukert, EMRK, 3. Auflage 2009, Art. 41, Rn. 3; Meyer/Ladewig, EMRK, 3. Auflage 2011, Art. 41, Rn. 4). Dies gilt sogar dann, wenn innerstaatliches Recht hinsichtlich der festgestellten Konventionsverletzung nicht nur die Möglichkeit der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs, sondern auch eine vollkommene Wiedergutmachung eröffnet. Selbst in diesen Fällen kann der EGMR unter Anwendung von Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung zubilligen, wenn die Wiedergutmachung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch nach Art. 41 EMRK nicht erfolgte (Frowein/Peukert, a. a. O., Art. 41, Rn. 3; Meyer/Ladewig, a. a. O., Art. 41, Rn. 4). Dies ist insbesondere regelmäßig dann der Fall, wenn eine Verletzung von Art. 5 EMRK im Beschwerdeverfahren vor den Konventionsorganen festgestellt wird (Frowein/Peukert, a. a. O., Art. 5, Rn. 147).
63Für eine umfassende Kompensation immaterieller Schäden durch Art. 41 EMRK spricht auch, dass die gemäß Art. 41 EMRK zuzusprechende gerechte Entschädigung mit der nach Art. 5 EMRK zuzusprechenden Entschädigung inhaltlich übereinstimmt, weil hinsichtlich immaterieller Schäden über Art. 5 Abs. 5 EMRK der Anwendungsbereich des § 253 Abs. 2 BGB im innerstaatlichen Recht eröffnet ist, welcher ebenfalls eine billige Entschädigung in Geld vorsieht. Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe nach Art. 41 EMRK stellt der EGMR zudem regelmäßig insbesondere auf die Schwere und Intensität des Verstoßes, sowie auf das Verhalten des Verletzten nach der Schädigung ab (Ossenbühl/Cornils, a. a. O., 16. Teil, IV, 4.). Dabei handelt es sich um Aspekte, die auch bei der Bemessung des immateriellen Schadens nach § 253 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sind. Da der EGMR zudem in seinen vorgenannten Entscheidungen zu der konventionswidrigen Sicherungsverwahrung in Deutschland regelmäßig ausdrücklich eine Entschädigung wegen erlittenen Kummers und Frustration aufgrund des rechtswidrigen Freiheitsentzuges gewährt hat, ist nicht ersichtlich, wieso die angemessene Entschädigung aus Art. 41 EMRK hinter der Entschädigung aus Art. 5 Abs. 5 EMRK zurückbleiben sollte.
64Unter Berücksichtigung dieser Aspekte würde eine Bemessung der billigen Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK auf 25 € pro Tag in Anlehnung an die Regelung in § 7 Abs. 3 StrEG zu einer Ungleichbehandlung des Individualbeschwerdeführers vor dem EGMR und dem Kläger vor dem innerstaatlichen Gericht führen, die nicht zu rechtfertigen ist.
65Demgegenüber erscheint eine Ungleichbehandlung von Geschädigten, die sich zu Unrecht in Strafhaft befunden haben, und Geschädigten, die sich zu Unrecht in Sicherungsverwahrung befunden haben, vertretbar. Bei der Entschädigung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz liegt der Fall anders als bei der konventionswidrigen Sicherungsverwahrung in der Regel so, dass der Geschädigte, der sich in Strafhaft befunden hat, unschuldig inhaftiert worden ist, wobei nicht übersehen wird, dass dies nicht zwingend ist, weil zum Beispiel bei Fällen der nachträglichen Strafmilderung oder der Einstellung des Verfahrens der Fall auch anders liegen kann. Darüber hinaus ist diese Inhaftierung in der Regel mit einer nicht unerheblichen Stigmatisierung des Geschädigten verbunden. Diese Stigmatisierung ist bei einem Sicherungsverwahrten, der ohnehin bereits in aller Regel eine jahrelange Strafhaft zu Recht verbüßt hat, im Vergleich minimal. Dazu kommt, dass der unschuldig in Strafhaft oder Untersuchungshaft Genommene nicht selten aus einem intakten Umfeld herausgerissen wurde, was eine weitere schwerwiegende Folge der nach § 7 Abs. 3 StrEG zu entschädigenden Inhaftierung darstellt. Diese Folge trifft den in der Regel seit Jahren zu Recht in Strafhaft und Sicherungsverwahrung befindlichen Sicherungsverwahrten nicht. Dabei dürfte die Erwägung, dass der nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz zu Entschädigende anders als derjenige, der sich in konventionswidriger Sicherungsverwahrung befunden hat, jedenfalls ursprünglich formell rechtmäßig inhaftiert gewesen ist, eine untergeordnete Rolle spielen, weil diese Gewissheit das Leid des unschuldig Inhaftierten, für welches er entschädigt werden soll, kaum lindern dürfte.
