Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 15 U 47/92
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 5. Dezember 1991 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 17 0 261/91 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 10.000,-- DM, die auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden kann, abzuwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die Klägerin befaßt sich mit dem Vetrieb von Laborausrüstungen für Krankenhäuser und Universitäten im Nahen und Fernen Osten, in Afrika sowie in Süd- und Mittelamerika; zu ihren Kunden zählen zahlreiche internationale Organisationen. Der Beklagte ist ein eingetragener Verein, der sich als gemeinnütziger Verbraucherschutz-Verband mit umwelt- und gesundheitsbewußtem Verhalten im Alltag beschäftigt.
3Im Zusammenhang mit dem Golfkrieg erschien am 31. Januar 1991 ein von dem Beklagten in einer Auflage von 150.000 Stück verbreitetes Faltblatt ("aktualisierte und ergänzte Fassung") mit folgender Überschrift:
4"Kein Krieg für Öl! Kein Geld für Krieg!" Einleitend heißt es dann:
5"Beim Krieg am Golf geht es nicht um Menschenrechte und Demokratie. Denn diese werden im Irak, in Kuwait und in Saudi-Arabien seit Jahren mit Füßen getreten. Bei diesem Krieg geht es um Öl - und darum, unsere verschwenderische Form von Wirtschaften und Konsumieren zu erhalten. Jetzt sind auch die Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert.
6"Kein Krieg für Öl! - Kein Geld für Krieg!" - das ist unsere Aufforderung keine Produkte von Unternehmen zu kaufen, die mit ihrem Rüstungsexport den Golfkrieg überhaupt erst möglich gemacht haben."
7Und weiter:
8"Wir müssen umdenken!
9Mit Hamsterkäufen und gefüllten Benzinkanistern wird die Golfkrise nicht zu meistern sein. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen umdenken lernen, zu einem anderen Konsumverhalten bereit sein. Wir brauchen eine solidarische Weltwirtschaftsordnung, die die Reichtümer dieser Erde zu erhalten und gerecht zu verteilen sucht. Nur dann wird es keine Kriege um Öl und andere Rohstoffe geben.
10Kauft nichts von Kriegsgewinnlern!
11Der Krieg am Golf wäre nicht möglich gewesen ohne die Firmen, die den Irak mit den dafür erforderlichen Waffen ausgestattet haben. Mit deutscher Technologiehilfe wurde der Irak in den Stand versetzt, chemische Waffen zu produzieren. Mit deutscher Technologie gelang es Saddam Hussein, die Reichweite und die Zielgenauigkeit der Scud-Raketen entscheidend zu verbessern. Allein zwischen 1982 und 1986 bezog der Irak aus der Bundesrepublik Waffen im Wert von 1,3 Milliarden Mark.
12Heute wollen die "Exporteure des Todes" von diesen Geschäften und ihrer Mitverantwortung für die Folgen nichts mehr wissen. Dabei war sehr früh klar, was im Irak vor sich ging...
13Die Schwarze Liste für den Einkauf
14Die Verbraucher/innen können durch vorläufigen Kaufverzicht und Boykott Druck auf die Unternehmen ausüben, um diese zu stärkerer Selbstkontrolle und Selbstbeschränkung im Exportgeschäft zu bewegen. Druck ist auch nötig auf die Bundesregierung, die eine direkte Verantwortung für die Ausrüstung des Irak hat.
15Unser Boykott sollte besonders die treffen, die sich aktiv an der chemischen, bakteriologischen und atomaren Aufrüstung des Irak beteiligt haben und den Irak in die Lage versetzt haben, mit seinen Scud-Raketen Israel und die arabischen Länder zu bedrohen. Unternehmen wie...wußten, daß sie Giftgas- oder Kanonenfabriken für einen erklärten Feind Israels bauten.
16Einige auf unserer "Schwarzen Liste" aufgeführten Unternehmen haben gegenüber der V erklärt, daß sie nichts von der militärischen Verwendung ihrer Produkte wußten. Diese Unternehmen, -zu denen z.B....zählen, müssen sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, fahrlässig gehandelt zu haben. Deshalb ist diesen Firmen gegenüber ein Boykott angemessen. Erst wenn sich diese Unternehmen zur Selbstbeschränkung von Exporten in Spannungsgebiete bereit erklären, sollte der Kaufverzicht aufgehoben werden."
