Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 7 U 73/77
Tenor
1
T a t b e s t a n d
2Die Kläger sind Eigentümer des Hausgrundstücks E. 60 in O.. Oberhalb des an einem Hang liegenden Grundstücks verläuft die Straße "E.", die zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauses im Jahre 1967 noch unbefestigter Weg war. Ende 1968 schüttete die Beklagte den Weg auf und befestigte ihn mit einer Asphaltschicht ohne seitliches Gefälle. Ende 1973 verlegte sie im Weg einen Kanal und gestaltete im September 1974 das Straßenprofil mit einem Quergefälle zum Hang hin neu.
3Am 6. Juli 1973 und am 27. Juni 1974 wurde der Keller des Hauses der Kläger nach wolkenbruchartigen Regenfällen überschwemmt. Hierzu kam es insbesondere deshalb, weil - dies haben die Kläger in erster Instanz zugestanden - vom gegenüberliegenden Grundstück große Wassermengen, die Bau- und Schwemmstoffe mit sich führten, über die Straße auf das Grundstück der Kläger flossen und dort die Entwässerungs- und Verrieselungsanlage zusetzten. Die Kläger begehren von der Beklagten Ersatz der dadurch entstandenen Schäden und Ersatz für Aufwendungen, die sie in den Jahren 1972 bis 1974 zur Abwehr von Überschwemmungen und zur Beseitigung von Verschlammungen der Entwässerungs- und Verrieselungsanlage machten.
4Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte sei schadensersatzpflichtig, weil sie durch Höherlegung des Weges einen vermehrten Zufluß von Oberflächenwasser verursacht habe, aber auch, weil die Wegebaumaßnahmen - zunächst ohne Gefälle zum Hang hin - sachwidrig gewesen und nicht in zumutbarer Zeit abgeschlossen worden seien. Wegen eines Teilbetrages von DM 5.532,24 für die Errichtung einer Stützmauer zur Abwehr des von der Straße auf das Grundstück abfließende Oberflächenwasser haben die Parteien die Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten jeweils der anderen Partei aufzuerlegen.
5Im übrigen haben die Kläger beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger DM 10.814,02 abzüglich DM 5.532,24 nebst 4 % Zinsen seit dem 12. Februar 1975 zu zahlen,
7hilfsweise zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Augenscheinseinnahme und Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits, auch soweit die Hauptsache für erledigt erklärt war, den Klägern auferlegt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht rechtswidrig gehandelt, da der vermehrte Wasserzufluß auf einer veränderten wirtschaftlichen Nutzung des Straßengrundstückes beruhe und daher gem. § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG nicht rechtswidrig sei.
11Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidung Bezug genommen.
12Gegen dieses am 13. Januar 1977 zugestellten Urteil haben die Kläger am 14. Februar 1977 (einem Montag) Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem am 4. April 1977 eingegangenen Schriftsatz begründet haben.
13Die Kläger sind der Ansicht, die Bestimmung des § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG sei nicht anwendbar, da sie eine Änderung der wirtschaftlichen Nutzung nur bei rein privatwirtschaftlicher Benutzung rechtfertige: der Ausbau einer Gemeindestraße erfolge in Erfüllung öffentlicher Aufgaben, sei hoheitlicher Natur und diene besonderen öffentlichen, nicht aber privatwirtschaftlichen Interessen. Die Kläger halten die Ersatzpflicht der Beklagten auch gem. Art. 34 GG, § 839 BGB und aus enteignungsgleichem Eingriff für gegeben, weil der Ausbau der Straße schuldhaft unsachgemäß vorgenommen worden sei; die Straße hätte nach der Höherlegung sofort Gefälle zum Hang erhalten und zügig fertiggestellt werden müssen.
14Die Kläger beantragen,
15unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach den in erster Instanz zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen,
16hilfsweise ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung - auch durch Bankbürgschaft - abzuwenden.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen,
19hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung - auch durch Bankbürgschaft - abzuwenden.
20Die Parteien wiederholen im übrigen das Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und ergänzen es nach Maßgabe der in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze, auf deren vorgetragenen Inhalt Bezug genommen wird.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22Die formell nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
23Die Beklagte ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, den Klägern Schadensersatz dafür zu leisten, daß infolge des Ausbaues der Straße vermehrt Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger geflossen ist.
24Es ist schon zweifelhaft, ob die Überschwemmungen und Verschlammungen überhaupt durch das von der Straße selbst abgeflossene Wasser verursacht wurden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die Verschlammungen der Entwässerungs- und Verrieselungsanlage darauf zurückzuführen, daß vom gegenüberliegenden Grundstück und vom Grundstück der Kläger selbst - insbesondere von der Garagenauffahrt, deren Plattenbelag in Sand ohne Bindemittel verlegt war - Schwemmstoffe in die Anlagen geraten sind; von der Straße selbst, die im Bereich der Garagenausfahrt vollständig asphaltiert ist, konnten Schwemmstoffe in größeren Mengen kaum abgeschwemmt werden. Auch dürften die auf dem Grundstück der Kläger selbst anfallenden und die vom gegenüberliegenden Grundstück zufließenden Wassermengen erheblich größer gewesen sein, als die von der Straße selbst abgeflossenen Wassermengen. Diese Fragen können jedoch dahinstehen, denn ein Schadensersatzanspruch der Kläger setzt voraus, daß die schadenstiftende Handlung rechtswidrig ist.
