Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 7 U 44/92
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 14. Januar 1992 wird zurückgewiesen.Die im Berufungsrechtszug erhobene Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wird abgewiesen.Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Das Rechtsmittel der Klägerin sowie die in zweiter Instanz erfolgte Klageerweiterung um das Schmerzens-geldbegehren sind prozessual unbedenklich, haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.
3Die Frage, ob der Beklagte zu 2) als untere Land-schaftsbehörde (§ 8 Abs. 1 Landschaftsgesetz NW) hinsichtlich des als Naturdenkmal eingetragenen Baums verkehrssicherungspflichtig ist (vgl. dazu BGH LM RNatSchG Nr. 3 = VersR 1962, 262 = MDR 1962, 378) und ob hierdurch ggfs. die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu 1) nach §§ 9, 9 a Straßen- und Wegegesetz NW verdrängt wird (vgl. Schink, Natur-schutz- und Landschaftspflegerecht NRW Rdn. 618) be-darf dabei keiner weiteren Erörterung. Eine Haftung beider Beklagten scheidet jedenfalls deshalb aus, weil eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht schlüssig dargetan ist.
4Der Verkehrssicherungspflichtige hat diejenigen Maß-nahmen zu ergreifen, die zur Abwehr von Gefahren für die Verkehrsteilnehmer einerseits objektiv erforderlich und andererseits zumutbar sind. Hierzu gehört die Entfernung von nicht mehr standsicheren Bäumen und von Baumgeäst, bei dem damit zu rechnen ist, daß es auf die Straße stürzen kann. Zu den insoweit zumutbaren Maßnahmen gehört eine regelmäßige Beobachtung der Straßenbäume, die sich im allgemeinen auf eine Sichtprüfung beschränken kann. Eingehendere Untersuchungsmaßnahmen sind nur dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung durch den Straßenbaum hin-deuten. Solche verdächtige Umstände können sich aus trockenem Laub oder dürren Ästen, aus äußeren Ver-letzungen, dem hohen Alter des Baumes, seinem Erhaltungszustand oder der Eigenart seiner Stellung erge-ben (ständige Rechtsprechung z.B. BGH VersR. 1965, 475, 476 = NJW 1965,815; Senat NVZ 1991, 190 = NuR 1992, 47 und Urteil vom 12.3.1992 Aktenzeichen 7 U 158/91, jeweils m.w.N.).
5Bei einer Sichtkontrolle des Baumes war jedoch nicht vorherzusehen, daߠ der Ast abbrechen würde. Die von der Klägerin ursprünglich aufgestellte Behauptung, der Ast sei ohne Laub gewesen, ist nämlich von ihr wieder fallengelassen worden, nachdem diese Behauptung widerlegt worden ist. Ausweislich der Fotografien Hülle Bl. 8 und Bl. 24 GA wies der Ast vielmehr eine normal wirkende Belaubung auf und machte keineswegs einen kranken Eindruck.
6Die in der Klageschrift aufgestellte Behauptung, der Ast sei "völlig morsch" gewesen, trifft ersichtlich ebenfalls nicht zu. Der Ast trug ausweislich der bereits erwähnten Fotografien frisches grünes Laub, was bei einem völlig morschen Ast nicht möglich ist. Die auf den Fotografien sichtbare Bruchstelle läßt auch keine Anzeichen von Fäulnis erkennen, vielmehr ist das Holz an der Bruchstelle hell, ohne braune oder schwarze Flecken. Das Aussehen des Astes vermochte somit keinen Anlaß zu einer eingehenderen Überprüfung als einer bloßen Sichtkontrolle zu geben.
7Auch der Standort des Baumes brauchte keinen Anlaß zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen zu geben. Der Baum steht nicht an einer besonders gefährdeten Stelle, etwa in einer Häuserlücke, wo die vorhandene Bebauung zu einer windkanalartigen Verstärkung von Luftbewegungen oder zum Entstehen von Luftwirbeln führen könnte.
8Auch das Alter des Baumes von ca. 100 Jahren begründete keine Verpflichtung zu besonderen Kontrollmaßnahmen. Eichen sind bekanntermaßen eine besonders langlebige Baumart. Sie haben ein hartes, widerstandsfähiges Holz und werden häufig mehrere 100 Jahre alt, ohne durch Krankheit oder Alterserscheinungen morsch oder sonst hinfällig zu werden.
