Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - Ss 495/91 - 257 -
Tenor
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G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat gegen den Angeklagten wegen fahrlässiger Schädigung eines anderen Verkehrsteil-nehmers (§ 1 Abs. 2 StVO) eine Geldbuße in Höhe von 1OO,- DM festgesetzt und wegen unerlaubten Entfer-nens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB) eine Geld- strafe von 6O Tagessätzen zu je 3O,- DM sowie drei Monate Fahrverbot verhängt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen, wobei es die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort nunmehr auf § 142 Abs. 2 StGB ge-stützt hat.
3Zum Schuldspruch und im Rechtsfolgenausspruch hin-sichtlich der Ordnungswidrigkeit ist die Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag der Gene-ralstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt hat.
4Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte der ihm nach § 142 Abs. 2, 3 StGB oblie-genden Pflicht zur nachträglichen Mitteilung des Unfalls schon deshalb nicht "unverzüglich" nachge-kommen, weil er sich nach Ablauf der Wartefrist mit seinem PKW zu einer Feier nach B. begeben hat, statt nunmehr sogleich (zumindest) die nahegelegene Polizeidienststelle zu verständigen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei nächtlicher Unfallverursachung mit Sachschaden in der Regel die Meldung beim Geschädigten oder der Polizei in den Morgenstunden des nächsten Tages noch als unverzüg-lich gelten kann, wenn die Haftungslage eindeutig ist (vgl. OLG Köln NZV 1989, 357; Jagusch/Hent-schel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., § 142 StGB Rn. 53 a m.w.N.). Hier hat sich der Unfall jedoch nicht zur Nachtzeit ereignet, sondern am frühen Freitagabend (11. Januar 1991) gegen 18.45 Uhr. Zu dieser Zeit wäre der Angeklagte, wollte er sich schon nicht der Mühe unterziehen, die Geschädig-te in den anliegenden Wohnhäusern zu ermitteln, jedenfalls gehalten gewesen, alsbald - d.h. noch am selben Abend - die Polizei zu benachrichtigen, zumal er nicht beabsichtigte, sein Fahrzeug am Un-fallort zurückzulassen und der Geschädigten dadurch eindeutige Hinweise für die Haftung zu präsentieren (vgl. OLG Köln a.a.O.; Jagusch/Hentschel, a.a.O.). Da nach den besonderen Umständen des Einzelfalles die Meldung am folgenden Tag nicht mehr "unver-züglich" gewesen wäre, bedarf die Frage, ob sich der Angeklagte in subjektiver Hinsicht mit Erfolg darauf berufen könnte, daß er verschlafen und nur deshalb eine frühzeitige Meldung am Vormittag des Folgetages unterlassen habe, keiner abschließenden Beurteilung. Soweit nämlich das Berufungsgericht die Verurteilung nach § 142 Abs. 2 StGB auch darauf gestützt hat, daß der Angeklagte dem Unverzüglich-keitsgebot am Folgetag nicht Rechnung getragen habe, ändert dieses Argument nichts daran, daß die gebotene nachträgliche Mitteilung (§ 142 StGB) am Unfalltag selbst versäumt worden ist.
5Die vom Berufungsgericht wegen unerlaubten Entfer-nens vom Unfallort verhängten Rechtsfolgen können dagegen keinen Bestand haben. Die Anordnung eines Fahrverbots wird im angefochtenen Urteil wie folgt begründet:
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"Das Fahrverbot von drei Monaten hält die Kammer in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht ebenfalls für angemessen, um der Warnfunktion Rechnung zu tragen. Da der § 142 StGB bei er-heblichem Schaden, wie (er) hier vorliegt, an sich eine Regelstraftat im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB ist und der Angeklagte schon ein-mal wegen Verkehrsunfallflucht verurteilt worden ist, wäre an sich der Führerscheinent-zug in Betracht gekommen. Aufgrund des Ver-schlechterungsverbots mußte es deshalb bei dem angeordneten Fahrverbot verbleiben."