25Das Handeln der Beklagten war nicht rechtswidrig.
26Grundsätzlich darf der Ablauf wildabfließenden Oberflächenwassers nicht künstlich so verändert werden, daß tieferliegende Grundstücke belästigt werden, § 78 Abs. 1 Satz 1 LWG. Dieses Verbot gilt aber nicht für Veränderungen des Wasserablaufes, die auf veränderter wirtschaftlicher Benutzung eines Grundstückes beruhen, § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG. Positiv ausgedrückt bedeutet die Regelung dieser Bestimmung, daß durch die Veränderung wirtschaftlicher Benutzung eines Grundstückes der Ablauf wildabfließenden Oberflächenwasser künstlich geändert werden darf, auch wenn dadurch ein tieferliegendes Grundstück belästigt wird. Damit ist für diesen Ausnahmefall einem Grundstückseigentümer das Recht gegeben, den Ablauf wildabfließenden Oberflächenwassers künstlich zu verändern, ohne Rücksicht auf schädigende Folgen für tieferliegende Grundstücke.
27Wie der Senat in früheren Entscheidungen wiederholt ausgeführt hat (Urteil v. 12.10.1967 - 7 U 96/76 - und Urteil v. 30.6.1969 - 7 U 2/69 -) kann sich eine Gemeinde für den Wegeausbau auf dieses Recht stützen. Das Gesetz spricht ganz allgemein von der "Veränderung wirtschaftlicher Benutzung". Es umfaßt damit jede denkbare Benutzungsart, auch die Benutzung als öffentlicher Weg. (Vgl. Burghartz, Komm. z. Wasserhaushaltsgesetz und Wassergesetz für das Land NW, 1974, Anm. 4 zu § 78 LWG). Dies galt bereits unter der Herrschaft des früheren Preußischen Wassergesetzes, dessen § 197 vollständig dem § 78 Abs. 1 des heutigen Landeswassergesetz entsprach /vgl. Holtz-Kreutz-Schlegelberger, Komm. z. Preuß. Wassergesetz, 4. Aufl., 2. Bd., Anm. 7 zu § 197). Es kann dahinstehen, ob von der Bestimmung auch Änderungen durch Anlagen erfaßt werden, die ausschließlich besonderen öffentlichen Interessen dienen und in ihrer Art im Rahmen privatwirtschaftlicher Grundstücksnutzung nicht erstellt werden dürfen (vgl. BGH in MDR 1972, 305 (306).), denn um etwas Derartiges geht es hier nicht.
28Im vorliegenden Fall ist die behauptete Veränderung des Wasserablaufs dadurch bewirkt worden, daß der bestehende, bislang unbefestigte Weg asphaltiert und dabei die bis dahin in Längsrichtung bestehenden Aushöhlung des Weges aufgefüllt wurde. Dieses Maßnahme stellt eine Veränderung der wirtschaftlichen Benutzung dar. Gerade der Ausbau einer Straße, die Befestigung von Wegen, sowie die Einebnung bestehender Erhöhungen oder Vertiefungen ist eine wirtschaftliche Änderung der Nutzung (vgl. Burghartz, a.a.O., Holtz-Kreutz-Schlegelberger a.a.O. und RGZ 24, 212, 213). Staat und Wirtschaft sind so eng verflochten, daß nicht nur die private, sondern auch die öffentliche Betätigung zur Erhaltung und Hebung des Lebensstandards als "wirtschaftlich" bezeichnet werden muß. Dabei obliegt der öffentlichen Hand gerade der Ausbau der Verkehrswege, die mit nicht besondere öffentliche Interessen verfolgt, sondern das Straßengrundstück "verkehrs-wirtschaftlich" nutzt (vgl. Burghartz, a.a.O.).
29Aufgrund der Regelung des § 78 Abs. 1 LWG hatten die Kläger auch keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte etwas unternahm, um sie vor dem vermehrten Wasserzufluß zu schützen. Sinn und Zweck des § 78 Abs. 1 LWG ist es, dem Grundstückseigentümer ohne Rücksicht auf die Wasserablaufverhältnisse die volle Entscheidungsfreiheit über die wirtschaftliche Benutzung des Grundeigentums zu erhalten.
