Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 30 U 192/19
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.06.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe:
2I.
3Die Klägerin erwarb im Februar 2016 bei der B GmbH in C einen gebrauchten Pkw U 2.0 TDI 81 kW zum Preis von 16.800 €. Das Fahrzeug war am 05.04.2012 erstmals zugelassen worden und wies einen Kilometerstand von 77.293 km auf.
4Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 ausgestattet, dessen Herstellerin die Beklagte ist. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Grenzwerte der Euro 5-Norm werden nur im Modus 1 eingehalten.
5Vor Abschluss des Kaufvertrages, am 22.09.2015, gab die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, die auszugsweise wie folgt lauten:
6„W treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck voran … Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. W arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt."
7Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wertete die Motorsteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung und gab im Oktober 2015 der Beklagten durch nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung auf, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Die Beklagte entwickelte in der Folge unter anderem bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum ein Software-Update. Das KBA gab die Nachrüstung für den hier betroffenen Fahrzeugtyp frei. Die Klägerin ließ das Software-Update am 13.10.2016 aufspielen.
8Mit ihrer Klage, der Beklagten am 14.03.2018 zugestellt, verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, ferner Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
9Die Klägerin hat behauptet, bei der Entscheidung für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei es ihr auch auf dessen Umweltfreundlichkeit angekommen. Ferner sei sie davon ausgegangen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben an Zulassung und Betrieb uneingeschränkt entspreche. Bei sicherer Kenntnis von dem Vorhandensein und der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Denn bei der eingesetzten Software handle es sich um eine nach den einschlägigen Vorschriften unzulässige Abschalteinrichtung. Die notwendige EG-Typengenehmigung habe nicht vorgelegen. Es habe deshalb die Gefahr der Zulassungsentziehung und Stilllegung des Fahrzeugs gedroht.
10Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte vor diesem Hintergrund auf Schadensersatz in Höhe des Fahrzeugkaufpreises hafte. Das folge einerseits aus Verschulden bei Vertragsschluss gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB. Denn die Beklagte habe durch das Ausstellen der EG-Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 27 EG-FGV ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Die Übereinstimmungserklärung stelle eine Garantie dahingehend dar, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt. Dem entspreche das streitgegenständliche Fahrzeug indes nicht. Die Beklagte sei deshalb auch nach den Vorschriften der unerlaubten Handlung zum Schadensersatz verpflichtet. Mit dem bewussten Inverkehrbringen des mangelbehafteten und den gesetzlichen Zulassungs- und Betriebsanforderungen widersprechenden Fahrzeugs habe die Beklagte in zurechenbarer Weise die Straftatbestände der §§ 263 Abs. 1, 325 Abs. 3, 330 StGB verwirklicht und gegen die verbraucherschützende Vorschrift des § 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen. Ferner liege eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB vor, die sich die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs nach § 31 BGB zurechnen lassen müsse. Für das Verhalten der an der Entwicklung und Verwendung der beanstandeten Motorsteuerungssoftware beteiligten Mitarbeiter hafte die Beklagte überdies gemäß § 831 BGB auf Ersatz des entstandenen Schadens.
11Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2017 (Anlage K 10) hat die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 29.12.2017 erfolglos aufgefordert, 16.800 € Zug um Zug gegen Hergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.680,28 € zu erstatten.
12Die Klägerin hat zunächst beantragt,
131. die Beklagte zu verurteilten, an sie 16.800 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2017 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer 01 zu zahlen,
142. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,
153. die Beklagte zu verurteilen, an sie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.680,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2017 zu zahlen.
16Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 07.05.2019 hat die Klägerin den aktuellen Kilometerstand des Fahrzeugs mit 152.896 km angegeben. Den Kilometerstand hat die Beklagte unstreitig gestellt. Ferner hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe eines in Abzug zu bringenden Nutzungsvorteils von 4.657,45 € für erledigt erklärt und zu Ziff. 1 sodann beantragt,
17die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.142,55 € zuzüglich Zinsen aus einem Betrag von 16.800 € in Höhe von vier Prozent seit dem 27.02.2016 bis zur Rechtshängigkeit und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer 01 zu zahlen.