17In dem Faltblatt werden dann zahlreiche deutsche Firmen - jeweils unter bestimmten Aspekten genannt; in Bezug auf die Klägerin heißt es unter der in einem roten Feld ausgedruckten Überschrift
18"Anlagen für die Erforschung und Entwicklung von B-Waffen
19L, F
20Lieferungen:
21U.a. Trocknungsschränke, Seren, Wärmegeräte angeblich für "klinischen Hospitalbereich".
22Produkte:
23Laborausrüstungen für klinischen Bereich."
24Am 3. Mai 1991 verbreitete der Beklagte eine dritte überarbeitete und ergänzte Auflage dieses Faltblattes, in dem es u.a. wie folgt heißt:
25"Die V hat mit den Irak-Lieferanten, die bewußt oder fahrlässig die militärische Aufrüstung des Irak gefördert haben, umfangreiche Korrespondenz geführt.
26Die gegen einige Unternehmen - auch von uns -erhobenen Vorwürfe z.B. gegen die Deutsche... haben sich als falsch erwiesen. Wir haben diese Firmen deshalb von der "Schwarzen Liste" gestrichen. Gestrichen haben wir Firmen, die uns gegenüber glaubhaft machen konnten, daß ihnen die militärische Verwendung ihrer Lieferungen nicht bekannt gewesen sind oder die nur im geringen Umfang in den Irak geliefert haben. Zu diesen Firmen zählen..."
27Mit Anwaltschreiben vom 11. Juni 1991, auf dessen Inhalt im einzelnen Bezug genommen wird (B1. 38 - 39 d.A.), forderte die Klägerin den Beklagten zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Der Beklagte antwortete mit Schreiben vom 17. Juni 1991 (B1. 40 d.A.); dabei wies er darauf hin, daß "Ihre Mandantin in der aktuellen Fassung des Faltblattes nicht mehr aufgeführt ist. Die Auflage des Faltblattes, auf die Sie sich beziehen (31. Januar 1991), ist ausverkauft und wird nicht mehr neu aufgelegt.
28"Und weiter:
29Sämtliche Bezieher dieses Faltblattes haben von uns die aktualisierte Fassung vom 3. Mai 1991 zugesandt bekommen. In dieser Fassung heißt es u.a. auf Seite 2:
30Die gegen einige Unternehmen - auch von uns - erhobenen Vorwürfe z.B....haben sich als falsch erwiesen... Gestrichen haben wir Firmen, die...'
31Ich gehe davon aus, daß das Interesse Ihrer Mandantin an der Abgabe einer Unterlassungserklärung damit erledigt ist..."
32Dem widersprach die Klägerin mit Telefax vom 19. Juni 1991 (Bl. 43 d.A.):
33"Da Sie in Ihrer neuen Publikation die Firma unserer Mandantin nicht auf Seite 2, linke Spalte, 4. Absatz, aufgeführt haben, ist in Ihrer jüngsten Veröffentlichung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen ein Widerruf bzw. eine Richtigstellung Ihrer in Bezug auf unsere Mandantschaft in der Publikation vom 31. Januar 1991 verbreiteten Behauptungen zu sehen:
34Die Wiederholungsgefahr hinsichtlich der fraglichen Behauptungen wird anerkanntermaßen nur durch die Abgabe einer vertragsstrafebewehrten Unterlassungserklärung ausgeschlossen."
35Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Sie hat im wesentlichen vorgetragen, der Beklagte habe in seinem Faltblatt vom 31. Januar 1991 unwahre Tatsachenbehauptungen über die Klägerin verbreitet, die erheblich geschäftsschädigend seien. Durch die von ihr eingeholte gutachterliche Stellungnahme des Prof.Dr.med. K vom 29. April 1991 (B1. 24 ff d.A.) sei bereits hinreichend nachgewiesen, daß die von der Klägerin an den Irak gelieferten Gegenstände (Waren) ausschließlich zur Diagnostik von Infektionskrankheiten erforderlich gewesen seien und nichts mit "bakteriologischer Kriegsführung" zu tun hätten. Zu keinem Zeitpunkt seien Gegenstände und Materialien in den Irak geliefert worden, die der Herstellung biologischer Kampfmittel und/oder Waffen gedient hätten.
