Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 4 WF 64/80
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
I. Dem Kläger wird das Armenrecht für seine am 11.1.1980 erhobene Klage gewährt.
Die Beiordnung eines Anwalts bleibt dem Familiengericht vorbehalten.
II. Die Zwangsvollstreckung aus dem Prozeßvergleich vom 14.7.1978 in dem Verfahren 25 F 140/78 AG Bonn wird gegen Sicherheitsleistung von 9.000,-- DM einstweilen eingestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen insoweit den Beklagten zur Last.
1
G r ü n d e :
2Die gemäß § 127 ZPO zulässige Beschwerde gegen die Versagung der Bewilligung des Armenrechts ist begründet.
3Entgegen der Ansicht des Familiengerichts ist der Senat der Auffassung, daß dem Kläger das Armenrecht gemäß § 114 ZPO zu bewilligen ist, weil seine Klage unter Berücksichtigung seiner Beweisantritte nicht ohne hinreichende Erfolgsaussicht ist, und er auch ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts zur Tragung der Prozeßkosten außer Stande ist. Die derzeitige Arbeitslosigkeit des Klägers ist unstreitig. Selbst wenn er im Dezember 1979 noch Provisionszahlungen erhalten hat, kann unter Berücksichtigung seiner Unterhalts- und sonstigen Schulden (Hauslasten) davon ausgegangen werden, daß daraus keine Mittel zur Führung des Prozesses zur Verfügung stehen.
4Der Kläger hat schlüssig Tatsachen dafür vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß die Geschäftsgrundlage des Vergleichs vom 14. Juli 1978 verändert ist, und daher die in dem Vergleich zugunsten der Beklagten festgelegten Unterhaltsforderungen an die jetzigen, veränderten Verhältnisse anzupassen sind.
5Mit der Arbeitslosigkeit des Klägers ist dessen Leistungsfähigkeit i.S. der §§ 1581, 1603 BGB beeinträchtigt worden. Das kann selbst dann, wenn dieser Arbeitslosengeld bezüge, zu einem Verlust des Barunterhaltsanspruchs der Beklagten zu 4) und der Beklagten zu 1) (seitdem sie volljährig ist) führen und - mit Rücksicht auf den Schutz des Selbstbehalts - eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten zu 2) und 3) zur Folge haben kann.
6Nach dem Vorbringen des Klägers ist auch nicht ein Sachverhalt gegeben, der es rechtfertigen könnte, seine Arbeitslosigkeit unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigen und ihn so zu behandeln, als erziele er noch sein früheres Provisionseinkommen.
7Die Arbeitslosigkeit des Klägers ist nach seinem Vorbringen nicht allein dadurch veranlaßt worden, daß die Beklagten wegen der im Vergleich festgelegten Unterhaltsansprüche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in seine Provisionsforderungen unternommen
8haben, sondern insbesondere dadurch, daß die Staatsanwaltschaft aufgrund der Strafanzeige der Beklagten zu 4) vom 4.10.1979 wegen Unterhaltspflichtverletzung (rückständig war von dem Barunterhalt lediglich der bis zum 3.10.1979 zu zahlende Unterhaltsbetrag von 1.000,-- DM) die Arbeitgeber des Klägers schriftlich um Auskunft ersucht hat. Diese Darstellung wird bestätigt durch das mit Schriftsatz des Klägers vom 11.1.
91980 zu den Akten gereichte Schreiben der C. KG an die Staatsanwaltschaft Bonn vom 20.11.1979.
10War aber die Kündigung des Handelsvertretervertrages durch die von der Beklagten zu 4) erstattete Strafanzeige mit veranlaßt, so ist sie dem Kläger nicht in einer Weise zuzurechnen, die seine Berufung darauf gegenüber dem Unterhaltsanspruch der Beklagten als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen läßt. Mit einer Strafanzeige brauchte der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nicht zu rechnen. Mit der Barunterhaltspflicht war er seinerzeit erst zwei Tage in Verzug. Die Hauslasten hatte der zwar längere Zeit nicht gezahlt. Insoweit dürfte aber, obwohl er in dem Vergleich vom 14.7.1978 die alleinige Tilgung der Hauslasten versprochen hatte, der Tatbestand des § 170 b StGB nicht erfüllt sein.
11Es erscheint zwar zweifelhaft, ob der für die Kündigung nach dem Vorbringen des Klägers von dessen Vertragspartner zum Anlaß genommene Sachverhalt eine fristlose Kündigung rechtfertigte und der Kläger diese hätte hinnehmen müssen. Zumindest
12wäre dann aber eine fristgerechte Kündigung möglich gewesen, deren Fristen inzwischen auch abgelaufen wären. Diese Frage dürfte daher nur für den Zeitpunkt von Bedeutung sein, von dem an eine Abänderung des Vergleichs erforderlich ist.