30Das Handeln der Beklagten war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie den Weg unsachgemäß oder verzögerlich ausgebaut hätte. Selbst wenn eine Asphaltdecke ohne Gefälle zum Hang nicht sachgemäß gewesen sein sollte - dies erscheint zweifelhaft, da ohne Kanalisation dann wohl das Oberflächenwasser tiefergelegenen Grundstücken hätte gezielt zugeführt werden müssen -, ist das Handeln der Beklagten gem. § 78 Abs. 1 LWG gerechtfertigt. Da der Grundstückseigentümer ohne Rücksicht auf die Wasserabflußverhältnisse die volle Entscheidungsfreiheit über die wirtschaftliche Benutzung des Grundstückes hat, ist er nicht eingeengt auf die wirtschaftlich sinnvolle und technisch richtige Veränderung der wirtschaftlichen Benutzung. Daher kann offenbleiben, ob die gewählte Ausbauart technische Fehler hatte oder nicht. Die Kläger hatten keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte bei den Veränderungen dafür sorgte, daß der Wasserablauf - verglichen mit dem bisherigen natürlichen Zustand - nicht verändert oder gar verbessert wurde. Unzulässig wäre lediglich die Zuleitung des Wassers durch eine besondere Anlage.
31Die Kläger hatten auch keinen Anspruch auf einen schnelleren Ausbau der Straße. Die Beklagte handelte nicht deshalb rechtswidrig, weil sie den Weg zunächst nur asphaltierte und die Kanalisation einschließlich der Ableitung des Oberflächenwassers zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt vornahm. Insoweit ist die Beklagte in ihrer Entscheidung frei, die Kläger hatten keinen Anspruch auf Ausbau der Straße einschließlich Kanalisation bereits im Jahre 1968.
32Die Kläger können auch nicht gem. § 78 Abs. 2 LWG Entschädigung verlangen. Diese Bestimmung steht in keinem inneren Zusammenhang mit der des § 78 Abs. 1 LWG, sondern regelt einen anderen Sachverhalt; sie liegt fest, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Eigentümer tieferliegender Grundstücke auf Verlangen des Oberliegers darauf verzichten müssen, das ihrem Grundstück natürlicherweise zufließende Oberflächenwasser durch geeignete Maßnahmen von ihrem Grundstück fernzuhalten (vgl. Burghartz, a.a.O., Anm. 5 zu § 78). Hier hat aber die Beklagte von den Klägern nicht verlangt, daß sie es unterlassen, das ihrem Grundstück von der Straße her zufließende Oberflächenwasser abzuhalten, ein Fall des § 78 Abs. 2 LWG ist damit nicht gegeben.
33Auch eine Entschädigung nach allgemeinen entschädigungsrechtlichen Gesichtspunkten können die Kläger nicht fordern. Ihnen ist kein besonderes Opfer auferlegt worden, sondern nur die Möglichkeit abgeschnitten, die Beklagte für die Folgen der Wasserablaufänderung haftbar zu machen, die auf Veränderung der wirtschaftlichen Benutzung des höher liegenden Grundstückes beruhen. Diese Möglichkeit ist nicht nur den Klägern oder einem kleinen Kreis betroffener Personen genommen, sondern durch § 78 Abs. 1 Satz 2 LWG schlechthin jedem Grundstückseigentümer auferlegt. Von einem "Sonderopfer" im Sinne des Entschädigungsrechtes kann deshalb keine Rede sein.
34Es war die eigene Sache der Kläger und es war ihnen unbenommen, das dem Grundstück vom Wege her zufließende Wasser durch geeignete Maßnahmen abzufangen und von ihrem Grundstück fernzuhalten. Die Beklagte war zu solchen Maßnahmen nach den Bestimmungen des Wassergesetzes nicht verpflichtet.
35Die Frage, ob den Klägern Schadensersatzansprüche aus der Höherlegung der Straße und den damit möglicherweise verbundenen Erschwernissen des Zugangs der Zufahrt zum Grundstück zustehen, steht nicht zur Entscheidung. Die Kläger haben für solche Ansprüche nicht substantiiert vorgetragen, insbesondere nicht dargelegt, daß die Opfergrenze überschritten wäre (vgl. BGH in NJW 1971, 750; BGHZ 30, 241 ff., 244).
36Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97, 91a ZPO. Da die Klage, auch soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, von Anfang an unbegründet war, waren die Kosten auch insoweit gem. § 91 a ZPO den Kläger aufzuerlegen.
37Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Zf. 7 ZPO. Die Vollstreckungsschutzanträge waren wegen § 713 a ZPO gegenstandslos.
38Streitwert für das Berufungsverfahren und
39Beschwer für die Kläger: 5.281,78 DM
40zuzüglich der anteiligen Kosten des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechtsstreits (vgl. Baumbach-Lauterbach Anhang § 3 Anm. Stichwort: "Erledigungserklärung" m.w.N.) 1.350,-- DM
41ingesamt 6.631,78 DM
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