36Durch die Darstellung des Beklagten werde die Klägerin als Lieferant von Anlagen zur Erforschung von B-Waffen an den Pranger gestellt. Da dieser Vorwurf unberechtigt sei, sei er zu unterlassen; es bestehe hier auch eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft, da der Beklagte die von ihm verlangte strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgegeben haben.
37Die Klägerin hat beantragt,
38den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 Deutsche Mark, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, daß die Klägerin Anlagen für die Erforschung und Entwicklung von B-Waffen in den Irak geliefert hat.
39Der Beklagte hat um Klageabweisung gebeten.
40Er hat die Wiederholungsgefahr in Zweifel gezogen und im übrigen die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch scheitere bereits daran, daß es sich bei den inkriminierten Textpassagen um Meinungsäußerungen handele, die nicht verboten werden könnten.
41Durch Urteil vom 5. Dezember 1991 (81. 222 ff d.A.), auf das wegen aller weiteren Einzelheiten verwiesen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen dargelegt, durch den inkriminierten Artikel werde zwar - durch eine Tatsachenbehauptung -
42in geschützte Rechtspositionen der Klägerin eingegriffen; der Beklagte sei seiner pressemäßigen Sorgfaltspflicht jedoch hinreichend nachgekommen, und die von ihm verbreiteten Tatsachen seien vom Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter Interesse gedeckt.
43Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer zulässigen Berufung (vgl. 221,243,250 und 260/263 d.A.).
44Die Klägerin wiederholt und ergänzt ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und meint, es habe bereits "zwingend aus der Zusammensetzung der bestellten einzelnen Gegenstände und der jeweils bestellten geringfügigen Mengen" keine Zweifel aufkommen können, "daß die Bestellung (des Iraks) nicht etwa für Krankenhäuser, sondern für militärische Zwecke bestimmt gewesen" sei (B1. 269 d.A.). Das habe der eingeschaltete Gutachter Prof.Dr.K überzeugend belegt. Der Beklagte habe auch seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nicht genügt; so habe er hier u.a. nicht auf eine eigene Rückfrage bei der Klägerin verzichten dürfen. Auf die Berichterstattung im "S" vom 8. Oktober 1990 (Bl. 62 ff d.A.) könne sich der Beklagte nicht berufen, da diese "erkennbar überholt" sei (Bl. 279 d.A.). Wenn überhaupt, so habe der Beklagte allenfalls einen Verdacht gegen die Klägerin aussprechen, nicht jedoch von einem "erwiesenen Sachverhalt" ausgehen dürfen (B1. 274 d.A.).
45Die Klägerin beantragt,
46unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 Deutsche Mark, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an seinem Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, daß die Klägerin Anlagen für die Erforschung und Entwicklung von B-Waffen in den Irak geliefert hat.
47Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung der Klägerin.
48Er verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Behauptungen und Rechtsansichten der Klägerin entgegen.
49Wegen der gesamten weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der in dem zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die bei den Akten befindlichen Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
50Entscheidungsgründe
51Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
52Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu:
531.
54Die vorliegende Unterlassungsklage scheitert bereits daran, daß die Klägerin, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen hat (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO), das Vorliegen einer "Wiederholungsgefahr" für die Zukunft nicht hinreichend dargetan hat. Der Umstand, daß der Beklagte es auf die Aufforderungen der Klägerin hin (vgl. die Schreiben vom 11. und 19. Juni 1991, Bl. 38 ff; Bl. 43 d.A.) abgelehnt hat, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, begründet - entgegen der Ansicht der Klägerin - allein noch nicht eine Wiederholungsgefahr. Nichts anderes gilt, wenn - wie die Klägerin dies tut - der Verletzungstatbestand selbst für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr herangezogen wird:
55a)
56Die Wiederholungsgefahr - eine materielle Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs - setzt bereits die objektive Gefahr der Wiederholung des konkreten Verletzungstatbestandes voraus. Die konkrete Verletzungshandlung muß im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also für die Zukunft, noch "drohen".
57Schon daran fehlt es hier.
