Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 3 U 121/21
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 20.05.2021 verkündete Grund- und Teilurteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund nebst dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten ist.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2A.
3Der Kläger macht gegen die Beklagte Haftungsansprüche – die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 40.000,00 € (Klageantrag zu 1.), die Feststellung der Ersatzpflicht betreffend sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren künftigen immateriellen Schäden (Klageantrag zu 2.), die Erstattung von Zuzahlungskosten für Krankengymnastik in Höhe von 192,00 € sowie die Freistellung von Kosten in Höhe von 10.500,00 € für die Anschaffung eines neuen Bettes (Klageantrag zu 3.), die Zahlung eines bezifferten Verdienstausfallschadens in Höhe von 46.263,57 € (Klageantrag zu 4.), die Zahlung einer künftigen monatlichen Verdienstausfallschadensrente in Höhe von 1.678,00 € (Klageantrag zu 5.), die Zahlung eines fiktiven Haushaltsführungsschadens in Höhe von 42.316,00 € (Klageantrag zu 6.), die Zahlung einer künftigen monatlichen fiktiven Haushaltsführungsschadensrente in Höhe von 596,00 € (Klageantrag zu 7.) sowie die Erstattung von Nebenkosten (Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten (letztere: Klageantrag zu 8.)) - im Zusammenhang mit einer am 29.09.2012 im Haus der Beklagten durchgeführten ärztlichen Untersuchung bzw. Behandlung geltend. Wegen des weitergehenden Sachverhalts sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
4Das Landgericht hat mit Grund- und Teilurteil der Klage nach Parteianhörung und Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen A nebst mündlicher Erläuterung stattgegeben. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kammer aufgrund der Beweisaufnahme überzeugt sei, dass der Kläger aufgrund einer fehlerhaften Behandlung Gesundheitsschäden oder Schmerzen erlitten habe, die es dem Grunde nach rechtfertigten, ihm hierfür Ersatz für immaterielle und materielle Schäden zuzubilligen. Der Erlass eines Zwischenurteils hinsichtlich der immateriellen und materiellen Schadensersatzansprüche diene der Prozessökonomie. Soweit im Rahmen des Grundurteils konkrete Feststellungen zu einem Schadenseintritt nur insoweit erforderlich seien, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Entstehen irgendeines Schadens bestehe, sei diese Voraussetzung unzweifelhaft erfüllt. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Haftpflichtversicherer der Beklagten vorgerichtlich bereits einen Vorschuss in Höhe von 10.000,00 € gezahlt habe. Zum einen sei dieser Betrag per se erst im Rahmen des Betragsverfahrens zu berücksichtigen. Überdies erweise es sich aus Sicht der Kammer als überwiegend wahrscheinlich, dass der ausgleichspflichtige Schaden des Klägers den Betrag von 10.000,00 € deutlich übersteigen werde.
5Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie den erstinstanzlich gestellten Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt. Sie macht neben tatsächlichen und rechtlichen Einwänden gegen die vom Landgericht zu Haftungsgrund, Schaden und Kausalität getroffenen Feststellungen geltend, dass das Grundurteil im Hinblick auf die Klageanträge zu 1. und 3. – 8. unzulässig ergangen sei, zumal das Urteil keine ausreichenden Feststellungen bezüglich aller anspruchsbegründenden Tatsachen für sämtliche Forderungen des Klägers beinhalte. Dies gelte insbesondere in Bezug auf die geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche. Aufgrund von Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten betreffend die Einordnung von Primär- und Sekundärschäden sei unklar, welche Beeinträchtigungen das Gericht als feststehend ansehe und welche dem Betragsverfahren zuzuordnen seien. Unzulässigerweise werde im Urteil zudem die Verpflichtung zur Erstattung betreffend Verdienstausfall- und Haushaltsführungsschäden festgestellt, obwohl die Voraussetzungen für die Bewilligung dieser angeblichen Schäden dem Urteil nicht zu entnehmen seien.
6Die Beklagte beantragt,
7das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Dortmund vom 20.05.2021 abzuändern und die Klage gegen die Beklagte abzuweisen,
8hilfsweise,
9das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Dortmund vom 20.05.2021aufzuheben und das Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 ZPO an das Landgericht Dortmund zurückzuverweisen.
10Der Kläger beantragt,
11die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
12Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
13Der Senat hat auf entsprechenden Antrag der Parteien mit Beschluss vom 29.12.2021 das schriftliche Verfahren angeordnet, eine Schriftsatzfrist bis zum 31.01.2022 gesetzt und einen Verkündungstermin für den 14.02.2022 anberaumt.
14B.
15Auf die zulässige Berufung der Beklagten hat der Senat das angefochtene Urteil gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO aufgehoben. Denn die Entscheidung stellt ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO ergangenes unzulässiges Teilurteil dar.
