Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 3 U 168/74
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. September 1974 verkündete Urteil des Schiffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort - 5 C 116/72 BSch wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer des 388 t großen MS "P".
3Der Erstbeklagten gehört das TMS "R 201", das zur Zeit des nachstehend beschriebenen Unfalls von dem Zweitbeklagten verantwortlich geführt worden ist.
4Am 7. August 1972 hatte der Kläger sein Schiff im Hafen D/R vorgelegt, um eine für Frankreich bestimmtePartie von ca. 246 t Gußeisenabfällen einzuladen. Die Beladung war am Nachmittag des 8. August 1972 gegen 16.00 Uhr beendet. Der Kläger konnte jedoch die Fahrt nicht aufnehmen, weil der Zweitbeklagte am Morgen desselben Tages mit 'MS "R. 201" gegen die Schiebetorbrücke und das Untertor der dem Hafen vorgelagerten Schleuse gestoßen war und die Schleusenanlage erheblich beschädigt hatte. Die Instandsetzung der Schleuse dauerte bis zum Abend des 22. August 1972. Erst danach konnte der Kläger die geplante Reise durchführen.
5Die Erstbeklagte hat das TMS "R 201" in Kenntnis des Unfalls und seiner Folgen zu neuen Reisen ausgesandt.
6Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz des Nutzungsausfalls für die 14-tägige Wartezeit mit täglich 324,-- DM, insgesamt also 4.536,-- DM in Anspruch. Er hat behauptet, der Zweitbeklagte sei unsachgemäß und unvorsichtig in die Schleusenkammer eingefahren, wodurch es dann zu dem Unfall gekommen sei.
7Der Kläger hat beantragt,
8die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm 4.536,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Oktober 1972 (Klagezustellung) zu zahlen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Erstbeklagte außer dinglich mit dem TMS "R 201" im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftet.
9Die Beklagten haben beantragt,
10die Klage abzuweisen,
11hilfsweise,
12ihnen die Abwendung der Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nachzulassen.
13Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe schon deshalb ein Schadensersatzanspruch nicht zu, weil die zeitweilige Nichtbenutzbarkeit seines Fahrzeugs weder eine Eigentumsverletzung noch einen entschädigungspflichtigen Eingriff in den Gewerbebetrieb darstelle. Ferner haben sie ein Verschulden bei der Wartung und der nautischen Führung von TNS "R 201" bestritten. Der Unfall sei auf ein plötzliches und unerwartetes Versagen der Umsteuervorrichtung zurückzuführen.
14Das Schiffahrtsgericht hat eine Ortsbesichtigung im Hafengebiet von M. /R durchgeführt, deren Ergebnis in der Niederschrift vom 6. 4. 1973 (El. 28 f. d.A.) festgehalten ist. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen.
15Durch Urteil vom 13. September 1974, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Schiffahrtsgericht die Klage dem Grunde nach aus § 823 Abs. 1, 3, 4, 114 BSchG für gerechtfertigt erklärt.
16Gegen das am 19. September 1974 zugestellte Urteil des Schiffahrtsgerichts richtet sich die am 14. Oktober 1974 eingegangene Berufung der Beklagten, die durch einen am 13. November 1974 eingegangenen Schriftsatz begründet worden ist.
17Die Beklagten wiederholen und vertiefen ihr früheres Vorbringen. Sie meinen insbesondere, das Schiffahrtsgericht habe den Eigentumsbegriff zu extensiv ausgelegt, indem es eine öffentliche Verkehrsanlage, nämlich die ; Schleuse, in ihrer Funktion für den öffentlichen Verkehr zugunsten des Klägers dem Rechtsgut "Eigentum" zugerechnet habe. In Wirklichkeit sei nur der Gemeingebrauch an der 'Schleuse beeinträchtigt worden, der jedoch nicht zu den in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern gehöre. Zudem habe das Schiff des Klägers während der unfallbedingten Sperrung der Schleuse nicht jede Bewegungsmöglichkeit eingebüßt. Vielmehr habe, von der beschädigten Schleuse RE aus gesehen, noch eine schiffbare Ruhrstrecke von etwa 10 km zur Verfügung gestanden, auf welcher der Kläger mit seinem Fahrzeug Transporte hätte ausführen können.
18Die Beklagten beantragen,
19unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage
20abzuweisen.