58Der Beklagte hat die von der Klägerin angegriffenen Textpassagen im Faltblatt vom 31. Januar 1991, nachdem es vergriffen war, in Bezug auf die Klägerin nicht mehr wiederholt. Im Gegenteil hat der Beklagte - von sich aus und vor der anwaltlichen Abmahnung vom 11. Juni 1991 (B1. 38 ff d.A.) - die Klägerin in der aktualisierten und ergänzten Fassung des Faltblattes vom 3. Mai 1991 aus der "Schwarzen Liste" herausgenommen. Dies geschah zwar, wie die Klägerin zutreffend meint, ohne besondere (nochmalige) namentliche Nennung der Klägerin. Indes kommt es darauf nicht an, weil der Leser des Faltblattes vom 3. Mai 1991, auf den abzustellen ist, unschwer erkennen konnte, daß auch nicht namentlich erwähnte Firmen, die in dem Faltblatt vom 31. Januar 1991 (noch) in der "Schwarzen Liste" gestanden hatten, in der neuen, aktualisierten Liste "herausgenommen" wurden, wenn sich der Vorwurf gegen sie nicht erhärtet hatte oder wenn glaubhaft gemacht worden war, daß "'die militärische Verwendung" der Lieferungen "nicht bekannt gewesen" sei oder deren Umfang nur gering war. Das ergibt sich hinreichend aus dem Sinnzusammenhang der Erläuterungen des Beklagten in dem Faltblatt vom 3. Mai 1991, warum es einer neuen, "aktualisierten" Schwarzen Liste bedurfte.
59Damit hatte der Beklagte nicht nur gegenüber den Lesern, die das Faltblatt vom 31. Januar 1991 noch kannten oder jedenfalls zur Hand hatten, sondern vor allem auch gegenüber der (betroffenen) Klägerin eine (öffentliche) Korrektur vorgenommen, an die sich der Beklagte auch in der Folgezeit gehalten hat; denn bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 1992 ist die Klägerin - von dem Beklagten - im Zusammenhang mit der (deutschen) "Irak-Affäre" nicht mehr namentlich genannt worden.
60Es besteht, worauf der Senat hingewiesen hat, derzeit kein hinreichender Anlaß anzunehmen, der Beklagte werde von dieser Linie zukünftig abweichen. Es kann nach dem Ende des Golfkrieges nicht angenommen werden, daß der Beklagte - in einem Faltblatt - nochmals so berichten wird, wie er dies unter dem 31. Januar 1991, damals noch unter dem Eindruck des Golfkrieges, getan hat.
61Auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes angesprochene "Vermutung" für die Wiederholungsgefahr kann sich die Klägerin hier nicht berufen:
62Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. Urteil vom 8. Juli 1980 = GRUR 1980, 1090 ff. - "Das Medizin-Syndikat I"), daß zunächst "eine Vermutung dafür (spricht), daß der Beklagte (seine) Vorwürfe wiederholen" wird (a.a.O., S. 1095); und an die Widerlegung dieser Vermutung seien jeweils strenge Anforderungen zu stellen. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung jedoch zugleich betont, daß sich diese "Vermutung" jeweils nur auf eine Äußerung mit demselben ehrverletzenden Inhalt "des geschehenen Eingriffs" beziehen kann, "an den sie anknüpft".
63Gerade hieran fehlt es aber:
64Der Golfkrieg ist jetzt schon längere Zeit beendet, mögen auch die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges noch lange diskutiert werden. Und es kann auch davon ausgegangen werden, daß im Zusammenhang mit der - vor allem der deutschen - Industrie z.T. unterstellten bzw. vorgeworfenen Hilfe (gegenüber Saddam Hussein) noch öffentliche Diskussionen und vielleicht sogar Strafverfahren zu erwarten sind. Das alles reicht aber nicht aus, um anzunehmen, der Beklagte werde im Rahmen oder im Zusammenhang solcher Diskussionen oder Strafverfahren seine im Faltblatt vom 31. Januar 1991 verbreiteten Aussagen wiederholen. Dies gilt um so mehr, als nach der eigenen Darstellung der Klägerin auszuscheiden ist, daß "Vorwürfe" - gleich welcher Art - gegen die Klägerin noch erhoben werden können. Es entspricht deshalb der Lebenserfahrung anzusetzen, daß jede weitere ("zukünftige") Veröffentlichung einen anderen, aktuellen Bezug hätte, der mit der Situation des Golfkrieges und der damaligen Veröffentlichung nicht vergleichbar wäre. Der Senat geht daher im Ergebnis davon aus, daß die Gesamtumstände dafür sprechen, daß die dem Beklagten zum Vorwurf gemachte konkrete Verletzungshandlung, so wie sie im Faltblatt vom 31. Januar 1991 zum Ausdruck gebracht worden sein soll, nicht mehr "droht".
