Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 Vollz(Ws) 298/16
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum zurückverwiesen.
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B in C bewilligt.
1
Gründe:
2I.
3Der Betroffene verbüßt derzeit in der JVA Bochum zwei Freiheitsstrafen wegen sexueller Nötigung und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.
4Nachdem der Betroffene ein im Jahr 2012 abgebrochenes Studium der Rechtswissenschaften an der Fernuniversität in I wieder aufgenommen hatte und er daher seit dem 04.01.2016 der ihm von dem Antragsgegner zugewiesenen Beschäftigung bei dem Betrieb J nicht mehr nachging, wurde er am 09.01.2016 aufgrund mehrfacher Arbeitsverweigerung von der Arbeit abgelöst und wird er seit dem 10.01.2016 von dem Antragsgegner als „verschuldet ohne Arbeit“ geführt. Am 12.02.2016 erhob der Antragsgegner für den Zeitraum vom 11.01.2016 bis zum 31.01.2016 einen Haftkostenbeitrag in Höhe von 292,98 Euro und am 11.03.2016 für die Zeit vom 01.02.2016 bis zum 29.02.2016 einen Haftkostenbeitrag in Höhe von 404,60 Euro.
5Die gegen diese Haftkostenerhebungen eingelegten Anträge des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 12.02.2016 und vom 11.03.2016 hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Entsprechend § 39 Abs. 1 StVollzG NRW sei von dem Betroffenen ein Haftkostenbeitrag zu erheben. Einer der Ausnahmebestände des § 39 Abs. 2 StVollzG NRW liege nicht vor. Insbesondere sei - wie in der angefochtenen Entscheidung näher ausgeführt wird - der Betroffene trotz des von ihm ohne Genehmigung aufgenommenen und seine Resozialisierung zumindest nicht in stärkerem Maße als die Tätigkeit bei der Firma J fördernden Studiums nicht unverschuldet ohne Beschäftigung. Auch seien - so die Strafvollstreckungskammer unter Hinweis auf die vorgenannten Erwägungen - die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erhebung eines Haftkostenbeitrages nach § 39 Abs. 3 StVollzG NRW nicht erfüllt. Schließlich sei auch der Einwand des Betroffenen nicht entscheidend, dass von einzelnen anderen Häftlingen kein Haftkostenbeitrag erhoben werde, obwohl diese vom Antragsgegner ebenfalls als verschuldet ohne Beschäftigung eingestuft worden seien.
6Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache - sofern diese noch nicht spruchreif sein sollte - zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
7Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes für unzulässig.
8II.
9Die angesichts der am 13.06.2016 erfolgten Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Betroffenen mit dem am 22.06.2016 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom 21.03.2016 form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG (II.1.). Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache vorläufig Erfolg, insofern der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bochum zurückzuverweisen war (II.2.).
101.
11Die Rechtsbeschwerde ist vorliegend zuzulassen, weil der allgemein anerkannte Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs durchgreift (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2013 -III-1 Vollz (Ws) 256/13-, juris; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 116 Rn. 3, jew. m. w. N.).
12a. Zwar kann sich der Betroffene nicht erfolgreich darauf berufen, dass in der angefochtenen Entscheidung nicht auch sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.04.2016 hinsichtlich einer am 20.04.2016 erfolgten Haftkostenerhebung in Höhe von 223,22 Euro für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis zum 16.03.2016 beschieden worden ist. Denn die Strafvollstreckungskammer war nicht verpflichtet, über diesen - daher noch bei dem Landgericht Bochum anhängigen - Antrag gemeinsam mit den früheren Anträgen zu befinden.
13Auch trifft es nicht zu, dass sich der angefochtene Beschluss nicht zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 11.03.2016 verhält. Unter Ziffer I. der Entscheidungsgründe ist dieser Antrag ausdrücklich genannt sowie auf den diesbezüglichen Schriftsatz (Bl. 25 d.A.) verwiesen worden; es liegt daher nach Auffassung des Senats auf der Hand, dass sich die unter Ziffer II. dargestellten rechtlichen Erwägungen zu § 39 Abs. 1 - 3 StVollzG NRW auch auf diesen Antrag beziehen, zumal dort ausdrücklich auch das erstmals mit der diesbezüglichen Antragsschrift angeführte Argument berücksichtigt worden ist, dass es auch weitere Personen gebe, bei denen der Antragsgegner von einer verschuldeten Beschäftigungslosigkeit ausgehe, ohne Haftkostenbeiträge zu erheben.
14Ferner genügt das nicht innerhalb der am 13.07.2016 abgelaufenen Rechtsbeschwerdefrist erfolgte Vorbringen im anwaltlichen Schriftsatz vom 27.07.2016 zur Prüfung der Höhe der Haftkosten nicht den Anforderungen an eine frist- und formgerechte Verfahrensrüge gemäß der §§ 120 Abs. 1 StVollzG, 344 Abs. 2 StPO.