21Der Kläger beantragt,
22die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
23Der Kläger tritt dem Berufungsvorbringen mit Rechtsausführungen entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Streitverhältnisses wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Ferner wird auf die Akten 6 Cs 458/73 BSch AG Duisburg-Ruhrort verwiesen, deren Inhalt zu Informationszwecken Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
25Entscheidungsgründe:
26Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Schiffahrtsgerichts ist statthaft und auch sonst in verfahrenrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.
27Mit Recht hat das Schiffahrtsgericht den mit der Klage verfolgten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gegen beide Beklagte für gerechtfertigt erklärt.
28Die Haftung des Zweitbeklagten ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB, denn er hat das Eigentum des Klägers an dem MS "P widerrechtlich verletzt. Das Schiff als solches ist zwar nicht beschädigt worden. Es ist jedoch anerkannten Rechts, daß die Verletzung des Eigentums an einer Sache nicht nur durch eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, sondern auch durch eine sonstige die Eigentümerbefugnisse treffende tatsächliche Einwirkung auf die Sache erfolgen kann (vgl. Soergel- Zeuner, BGB, 10. Aufl., § 823 Rdnr. 24; BGB-RGRK, 11. Aufl.,823 Anm. 15; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II Bd.,9. Aufl., 5. 407). So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21. 12. 1970 - II ZR 133/68 - (ZfB 1/72 = NJW 1971, 886) eine Eigentumsverletzung darin erblickt, daß ein Schiff infolge eines von dem Unterhaltspflichtigen des schiffbaren Gewässers verursachten Hindernisses für längere Zeit in einem Teil des Gewässers eingeschlossen und damit "als Transportmittel praktisch ausgeschaltet" war. Eine entsprechende Sachlage ist hier gegeben. Der Zweitbeklagte hat durch das Rammen des Schleusentores ein Hindernis verursacht, das es dem Kläger für die Dauer von zwei Wochen unmöglich machte, mit seinem MS "P " den Hafen zu verlassen.
29Für die Frage der Eigentumsverletzung ist es ohne Belang, daß nicht - wie in dem vom BGH konkret entschiedenen Fall der Träger der Unterhaltspflicht an dem schiffbaren Gewässer, sondern ein Hafenbenutzer das Hindernis herbeigeführt hat. Eine Eigentumsverletzung durch Herbeiführen eines Hindernisses, das einem Schiff für längere Zeit die Möglichkeit der Weiterfahrt nimmt, kann selbstverständlich nicht nur von dem Unterhaltspflichtigen des jeweiligen Gewässers, sondern auch von einem Dritten, insbesondere von einem Teilnehmer am Schiffsverkehr, begangen werden. Die Eigentumsverletzung ist immer dem zuzurechnen, der das Hindernis verursacht hat. Das ist hier der Zweitbeklagte.
30Zu Unrecht meinen die Beklagten, der Kläger sei nur in der Ausübung des jedem Schiffahrttreibenden zustehenden, aber nicht als "sonstiges Recht" im Sinne des, § 823 Abs. 1 BGB anerkannten Gemeingebrauchs an der Wasserstraße beeinträchtigt worden. Dieser Geisichtpunkt trifft bei der Sperrung einer Schleuse für die Schiffe zu, die sich außerhalb des Schleusenbereichs befinden und nun wegen der Sperrung die Schleuse nicht anfahren können und daher eine andere Route wählen müssen (vgl. BGH a.a.O.). Der Kläger aber befand sich mit seinem Schiff in dem der Schleuse vorgelagerten Hafen, den er wegen der unfallbedingten Sperrung der Schleuse nicht mehr verlassen konnte. Er war also nicht bloß an der Ausübung des gemeingebrauchs an dem schiffbaren Gewässer, sondern am Verlassen des Hafens und damit an der wirtschaftlichen Nutzung seines Fahrzeugs gehindert. Darin liegt jedoch nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, eine Verletzung des Eigentums, zu dessen wichtigsten Funktionen die wirtschaftliche Sachnutzung gehört.
31Die Beklagten können dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß der Kläger nach der Sperrung der Schleuse noch eine schiffbare Strecke von etwa 10 km zur Verfügung gehabt habe. Die Nutzbarkeit eines Frachtschiffs beurteilt sich nicht nach theoretisch-physikalischen, sondern nach praktisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wenn in der erwähnten Entscheidung des BGH von dem Verlust "jeder Bewegungsmöglichkeit" die Rede ist, so darf das nicht buchstäblich verstanden werden. Es kann nicht darauf ankommen, ob das eingesperrte Schiff sich innerhalb der Einsperrung noch ein paar Meter, ein paar hundert Meter oder gar ein paar Kilometer bewegen kann. Entscheidend ist vielmehr, ob eine sinnvolle wirtschaftliche Verwendung des Schiffs möglich bleibt oder ob es "als Transportmittel praktisch ausgeschaltet", also "seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch entzogen" wird (BGH a.a.O.). im vorliegenden Fall hat die unfallbedingte Sperrung der Schleuse zum Ausschluß jeder wirtschaftlich sinnvollen Verwendung des vor der Schleuse verbliebenen Schiffs des Klägers geführt.