65b)
66Für die "Ausräumung" der Wiederholungsgefahr bedarf es deshalb - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch keiner zusätzlichen "Garantien" (vgl. insoweit vor allem BGH, NJW 1984, 1607 ff). Es fehlt im vorliegenden Fall nach den Erklärungen des Beklagten zur Sache, vor allem aber nach der von ihm selbst veranlaßten Herausnahme der Klägerin aus der "Schwarzen Liste" an einem konkreten Indiz "für fehlende Hemmungen, sich auch in Zukunft über die Interessen der Klägerin hinwegzusetzen" (so der BGH, a.a.O.). Die Klägerin wäre hier, wenn der Beklagte den inkriminierten Vorwurf in Zukunft (in anderer Form) wieder aufgreifen würde, ausreichend nach den allgemeinen Deliktsvorschriften geschützt (BGH).
67Fehlt es somit bereits an der Gefahr einer Wiederholung der konkreten Verletzungshandlung, so erweist sich die Berufung bereits aus diesem Grunde als nicht begründet.
682.
69Die Berufung ist aber auch nicht begründet, wenn man mit der Klägerin von dem Bestehen der Wiederholungsgefahr ausginge. Durch den in dem Faltblatt vom 31. Januar 1991 enthaltenen "Vorwurf" ist die Klägerin nicht in ihren schutzwürdigen Belangen rechtswidrig beeinträchtigt:
70Die Klägerin genießt als Handelsunternehmen vor allem den Schutz des § 824 BGB. Diese Vorschrift schützt die wirtschaftliche Wertschätzung von Unternehmen vor unmittelbaren Beeinträchtigungen, die durch Verbreitung unwahrer Behauptungen über sie herbeigeführt werden (BGH, NJW 1978, 2151). Unrichtige Informationen sind - auch unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit - kein schutzwürdiges Gut, da sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen können (BVerfG, NJW 1980,2072, 2073; BGH NJW 1985, 1621, 1623). Deshalb werden unwahre Mitteilungen grundsätzlich weder durch Artikel 5 GG noch durch die §§ 824, 823 Abs. 2 BGB, § 193 StGB gedeckt, es sei denn, der Berichterstattung liegt eine hinreichend sorgfältige Recherche zugrunde (BGH, a.a.O. m.w.N.).
71Der Auffassung des Landgerichts, das Faltblatt vom 31. Januar 1991 enthalte - in Bezug auf die Klägerin -eine Tatsachenbehauptung, vermag der Senat nicht beizutreten. Das inkriminierte Faltblatt stellt von der Zielrichtung, die der Beklagte erklärtermaßen verfolgt, einen Boykottaufruf dar (" das ist unsere Aufforderung keine Produkte von Unternehmen zu kaufen, die mit ihrem Rüstungsexport den Golfkrieg überhaupt erst möglich gemacht haben" - "Kauft nichts von Kriegsgewinnlern!"); die Verbraucher sollen "zum Umdenken", "zu einem anderen Konsumverhalten" angehalten werden. Begründet wird diese Forderung des Beklagten mit der substanzarmen Behauptung, "der Krieg am Golf wäre nicht möglich gewesen ohne die Firmen, die den Irak mit den dafür erforderlichen Waffen ausgestattet haben".
72Und: "Mit deutscher Technologie gelang es Saddam Hussein, die Reichweite und die Zielgenauigkeit der Scud-Raketen entscheidend zu verbessern. Allein zwischen 1982 und 1986 bezog der Irak aus der Bundesrepublik Waffen im Wert von 1,3 Milliarden Mark. - Heute wollen die 'Exporteure des Todes' von diesen Geschäften und ihrer Mitverantwortung für die Folgen nichts mehr wissen."
