Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (14. Zivilsenat) - 14 U 172/16

Tenor

1. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

2. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf € 8.931,21 festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfügungsbeklagte betrieb auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück in der … in … Hamburg eine Seniorenresidenz als stationäre Pflegeeinrichtung. Die am … 1931 geborene Verfügungsklägerin ist pflegebedürftig und lebte aufgrund eines Wohn- und Betreuungsvertrages vom 16.12.2013 (Anlage ASt 1) in der von der Verfügungsbeklagten betriebenen Seniorenresidenz W.. Sie ist in körperlich stabiler Verfassung mit Einschränkungen aufgrund ihrer Demenzerkrankung beim Gehvermögen, der Orientierung sowie der Mobilität. Mit Schreiben vom 22.06.2016 (Anlage ASt 2) erklärte die Verfügungsbeklagte die Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrages mit der Begründung einer geplanten Betriebseinstellung der Seniorenresidenz zum 31.08.2016. Die Verfügungsbeklagte kündigte zudem die Verträge mit den Pflegekassen und beendete die Arbeitsverträge mit dem Pflegepersonal.

2

Am 14.07.2016 hat die Verfügungsklägerin beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt mit dem Ziel, der Verfügungsbeklagten aufzugeben, bis zur Entscheidung in der Hauptsache sämtliche Leistungen des Wohn- und Betreuungsvertrages vereinbarungsgemäß zu erbringen, insbesondere auch ab dem 01.09.2016, sowie es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis € 70.000,00 es zu unterlassen, Maßnahmen durchzuführen, die geeignet sind, die Beendigung des Betriebs der Seniorenresidenz W. vorzubereiten, durchzusetzen oder zu fördern. Sie hat geltend gemacht, dass die Kündigung vom 22.06.2016 formell und materiell rechtswidrig sei. Werde das Heim zum 31.08.2016 geschlossen, so erleide die Verfügungsklägerin einen irreparablen Verlust, weil sie ihrem sozialen Umfeld entrissen werde und ihr Lebensmittelpunkt verloren gehe. Dies überwiege das wirtschaftliche Interesse der Verfügungsbeklagten an der Betriebseinstellung und Verwertung ihres Grundstücks.

3

Nach mündlicher Verhandlung hat das Landgericht mit Urteil vom 18.08.2016 (den Parteien zugestellt am 22.08.2016) der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung geboten, die Leistungen aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag vom 16.12.2013 gegenüber der Verfügungsklägerin auch im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 zu erbringen. Den weitergehenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat das Landgericht zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das Landgericht gegeneinander aufgehoben. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Kündigung des Vertrages durch die Verfügungsbeklagte am 22.06.2016 aus wichtigem Grund der Betriebseinstellung im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1, 3 Nr. 3 WBVG rechtmäßig und formell sowie materiell wirksam erfolgt sei. Die Verfügungsklägerin habe jedoch gegen die Verfügungsbeklagte aus nachvertraglichen Fürsorgepflichten einen Anspruch auf Fortsetzung der Pflege- und Betreuungsleistungen bis zum 30.11.2016.

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Gegen dieses Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 24.08.2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die Rechtsansicht des Landgerichts, dass nachvertragliche Fürsorgepflichten trotz einer formell und materiell wirksamen Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrages in der Weise bestünden, dass die Leistungen aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag bis zum 30.11.2016 fortgesetzt werden müssten, falsch sei. Würde man eine so weitreichende nachvertragliche Fürsorgepflicht annehmen, würde die in § 12 Abs. 4 Satz 2 WBVG benannte Kündigungsfrist unterlaufen werden. Bei den nach Ende eines Vertrages nachwirkenden Pflichten handele es sich nicht mehr um (Haupt-) Leistungspflichten, sondern um Unterlassungs-, Mitteilungs- und Aufklärungspflichten. Außerdem habe es für die Sicherungsanordnung aufgrund einer einstweiligen Anordnung weder einen rechtlichen noch einen tatsächlichen Bedarf gegeben, da zum Kündigungszeitpunkt nicht ausziehende Bewohner nicht schutzlos gestellt würden. Der Betreiber dürfe die Bewohner nicht im Wege der „verbotenen Eigenmacht“ zum Auszug zwingen, sondern müsse zunächst eine Räumungsklage nach § 721 ZPO erheben.

5

Nachdem die Verfügungsklägerin am 29.08.2016 in die Seniorenwohnanlage D. umgezogen ist, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.

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Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach sind die gesamten Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen, weil aufgrund des bisherigen Sachvortrags der Parteien davon auszugehen ist, dass kein Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin bestand und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in vollem Umfang hätte zurückgewiesen werden müssen.

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1. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrages durch die Verfügungsbeklagte vom 22.06.2016 aus dem wichtigen Grund der Betriebseinstellung nach § 12 Abs. 1 Satz 1, 3 Nr. 1 WBVG sowohl formell als auch materiell wirksam erfolgt ist.