32Schon allgemein kann gesagt werden, daß sich auf einer schiffbaren Strecke von nur 10 km für ein Frachtschiff kaum eine wirtschaftlich sinnvolle Verwendungsmöglichkeit bietet. Der Massengüterverkehr, dem die Frachtschiffahrt dient, findet nicht auf derart kurze Entfernungen statt. Das Schiffahrtsgericht hat sich mit dieser Erfahrungstatsache nicht begnügt, sondern konkret ermittelt, welche Betriebe in dem Hafengebiet ansässig sind, in dessen Bereich der Kläger sich nach der Sperrung der Schleuse mit seinem Fahrzeug noch bewegen konnte. Es hat sich nichts dafür ergeben, daß zwischen einzelnen dieser Firmen Handelsbeziehungen bestehen, die innerhalb des Hafens auf dem Wasserwege abgewickelt werden. Sollte eine der Firmen die andere beliefern, so kann nur angenommen werden, daß dies auf dem Landwege durch Lastkraftwagen oder über die vorhandenen Gleisanschlüsse durch die Hafenbahn geschieht. Dagegen ist schon wegen der Kosten und der technischen Schwierigkeit des Beladens und Entladens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß jemand Güter innerhalb des Hafenbereichs für nur wenige Kilometer zu Schiff befördern läßt. Die Beklagten haben nichts vorgetragen, um ihre Behauptung, der Kläger hätte das Schiff innerhalb der 10 km-Strecke wirtschaftlich sinnvoll nutzen können, näher zu substantiieren. Sie haben insbesondere kein Unternehmen benannt, das innerhalb dieses Bereichs regelmäßig Schiffstransporte ausführen läßt und das bereit gewesen wäre, dem Kläger während der zweiwöchigen Sperrung der Schleuse einen oder mehrere Frachtaufträge zu erteilen. Eine solche Sub-stantiierung muß aber verlangt werden, wenn die Beklagten sich auf die außerhalb jeder wirtschaftlichen Erfahrung liegende Möglichkeit berufen, während der Sperrung der Schleuse auf der dahinter gelegenen 10 km langen schiffbaren Strecke gewinnbringende Frachtaufträge abzuwickeln.
33Die in der "Einsperrung" des Schiffs zu erblickende Beeinträchtigung der Eigentümerbefugnisse des Klägers geht angesichts ihrer Dauer wesentlich über das Maß derjenigen Beeinträchtigungen hinaus, die ein Schiffahrttreibender unter den heutigen Verhältnissen gewissermaßen als "verkehrsadäquat" in Kauf nehmen muß. Es wäre unbillig, die wirtschaftlichen Folgen eines mehrwöchigen Nutzungsausfalls nicht dem Verursacher, sondern dem betroffenen Schiffseigner aufzubürden.
34Der Zweitbeklagte hat die schädigende Einwirkung auf das Eigentum des Klägers zu vertreten (§§ 276 BGB, 7 Abs. 1 BSchG). Er hat - selbst wenn man ein plötzliches Versagen der Umsteueranlage unterstellt - fahrlässig die in § 6.288 BSchSO normierte Pflicht verletzt, bei der Einfahrt in die Schleusenkammer dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig angehalten werden konnte. In der Berufungsverhandlung haben die Beklagten ein entsprechendes Verschulden des Zweitbeklagten nicht mehr in Abrede gestellt, so daß dieser Punkt als unstreitig angesehen werden kann.
35Gemäß § 3 BSchG ist die Erstbeklagte als Eignerin des TMS "R 201" für den von dem Zweitbeklagten als ihrem Schiffsführer schuldhaft verursachten Schaden mithaftbar. Im Unterschied zu dem Zweitbeklagten haftet sie außer dinglich mit dem TMS "R 201" nur in den Grenzen des Binnenschiffahrtsgesetzes persönlich (§§ 4, 114 BSchG).
36Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO haben die Beklagten die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 7 ZPO.
37Zur Zulassung der Revision (§ 546 Abs. 2 ZPO) bestand kein Anlaß, da die Entscheidung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht und der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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