73In dem Faltblatt wird - unter der Überschrift "Die Schwarze Liste für den Einkauf" - dann unterschieden zwischen Firmen, "die sich aktiv an der chemischen, bakteriologischen und atomaren Aufrüstung des Irak beteiligt haben" und solchen, die "sich den Vorwurf gefallen lassen (müssen), fahrlässig gehandelt zu haben." Auch diesen Firmen gegenüber sei "ein Boykott angemessen." Die Ansicht des Landgerichts, in bezug auf die Klägerin liege hier die Behauptung vor, diese habe "Anlagen für die Erforschung und Entwicklung von B-Waffen in den Irak geliefert" (Urteil, Seite 12), ist angesichts der Gesamtaussage des Faltblattes unzutreffend. Eine solche Feststellung ("für") wird in dem inkriminierten Text nicht getroffen,
74schon deshalb nicht, weil die Klägerin ausdrücklich weder der einen ("aktiv") noch der anderen ("fahrlässig") Gruppe zugeordnet wird. Der Hinweis im Text, die von der Klägerin gelieferten Waren seien "angeblich für 'klinischen Hospitalbereich' (bestimmt gewesen), läßt aus der Sicht des unbefangenen Lesers beide Deutungen zu. Welcher Deutung er sich anschließen will, ist dem Leser überlassen. Damit ist aber gerade in bezug auf die Klägerin keine Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, die einem Beweis zugänglich sein soll, sondern dem Leser wird und soll vordringlich überlassen bleiben, ob er der im Text mitgeteilten Wertung zustimmen will oder nicht, und ob er sich aufgrund der mitgeteilten Umstände zu einem Boykott der (klägerischen) Waren entschließt. Der Kontext der Gesamtaussage belegt, daß die Klägerin einem Verdacht ausgesetzt wird, nämlich dem Irak durch Warenlieferungen bewußt oder fahrlässig geholfen zu haben, so wie dies andere Firmen - nach Ansicht des Beklagten -auch getan haben. Der Boykottaufruf stellt sich somit - von der Zielrichtung her - als eine gesellschaftspolitisch orientierte "System"-Kritik dar, die - für den Leser erkennbar - einem "Beweise" nicht zugänglich sein soll. Solche - öffentliche - Kritik kann nicht gemäß § 824 BGB untersagt werden (BGH, NJW 1984, 1607 ff.).
75Zu Unrecht sieht die Klägerin auch in der gesamten "Aktion" des Beklagten einen rechtswidrigen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
76Die Grenzen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einem Boykottaufruf zu beachten sind, sind hier nicht überschritten worden:
77Mit dem Verbreiten des Faltblattes vom 31. Januar 1991 ist zwar unmittelbar in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen worden; denn dieses Recht schützt allgemein gegen alle Eingriffe, die die Entfaltung des Gewerbebetriebs beeinträchtigen (BGHZ 3, 270 = NJW 1952, 660; BGHZ 8, 142 = NJW 1953, 297). Es kann hier auch nicht die "Unmittelbarkeit" des Eingriffs deshalb infragegestellt werden, weil der willensfreie Entschluß des angesprochenen Verbrauchers dazwischengeschaltet sein soll; denn es gehört gerade zum Wesen eines Boykotts, daß der Schaden nicht unmittelbar durch den "Ausrufer", sondern über einen - unabhängigen -Dritten herbeigeführt werden soll.
78Gleichwohl liegt ein rechtswidriger Eingriff nicht vor:
79Der Bundesgerichtshof hat anfänglich dazu geneigt, den Boykott auch zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Interessen generell als rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und damit als ersatzbegründende Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB anzusehen. Unter dem Einfluß des "Lüth"-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 7, 198 =. NJW 1958, 257), das einen Boykottfall betraf, hat sich jedoch heute die Erkenntnis durchgesetzt, daß der Boykott zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Interessen ein legitimes Mittel im Meinungskampf darstellt (BVerfGE 25, 256 = NJW 1969, 1161 - "Blinkfüer"; im übrigen ist zu verweisen auf BGH NJW 1985, 60 ff- Kundenboykott; BGH, NJW 1985, 62 ff -Copy charge; LG Stuttgart, NJW 1956, 1073 -Milchstreik; OLG Köln, NJW 1965, 2345 - Aufruf zu einem Inseratenstreik wegen Nacktfotos in einer Illustrierten; OLG Frankfurt, NJW 1969, 2095 - Seehundfelle).
