Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 27 U 106/91
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. April 1991 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 212/87 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
2Die Berufung ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig. In der Sache hat sie keinen Erfolg.
3Die Klägerin kann von der Beklagten über den ihr vom Landgericht zuerkannten Ersatz materiellen Schadens hinaus gemäß §§ 823, 847 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 DM verlangen.
4Die Verpflichtung der Beklagten, wegen ihr anzulastender Fehler bei der zahnärztlichen Behandlung der Klägerin deren daraus erwachsene immaterielle Schäden durch ein Schmerzensgeld auszugleichen, steht dem Grunde nach nunmehr außer Streit, nachdem die Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil allein wegen der von ihr angegriffenen Höhe des Schmerzensgeldes Rechtsmittel eingelegt hat. Das vom Landgericht auf 5.000,00 DM festgesetzte Schmerzensgeld stellt auch nach Auffassung des Senats eine billige Entschädigung im Sinne von § 847 Abs. 1 BGB dar.
5Bemessungsgrundlagen für das Schmerzensgeld sind an erster Stelle das Ausmaß und die Schwere der psychischen und physischen Störungen, die Größe, Dauer und Heftigkeit der Schmerzen, der Umfang etwaiger Dauerfolgen und der Grad des Verschuldens. Bei der zahnärztlichen Behandlung der Klägerin hat die Beklagte mehrere vorwerfbare Fehler begangen, die jeweils körperliche Beeinträchtigungen zur Folge hatten. Wie in dem insoweit von ihr nicht angefochtenen erstinstanzlichen Urteil festgestellt worden ist, hat die Beklagte der Klägerin zwei paßungenaue und in den Randschlüssen fehlerhafte Zahnbrücken eingegliedert, die schließlich wieder entfernt und durch eine neue prothetische Versorgung des Oberkiefers haben ersetzt werden müssen. Weiterhin hat sie es bei der Wurzelbehandlung des Zahns 21 am 28. Dezember 1984 pflichtwidrig unterlassen, die Nerven des entzündeten Zahns vollständig zu entfernen, und den Zahn 22 mit einer mangelhaften Überkronung versehen. Ein weiterer Behandlungsfehler ist ihr nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 12. Januar 1990 wegen des im Dezember 1984 im Bereich des entzündeten Zahns 21 vorgenommenen Entlastungsschnitts vorzuwerfen. Ihrem eigenen Vortrag nach hatte die Beklagte das Zahnfleisch aufgeschnitten, um die von der Klägerin beklagte Druckdolenz in der Weise zu beseitigen, daß etwa vorhandenes seröses Infiltrat, welches durch die gefertigte Röntgenaufnahme nicht sichtbar gemacht worden war, austreten konnte. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, daß ein Einschnitt in ein entzündetes und damit mehr als normal durchblutetes Gewebe aufgrund der erhöhten Infektions- und Blutungsgefahr nur nach einer strengen Indikation und nicht auf bloßen Verdacht hin vorgenommen werden dürfe. Demnach war der von der Beklagten vorgenommene Entlastungsschnitt nicht indiziert.
6Folgen der Fehlbehandlung durch die Beklagte waren für die Klägerin zunächst der Verlust der Oberkieferschneidezähne Nummern 21 und 22. Die mangelhafte Wurzelbehandlung bei dem Zahn 21 hatte zuvor zu einer chronischen Entzündung im Bereich der Wurzelspitze geführt, deretwegen die Klägerin über einen längeren Zeitraum unter Schmerzen gelitten hat. Die Behandlungsunterlagen des Zahnarztes Dr. K. weisen aus, daß die Klägerin in dem Behandlungstermin am 21. Januar 1985 über Schmerzen im Bereich des entzündeten Zahnfleischs bei dem Zahn 21 und am 12. August 1985 erneut über Schmerzen an diesem Zahn geklagt hat. Als Zeuge hat Dr. K. in seiner schriftlichen Aussage bekundet, er habe die Zähne 21 und 22 am 12. Oktober 1986 entfernt, nachdem sich trotz aller von ihm durchgeführten Maßnahmen, nämlich einer Zahnfleischbehandlung zwischen dem 6. und 30. Juni 1986 und einer Wurzelkanalbehandlung des Zahns 21, am 5. und 8. August 1985 in diesem Bereich eine Schmerzfreiheit nicht habe erzielen lassen. Erst nach der Entfernung der Zähne 21 und 22 - so Dr. K. - sei die Klägerin beschwerdefrei gewesen. Von der Richtigkeit der Angaben des Zeugen Dr. K. über die von der Klägerin geklagten Schmerzen und die Berechtigung dieser Klagen ist der Senat überzeugt. Schließlich hat auch der Sachverständige Dr. W. bestätigt, daß eine chronische Entzündung im Bereich der Wurzelspitze, deren Ausgangspunkt eine unvollständige Zahnwurzelbehandlung sei, mit erheblichen Schmerzen in der Form, wie sie von der Klägerin für den Bereich des Zahn 21 geschildert worden sei, für den Patienten verbunden sein könne.