8

a) Die Kündigung des Wohn- und Betreuungsvertrages vom 16.12.2013 war in der Tat formell wirksam. Die Verfügungsbeklagte hat die Kündigungsfrist des § 12 Abs. 4 Satz 2 WBVG eingehalten, nach der die Kündigung bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des nächsten Monats erklärt werden kann. In dem Schreiben vom 22.06.2016 wurde die Kündigung zum 31.08.2016 ausgesprochen, so dass die Frist gewahrt wurde. Die Verfügungsbeklagte hat auch die Erfordernisse des § 12 Abs. 1 Satz 2 WBVG beachtet, nämlich die Kündigung in Schriftform ausgesprochen und diese begründet. Das Landgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass die Verfügungsbeklagte in dem Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund, nämlich die Betriebseinstellung hinreichend konkret mitgeteilt hat und damit für die Verfügungsklägerin ersichtlich war, dass Kündigungsgrund die Schließung des Heims aus betriebswirtschaftlichen Gründen war und nicht personen- oder verhaltensbezogene Gründe maßgeblich waren. Weitere Unterlagen zur Rechtfertigung ihrer betriebswirtschaftlichen Entscheidung hatte die Verfügungsbeklagte nach § 12 WBVG nicht beizubringen.

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b) Das Landgericht ist auch zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kündigung materiell-rechtlich wirksam ist, insbesondere ein wichtiger Grund zur Kündigung seitens der Verfügungsbeklagten nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WBVG vorlag, weil die Verfügungsbeklagte unstreitig die Einstellung des Betriebes ihrer Seniorenresidenz beabsichtigt hat. Richtig ist auch, dass die Fortsetzung des Pflege- und Betreuungsverhältnisses mit der Verfügungsklägerin für die Beklagte eine unzumutbare Härte darstellen würde, weil die Verfügungsbeklagte nur eine Seniorenresidenz mit 28 Plätzen betrieben hat und nach der vollständigen Betriebseinstellung der Seniorenresidenz W. keine Pflegeplätze mehr zur Verfügung stellen kann, etwa in einer anderen Pflegeeinrichtung. Außerdem hat das Landgericht zutreffend darauf verwiesen, dass die Verfügungsbeklagte nachvollziehbar dargetan habe, in den vergangenen fünf Jahren bei dem Betrieb der Seniorenresidenz Verluste erlitten zu haben, die sich voraussichtlich aufgrund notwendiger Baumaßnahmen ohne die Betriebseinstellung noch weiter vergrößert hätten.

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1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hatte die Verfügungsklägerin gegenüber der Verfügungsbeklagten aber keinen Anspruch auf Fortsetzung der Pflege- und Betreuungsleistungen bis zum 30.11.2016 aus nachvertraglichen Fürsorgepflichten.

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Zwar können nach Erfüllung der Hauptleistungen aus einem Vertragsverhältnis und sogar nach vollständiger Abwicklung eines Schuldverhältnisses für eine im Einzelfall angemessene Übergangsphase gewisse vertragliche Bindungen weiterbestehen. Solche nachvertraglichen Pflichten können sich insbesondere bei einem durch persönliche Zusammenarbeit oder besondere Vertrauensbeziehung geprägten Dauerschuldverhältnis ergeben. Bei solchen nachvertraglichen Pflichten stehen Unterlassungspflichten und Duldungspflichten im Vordergrund, es kommen aber auch Handlungspflichten in Betracht. (vgl. MüKo-Bachmann, 7. Aufl. 2016, § 241 Rn. 98; Staudinger-Olzen, Neubearbeitung 2015, § 241 R. 272). Allerdings folgt aus § 241 Abs. 2 BGB kein Anspruch auf Wiederherstellung eines erloschenen Vertragsverhältnisses (MüKo-Bachmann, a.a.O. Rn. 102). Im Rahmen einer nachvertraglichen Fürsorgepflicht werden keine vertraglichen Hauptleistungspflichten begründet (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2010 - 6 Sa 1438/09). Aus der vom Landgericht herangezogenen nachvertraglichen Fürsorgepflicht konnte sich daher keine Pflicht der Verfügungsbeklagten ergeben, die aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag vom 16.12.2013 geschuldeten Hauptleistungen über den 31.08.2016 hinaus zu erbringen.

