Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 20 U 128/22
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
1
I.
2Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
31.
4Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Berufungsangriffe aus der Berufungsbegründung vom 18.05.2022 (Bl. 32 ff. der elektronischen Gerichtsakte zweiter Instanz, im Folgenden: eGA-II; für die erste, noch in Papierform geführte Instanz GA-I) greifen nicht durch.
5a)
6Der Kläger kann nicht die Feststellung der Unwirksamkeit der Anpassungen zum 01.01.2012, 01.01.2015 und 01.01.2016 beanspruchen.
7Diese Anpassungen waren in formeller Hinsicht sämtlich von Beginn an wirksam.
8aa)
9Rechtlich gilt insoweit:
10Das in § 203 Abs. 5 VVG normierte Begründungserfordernis hat den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat.
11Das wird durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat, erreicht (BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19, r+s 2021, 95 und BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240). Wie der Bundesgerichtshof hat in den genannten Entscheidungen ausgeführt hat, ergibt sich insbesondere auch aus der Gesetzgebungsgeschichte, dass das Begründungserfordernis in § 203 Abs. 5 VVG den Zweck hat, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, ob eine Veränderung bei den kalkulierten Leistungsausgaben oder bei den Sterbewahrscheinlichkeiten zu der Anpassung geführt hat. Denn unter Geltung der Vorgängerregelung des § 178g Abs. 4 VVG a.F. war nur eine Benachrichtigung vorgesehen, weil seinerzeit nur eine Veränderung bei den kalkulierten Versicherungsleistung eine Prämienanpassung auslösen konnte. Erst das Hinzutreten der Sterbewahrscheinlichkeiten als zweite Rechnungsgrundlage war für den Gesetzgeber Veranlassung, in § 203 Abs. 5 VVG das Begründungserfordernis zu normieren.
12Dagegen ist es für diesen Zweck nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19, r+s 2021, 95 und BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240.
13bb)
14Danach gilt hier:
15(1)
16Bei Anlegung der soeben dargelegten Maßstäbe genügt nach der tatrichterlichen Würdigung des Senats die von der Beklagten gegebene Begründung für die Anpassung zum 01.01.2016 den soeben dargestellten Anforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG.
17Dies hat der Senat für eine inhaltlich identische Begründung bereits mehrfach entschieden (Senat, Beschluss vom 04.05.2022 – 20 U 89/22, n.v.; Senat, Beschluss vom 17.05.2022 – 20 U 88/22, n.v.). In der zuletzt zitierten Entscheidung hat der Senat dazu ausgeführt:
18Die […] Erläuterungen der Anpassung zum 01.01.2016 im Anschreiben und im Merkblatt legen zutreffend und unmissverständlich dar, dass die Beklagte gesetzlich verpflichtet ist, jährlich die kalkulierten mit den tatsächlich ausgezahlten Leistungen, also den Versicherungsleistungen, zu vergleichen. Hinweise auf eine Überprüfung anderer Rechnungsgrundlagen als auslösende Faktoren finden sich an keiner Stelle und werden vom Kläger auch nicht aufgezeigt. Das Informationsblatt weist lediglich – zutreffend – darauf hin, dass bei Abweichungen von kalkulierten und tatsächlichen Leistungsausgaben auch alle anderen Rechnungsgrundlagen in die Neukalkulation einzubeziehen sind. Daraus kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer unschwer erkennen, dass die Anpassung durch erhebliche Abweichungen bei den Versicherungsleistungen ausgelöst wurde und die Anpassung nicht im Ermessen des Versicherers liegt. Entgegen der Ansicht des Klägers muss der Versicherer nicht mitteilen, welche konkreten Ergebnisse die Überprüfung ergeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 314/19, r+s 2021, 95 und BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240).
19Hieran hält der Senat nach erneuter Prüfung auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens des Klägers fest.
20(2)
21Auch hinsichtlich der Anpassungen zum 01.01.2012 und zum 01.01.2015 hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht einen Feststellungsanspruch des Klägers verneint.
22(a)
23Allerdings lässt sich dies, anders als das Landgericht angenommen hat, nicht schon mit der formellen Wirksamkeit der späteren, zum 01.01.2016 vorgenommenen Anpassung begründen.
