Urteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht (3. Zivilsenat) - 3 U 143/19

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23.07.2019, Az. 411 HKO 25/19, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt krankheitsbezogener Werbung für ein Lebensmittel auf Unterlassung in Anspruch.

2

Die Antragstellerin hat die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 8.3.2019 erwirkt, mit welcher der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel verboten worden ist,

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im geschäftlichen Verkehr für das Produkt „L.“ mit den Aussagen zu werben und/oder werben zu lassen:

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1. „Früher Typ-2-Diabetes
    Heute: Typ-Frohnatur“

5

und/oder

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2. „Mit L. können Typ-2-Diabetiker einfach und natürlich ihr Gewicht reduzieren“

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und/oder

8

3. „Empfohlen von diabetesDE
    Deutsche Diabetes Hilfe“,

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wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage A

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und/oder

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4. „Diabetes im Griff - Durchbrechen Sie mit L. den Teufelskreis. Gewichtsreduktion ist der erste Schritt zum langfristigen Erfolg. Typ-2-Diabetes ist eine lebensstilbedingte Erkrankung, die oft durch eine kalorienreiche Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel verursacht wird. Bei vielen Typ-2-Diabetikern verbessern sich nach Gewichtsabnahme die Blutzuckerwerte. Mehrere neue Studien zeigen, dass die Erkrankung durch eine Änderung des Lebensstils, bewusste Ernährungsumstellung und eine konsequente Gewichtsreduktion positiv beeinflusst wird. Die im Fachjournal 'The Lancet' veröffentlichten Daten der Diabetes Remission Clinical Trial (DiRECT)* zeigen, dass sogar eine Remission erreicht werden kann.“

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und/oder

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5. „Formuladiäten - ein alternativer Behandlungsansatz bei Typ-2-Diabetes“,

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wenn dies jeweils geschieht wie in Anlage B.

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Wegen der Verbindungsanlagen der einstweiligen Verfügung wird auf die Anlagen ASt 1 (= Anlage A) bzw. ASt 2 (= Anlage B) Bezug genommen. Hinsichtlich einer weiteren Aussage hatte die Antragstellerin zuvor ihren Verfügungsantrag zurückgenommen.

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Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 23.7.2019 die einstweilige Verfügung zu Ziffer 3 aufgehoben und den diesbezüglichen Verfügungsantrag zurückgewiesen. Im Übrigen hat es die einstweilige Verfügung bestätigt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts vom 23.7.2019 Bezug genommen.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Sie vertritt die Auffassung, die streitgegenständlichen Werbungen verstießen nicht gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV. Die Werbung richte sich ausschließlich an Typ-2-Diabetiker, sodass nur diese Gruppe für das Verständnis der streitgegenständlichen Werbung maßgeblich sei. Typ-2-Diabetiker wüssten, dass Lebensmittel wie das beworbene L. nicht zu einer Heilung ihrer Krankheit führten, sie verständen die Werbung deshalb auch nicht in diesem Sinne. Der Wegfall der DiätVO führe dazu, dass Diabetikern nicht immer klar sei, dass sie nunmehr auf allgemeine Lebensmittel zurückzugreifen hätten, weil es die (allgemeinen) diätetischen Lebensmittel nicht mehr gebe; es bestehe insoweit ein Informationsbedarf, welchem die Werbung diene. Die Bewerbung einer Gewichtsreduktion durch die Verwendung von L. sei - unstreitig - von einem zugelassenen Health-Claim gedeckt; deshalb sei auch die vorliegende Werbung zulässig. Dass sich die Werbung speziell an Typ-2-Diabetiker richte, sei nicht zu beanstanden. Allein dieser Umstand lasse nicht den Schluss zu, dass suggeriert werde, dass die Grundkrankheit mit dem entsprechenden Lebensmittel behandelt werden solle.

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Die mit dem Antrag zu 1 angegriffene Aussage („Früher: Typ-2-Diabetes, Heute: Typ-Frohnatur“) treffe keine Aussage, die sich auf den menschlichen Körper beziehe. Mit einer „Frohnatur“ sei auch kein gesunder Typ-2-Diabetiker gemeint. Die mit dem Antrag zu 2 beanstandete Aussage („Mit L. können Typ-2-Diabetiker einfach und natürlich ihr Gewicht reduzieren“) sei nicht zu beanstanden, weil insoweit auf eine zugelassene Zweckbestimmung (Gewichtsreduktion) Bezug genommen werde. Die bloße Nennung des Adressatenkreises führe nicht zu einem Krankheitsbezug der Werbung. Den Aussagen, die Gegenstand der Anträge zu 3 und 4 sind, fehle darüber hinaus schon der konkrete Produktbezug.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Hamburg, Az.: 411 HKO 25/19, vom 23.7.2019 abzuändern, den Verfügungsbeschluss vom 8.3.2019 des Landgerichts Hamburg, Az. 312 O 81/19, aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

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Die Antragstellerin beantragt,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten und zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 23.7.2019 Bezug genommen. Von einer weiteren Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

25

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung vom 8.3.2019 zu Recht und mit der zutreffenden Begründung zu den im Berufungsverfahren noch im Streit stehenden Punkten 1, 2, 4 und 5 bestätigt.