18Die Beklagte hat sich der teilweisen Erledigungserklärung der Klägerin nicht angeschlossen und beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie hat das Vorliegen einer unzulässigen sog. „Abschalteinrichtung“ sowie einen in der Motorsteuerungssoftware und dem Emissionsverhalten des Fahrzeugs zu sehenden Sach- oder Rechtsmangel in Abrede gestellt. Weder habe die Gefahr des Entzugs der Typengenehmigung bestanden noch sei die Verwendbarkeit des Fahrzeugs in sonstiger Weise eingeschränkt gewesen. Mit dem Software-Update sei im Übrigen ein ordnungsmäßiger und den gesetzlichen Anforderungen uneingeschränkt entsprechender Zustand hergestellt worden. Vor diesem Hintergrund sei ein in dem Kaufvertragsschluss liegender Schaden der Klägerin nicht ersichtlich.
21Die Beklagte hat gemeint, dass der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht gerechtfertigt und insbesondere deshalb zu verneinen sei, weil sie über die Dieselthematik bereits vor Abschluss des Kaufvertrages, am 22.09.2015, durch die Ad-hoc-Mitteilung und die Presseveröffentlichung umfassend informiert habe. Die Klägerin habe mithin entsprechende Kenntnisse gehabt; ihr Kaufentschluss sei hiervon nicht beeinflusst worden. Es ließen sich deshalb weder ein Schädigungsvorsatz noch ein Täuschungsverhalten der Beklagten und ein Irrtum der Klägerin erkennen. Danach sei weder dem § 311 Abs. 3 BGB noch den Vorschriften über die unerlaubten Handlungen ein Schadensersatzanspruch der Klägerin zu entnehmen. In der Folge sei auch das weitere Klagebegehren, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Erstattung außergerichtlicher Kosten, nicht berechtigt.
22Das Landgericht hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.05.2019 persönlich angehört. Auf den Inhalt des Sitzungsprotokoll vom 07.05.2019 wird insoweit Bezug genommen (Bl. 341 ff. d.A.).
23Mit dem am 11.06.2019 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
24Mangels eines zwischen den Parteien zustande gekommenen Vertrages habe die Klägerin keine vertraglichen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte. Aus § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB und den Grundsätzen der Prospekthaftung im Zusammenhang mit der Ausstellung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung folge kein Anspruch der Klägerin. Denn die Übereinstimmungsbescheinigung enthalte keine Erklärung dahin, dass im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens alle Vorgaben eingehalten wurden. Im Übrigen sei der Klägerin nach ihren eigenen Angaben bei Abschluss des Kaufvertrages bekannt gewesen, dass das Fahrzeug über die in Rede stehende Motorsteuerungssoftware verfügen könnte. Ein Vertrauen auf die Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben sei dann nicht gerechtfertigt.
25Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Denn die Klägerin sei jedenfalls keinem Irrtum erlegen. Im September 2015 sei in der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden, dass die von der Beklagten hergestellten Dieselmotoren des Typs EA189 mit einer das Abgasrückführung steuernden Software versehen worden waren. Das Thema habe die Berichterstattung in sämtlichen Medien beherrscht. Dass ihr diese Informationen entgangen sind, habe die Klägerin nicht dargetan. Vielmehr sei sie, so ihre eigenen Angaben, vor Kaufvertragsschluss ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass die Motorsteuerungssoftware auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug verwendet wurde. Das habe die Klägerin im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses in Kauf genommen.
26Auch aus § 826 BGB ergebe sich kein Schadensersatzanspruch der Klägerin. Denn es fehle aufgrund der Kenntnisse der Klägerin im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses jedenfalls an der erforderlichen Kausalität zwischen einer etwaigen Schädigungshandlung und einem Schaden. Überdies habe die Beklagte davon ausgehen können, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Kaufs über die maßgeblichen Umstände aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung und Medienberichterstattung in Kenntnis gesetzt worden war, so dass ein Schädigungsvorsatz der Beklagten ausscheide.
27Aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ergebe sich kein Schadensersatzanspruch der Klägerin. Denn der Zweck der EG-Übereinstimmungsbescheinigung lasse die Annahme einer über die öffentlich-rechtlichen Wirkungen hinausgehenden zivilrechtlichen Erklärung nicht zu.
28Schließlich habe die Klägerin auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 831 BGB. Denn es fehle aus den vorgenannten Gründen an der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einer unerlaubten Handlung.