24Es trifft zwar zu, dass die formelle Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung endet, soweit im jeweiligen Tarif zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere, wirksame Anpassung erfolgte. Denn eine solche bildet fortan die Rechtsgrundlage für die dort in ihrer Gesamthöhe festgesetzte Prämie unabhängig davon, ob frühere Anpassungen an einem formellen Mangel litten (BGH, Urteil vom 14.04.2021 – IV ZR 36/20, juris Rn. 44 und zuvor schon BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, VersR 2021, 240, juris Rn. 55). Das gilt aber nur mit Wirkung ex nunc. Wären die Anpassungen zum 01.01.2012 und zum 01.01.2015 also zunächst formell unwirksam gewesen, hätte diese Unwirksamkeit bis zum 31.12.2015 fortbestanden. In solchen Fällen kann der Versicherungsnehmer im Regelfall auch die Feststellung der Unwirksamkeit für einen vergangenen und schon abgeschlossenen Zeitraum beanspruchen, weil nicht auszuschließen ist, dass sich daraus noch Rechtswirkungen für die Zukunft ergeben. Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn etwa der Tarif im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beendet ist und solche Rechtswirkungen für die Zukunft schlechthin ausgeschlossen werden können, was aber hier hinsichtlich des in Rede stehenden Tarifs X offenbar nicht der Fall war.
25(b)
26Dem Kläger steht aber hier deshalb kein entsprechender Feststellungsanspruch zu, weil die Anpassungen zum 01.01.2012 und zum 01.01.2015 von Beginn an formell wirksam waren.
27Bei beiden Anpassungen heißt es schon im Anschreiben, dass ein jährlicher Vergleich von kalkulierten und tatsächlich erbrachten Leistungen gesetzlich vorgeschrieben ist. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer den Begriff der „erbrachten Leistungen“ im Sinne der Versicherungsleistungen nach § 203 Abs. 2 S. 3 VVG verstehen. Schon aus den Anschreiben ergibt sich also zum einen die maßgebliche Rechnungsgrundlage. Ferner wird auch deutlich, dass die Anpassung auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht – und nicht etwa auf einer freien Entscheidung des Versicherers oder gar auf dem individuellen Schadensverlauf des Versicherungsnehmers.
28Noch deutlicher wird dies anhand der beigefügten Informationsblätter. Für das Jahr 2012 – dasjenige für das Jahr 2015 ist inhaltlich vergleichbar – heißt es dort auszugsweise (GA-I 169):
29Um für ein ständiges Gleichgewicht zwischen Beiträgen und Leistungen zu sorgen, ist im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) vorgeschrieben, jährlich die tatsächlich erbrachten mit den kalkulierten Leistungen zu vergleichen […]. Weichen die Werte in einem bestimmten Umfang voneinander ab, müssen die Beiträge überprüft werden. Die Z AG ist außerdem verpflichtet, bei der Nachkalkulation neben den Leistungsausgaben auch alle anderen Rechnungsgrundlagen zu aktualisieren. […]
30Auch das macht für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer zweifelsfrei klar, dass für die Anpassung ein Anschlagen des auslösenden Faktors bei den Versicherungsleistungen maßgeblich war. Der Umstand, dass an anderer Stelle im Informationsblatt auch die steigende Lebenserwartung genannt wird, ändert daran nichts. Auch wenn man darin einen Hinweis auf geänderte Sterbewahrscheinlichkeiten sehen will, würde sich das doch erkennbar nur auf den ausdrücklich gemachten Hinweis beziehen, dass bei einem Anstieg bei den Versicherungsleistungen dann auch alle anderen Rechnungsgrundlagen in die Neukalkulation einfließen. Wie oben dargelegt war die Angabe eines konkreten Schwellenwertes nicht erforderlich.
31b)
32Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass dem Kläger auch die weiteren mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. Das gilt sowohl für die Zahlungsansprüche als auch für sämtliche Nebenansprüche.
332.
34Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung; eine solche ist auch sonst nicht geboten. Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Begründungen unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung im Einzelfall.
35II.
36Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.
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Referenzen
- IV ZR 294/19 4x (nicht zugeordnet)
- § 178g Abs. 4 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 203 Abs. 2 S. 3 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 36/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 203 Abs. 5 VVG 3x (nicht zugeordnet)
- 20 U 89/22 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 314/19 3x (nicht zugeordnet)
- 20 U 88/22 1x (nicht zugeordnet)