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1. Streitgegenständlich sind die angegriffenen Werbeaussagen jeweils in der konkreten Verletzungsform. Dabei handelt es sich bezüglich der Angaben gemäß der Anträge zu 1 und 2 um eine Werbeanzeige in der Zeitschrift „EINKAUF AKTUELL“ gemäß der Anlage A (= Anlage Ast 1) und bezüglich der Anträge zu 4 und 5 um die Internetseite der Antragsgegnerin gemäß der Anlage B (= Anlage ASt 2). Die Aussagen sind jeweils angegriffen unter dem Gesichtspunkt unzulässiger krankheitsbezogener Werbung nach Art. 7 Abs. 3 LMIV.

27

2. Es liegt ein Verfügungsgrund vor. Die Antragsgegnerin ist der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG nicht entgegen getreten.

28

3. Der Antragstellerin steht ein Verfügungsanspruch nach §§ 3,3a, 8 Abs. 1 UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 3 LMIV zu.

29

a. Die Antragstellerin ist im Hinblick auf die Geltendmachung der streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche aktivlegitimiert, denn sie ist Mitbewerberin der Antragsgegnerin im Sinne von §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Die angegriffenen Werbungen der Antragsgegnerin sind geschäftliche Handlungen im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

30

b. Bei Art. 7 Abs. 3 LMIV handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. zu § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB a. F.: BGH GRUR 2008, 1118, Rn, 25 - MobilPlus-Kapseln). Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 LMIV ist mit demjenigen seiner Vorgängerregelung in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b RL 2000/13/EG identisch. Letztgenannte Vorschrift wurde seinerzeit umgesetzt durch § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB a.F. Bei der Auslegung und Umsetzung von Art. 7 Abs. 3 LMIV kann daher auf die diesbezügliche Rechtsprechung zu § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB a. F. zurückgegriffen werden.

31

c. Die angegriffenen Aussagen verstoßen jeweils gegen Art. 7 Abs. 3 LMIV.

32

Nach Art. 7 Abs. 3 LMIV dürfen vorbehaltlich unionsrechtlicher Ausnahmen, die im Streitfall nicht einschlägig sind, Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft entstehen lassen. Es soll beim Verbraucher nicht der Eindruck erweckt werden, dass das Lebensmittel an sich oder durch einzelne Bestandteile wie ein Mittel zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit wirkt. Eine Aussage ist sonach krankheitsbezogen, wenn sie dem angesprochenen Verbraucher direkt oder indirekt suggeriert, das Lebensmittel, für das geworben wird, könne zur Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit beitragen. Dies trifft auf alle hier im Streit stehenden Aussagen zu.

33

Sie zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass das beworbene Lebensmittel gerade in Bezug auf Typ-2-Diabetiker beworben wird. Schon dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass dieses Eigenschaften aufweist, welche positive Wirkungen bezüglich der Diabetes-Erkrankung aufweist. Das Argument der Antragsgegnerin, dass nach Wegfall der DiätVO keine speziellen Diabetiker-Lebensmittel mehr existieren, wodurch der Verordnungsgeber zum Ausdruck gebracht habe, dass für Diabetiker eine Ernährung mittels allgemeiner Lebensmittel geeignet ist, spricht eher gegen als für sie: Die Werbung klärt nämlich gerade nicht darüber auf, dass sich Diabetiker grundsätzlich mit allen Lebensmitteln ernähren können, sondern vermittelt vielmehr den Eindruck, es handele sich speziell bei L. um ein Lebensmittel, dessen Zweckbestimmung der Verzehr durch Diabetiker ist. Schon dadurch wird suggeriert, dass es geeignet ist, zumindest positive Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf zu haben.

34

Soweit die Antragsgegnerin meint, es sei allein auf die Zielgruppe der Typ-2-Diabetiker abzustellen, überzeugt dies ebenfalls nicht. Zum einen ist ausgesprochen fraglich, ob hier ein gespaltener Verkehrskreis überhaupt abgrenzbar ist. Tatsächlich stellt die Antragsgegnerin argumentativ nämlich nicht auf die Erkrankung der angesprochenen Verkehrsteilnehmer, sondern auf deren Kenntnisstand ab. Dieser wird jedoch z. B. auch bei nicht-erkrankten Fachkreisen sehr hoch sein, während etwa neu-erkrankte Verkehrsteilnehmer möglicherweise nur über geringe Kenntnisse verfügen. Entsprechendes mag auch für Angehörige und/oder Bekannte von Erkrankten gelten, die sich von der Werbung ebenfalls angesprochen fühlen können. Vor diesem Hintergrund ist eine trennscharfe Abgrenzung der angesprochenen Verkehrskreise unmöglich.