7Unter körperlichen Beeinträchtigungen hatte die Klägerin auch infolge der fehlerhaften Oberkieferbrücken zu leiden. Schon der Sachverständige Dr. A. hatte in seinem für die B. E. erstellten Gutachten vom 10. Juni 1985 auf "andauernde Schmerzen" nach der Eingliederung der ersten Brücke, die deshalb am 23. Januar 1985 größtenteils wieder entfernt worden sei, sowie auf Beschwerden am linken oberen Eckzahn - dem Zahn 23 - hingewiesen. Bei ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. K. im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens am 12. Februar 1986 hatte die Klägerin über Schmerzen im Zahn 23 beim Essen und eine permanente - wenn auch geringe - Schmerzhaftigkeit dieses Zahns, über ein Spannungsgefühl im Zahn 21 bei einer Belastung der Brücke im rechten Seitenzahnbereich sowie über eine sehr empfindliche Reaktion der überkronten Zähne auf Kälte und über eine Empfindlichkeit gegenüber süßen Speisen geklagt. Anhaltspunkte für die Annahme die Klägerin habe grundlos Schmerzen geäußert, vermag der Senat nicht zu erkennen, zumal da der Sachverständige Prof. K. in seinem Gutachten vom 15. August 1986 hervorgehoben hat, das von der Klägerin geschilderte Spannungsgefühl, die angegebene Schmerzhaftigkeit des Zahns 23 und die Beeinträchtigung der Kaufunktionen seien mit den Paßungenauigkeiten der beiden Oberkieferbrücken und derjenigen der Einzelkrone auf dem Zahn 22 erklärbar. Ausweislich der Patientenunterlagen des Zahnarztes Dr. K. hat die Klägerin zudem am 21. Januar 1985 über Schwierigkeiten mit der prothetischen Oberkieferversorgung, insbesondere über ein Spannungsgefühl geklagt und noch am 29. Januar 1986 die Fortdauer von "Heiß-Kalt-Beschwerden" angegeben.
8Wie der Zeuge Dr. K. bekundet hat, ist der Zahnersatz im Oberkiefer als Ursache der - insbesondere beim Essen - aufgetretenen Beschwerden erst in der Zeit vom 8. Januar bis zum 5. Februar 1987, also rund zwei Jahre nach seiner Eingliederung durch die Beklagte erneuert worden. Zwar hatte die Klägerin ihre Behandlung bei Dr. K. in dem Zeitraum vom 29. Januar bis zum 6. Juni 1986 im Hinblick auf das im Beweissicherungsverfahren zu erstellende Gutachten unterbrochen. Selbst wenn aber die Behandlungspause bei der Berechnung der Dauer der Schmerzen außer Acht bliebe, hätte die Klägerin unter den durch den fehlerhaften Zahnersatz verursachten Beschwerden jedenfalls über einen Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren gelitten. Bis zur Extraktion der Zähne 21 und 22 im Oktober 1986 durch den Zeugen Dr. K. hatte die Klägerin auch und vor allem Schmerzen infolge der chronischen Entzündung im Bereich der Wurzelspitze des Zahns 21. Zu berücksichtigen ist ferner, daß die Klägerin sich wegen der Fehlbehandlung durch die Beklagte während eines Zeitraums von jedenfalls weit mehr als einem Jahr einer Vielzahl von zahnärztlichen Behandlungen durch Dr. K. hat unterziehen müssen.