80Wesentlich sind daher bei einem "Boykott"-Aufruf die Motive und - damit zusammenhängend - das Ziel und der Zweck der Aufforderung. Findet diese ihren Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient sie der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, daß die Boykottaufforderung durch Artikel 5 GG geschützt ist (BVerfGE 7, 198, 212, 215; BVerfGE 25, 256, 264), auch wenn dadurch private und namentlich - wie hier -wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden (BVerfG, NJW 1983, 1181, 1182). Die Verfolgung der Ziele des "Verrufers" darf das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigungen des Angegriffenen oder des Betroffenen nicht überschreiten; und schließlich müssen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich zu billigen sein. Das ist der Fall, wenn der "Verrufer" sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflußnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten. Die Ausübung wirtschaftlichen Drucks, der für die Adressaten des Boykottaufrufs schwere Nachteile bewirkt und ihnen demgemäß die Möglichkeit nimmt, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit zu treffen, ist deshalb durch Artikel 5 GG nicht geschützt (BVerfG, NJW 1983, 1181, 1182 mit weiteren Nachweisen).
81Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Faltblattaktion des Beklagten vom 31. Januar 1991 nicht zu beanstanden: Der Beklagte hat keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Der Beklagte hat auf einen - nach seiner Ansicht - schweren Mißstand aufmerksam gemacht und um Unterstützung der von ihm - letztlich politisch motivierten - Aktion gebeten ("Druck ist auch nötig auf die Bundesregierung..."). Das Faltblatt diente daher als Mittel des geistigen Meinungskampfes, ihm lag die Absicht zugrunde, auf einen (in der Vergangenheit liegenden) Mißstand aufmerksam zu machen und dadurch ein kritisches Käuferbewußtsein zu schaffen. Es kann dem Beklagten nicht abgesprochen werden, daß es sich bei der im Faltblatt vom 31. Januar 1991 angesprochenen "Aufrüstungshilfe" für den Irak um ein Thema handelte, das weit über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus internationale Aufmerksamkeit erfahren hatte. - Das inkriminierte Faltblatt vom 31. Januar 1991 betraf somit eine die Allgemeinheit wesentlich berührende Sache (so BVerfG, NJW 1983, 1181, 1182). Der Boykottaufruf ("Erst wenn sich diese Unternehmen zur Selbstbeschränkung bei Exporten in Spannungsgebiete bereit erklären, sollte der Kaufverzicht aufgehoben werden") war daher nicht unzulässig, sondern durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Unrichtige Tatsachenbehauptungen sind, wie dargelegt, mit dem Boykottaufruf nicht verbunden gewesen. Soweit hier überhaupt Tatsachen von dem Beklagten mitgeteilt werden, sind diese ersichtlich nicht unrichtig.
82Auch der Rahmen zur "Schmähkritik" wird nicht überschritten: Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß auch die kritische Würdigung eines Geschäftsgebarens - wie hier -keineswegs rechtswidrig ist (BGH, NJW 1967, 390); sachliche Kritik an einem Gewerbebetrieb kann nämlich nicht allein deshalb als "widerrechtlich" bezeichnet werden, weil sie sich störend und nachteilig auf den Geschäftsbetrieb auswirken kann (OLG Stuttgart, JZ 1981, 380). "Sachlich" ist jede Kritik, die - wie hier - keine unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, nach Form und Inhalt nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist und nicht unlauteren Zwecken dient (vgl. auch OLG Hamburg, NJW 1959, 1785; BGH NJW 1967, 390; OLG Stuttgart, a.a.O.). Diesen Kriterien wird der angegriffene Artikel im Faltblatt vom 31. Januar 1991 in vollem Umfange gerecht.
833.
84Die Berufung der Klägerin war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
85Streitwert für die Berufungsinstanz und Beschwer der Klägerin: 100.000,-- DM.
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