35

Jedenfalls kann nicht mit der Antragsgegnerin davon ausgegangen werden, dass Diabetes-Erkrankte darum wissen, dass ein Lebensmittel wie das der Antragsgegnerin nicht geeignet sein kann, Diabetes zu heilen. Zumindest können sie es für möglich halten, dass sich das Lebensmittel in Bezug auf ihre Erkrankung positiv für sie auswirkt. Dies ist ausreichend, um von einem hinreichenden Krankheitsbezug der Werbung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 LMIV auszugehen.

36

Durch die Nennung der Diabetes-Erkrankung in der mit dem Antrag zu 1 angegriffenen Aussage („Früher: Typ-2-Diabetes, Heute: Typ-Frohnatur“) wird ein ausdrücklicher Krankheitsbezug hergestellt. Durch die Gegenüberstellung „Früher“ - „Heute“ wird auf eine Entwicklung abgestellt, welche durch den Verzehr des beworbenen Lebensmittel ermöglicht wird. Es wird dabei gerade nicht der Eindruck vermittelt, dass der fiktive Konsument früher ein Typ-2-Diabetiker war und heute immer noch ein Typ-2-Diabeteker und (nur) zusätzlich eine Frohnatur ist. Es wird vielmehr ein Gegensatzpaar gebildet, das suggeriert, dass die Eigenschaft als „Frohnatur“ an die Stelle der Eigenschaft als „Typ-2-Diabetiker“ getreten ist. Das Landgericht ist vor diesem Hintergrund zu Recht davon ausgegangen, dass insoweit eine Heilung der Erkrankung durch das beworbene Lebensmittel ausgelobt wird.

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Hinsichtlich der mit dem Antrag zu 2 angegriffenen Aussage („Mit L. können Typ-2-Diabetiker einfach und natürlich ihr Gewicht reduzieren“) gilt, dass die Bewerbung der Gewichtsreduktion als solche nicht zu beanstanden ist, weil sie von einem zugelassenen Health-Claim gedeckt ist. Die Bezugnahme auf den Typ-2-Diabetiker stellt allerdings wiederum einen hinreichenden Krankheitsbezug her. Die angesprochenen Verkehrskreise werden hierin nämlich eine besondere Eigenschaft des beworbenen Produktes gerade für Typ-2-Diabetiker annehmen, welche geeignet ist, die Folgen ihrer Krankheit zu lindern.

38

Die mit dem Antrag zu 4 beanstandete Textpassage stellt schon in ihrem ersten Satz ausdrücklich eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf dar: „Diabetes im Griff – Durchbrechen Sie mit L. den Teufelskreis“. Dieses Verkehrsverständnis wird durch den Hinweis auf Studien verstärkt, die zeigten, „dass die Erkrankung durch eine (...) Ernährungsumstellung und eine konsequente Gewichtsreduktion positiv beeinflusst wird“. Es wird auf diese Weise damit geworben, dass L. besondere Eigenschaften gerade für Typ-2-Diabetiker aufweise, welche geeignet seien, den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Durch die mehrfache ausdrückliche Nennung von „L.“ wird auch ein hinreichender Produktbezug hergestellt.

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In der mit dem Antrag zu 5 angegriffenen Angabe („Formuladiäten – ein alternativer Behandlungsansatz bei Typ-2-Diabetes“) wird ein alternativer Behandlungsansatz ausgelobt, also ausdrücklich die Behandlung von Diabetes beworben. Unterstützt wird diese Botschaft durch Angaben im werblichen Umfeld, in denen besondere Eigenschafen des Produkts hervorgehoben werden (“4-Phasen-Strategie von L.“, „Der proteinreiche und kohlenhydratarme L.-Shake“, „niedrige glykämische Last“), welche insbesondere Diabetikern zugute kämen. Die angegriffene konkrete Internetwerbung gemäß der Anlage ASt 2 stellt auch insoweit einen hinreichenden Produktbezug her: Dies geschieht zum einen durch den „L.“-Schriftzug über dem Text, welcher dem auf der Verpackung des von der Antragsgegnerin vertriebenen Lebensmittels entspricht. Zum anderen wird der Zusammenhang hergestellt durch einen Passus im werblichen Umfeld, wenn es weiter unten im Text heißt: „Während einer Diät mit L. sollten Diabetiker…“ (Hervorhebung durch den Senat).

40

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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