29Mangels Bestehens des mit dem Klageantrag zu 1) verfolgten Hauptanspruchs habe die Klage hinsichtlich der Anträge zu 2) und 3) keinen Erfolg. Es liege deshalb auch keine teilweise Erledigung des Rechtsstreits vor.
30Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge vollumfänglich weiterverfolgt.
31Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klägerin im Wesentlichen aus:
32Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei es unerheblich, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im vorliegenden Falle nach September 2015 erworben wurde. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses keine Kenntnis davon gehabt, dass das Fahrzeug von der sog. „Abgasproblematik“ betroffen war. Hinreichende Kenntnis habe sie nicht allein aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung und der Presseveröffentlichung sowie der nachfolgenden Medienberichterstattung erlangt. Auch sei sie nicht aufgrund anderer Mitteilungen der Beklagten rechtzeitig informiert worden.
33Entgegen der Behauptung der Beklagten habe das Software-Update auch nicht zur Herstellung eines ordnungsgemäßen und den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Zustands des streitgegenständlichen Fahrzeuges geführt. Denn mit dem Update sei eine neue unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden, nämlich in Form eines sog. „Thermofensters“. Dabei handele es sich, so die Klägerin, um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007, weil die nach der Verordnung zugelassenen Ausnahmen nicht gegeben seien.
34Die Klägerin hält an ihrer Ansicht fest, dass die Beklagte deshalb aus der Verletzung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sei. Denn mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung habe sie ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen und die Kauf-entscheidung der Klägerin wesentlich beeinflusst.
35Mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs habe die Beklagte auch den Tatbestand des Betruges verwirklicht und hafte deshalb aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, § 263 StGB auf Schadensersatz. Denn über die Gesetzeskonformität und das Vorliegen der Zulassungs- und Betriebsvoraussetzungen des Fahrzeugs habe die Beklagte vorsätzlich getäuscht und die Klägerin damit zum Abschluss des für sie wirtschaftlichen nachteiligen Kaufvertrags veranlasst. Ein gleichlautender Schadensersatzanspruch folge aus den §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV. Bei dieser Vorschrift handele es sich um ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB. Mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung bringe der jeweilige Fahrzeughersteller zum Ausdruck, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen für den genehmigten Fahrzeugtyp geltenden europäischen Rechtsakten entspreche. Diese Bescheinigung sei indes aufgrund der Installation der „Abschaltungsvorrichtung“ vorliegend als ungültig anzusehen. Insoweit sei der Beklagten ein vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen.
36Weiter hält die Klägerin an ihrer Ansicht fest, dass vor diesem Hintergrund auch die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB gegeben seien. Denn das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Verschweigen der zu beanstandenden Motorsteuerungssoftware stelle eine sittenwidrige Schädigungshandlung dar, die für den Kaufentschluss der Klägerin und den ihr dadurch entstandenen Schaden zurechenbar kausal geworden sei.
37Die Klägerin beantragt,
38unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dortmund, Az. 2 O 9/18, verkündet am 11.06.2019 und zugestellt am 17.06.2019
391. die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.142,55 € zuzüglich Zinsen aus einem Betrag von 16.800 € in Höhe von vier Prozent seit dem 27.02.2016 bis zur Rechtshängigkeit und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer 01 zu zahlen,
402. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,
413. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.680,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2017 zu zahlen,
42hilfsweise,
43das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Dortmund, Az. 2 O 9/18, verkündet am 11.06.2019 und zugestellt am 17.06.2019, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen.
44Der Kilometerstand des Fahrzeugs am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12.08.2020 betrug 117.619 km. Auf dieser Grundlage und nach einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km bezifferte die Klägerin die im Rahmen des Vorteilsausgleichs in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung mit 6.180,54 €.
45Die Beklagte beantragt,
46die Berufung zurückzuweisen.
47Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Zu Recht habe das Landgericht eine Täuschungshandlung und einen Irrtum der Klägerin verneint. Denn im Anschluss an die Ad-hoc-Mitteilung und die Pressemitteilung der Beklagten sowie aufgrund der umfangreichen Medienberichterstattung habe die Klägerin im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis von der Verwendung der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware gehabt. Hierdurch sei auch der etwaige Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten entfallen. Ihr sei im Anschluss an die Bekanntmachung zudem weder ein Vorsatz noch eine Schädigungsabsicht vorzuwerfen. Im Übrigen, so meint die Beklagte, sei der Klägerin durch den Vertragsschluss auch kein Schaden entstanden. Der Kauf des Fahrzeugs sei wirtschaftlich nicht nachteilig. Aus dem inzwischen vorgenommenen Software-Update ergebe sich kein technischer oder wirtschaftlicher Nachteil. Bei dem beanstandeten Thermofenster handle es sich um eine technisch sichere und übliche Einrichtung bei Dieselfahrzeugen. Das sei gegenüber dem KBA im Rahmen des Freigabeprozesses des Software-Updates offengelegt und von der Behörde auch geprüft und als zulässig bestätigt worden.
48Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien nimmt der Senat Bezug auf die zwischen ihnen in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene landgerichtliche Entscheidung nebst Sitzungsprotokoll vom 07.05.2019 (Bl. 341 ff. d.A.). Der Senat nimmt ferner Bezug den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 12.08.2020 (Bl. 591 f. d.A.).
49II.
50Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Denn der Klägerin steht der mit der Klage verfolgte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht zu.
511.
52Ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz eines ihr in Höhe des Fahrzeugkaufpreises entstandenen Schadens folgt nicht aus den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB.
53Die sog. Sachwalterhaftung nach diesen Vorschriften bezeichnet die Eigenhaftung von Personen, die im Rahmen von Verhandlungen anderer Personen über wirtschaftlich bedeutsame Geschäfte auf der Seite einer der Parteien in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nehmen und dadurch dem anderen Teil eine zusätzliche persönliche Gewähr für das Zustandekommen und die Erfüllung des Vertrags bieten. Voraussetzung ist, dass der Dritte an den Vertragsverhandlungen als Vertreter, Vermittler oder sog. Sachwalter einer Partei beteiligt ist (vgl. BGH NJW 1997, 1233 Rn. 8; OLG München, Urt. v. 05.02.2020 – 3 U 6342/19 –, juris Rn. 20). Daran fehlt es vorliegend, weil die Beklagte an den Vertragsverhandlungen der Klägerin mit der B GmbH unstreitig nicht teilgenommen hat.
542.
55Eine Haftung nach den Grundsätzen des Rechtsinstituts der Prospekthaftung scheidet einerseits aus Rechtsgründen aus. Denn die für den Erwerb von Kapitalanlagen entwickelte Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit von Werbeschriften („Prospekten“) lässt sich nach der dort regelmäßig gegebenen Interessenlage auf den Kauf eines Pkw nicht übertragen. Grundlage der Prospekthaftung ist, dass für den interessierten Anleger der Emissionsprospekt oftmals die einzige Informationsquelle darstellt. Der Prospekt muss daher alle Angaben enthalten, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Nur wenn diese Angaben vollständig und richtig sind, hat der Interessent die Möglichkeit, seine Entscheidung frei von Fehlvorstellungen zu treffen. Andere Informationsquellen sind ihm regelmäßig nicht zugänglich (BGH NJW 1990, 2461 Rn. 14 m.w.N.). Der interessierte Käufer eines Pkw hat indes in einem mit Kapitalanlagegeschäften nicht vergleichbaren weiteren Umfang die Möglichkeit, über entsprechende Veröffentlichungen unabhängiger Publikationen im Internet oder in der herkömmlichen Presse sich aus dritten Quellen ausführlich zu informieren (vgl. OLG München, a.a.O., Rn. 21).
56Andererseits ist ein nach den Grundsätzen des Rechtsinstituts der Prospekthaftung zu schützendes Vertrauen im vorliegenden Fall aber auch nicht gegeben. Denn der Klägerin war die sog. „Dieselproblematik“ im Vorfeld der Vertragsverhandlungen bekannt. Nach ihren Angaben hat sie sich gerade deshalb im Autohaus danach erkundigt, ob das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen ist. Ihr sei mitgeteilt worden, dass man das nicht sagen könne. Wenn dem so sei, werde W noch auf sie zukommen. Auf dieser Grundlage hat die Klägerin den Kaufentschluss gefasst und dabei ersichtlich als möglich in Kauf genommen, dass das Fahrzeug über die beanstandete Motorsteuerungssoftware verfügte.
573.
58Die Klägerin kann einen Schadensersatzanspruch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG herleiten.
59Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, liegt das von der Klägerin für sich in Anspruch genommene Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich des § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (Urt. v. 25.05.2020 – VI 252/19 –, NJW 2020, 1962 Rn. 76). Auch soweit die Übereinstimmungsbescheinigung eine Erklärung des Fahrzeugherstellers darstellt, in der dem Fahrzeugkäufer versichert wird, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt, wird nicht etwa das hier geltend gemachte Interesse an einem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20 –, juris Rn. 11).
60Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG (vgl. das vorg. Urt. v. 30.07.2020, Rn. 12 ff.).
614.
62Aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB steht der Klägerin der begehrte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht zu.
63Ein Schadensersatzanspruch nach diesen Vorschriften setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Subjektives Merkmal des Betrugstatbestandes ist unter anderem die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Dabei müssen der erstrebte Vermögensvorteil und der verursachte Vermögensschaden einander „spiegelbildlich“ entsprechen (Stoffgleichheit), d.h. erstrebter Vermögensvorteil und eingetretener Vermögensnachteil müssen durch dieselbe Vermögensverfügung vermittelt sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Senat nimmt insoweit vollumfänglich Bezug auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dem vorgenannten Urteil vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20, juris Rn. 20 ff.) und schließt sich diesen an:
64Es besteht keine Stoffgleichheit der etwaigen Vermögenseinbuße der Klägerin, die in der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem Wert erworbenen Fahrzeugs besteht, mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte.
65Eine Absicht der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten, sich bzw. die Beklagte an dem Gebrauchtwagenverkauf unmittelbar zu bereichern, ist aus Rechtsgründen schon deshalb ausgeschlossen, weil sie bzw. die Beklagte aus dem Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der B GmbH über den streitgegenständlichen Gebrauchtwagen keinen unmittelbaren Vorteil ziehen konnten. Ein etwaiger der Klägerin entstandener Schaden kann stoffgleich allenfalls mit dem Vorteil sein, der der B GmbH aus dem Fahrzeugverkauf zugeflossen ist. Eine Absicht der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten, der B GmbH einen mit dem Schaden der Klägerin stoffgleichen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Insbesondere kann die Bereicherung der B GmbH um den Anteil des Kaufpreises, der über den Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs hinausging, nicht als notwendiges und beabsichtigtes Zwischenziel zur Erreichung der eigenen Ziele der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten angesehen werden.
665.
67Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte zu. Denn das Verhalten der Beklagten ist nicht als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.
68Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Da für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln ist, ist ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.
69Auch insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dem vorgenannten Urteil vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20, juris Rn. 27 ff.) und schließt sich diesen an:
70Im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten begründet, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Gesamtverhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen. So liegt es hier.
71Vor Abschluss des Kaufvertrags im Februar 2016 gab die Beklagte am 22.09.2015 eine Ad-hoc-Mitteilung und eine gleichlautende Pressemitteilung heraus, in der sie „Unregelmäßigkeiten“ in Bezug auf die verwendete Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 einräumte, die in weltweit mehr als elf Millionen Fahrzeugen verbaut seien. Sie sprach in der Mitteilung von einer „auffälligen Abweichung“ zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb sowie davon, an der Beseitigung dieser Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu arbeiten und hierzu im Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA zu stehen.
72Gerichtsbekannt und zwischen den Parteien auch nicht streitig ist, dass über die Verwendung der Abschalteinrichtung ab September 2015 in den Medien umfangreich und wiederholt berichtet und in der breiten Öffentlichkeit diskutiert worden ist. Die Thematik war unter Bezeichnungen wie „Diesel-Gate“, „Dieselskandal“, „W-Abgasskandal“ monatelang ein die Nachrichten beherrschendes Thema. Auch über die Einrichtung von Links zur Suchmaschine auf der Website der Beklagten, die Maßnahmen des KBA und die Bereitstellung des Software-Updates wurde in den Medien breit berichtet.
73Nach alledem hat die Beklagte ihr Verhalten mit der öffentlichen Bekanntgabe im September 2015 nach außen erkennbar geändert. Im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses im Februar 2016 lag hiernach ein als sittenwidrig anzusehenden Verhalten der Beklagten nicht vor. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob das (ursprüngliche) Verhalten der Beklagten kausal für den Abschluss des Kaufvertrages durch die Klägerin war.
746.
75Ihr Schadensersatzverlangen kann die Klägerin nicht mit Erfolg darauf stützen, dass mit dem am 13.10.2016 aufgespielten Software-Update eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden sei.