13Selbst wenn es sich aber erweisen sollte, daß dem Kläger nur gekündigt wurde, weil von den Beklagten gegen ihn die Zwangsvollstreckung betrieben wurde, so würde auch dies bei den Besonderheiten dieses Falles es nicht rechtfertigen, unterhaltsrechtlich das Fortbestehen des Handelsvertretervertrages zu fingieren unter Hinweis auf ein Verschulden des Klägers am Verlust seiner Erwerbsquelle.
14Nach der Rechtsprechung des Senats (FamRZ 80, 362) rechtfertigt dies - jedenfalls im Verhältnis zwischen geschiedenen Ehegatten - im Regelfall nur dann die fiktive Annahme eines Einkommens, wenn die Kündigung zumindest mit bedingtem Vorsatz vom Unterhaltsschuldner verursacht wurde. Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor. Der Senat hält allerdings - wie bereits in der zitierten Entscheidung ausgeführt - eine fiktive
15Anrechnung auch bei grober Fahrlässigkeit für möglich, wenn Treu und Glauben dies erfordern. Das kann in den Fällen denkbar sein, in denen die verschuldete Verursachung des Einkommens-Verlustes ihren Bezug hat in der Unterhaltspflicht des Schuldners. Das trifft hier zwar durchaus zu. Wenn der Kläger seine in dem Vergleich übernommenen Unterhaltspflichten erfüllt hätte, wäre gegen ihn keine Zwangsvollstreckung
16betrieben worden. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß der Kläger in der Regel für längere Zeit immer nur mit der Tilgung der Hauslasten und - teilweise – mit der Barunterhaltsschuld gegenüber der Beklagten zu 4) in Verzug war. Er vertrat dazu - wie sich insbesondere aus den Ermittlungsakten 11 Js 203/80 StA Bonn ergibt - die Auffassung,
17das inzwischen von der Beklagten zu 4) erzielte Erwerbseinkommen lasse seine Unterhaltspflicht dieser gegenüber entfallen. Entsprechende Klagen bzw. Armenrechtsanträge auf Abänderung des Vergleichs waren seit Oktober 1978 anhängig.
18In einem solchen Abänderungsverfahren hätte auch mit Wirkung für die Vergangenheit dieser Vergleich als Titel geändert werden können - wobei dann nachträglich die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sich als materiell ungerechtfertigt verwiesen
19hätten. In einem solchen Fall, in dem der Titel, aus dem der Unterhaltsgläubiger vollstreckt, in seinem dauernden Bestand zur Zeit der Vollstreckung nicht gesichert ist, ist das Verschulden des Unterhaltsschuldners, der das formale Gebot des Titels mißachtet und ohne zumindest die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abzuwarten, nicht freiwillig auf ihn leistet, sondern es zur Vollstreckung kommen läßt, nicht so schwerwiegend, daß es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn er aus dieser Zwangsvollstreckung, die dazu noch zum Arbeitsplatzverlust geführt hat, die Befreiung seiner Unterhaltspflicht geltend macht. Ein Schuldner, der bereits gegen einen solchen Titel die zulässigen Rechtsbehelfe eingelegt hat, tut dies im Regelfall nicht ohne jede eigene Überzeugung von seiner eigenen Rechtsansicht.
20Auch im vorliegenden Fall besteht bei einem eigenen Einkommen der Beklagten zu 4) von ca. 1.000,-- DM, das sie unstreitig in der Zeit von September bis Januar 1980 hatte (für die Zeit ab Januar 1980 hat die Beklagte zu 4) bisher noch nicht nachvollziehbar
21vorgetragen, warum sie danach ohne Einkommen ist. Es ist nicht einsehbar, daß sie keinen Anspruch auf Zahlung von Konkursausfallgeld und danach auf Kranken- oder Arbeitslosengeld hatte), durchaus Anlaß zu der Annahme, daß dies von Einfluß auf den im Vergleich festgelegten Barunterhaltsanspruch von 400,-- DM und den Anspruch auf Befreiung von der Tilgung der Hauslasten ist. Zur Zeit des Vergleichsabschlusses verdiente die Beklagte zu 4) nichts - jedenfalls ging man davon bei Vergleichsabschluß aus. Dann standen der Beklagten zu 4) nach der seinerzeitigen Rechtsauffassung von dem nach Abzug der Unterhaltsansprüche der Beklagten zu 1) bis 3) verbleibenden
22Nettoeinkommen des Klägers 2/5 zu. Das ändert sich aber mit eigenem Erwerbseinkommen der Beklagten zu 4). Dieses ist ihr auch in vollem Umfang anzurechnen, weil es nicht aus unzumutbarer Arbeit erzielt ist. Bei dem Alter der Beklagten zu 1) - 3) ist ihr eine Berufstätigkeit in dem ausgeübten Umfang bei den Lebensverhältnissen der Parteien zumutbar. Das gilt besonders auch darum, weil seinerzeit das 14 Jahre altejüngste Kind, die Beklagte zu 3), nachmittags in Gesellschaft der drei und zwei Jahre älteren Geschwister sein konnte, die Ende 1979 schon 17 und 16 Jahre alt waren. Der Beklagten zu 4) stand dann allenfalls noch der sogenannte Differenzunterhalt von (seit Januar 1980) 3/7 des Unterschiedsbetrages beider Einkommen der geschiedenen Ehegatten zu. Allein bei der in dem Vergleich festgelegten BarunterhaItslast des Klägers gegenüber der Beklagten zu 4) von 400,-- DM (wobei also die Zahlung der Hauslasten noch unberücksichtigt ist) hätte der Kläger dann aber ein Nettoeinkommen von über 2.500,-- DM erzielen müssen, um der Beklagten zu 4) nach Abzug des Kindesunterhalts von der Differenz von ca. 900,-- DM 400,-- DM Unterhalt zu schulden. Ein so hohes Einkommen des Klägers war aber - soweit ersichtlich - auch von der Beklagten zu 4) nie behauptet worden. Der Kläger hätte es mit Sicherheit auch nicht verdient, wenn er e in seinem erlernten Beruf als Sozialarbeiter gearbeitet hätte.