15b. Ordnungsgemäß und zutreffend hat der Betroffene hingegen mit der Rechtsbeschwerdeschrift vom 21.06.2016 geltend gemacht, dass in der angefochtenen Entscheidung nicht erkennbar berücksichtigt worden ist, dass er im gerichtlichen Verfahren - nämlich bereits mit der vom Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Antragsschrift vom 12.02.2016 - auch auf das ihn betreffende Insolvenzverfahren hingewiesen hat. Damit hat die Strafvollstreckungskammer den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
16Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Gehörsverstoß beruht (hierzu vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2013, a.a.O.). Zwar ist allgemein anerkannt, dass die Auferlegung von Haftkosten nicht zwangsläufig die Wiedereingliederung des Verurteilten gefährdet, auch wenn dieser Schulden hat; zur Vermeidung einer Verletzung des Resozialisierungsgrundsatzes muss dieser Umstand jedoch bei der Beurteilung einer Gefährdung der Wiedereingliederung angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.2009 - 2 BvR 1466/07 - Rn. 24 f. m. w. N., juris). Da mangels diesbezüglicher Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass der Antragsgegner diesen Aspekt bei Erlass der angefochtenen Bescheide trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt hat, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die vorliegend angefochtene Entscheidung bei Würdigung des diesbezüglichen Vorbringens des Betroffenen anders ausgefallen wäre.
172.
18Zumal die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich auch nicht dadurch geheilt werden kann, dass das rechtliche Gehör im Rechtsbeschwerdeverfahren gewährt bzw. nachgeholt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 13.07.2013, a.a.O., m. w. N.), hat die Rechtsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen - zumindest vorläufig - auch in der Sache Erfolg und ist die Sache insbesondere zur weiteren Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG).
19Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vorliegend maßgeblich zu prüfen sein wird, ob die fraglichen Bescheide erkennen lassen, dass der Antragsgegner sich überhaupt mit der Frage befasst hat, wie hoch die Schulden des Beschwerdeführers sind, und dass er sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist, z.B. unter dem Aspekt der Gefährdung der Wiedereingliederung des Betroffenen aufgrund der voraussichtlichen Auswirkungen der Auferlegung eines Haftkostenbeitrages auf seine Lage nach Haftentlassung von der Erhebung eines Haftkostenbeitrags nach § 39 Abs. 3 StVollzG NRW abzusehen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 25).
20Weiter wird zu beachten sein, dass der Justizvollzugsanstalt - insofern ergeben sich durch die Neuregelung des Haftkostenbeitrages in § 39 StVollzG NRW keine wesentlichen Unterschiede im Verhältnis zu § 50 StVollzG (allg. vgl. LT-Drs. 16/5413, S. 120) - hinsichtlich der Entscheidung über ein solches Absehen von der Erhebung eines Haftkostenbeitrags ein prognostischer Beurteilungsspielraum mit der Folge einer lediglich eingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz zusteht. Die Gerichte haben daher die Entscheidung der Vollzugsanstalt nur im Umfang und nach Art einer Ermessensentscheidung zu prüfen, namentlich dahingehend, ob die Vollzugsanstalt die Grenzen des Beurteilungsspielraums durch eine nicht mehr vertretbare Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs überschritten hat, ob sie den zugrunde liegenden Sachverhalt unzutreffend oder unvollständig ermittelt hat, ob sie allgemeine Wertmaßstäbe missachtet hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.05.2008 - 1 Vollz (Ws) 154/08 -, Rn. 15, juris; Arloth, a.a.O., § 50 Rn. 9). Da allein das faktisch wohl eher die Regel als die Ausnahme bildende Vorliegen von Verbindlichkeiten eines Strafgefangenen entsprechend der obigen Grundsätze noch nicht dazu führt, dass ein Haftkostenbeitrag nicht zu erheben ist, dürfen hierbei die Anforderungen an die Begründung der Erhebung eines Haftkostenbeitrages nicht überspannt werden. Vielmehr dürfte es vorbehaltlich von Anhaltspunkten, die eine anderweitige Handhabung gebieten, grundsätzlich ausreichen, wenn Feststellungen zum Ausmaß etwaiger Verbindlichkeiten des Strafgefangenen getroffen werden und - gegebenenfalls auch durch die Gestaltung und das Ausfüllen eines diesbezüglichen Formulars - deutlich wird, dass sich die Justizvollzugsanstalt im konkreten Fall der Erforderlichkeit einer Entscheidung über ein (Nicht-)Absehen von der Kostenerhebung und des ihr insofern zustehenden Beurteilungsspielraums bewusst gewesen ist.
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