Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 5 Ws 131/22
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
1
I.
2Das Amtsgericht Arnsberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 01.12.2021 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
3Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in der Zeit zwischen dem 14.06.2021 und dem 20.06.2021 einen im Eigentum des Geschädigten A stehenden Holzspalter von einer frei zugänglichen Fläche entwendet und in eine damals noch im Eigentum seiner Mutter stehende Scheune verbracht.
4In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Arnsberg hat sich der Angeklagte sowohl zu seiner Person als auch zu dem Anklagevorwurf eingelassen.
5Mit Schriftsatz vom 06.12.2021 hat sich der Verteidiger des Angeklagten für diesen bestellt und Berufung gegen das Urteil eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 15.12.2021 hat er seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger beantragt und für den Fall der Beiordnung angekündigt, das Wahlmandat niederzulegen.
6Das Landgericht Arnsberg hat den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung mit Beschluss vom 05.04.2022 abgelehnt.
7Gegen diesen, am 12.04.2022 zugestellten Beschluss, hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers, eingegangen beim Landgericht am 19.04.2022, sofortige Beschwerde eingelegt. Wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug genommen.
8Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie erkannt. Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger haben Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme erhalten.
9II.
10Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
11Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 StPO statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden.
12Sie ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor.
13Zunächst ist kein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO gegeben.
14Aber auch eine Bestellung unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht.
15Bei dem Vorwurf des Diebstahls, für welchen das Amtsgericht – nicht rechtskräftig, aber allein angefochten von dem Angeklagten – eine Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verhängt hat, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, handelt es sich nicht um den Vorwurf einer schweren Tat wegen der eine schwere Rechtsfolge zu erwarten ist. Regelmäßig ist hierfür die Erwartung von einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erforderlich (vgl. u.a. OLG Naumburg, Beschluss vom 19.09.2011 - 2 Ws 245/11 –, beck online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.1994 - 5 Ss 232/94 - 77/94 I –, beck online; OLG München, Beschluss vom 13. 12. 2005 - 5St RR 129/05 –, beck online). Vorliegend kommt auch keine Bildung einer Gesamtstrafe in Betracht, durch die die Grenze erreicht werden könnte.
16Ferner handelt es sich nicht um eine schwierige Sach- und Rechtslage. Eine solche ist nicht bereits stets bei schwieriger Beweislage oder wenn ein Indizienprozess zu führen ist anzunehmen. Von einer schwierigen Sachlage ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seiner Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr in ausreichendem Maß wahrnehmen kann, insbesondere weil er ohne anwaltliche Hilfe den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.10.2011 – 3 Ws 321/11 –, juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Indizienkette, auf deren Grundlage das Amtsgericht die Verurteilung gestützt hat, namentlich, dass der Angeklagte alleiniger Nutzer der Scheune sei, in welcher die Maschine aufgefunden wurde, und dessen Mutter, die als einzige weitere Person Zugang zu dem Grundstück gehabt habe, bereits aufgrund ihrer Statur und ihres Alters als Täterin ausscheide, ist übersichtlich. Gleiches gilt für den Umfang der durchgeführten – bzw. im Berufungsverfahren zu erwartenden – Beweisaufnahme.
17Es sind auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann. Dies richtet sich nach den geistigen Fähigkeiten des Angeklagten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles (vgl. u.a. KG, Beschluss vom 23.02.2016 - 3 Ws 87/16 –, beck online; OLG Hamm, Beschluss vom 14. 8. 2003 - 2 Ss 439/03 –, beck online). Soweit die Beschwerde insoweit vorbringt, der Angeklagte sei zu seiner Verteidigung aufgrund seiner intellektuellen Kapazität nicht in der Lage, und zur Begründung auf das bisherige Prozessverhalten des Angeklagten abstellt, trägt dies nicht. Zwar kann das Prozessverhalten eines Angeklagten Anhaltspunkt für Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung begründen, wenn dieses unverständlich oder für ihn nachteilig ist oder die prozessuale Situation verkennt (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 140 Rn. 30a m.w.N.) Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Arnsberg hat sich der Angeklagte sowohl zu seiner Person als auch zu dem Anklagevorwurf sachgerecht eingelassen. Zur Sache hat er sich ausweislich des Urteils sowie des Protokolls zur Hauptverhandlung im Wesentlichen dahingehend eingelassen, es sei zwar richtig, dass er die Scheune ausschließlich genutzt habe. Wie die Maschine dorthin gelangt sei, könne er sich jedoch nicht erklären. Auch daraus, dass der Angeklagte im Rahmen des letzten Wortes keine weiterführenden Angaben mehr gemacht hat, ergibt sich nichts anderes. Soweit im Rahmen der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, der Angeklagte habe seinem Verteidiger die Höhe der gegen ihn verhängten Strafe nicht benennen können, stützt dies ebenfalls Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung nicht. Hierfür mag es mannigfaltige Gründe – wie Nervosität zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung – geben, eine geistige Überforderung im der vorausgegangenen Prozesssituation lässt sich hieraus nicht ablesen. Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit zur Bestellung eines Pflichtverteidigers auch nicht aus einer Notwendigkeit zur Akteneinsicht im Berufungsverfahren, da diese gemäß § 147 Abs. 6 StPO auch dem Angeklagten gewährt worden wäre.
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- 2 Ws 245/11 1x (nicht zugeordnet)
- 2 Ss 439/03 1x (nicht zugeordnet)