9Jene Ausführungen lassen besorgen, daß die Straf-kammer davon ausgegangen ist, das Fahrverbot müsse ohne weiteres als "Ersatzsanktion" für die an sich verwirkte Fahrerlaubnisentziehung, die im vor-liegenden Fall wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 Abs. 1 StPO) außer Betracht zu bleiben hatte, verhängt werden (vgl. dazu: BGHSt 24, 11). Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort begründet gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2, Nr. 3 StGB nur dann die zur Entziehung der Fahrerlaubnis berechtigende Ver-mutung eines Eignungsmangels, wenn der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch ge-tötet oder nicht unerheblich verletzt oder an frem-den Sachen bedeutender Schaden entstanden ist (vgl. Drees/Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 6. Aufl., § 69 StGB Rn. 16). Ob ein bedeutender Schaden in diesem Sinne vorliegt, ist nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen und bemißt sich nach dem für die Behebung des Schadens erforderlichen Kosten (Drees/Kuckuk/Werny a.a.O.). Für die Bewertung des Schadens als "bedeutend" muß dabei auf die allgemeine Entwicklung der Einkommen und des Geldwertes abgestellt werden (vgl. OLG Düsseldorf VRS 78, 274 = NZV 199O, 197 = JMBl NW 1989, 249). Die Grenze, die den bedeutenden Schaden vom unbedeutenden trennt, ist daher eine veränder-liche Größe, die von den genannten wirtschaftlichen Faktoren abhängt (OLG Düsseldorf a.a.O.). Dem hat die Rechtsprechung dadurch Rechnung getragen, daß sie die Grenze zum bedeutenden Schaden der wirt-schaftlichen Entwicklung folgend jeweils angehoben hat. So muß der Grenzwert, der vor Jahren auf etwa 1.2OO,- DM festgelegt worden war (vgl. z.B. BayObLG VRS 59, 19O; OLG Stuttgart VRS 62, 123), unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen wei-teren Steigerung der Kraftfahrzeugkosten zur Zeit auf jeden Fall oberhalb von 1.5OO,- DM angenommen werden (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Bremen StV 1984, 335; LG Köln ZfS 199O,1O5; Jagusch/Hentschel a.a.O. § 69 StGB Rn. 17; Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 12. Aufl., § 69 StGB Rdn. 13; Drees/Kuckuk-Werny a.a.O. § 69 StGB Rn. 17; Himmelreich/Bücken, Verkehrsunfallflucht Rn. 261, 269; jeweils m.w.N.). Die vom Berufungsgericht festgestellte Schadenshöhe von rund 1.225,- DM liegt daher nach Auffassung des Senats jedenfalls unterhalb der Grenze dessen, was als "bedeutender Schaden" angesehen werden muß, ohne daß es einer Entscheidung darüber, bei welcher genauen Höhe oberhalb von 1.5OO,- DM die Grenze derzeit anzusetzen ist, bedurft hätte (für die Anhebung des Grenzwerts auf 2.OOO,- DM: vgl. LG Ba-den-Baden NZV 1989, 4O5 mit zustimmender Anmerkung von Janiszewski NZV 1989, 564; LG Nürnberg-Fürth MDR 199O, 173; LG Bonn DAR 1991, 34). Mangels bedeutenden Fremschadens ist die Schlußfolgerung der Strafkammer,daß an sich eine Fahrerlaubnisent-ziehung nach § 69 Abs. 1 erforderlich gewesen wäre und nur wegen des Verschlechterungsverbots nicht habe ausgesprochen werden dürfen, unzutreffend. Vielmehr hat entgegen dieser Ansicht ein Regelfall im Sinne von § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht vorgelegen. Somit ist auch die im Urteil hervorge-hobene Begründung, wonach das Fahrverbot als (im Verhältnis zur an sich gebotenen Fahrerlaubnisent-ziehung) mildere Sanktion ohne weiteres gerechtfer-tigt sei, nicht tragfähig, zumal keine allgemeine Regel besteht, daß in allen (anderen) Fällen des § 69 Abs. 2 StGB bei Absehen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis immer ein Fahrverbot zu verhängen wäre (vgl. OLG Koblenz VRS 71, 278; BayObLG VRS 58, 362; Jagusch/Hentschel a.a.O. § 44 StGB Rn. 3; Him-melreich/Bücken, Verkehrsunfallflucht Rn. 271 f.). Die Frage, ob ein Fahrverbot in Betracht kommt, richtet sich folglich unter Berücksichtigung der Warnfunktion allein nach dem Schuldgrad und den allgemeinen Zumessungsregeln (vgl. OLG Frankfurt VM 1977, 31). Das Fahrverbot darf nur angeordnet werden, wenn feststeht, daß der mit der Hauptstrafe verfolgte Zweck ohne die Nebenstrafe nicht erreicht werden kann (vgl. BGH NJW 1972, 1332; OLG Bremen DAR 1988, 389). Dazu enthält das angefochtene Urteil keine hinreichenden Erwägungen. Zwar hat die Strafkammer zur Rechtfertigung des Fahrverbots in zweiter Linie auch auf die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort aus dem Jahr 1987, bei der ebenfalls ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt worden war, verwiesen. Selbst wenn man jedoch die Erforderlich-keit eines weiteren Fahrverbots rechtsfehlerfrei allein auf die genannte Vorbelastung hätte stützen können, läßt sich im vorliegenden Fall nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, daß die Strafkammer ohne die - unzutreffenden - Erwägungen zu § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen und sich trotz der Vorbela-stung mit der Hauptstrafe begnügt hätte.
10Da Haupt- und Nebenstrafe wegen ihres sachlichen Zusammenhangs regelmäßig nicht trennbar sind (vgl. Jagusch/Hentschel a.a.O., § 44 StGB Rn. 2O m.w.N.), ist der Rechtsfolgenausspruch, soweit er sich auf die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bezieht, insgesamt aufzuheben. In diesem Umfang ist die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
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