9Auch der Zustand des Baumes im übrigen, wie er sich aus den vorgelegten zahlreichen Fotografien ergibt, verpflichtete die Beklagte nicht zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Die am Stamm des Baumes zur Stra-ßenseite hin vorhandenen Narben sind offensichtlich schon mehrere Jahre alt. Sie lassen nicht erkennen, daß dort Äste abgebrochen sind. Das Aussehen der Narben sowie ihre relativ geringe Höhe über dem Erdboden und ihre Lage an der Seite des Stammes zur Straße hin sprechen vielmehr dafür, daß dort Äste entfernt worden sind, weil sie die Benutzung der Straße beeinträchtigten. Aus dem Vorhandensein dieser Narben läßt sich folglich nichts dafür herleiten, daß der Baum kränklich ist oder von ihm besondere Gefahren ausgehen. Außer der Stelle, an der der Ast gesessen hat, der auf das Fahrzeug der Klägerin gestürzt ist, lassen die Fotografien auch keine weiteren frischen Abbruchstellen größerer Äste erkennen.
10Insbesondere kann es den Beklagten aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vorgeworfen werden, daß sie es unterlassen haben, den fraglichen Ast vorsorglich abzusägen. Der Umstand, daß der Ast in den Luftraum über der Straße hineinragte und er relativ groß war, vermag für sich allein keine Verpflichtung zur Beseitigung zu begründen. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, daß alle Äste und Zweige von Bäumen auch dann, wenn sie gesund und nicht erkennbar absturzgefährdet sind, vorbeugend abgesägt werden müßten, da zumindest die theoretische Gefahr besteht, daß sie Straßenbenutzer schädigen können. Eine so weitgehende Verpflichtung zum Beschneiden von Bäumen besteht jedoch nicht. Sie würde weit über das hinausgehen, was dem Verkehrssicherungspflichtigen zugemutet werden kann und würde auch nicht der Bedeutung gerecht, die den Bäumen unter Umweltaspekten zukommt. Es kann auch nicht angenommen werden, daß von dem Ast besondere Gefahren ausgegangen wären, die gleichwohl Anlaߠ zu seiner Beseitigung hätten geben können. Soweit die Klägerin vorträgt, der Ast habe "schwer übergewichtig" über der Straße gehangen, ist bereits nicht nachvollziehbar, was dies bedeuten soll. Daß der Ast schwer war, trifft sicherlich nicht zu, da er eine Länge von mehrern Metern hatte. Wie bereits ausgeführt, mag dies für sich allein aber keine Pflicht zu begründen, ihn abzusägen. Die Bezeichnung des Astes als "übergewichtig" erschließt sich dem Senat nicht. Davon, daß der Ast in einer Weise von dem Baum herab-gehangen hätte, daß mit seinem alsbaldigen Abbrechen hätte gerechnet werden müssen, kann nicht ausgegangen werden. Insbesondere liegen keine Fotografien vor, die den Zustand vor dem Unfall belegen. Die Klägerin trägt auch selbst nicht vor, daß der Ast etwa auffällig dergestalt herabgehangen habe, daß er vorbeifahrende Kraftfahrzeuge berührte. Eine solche Konstellation erscheint im Hinblick darauf, daß der Ast im Bereich der Krone aus dem Stamm ausgetrieben war, auch nicht vorstellbar.
11Nach alledem bedarf die von der Beklagten in erster Instanz spezifiert aufgestellte Behauptung, daß von ihr die erforderlichen Sichtkontrollen durchgeführt worden sind, trotz des Bestreitens der Klägerin keiner Beweisaufnahme. Denn im Hinblick darauf, daß der Ast belaubt war und der Baum auch sonst keine Auffälligkeiten aufwies, kann nicht davon ausgegangen werden, daß bei einer Sichtkontrolle etwas aufgefallen wäre, was Anlaß zu weitergehenden Schutzmaßnahmen hätte geben können.
12Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
13Berufungsstreitwert und Beschwer der Klägerin: 6.463,33 DM.
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