9Nach dem festgestellten Sachverhalt handelt es sich bei den Beschwerden der Klägerin nicht etwa, wie die Beklagte einwendet, lediglich um im wesentlichen notwendige Gewöhnungserscheinungen, sondern um Schmerzen und Beeinträchtigungen, die auf Behandlungsfehler zurückzuführen sind. Die Beklagte hat auch, ohne sich auf den Abbruch der Behandlung bei ihr berufen zu können, für die späteren Folgen einzustehen, unter denen die Klägerin noch während der Behandlung durch Dr. K. als Nachwirkungen der Fehlbehandlung durch die Beklagte zu leiden hatte. Auch der gegen die geforderte Höhe des Schmerzensgeldes gerichtete Einwand der Beklagten, die Zähne der Klägerin seien "ohnehin außerordentlich schlecht" gewesen, greift nicht durch. In seinem Gutachten vom 15. August 1986 hat der Sachverständige Prof. K. zwar auf weitere Zahnschäden der Klägerin, vor allem auf ein im Unterkiefer prothetisch nicht versorgtes Lückengebiß hingewiesen. Ursache der hier in Rede stehenden Beeinträchtigungen sind indessen nicht die Vorschäden an den Zähnen, sondern allein die von der Beklagten begangenen Behandlungsfehler. Daß die Klägerin etwa die Oberkieferzähne 21 und 22 auch ohne die ihr anzulastende Fehlbehandlung eingebüßt haben würde, hat die dafür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht dargetan.
10Bei Berücksichtigung der langwierigen, mehr als eineinhalb Jahre andauernden Beschwerden der Klägerin infolge der mangelhaften prothetischen Versorgung ihres Oberkiefers und vor allem ihrer Schmerzen aufgrund der fehlerhaften Wurzelbehandlung sowie auch des Verlusts von zwei Schneidezähnen ist ein Schmerzensgeld von 5.000,00 DM zum Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigungen angemessen. Ein Schmerzensgeldbetrag in dieser Höhe bewegt sich auch in dem Bereich, der sich in anderen Gerichtsentscheidungen für vergleichbare Fälle (etwa OLG Köln - 7. Zivilsenat - ZfS 1985, 135; OLG Oldenburg VersR 1987, 1022) findet.
11Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.
12Wert der Beschwer: unter 60.000,-- DM.
13Berufungsstreitwert: 3.500,00 DM.
14- 25 0 212/87 -
15T A T B E S T A N D :
16Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen behaupteter zahnärztlicher Behandlungsfehler Rückzahlung gezahlter Vergütung und Schmerzensgeld.
17Ende August 1984 begab sich die Klägerin in zahnärztliche Behandlung bei der Beklagten. Grund hierfür war u.a. die Entzündung eines Backenzahnes. Die Parteien kamen im Laufe der Behandlung überein, den Oberkieferbereich der Klägerin zu sanieren. Die Klägerin trug dort wegen mehrerer fehlender Zähne eine Teilprothese. Die Beklagte versorgte die Zähne 17 und 27 jeweils mit einer Gußkrone. Diese Behandlung beanstandet die Klägerin nicht. Die Zähne 16 bis 26 versah die Beklagte mit zwei Brücken. Mit diesen war die Klägerin unzu- frieden. Sie suchte die Beklagte wiederholt auf, um in ihren Augen notwendige Korrekturen ausführen zu lassen. Ende Dezember 1984 entzündete sich bei ihr der Zahn 21. Die Beklagte nahm u.a. einen Entlastungsschnitt vor. Dieser brachte nicht die gewünschte Besserung. Die Beklagte vermutete hieraufhin eine Wurzelentzündung. Sie entfernte den Nerv zumindest teilweise. Am 20.3.1985 begab sich die Klägerin letztmalig in die Behandlung der Beklagten. Anschließend ließ sie sich von Dr. K. weiterbehandeln. Am 5.10.1986 extrahierte dieser die Zähne 21 und 22.