66An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Es sind vorliegend auch keine Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise eine höhere Entschädigung rechtfertigen könnten.
67c.
68Die weiter vom Kläger mit seiner Berufung ersetzt verlangten Vermögensschäden können teilweise aus prozessualen Gründen im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht werden, im Übrigen besteht kein ihren Ersatz begründender Anspruch.
69(1)
70Soweit der Kläger mit seiner Berufung einen weiteren Vermögensschaden ersetzt verlangt, den er in dem Entgang des seinem Vater seinerzeit gehörenden Hausgrundstücks begründet sieht, ist er damit aus prozessualen Gründen ausgeschlossen. Es handelt sich dabei um eine gem. § 533 ZPO nicht zulässige Klageänderung. Denn diese Schadensposition macht der Kläger erstmals im Berufungsverfahren geltend. Die Zulässigkeit scheitert – ungeachtet der Frage der Sachdienlichkeit – daran, dass der jetzt zusätzlich geltend gemachte Anspruch nicht auf Tatsachen gestützt werden kann, die der Senat seiner Verhandlung ohnehin nach § 529 ZPO zu Grunde zu legen hat. Zum väterlichen Hausgrundstück enthält das angefochtene Urteil – mangels Vortrags in erster Instanz zu Recht - keine Feststellungen.
71(2)
72Einen Anspruch auf Ersatz eines Verdienstausfallschadens hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht schlüssig dargelegt.
73Die Kausalität zwischen dem Vollzug der Sicherungsverwahrung und dem geltend gemachten Verdienstausfall setzt auch unter Berücksichtigung der für die haftungsausfüllende Kausalität geltenden Beweiserleichterungen gem. § 287 ZPO die Annahme voraus, dass der Kläger nach Entlassung aus der bis zum 01.11.1998 rechtmäßig gegen ihn vollstreckten Sicherungsverwahrung jedenfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen dauerhaften Arbeitsplatz zu den Konditionen gefunden hätte, die er in dem vom 25.05.2012 bis zum 06.09.2012 mit der Firma E GmbH bestehenden Arbeitsverhältnis hatte.
74Derartige Anhaltspunkte sind jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aus dem Umstand, dass der Kläger mehr als 1 ½ Jahre nach seiner im September 2010 erfolgten Entlassung aus der Sicherungsverwahrung erstmals im Mai 2012 einen Arbeitsplatz in D gefunden hatte, lässt sich nicht schließen, dass ihm das auch 1998 und dann sofort gelungen wäre. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass der tatsächliche Verlauf bei einer früheren Entlassung des Klägers anders gewesen wäre, er also nicht – wie ausweislich der Feststellungen im Urteil des Landgerichts Essen vom 19.07.2013 zu 27 KLs 31/12 geschehen - bereits kurz nach der Arbeitsaufnahme erneut erheblich straffällig geworden wäre und er seinen Arbeitsplatz – wie nach seiner Verhaftung im August 2012 - sofort wieder verloren hätte.
75Etwas anders ergibt sich nicht aus dem (zutreffenden) Verweis des Klägers auf § 252 BGB. Denn auch im Anwendungsbereich des § 252 BGB muss jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den geltend gemachten Erwerbsschaden bestehen (vgl. Pardey in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 4. Kapitel, Rn. 82). Danach können fiktive Einkünfte aus einer bislang nicht ausgeübten Tätigkeit nur ersetzt verlangt werden, wenn ihr Eintreffen zu erwarten gewesen wäre; deshalb muss der Geschädigte konkrete Anhaltspunkte darlegen und beweisen, aus denen sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ergibt, dass er beruflich tätig geworden wäre und Einkünfte erzielt hätte (vgl. Pardey, a.a.O., Rn. 92).
76Solche Anhaltspunkte sind auch mit dem Schriftsatz des Klägers vom 22.01.2015 nicht dargelegt. Es mag sein, dass der Kläger 1998 aufgrund seines geringeren Lebensalters bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätte. Mangels konkreter Darlegung der maßgeblichen Arbeitsmarktverhältnisse bleibt das aber Spekulation. Soweit der Kläger auf eine Erschwerung der Arbeitsplatzsuche durch die Observierung verweist, ist der Vortrag ohne jede Substanz, weil rein gar nichts zur konkreten Art und Dauer der Observierung und zu den tatsächlich entfalteten Erwerbsbemühungen vorgetragen ist.
77Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die Prognose einer erneuten Straffälligkeit des Klägers, die der Annahme einer dauerhaften Erwerbstätigkeit entscheidend entgegensteht, nicht gegen die Unschuldsvermutung. Es geht hier nämlich nicht um die Frage der Strafbarkeit einer konkret begangenen Straftat, derer der Kläger verdächtig ist bzw. gewesen wäre; vielmehr ist allein zu prognostizieren, wie der Verlauf bei frühzeitiger Entlassung gewesen wäre, wobei insoweit maßgeblich auf die spätere tatsächliche Entwicklung mit zeitnahem Rückfall und anschließender rechtskräftiger Verurteilung abgestellt werden kann.
78(3)
79Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden zu, die ihm aus Anlass seiner nach der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung im September 2010 erfolgten polizeilichen Observierung entstanden sein sollen.
80Einen solchen Anspruch auf Zahlung von mindestens 5.000,00 € für mehrmalige Wohnortwechsel infolge der Observierung hat der Kläger auch in zweiter Instanz nicht schlüssig dargelegt. Ein derartiger Anspruch ließe sich nicht auf Art. 5 Abs. 5 EMRK stützen. Zwar steht die Observierung zweifellos mit der Freiheitsentziehung in kausalem Zusammenhang, wie der Kläger geltend macht. Allerdings nur mit der zu Recht erfolgten strafrechtlichen Verurteilung und der anschließend bis zum 01.11.1998 vollzogenen Sicherungsverwahrung, aus der sich die Gefährlichkeit des Klägers ergab, die offenbar nach seiner Entlassung Anlass zur Observierung gegeben hat. Weshalb allein die konventionswidrig über den 01.11.1998 hinaus vollzogene Sicherungsverwahrung die Observierung verursacht haben könnte, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil: die Entlassung aus der Sicherungsverwahrung war der Grund. Art. 5 Abs. 5 EMRK gibt aber keinen Anspruch für Beeinträchtigungen, die der Kläger erst durch die Beendigung der Freiheitsentziehung erlitten hat.
81Die Voraussetzungen für eine andere Anspruchsgrundlage sind nicht ansatzweise ersichtlich. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Observierung eine schuldhaft begangene Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 Abs. 1 BGB sein könnte. Der Kläger hat zu den Grundlagen und zur konkreten Dauer der Observierung nichts vorgetragen. Demgemäß lässt sich schon nicht feststellen, dass die von ihm beanstandete Observierung nach Maßgabe der dazu vom OVG Münster entwickelten Rechtsprechung (amts-)pflichtwidrig gewesen sein könnte. Danach war es nämlich - jedenfalls bis Februar 2011 - in Nordrhein-Westfalen möglich, eine längerfristige Observation hochgradig gefährlicher Straftäter auf die polizeiliche Generalklausel gemäß § 8 Abs. 1 PolG NRW in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung der § 16 Abs. 2 PolG NRW a. F. bzw. § 16a Abs. 2 PolG NRW zu stützen (vgl. OVG Münster, Urteil v. 05.07.2013 – 5 A 607/11 - Rn. 97 ff., juris). Nach Vortrag des Klägers ist hier die Observierung im Herbst 2010 erfolgt. Dass sie über den vom OVG für unbedenklich gehaltenen Zeitraum hinausreichte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
82Unabhängig von vorstehenden Erwägungen ist der geltend gemachte Schaden zudem auch nicht ansatzweise nachvollziehbar. Es handelt sich um Vermögensschäden, die nach Maßgabe des § 249 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO konkret zu beziffern sind und nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt werden können. Vortrag zu den geltend gemachten Aufwendungen für einen mehrmaligen Wohnungswechsel fehlt indes gänzlich.
83(4)
84Schließlich hat der Kläger auch einen Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.000,00 € nicht schlüssig dargelegt. Aus dem zur Begründung als Anlage 8 vom Kläger vorgelegten Schreiben der Rechtsanwälte Dr. S vom 22.09.2010 (Bl. 112) ergibt sich nicht, dass die mit einem Pauschalhonorar von 1.000,00 € berechnete anwaltliche Tätigkeit die Geltendmachung der Entschädigung gem. Art. 5 Abs. 5 EMRK betrifft. Darauf hatte das beklagte Land schon in erster Instanz hingewiesen, ohne dass der Kläger sich dazu in erster oder zweiter Instanz geäußert hat.
852.
86Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 und § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
873.
88Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung einer Gerichtskostenforderung gegen einen Entschädigungsanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK und der Einschränkung des § 394 BGB gemäß § 242 BGB grundsätzliche Bedeutung hat.
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