76Die Beklagte hat dargelegt, dass mit dem Software-Update die zunächst vorhandenen zwei unterschiedlichen Betriebsmodi der Motorsteuerung dahingehend behoben worden seien, dass nunmehr lediglich ein Betriebsmodus sowohl im normalen Fahrbetrieb als auch im Prüfstandbetrieb zur Anwendung komme. Eingeräumt hat die Beklagte, dass auch dieser Modus ein sog. Thermofenster weiterhin beinhalte und insoweit eine Abänderung der Motorsteuerung nicht erfolgt sei. Eine volle Abgasrückführung finde hiernach (auch) nach der veranlassten technischen Maßnahme lediglich im Temperaturbereich zwischen 15 °C und 33 °C statt.
77Dem lässt sich ein Haftungstatbestand, nach dem die Beklagte in Höhe der von der Klägerin eingegangenen Kaufpreisverbindlichkeit zum Schadenersatz verpflichtet sein könnte, indes nicht entnehmen.
78Selbst wenn die geschilderte Wirkungsweise der Abgasrückführung mit ihrer Reduzierung außerhalb des Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen würde, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für ein in diesem Zusammenhang sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB.
79Eine solches kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG München, Urt. v. 20.01.2020 – 21 U 5072/19 –, juris Rn. 30; OLG Köln, Beschl. v. 04.07.2019 – 3 U 148/18 –, juris Rn. 6). Daran fehlt es vorliegend.
80Anders als in den Fällen einer Umschaltlogik betreffend den Fahrzeugtestbetrieb, in denen sich aufdrängt, dass eine solche gesetzeswidrig ist, kann dies für ein Thermofenster nicht ohne weiteres vermutet und damit aus seiner bloßen Existenz geschlossen werden (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.04.2020 – 1 U 103/19 –, juris Rn. 26; OLG München, a.a.O., Rn. Rn. 30; OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 18.09.2019 – 12 U 123/18 –, juris Rn. 49). Das zeigen bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 2007/715/EG und auch der Umstand, dass sich das KBA wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) bislang nicht von der Unzulässigkeit des sog. „Thermofensters“ haben überzeugen können.
81Auch ist nicht zu verkennen, dass die technische Maßnahme vom KBA freigegeben worden ist. Die Beklagte hat, was unbestritten geblieben ist, im Rahmen des Freigabeprozesses das verwendete Thermofenster offengelegt. Das KBA hat die sog. „Aufwärmstrategie“ in den Freigabebescheinigungen der technischen Maßnahme als zulässige Emissionsstrategie bestätigt. Auch das ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben.
82Insgesamt muss daher eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG München, a.a.O., Rn. 33; OLG Köln, a.a.O., Rn. 6; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.07.2019 – 10 U 134/19 – juris Rn. 81 ff.; OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18 –, juris Rn. 38 ff.; OLG Koblenz, Urt. v. 18.06.2019 – 3 U 416/19 –, juris Rn. 36 ff.).
83Umstände, die das in Frage stellen würden, sind von der Klägerin weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Denn es ist nicht dargetan oder in sonstiger Weise erkennbar, dass die Beklagte mit der Entwicklung des in seiner Wirkungsweise nicht streitigen Thermofensters in dem Bewusstsein, möglicherweise einen Gesetzesverstoß zu begehen, gehandelt habe und dies zumindest billigend in Kauf genommen haben könnte.
84Mangels hinreichender Anhaltspunkte für einen Vorsatz der Beklagten scheiden auch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB aus.
857.
86Steht der Klägerin aus diesen Gründen der mit der Klage verfolgte Schadensersatzanspruch nicht zu, so ist die Beklagte auch nicht zur Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs verpflichtet, weshalb der Annahmeverzug nicht festzustellen ist.
87Aus den vorgenannten Gründen kann die Klägerin weder aus Schuldnerverzug noch aus materiell-rechtlichem Schadensrecht die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten von der Beklagten verlangen.
888.
89Der Hilfsantrag der Klägerin auf Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ist nicht gerechtfertigt. Denn die Voraussetzungen dafür – hier allein nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO – sind ersichtlich nicht gegeben. Weder liegt ein (wesentlicher) Verfahrensmangel vor noch ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich.
90III.
91Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 544 Abs. 2 ZPO.
92IV.
93Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
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