12

Dafür spricht auch, dass die Annahme einer nachvertraglichen Fürsorgepflicht im vorliegenden Fall dazu führen würde, dass damit quasi die vom Gesetzgeber in § 12 WBVG vorgesehenen Kündigungsfristen „umgangen“ werden würden. Auch wenn es im Einzelfall für die Betroffenen schwierig sein mag, innerhalb der § 12 Abs. 4 Satz 2 WBVG vorgesehenen Kündigungsfrist einen Platz in einer anderen Betreuungseinrichtung zu finden, kann das nicht dazu führen, dass durch die Annahme einer nachvertraglichen Fürsorgepflicht die gesetzlich vorgesehene Frist für eine außerordentliche Kündigung im Falle einer Betriebseinstellung zu Lasten des Unternehmers verlängert werden würde. Dafür spricht auch die in § 13 Abs. 2 WBVG vorgesehene Regelung. Danach hat der Unternehmer, der nach § 12 Abs. 1 Satz 1 WBVG aus den Gründen des § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WBVG gekündigt hat, dem Verbraucher auf dessen Verlangen einen angemessenen Leistungsersatz zu zumutbaren Bedingungen nachzuweisen und die Kosten des Umzugs in angemessenem Umfang zu tragen. Damit hat der Gesetzgeber normiert, welche nachwirkenden Pflichten den Unternehmer im Falle einer Kündigung nach § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 WBVG treffen. Dem Unternehmer aufzuerlegen, gegenüber dem Betreuten die Hauptleistungen aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag auch nach Ablauf der Kündigungsfrist in vollem Umfang für einen weiteren Zeitraum zu erbringen, widerspricht somit dem Willen des Gesetzgebers, der sowohl die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen Einstellung des Betriebs, die Kündigungsfrist und den Umfang der den Unternehmer treffenden nachvertraglichen Pflichten klar geregelt hat.

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Die Verfügungsbeklagte hat zudem dargelegt, dass sie ihre Nachweispflicht gemäß § 13 Abs. 2 WBVG erfüllt und die Verfügungsklägerin über die Möglichkeit eines Umzugs u.a. in das „D...“ informiert habe (vgl. Anlage ASt 5). Im Zeitpunkt der Verkündung des Urteils des Landgerichts hat es zwar noch keinen unterzeichneten Vertrag zwischen der Verfügungsklägerin und dem „D…“ gegeben. Jedoch haben die Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin mitgeteilt, dass ein solcher Vertrag am 25.08.2016 unterzeichnet wurde und der Umzug der Verfügungsklägerin am 29.08.2016 stattfinden wird. Daraus ergibt sich, dass die Verfügungsbeklagte offenbar ihrer Nachweispflicht nach § 13 Abs. 2 WBVG nachgekommen ist.

14

Da es keine nachvertragliche Fürsorgepflicht der Verfügungsbeklagten gab, die Hauptleistungspflichten aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag über den 31.08.2016 hinaus zu erbringen, bestand somit kein Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin. Außerdem hat die Verfügungsbeklagte ihre nachvertraglichen Pflichten gegenüber der Verfügungsklägerin erfüllt. Es entspricht daher sowohl der Rechtslage nach dem bisherigen Sach- und Streitstand auch der Billigkeit, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

III.

15

Hinsichtlich des Wertes des Berufungsverfahrens ist das Berufungsgericht von folgenden Überlegungen ausgegangen:

16

Das Landgericht hat bei seiner Streitwertfestsetzung für die erste Instanz das 12-fache Entgelt zugrunde gelegt, das die Parteien gemäß § 11 des Wohn- und Betreuungsvertrages für die Leistungen der Verfügungsbeklagten vereinbart haben. In der Berufungsinstanz wendet sich die Verfügungsbeklagte nur noch dagegen, dass sie ihre Leistungen für weitere drei Monate erbringen soll. Daher ist für den Wert der Berufung nur das für diese drei Monate geschuldete Entgelt, mithin ein Betrag von € 8.931,21 zugrunde zu legen.

17

Nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung reduziert sich zwar der Streitwert auf den Betrag der bislang entstandenen Kosten. Das gilt jedoch nur dann, wenn dieser den Wert der Hauptsache nicht übersteigt (vgl. Zöller-Herget, 30. Aufl., § 3 Rn. 16 „Erledigung der Hauptsache“). Im vorliegenden Fall übersteigen die bis zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärung angefallenen Kosten den Wert der Berufung von € 8.931,21, so dass sich der Streitwert durch die übereinstimmende Erledigungserklärung nicht weiter reduziert. Das Gericht geht davon aus, dass bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung mindestens Kosten in Höhe von € 9.210,68 angefallen sind, die sich wie folgt zusammensetzen:

18

Gerichtskosten 1. Instanz

€ 1.428,00

Rechtsanwaltskosten Klägerin 1. Instanz

€ 3.037,47

Rechtsanwaltskosten Beklagte 1. Instanz

€ 2.552,50

Gerichtskosten 2. Instanz

€ 888,00

Rechtsanwaltskosten Klägerin 2. Instanz

€ 989,13

Rechtsanwaltskosten Beklagte 2. Instanz

     € 831,20

Gesamt

€ 9.726,50

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