Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 4 RVs 25/20
Tenor
Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Rechtsmittels, einschließlich der der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).
1
Zusatz:
21.
3Dass das angefochtene Urteil keine Feststellungen enthält, die eine Überprüfung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts für die in der Türkei verübte erste Tat nach § 7 StGB erlauben würden (insbesondere ist die Staatsangehörigkeit der Geschädigten nicht festgestellt worden), gefährdet den Bestand des Urteils nicht.
4Verfahrensvoraussetzungen, die Befassungsverbote betreffen, prüft das Revisionsgericht von Amts wegen selbständig im Freibeweisverfahren. Es ist dabei an die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Tatrichters nicht gebunden (BGH NJW 1960, 1116; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 337 Rdn. 6; vgl. auch Werle/Jeßberger in: LK-StGB, 13. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rdn. 10). Dies gilt auch für die Frage der deutschen Gerichtsbarkeit (BGH a.a.O.; vgl. auch BGH NStZ 1986, 320; BGH NStZ 1995, 440, 441; BGH, Beschl. v. 19.11.2003 – 2 StR 280/03 - juris). Das Strafanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB legt auch den Zuständigkeitsbereich deutscher Strafgerichte fest (OLG Saarbrücken NJW 1975, 508, 509; Werle/ Jeßberger a.a.O. Rdn. 7).
5Der Senat hat sich nach Einholung einer Auskunft des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht nebst Beschaffung des einschlägigen türkischen Rechtstextes davon überzeugt, dass eine Vergewaltigung zum Tatzeitpunkt in der Türkei unter Strafe stand und zwar auch eine zum Nachteil der eigenen Ehefrau verübte Vergewaltigung. Soweit Art. 102 Abs. 2 S. 2 des türkischen StGB vorsieht, dass Ermittlungen nur dann eingeleitet und Anklage nur dann erhoben wird, wenn das Opfer als Ehefrau des Täters Strafanzeige stellt, kann der Senat dahinstehen lassen, ob etwaige Anforderungen an eine solche Strafanzeige nach türkischem Recht zu erfüllen wären bzw. hier erfüllt wurden und ob eine fehlende Strafanzeige eventuell nach dem am Tatort geltenden Strafrecht ein Verfahrenshindernis darstellt (vgl. Art. 73 des türkischen StGB).
6Selbst wenn ein solches hier nach türkischem Recht vorläge, würde das die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nicht hindern. Im Rahmen des § 7 Abs. 1 StGB kommt es schon nach dem Wortlaut insoweit lediglich darauf an, dass die Tat am Tatort mit Strafe „bedroht“ ist, nicht aber auch darauf, dass sie dort auch tatsächlich verfolgt werden kann (BGH NJW 1954, 1086; i.E. auch: Fischer, StGB, 67. Aufl., § 7 Rdn. 7; aA etwa: Ambos in MK-StGB, 3. Aufl., § 7 Rdn. 12 m.w.N.). Auch die Entstehungsgeschichte spricht dafür, dass ein fehlender, nach Tatort-strafrecht erforderlicher Strafantrag die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht hindert, da die ausdrückliche Erwähnung der Beachtlichkeit ausländischer Verfahrenshindernisse (insbesondere des Fehlens eines Strafantrages) früherer Gesetzesfassungen in § 7 StGB nicht übernommen wurden (Werle/Jeßberger a.a.O. § 7 Rdn. 45). Zwar mag es sein, dass der Gesetzgeber eine solche Regelung zunächst aus systematischen Gründen außerhalb des materiellen Strafrechts im Strafprozessrecht verankern wollte (vgl. dazu Scholten NStZ 1994, 266, 267). Dazu ist es aber schließlich nicht gekommen. Die historische Auslegung spricht damit jedenfalls nicht gegen die Wortlautauslegung. Würde man die Gerichte bei der Auslegung des Merkmals „mit Strafe bedroht“ zu eng an den Willen des Tatortstaates binden, so könnte die Tat selbst dann nicht mehr verfolgt werden, wenn an deren Strafverfolgung im Inland ein ganz erhebliches Schutzinteresse besteht (Scholten NStZ 1994, 266, 271).
7Der Senat hat sich ferner durch Einholung der Kopie der Einbürgerungsurkunde davon überzeugt, dass die Geschädigte Deutsche ist und bereits zum Tatzeitpunkt war.
82.
9Zur Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 6 StPO merkt der Senat ergänzend an, dass die Rüge allein schon deswegen unbegründet ist, weil die Öffentlichkeit nach der Vernehmung der Zeugin L – und damit vor Verlesung und Erörterung der E-Mail des Angeklagten – wiederhergestellt worden ist. Lediglich der entsprechende Protokollvermerk befindet sich nach dem zur Verlesung und Erörterung der E-Mail. Er lautet aber – und das ist eindeutig - : „Nach Vernehmung der Zeugin L wurde die Öffentlichkeit wieder hergestellt“. Damit macht das Protokoll die zeitliche Reihenfolge der Verfahrensvorgänge – was erforderlich ist, vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt a.a.O. § 273 Rdn. 5 – hinreichend deutlich.
10Bzgl. der Ablehnung des Antrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens weist der Senat ergänzend darauf hin, dass nach § 244 Abs. 4 StPO eine Ablehnung auch wegen eigener Sachkunde des Gerichts erfolgen kann und hier rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
11Bzgl. der Angriffe gegen die Strafzumessung merkt der Senat an, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem Angeklagten, der zum Zeitpunkt der Taten bereits rund anderthalb Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland lebte, aufgrund seiner kulturellen Prägung aufgrund seiner Herkunft aus der „türkischen Provinz“ (S. 11 der Revisionsbegründung) die Befolgung des Normbefehls, dass man (Ehe-)Frauen nicht vergewaltigt, wesentlich erschwert (vgl. dazu Fischer a.a.O. § 46 Rdn. 43a) worden wäre.
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Referenzen
- StPO § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss 1x
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- StGB § 7 Geltung für Auslandstaten in anderen Fällen 3x
- StPO § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen 1x
- StPO § 338 Absolute Revisionsgründe 1x
- §§ 3 ff. StGB 1x (nicht zugeordnet)
- 2 StR 280/03 1x (nicht zugeordnet)