16Der Erlass eines Grundurteils kommt nur in Betracht, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich des Grundes betreffend sämtliche geltend gemachten Teilansprüche zur Entscheidung reif ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2015 – IX ZR 263/13). Im Grundverfahren geklärt und durch Grundurteil entschieden werden muss die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, von deren Erfüllung der vom Kläger geltend gemachte Anspruch abhängt. Dies bedingt zugleich auch, dass grundsätzlich alle vom Beklagten erhobenen Einreden und Einwendungen ausgeschlossen werden müssen, bevor ein Grundurteil ergeht. Auch wenn aus prozesswirtschaftlichen Gründen ein Grundurteil bereits dann für zulässig gehalten wird, wenn ein wirtschaftlicher Teilerfolg mit hinreichender bzw. hoher Wahrscheinlichkeit im Betragsverfahren zu erwarten ist, muss jedenfalls dann, wenn die Parteien darüber streiten, ob der vom Kläger geltend gemachte Schaden entstanden ist, vor Erlass des Grundurteils festgestellt werden, dass ein zu ersetzender Schaden mit hoher Wahrscheinlichkeit entstanden ist.
17Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung jedenfalls im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten bezifferten materiellen Schadensersatzforderungen nicht, so dass sie wegen Verstoßes gegen § 301 ZPO aufzuheben ist.
18Zwar mögen die vorstehend dargestellten Anforderungen an ein zulässiges Grundurteil für die mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Schmerzensgeldforderung erfüllt sein. Auch wenn die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Einordnung als Primär- oder Sekundärschaden angesichts der Ausführungen auf den Seiten 17 und 18 des Urteils widersprüchlich erscheint, so ist auf der Grundlage der medizinischen Ausführungen des Sachverständigen unter Berücksichtigung der vom Landgericht angenommenen Beweislastumkehr davon auszugehen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Schmerzensgeld dem Grunde nach zusteht. Insoweit ist ein Schaden als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit entstanden und kann mit irgendeinem Betrag festgestellt werden.
19Hinsichtlich der Anträge zu 3. bis 7., die als Hauptforderungen geltend gemachte materielle Schadensersatzansprüche zum Gegenstand haben, lässt sich dies allerdings nicht feststellen. Unzweifelhaft liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wenn man auf die einzelnen Klageanträge abstellt. Das gilt insbesondere für die mit den Anträgen zu 5. und 7. begehrten Rentenzahlungen. Zu sämtlichen einzelnen Anträgen zu 3. bis 7. lassen sich dem Urteil keinerlei tatsächliche Feststellungen entnehmen. Dies gilt aber auch dann, wenn man diese Forderungen betreffend materielle Schäden nicht als eigenständige Teilansprüche, sondern als einen einheitlichen, in mehrere Schadenspositionen aufgeteilten Gesamtanspruch wertet. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung sämtliche dieser Positionen nach Grund und Höhe bestritten. Feststellungen dazu, dass irgendeiner dieser geltend gemachten Schäden mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit mit irgendeinem Betrag besteht, hat das Landgericht nicht getroffen. Der alleinige Verweis auf die vom Sachverständigen festgestellten Gesundheitsschäden ist insoweit insbesondere vor dem Hintergrund des Bestreitens der Beklagten nicht ausreichend. Der Sachverständige hat zwar Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Schulter festgestellt, wobei er zugleich klargestellt hat, dass diese Beschwerden nicht vollständig auf das behandlungsfehlerhafte Vorgehen der Beklagten zurückzuführen seien. Eine medizinische Bewertung dazu, ob und welche Beeinträchtigungen hieraus im Alltag und im Berufsleben resultierten/noch resultieren, hat er nicht getroffen. Hierzu ist im Übrigen nicht einmal der im Verhandlungstermin vor dem Landgericht anwesende Kläger befragt worden. Jedenfalls im Hinblick auf die materiellen Schadensersatzpositionen konnte für den Erlass eines Grundurteils entgegen der Auffassung des Landgerichts mithin nicht die „Tiefe der vom Kläger behaupteten Beeinträchtigungen“ dahinstehen.
20Unzutreffend stützt das Landgericht seine Bewertung, dass die im Rahmen eines Grundurteils erforderlichen Feststellungen getroffen worden seien, schließlich darauf, dass der vom Haftpflichtversicherer der Beklagten vorgerichtlich gezahlte Vorschuss von 10.000,00 € im Rahmen des Grundurteils keine Rolle spiele, sondern erst im Betragsverfahren zu berücksichtigen sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts gehören zum Anspruchsgrund nicht nur alle anspruchsbegründenden Tatsachen, sondern auch alle Einwendungen, die den Anspruch in vollem Umfang entfallen lassen (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 304 Rnr. 12). Soweit das Landgericht darauf verweist, dass es überwiegend wahrscheinlich sei, dass der ausgleichspflichtige Schaden des Klägers den Betrag von 10.000,00 € deutlich übersteigen werde, lässt sich dies nach den vorstehenden Ausführungen für die mit den Klageanträgen zu 3. bis 7. geltend gemachten materiellen Schadensersatzpositionen so gerade nicht feststellen.
21C.
22Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren ist dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten.
23Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO, ohne dass es der Anordnung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedarf.
24D.
25Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 ZPO.
26E.
27Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 155.000,00 € (Wert des Feststellungsantrages: 5.000,00 €) festgesetzt.
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Referenzen
- IX ZR 263/13 1x (nicht zugeordnet)