18Die Klägerin trägt vor, der von der Beklagten eingesetzte Zahnersatz betreffend die Zähne 16 bis 26 seien nicht paßgenau gewesen, habe mangelhafte Randschlüsse aufgewiesen und sei deshalb erneuerungsbedürftig gewesen. Die Beklagte müsse den auf der Rechnung vom 14.12.1984 (Bl. 301 GA.) als Eigenan- teil gezahlten Betrag in Höhe von 5.854,24 DM zurückerstatten. Auch stehe ihr - der Klägerin - ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,-- DM zu. Infolge des paßungenauen Zahnersatzes habe sie über die gesamte Dauer der Behandlung durch die Beklagte an Spannungsgefühlen sowie an Wärme- bzw. Kälteempfindlichkeit im Oberkiefer gelitten. Sie habe nicht richtig kauen können, sei abgemagert und habe Schmerzen gehabt. Der Zahn 22 habe nicht erhalten werden können. Auch den Verlust des Zahnes 21 müsse die Beklagte verantworten. Sie habe wider die ärztliche Kunst und Sorgfalt einen Rest des Nervs im Kanal zurückgelassen. Auch deshalb habe der Zahn 21 später gezogen werden müssen.
19Die Klägerin beantragt,
20die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.854,24 DM nebst 4% Zinsen seit dem 19.12.1986 zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt
22Klageabweisung.
23Sie trägt vor, ein Behandlungsfehler könne ihr nicht angelastet werden. Sie habe entsprechend ärztlicher Kunst und Sorgfalt den Zahnersatz angefertigt. Letztlich sei die Klägerin beschwerdefrei gewesen. Den Nerv betreffend Zahn 21 habe sie vollständig entfernt. Das zeige die Röntgenaufnahme. Die Röntgenaufnahme habe sie im Beweissicherungsverfahren dem Sachverständigen Prof. Dr. K. übergeben. Auch habe sie den Wurzelkanal anschließend ordnungsgemäß verfüllt. Anderenfalls hätte der Zahn nicht so lange beschwerdefrei sein können. Zahn 22 habe sie ordnungsgemäß mit einer festen, nicht nur provisorisch aufgesetzten Krone versehen.
24Die Klägerin könne sich sowohl auf das im Beweissicherungsverfahren eingeholte Gutachten als auch das gerichtliche Sachverständigengutachten wegen Verfahrensfehler nicht berufen. Auch seien die Gutachten ohne Aussagewert. Die Klägerin habe sich am 20.3.1985 letztmalig bei ihr vorgestellt. Danach habe sie - die Klägerin - sich in andere Behandlung begeben. Die von ihr erbrachten Leistungen seien verändert worden. Die Sachverständigen hätten also am 12.2.1986 - dem Tag der Untersuchung der Klägerin - nicht das von der Be- klagten zu verantwortende Behandlungsergebnis vorgefunden und ihrer Wertung zugrundelegen können.
25Das Gericht hat u.a. über die Behauptung, die Behandlung der Beklagten habe ärztlicher Kunst und Sorgfalt widersprochen und sei wertlos gewesen, Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 28.3.1988 (Bl. 123 f. d.GA.), 25.4.1988 (BI. 133 f. d.GA.), 4.11.1988 (BI. 168 d.GA.), die schriftlichen Erklärungen des Zeugen Dr. K. vom 10.3.1988 (Bl. 116 f. d.GA.) und vom 28.4.88 (Bl. 137 d.GA.) und die Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 12.1.1990 (Bl. 203 f. d.GA.), vom 15.8.1986 (Bl. 23 f. d.GA.) und vom 1.12.1986 (Bl. 38 f. d.GA.) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und die vorgelegten Urkunden Bezug genommen.
26E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
27Die Klage ist überwiegend begründet.
28I.
29Der Klägerin steht ein materieller Schadensersatzanspruch in Höhe von 5.718,46 DM zu. Die Eingliederung des Zahnersatzes - mit Ausnahme der Überkronung der Zähne 17 und 27 - und die Behandlung des entzündeten Zahns 21 entsprachen nicht ärztlicher Kunst und Sorgfalt. Dadurch verletzte die Beklagte sowohl ihre vertraglichen Pflichten, was sie nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung schadensersatzpflichtig macht, als auch Körper und Gesundheit der Klägerin, weshalb sie nach den Vorschriften der unerlaubten Handlung Schadensersatz leisten muß.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.