23Damit gibt auch dieser Gesichtspunkt keine Veranlassung anzunehmen, daß die Klage des Klägers ohne jede Erfolgsaussicht ist. Im übrigen erscheint es ohne weitere Ermittlungen nicht möglich, bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers zumindest davon auszugehen, daß er in seinem Beruf als Sozialarbeiter eine Anstellung finden konnte, wenn er sich darum mit der ihm allerdings zuzumutenden besonderen Energie
24bemüht hätte. Der Kläger hat Beweis angeboten durch Einholung einer Auskunft bei dem Arbeitsamt D., daß er in seinem Beruf als Sozialarbeiter nicht zu vermitteln ist. Diesem Beweisangebot wird nachzugehen sein. Der Kläger hat allerdings bisher noch immer versäumt - obwohl er spätestens nach dem angefochtenen Beschluß dazu Veranlassung gehabt hätte – konkret seine eigenen Bemühungen um die Anstellung als Sozialarbeiter vorzutragen. Der Senat häIt es andererseits mit Rücksicht auf die große Anzahl der Bewerber auf solche Stellen und die persönlichen Erwartungen, die der Arbeitgeber in sie zu stellen pflegt, für durchaus wahrscheinlich, daß der Kläger große Schwierigkeiten bei der ihm allerdings immer wieder neu und intensiv zuzumutenden Stellensuche haben wird, wenn er seine private Situation darstellen muß, die gekennzeichnet ist durch eine langwierige, mit großer persönlicher Feindschaft, die von keiner der Parteien zurückhaltend geäußert wird, betriebenen Auseinandersetzung der Scheidungsfolgen. Besonders nachteilig wird sich hier auch die Reihe von Ermittlungsverfahren auswirken, die beide Parteien gegeneinander anhängig gemacht haben. Eine Zurückhaltung erscheint hier im Interesse beider Parteien geboten, um dem Kläger den Wiedereintritt in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Er ist mit 38 Jahren zu jung, um auf Dauer mit Erfolg im Unterhaltsprozeß einwenden zu können, er finde in seinem gelernten Beruf keine Anstellung. Man wird in Zukunft auch eine Pflicht zu einem nochmaligen Berufswechsel erwägen müssen.
25Die gegen die Beklagte zu 4) anhängigen Ermittlungsverfahren bieten - soweit sie dem Senat bekannt sind (11 Js 51/80; 11 Js 380/80) auch keinen Anlaß zu der Annahme, daß damit der Tatbestand einer Unterhaltsverwirkung nach § 1579 Nr. 2 BGB
26erfüllt sein könnte, der nur eingreift bei einem schweren vorsätzlichen Vergehen. Für eine Anwendung des § 1579 Nr. 4 BGB liegen bisher keinerlei Anhaltspunkte vor. Der Fall, daß der Unterhaltsberechtigte strafbare Handlungen gegenüber dem Unterhaltsschuldner begeht, ist ausschließlich in § 1579 Nr. 2 geregelt.
27Die sofortige Beschwerde gegen die Versagung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung ist gemäß §§ 323, 769 analog, 793 ZPO statthaft. Sie hat unter Bezugnahme auf die vorstehenden Ausführungen Erfolg mit der Maßgabe, daß die einstweilige Einstellung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen ist. Von dem Erfordernis einer Sicherheitsleistung kann hier mit Rücksicht auf die Interessen der Beklagten
28nicht abgesehen werden. Es ist auch nicht erkennbar, daß der Kläger nicht zu einer Sicherheitsleistung in der Lage sein sollte; er mag z.B. seinen Hausanteil belasten oder
29zur Sicherheit verwenden.
30Die Kostenentscheidung insoweit beruht auf § 91 ZPO.
31Beschwerdewert bezüglich der sofortigen Beschwerde: 9.000,-- DM.
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