Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 132/92
Tenor
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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3Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.
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5Das Landgericht hat zu Recht die Beklagte verur-teilt, Leistungen aus der Reisegepäckversicherung zu erbringen.
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7I. Auch der Senat ist vom Eintritt eines bedin-gungsgemäß zu entschädigenden Versicherungsfalles überzeugt. In erster Linie kann zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil (dort S. 4 - 6 oben) verwie-sen werden, denen der Senat in vollem Umfang folgt (§ 543 Abs. 1 ZPO). Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung darauf hinweist, daß die dem Raubüberfall vorangegangenen Ereignisse, insbeson-dere der vom Kläger und dem Zeugen W. geschilder-te Reiseverlauf, ungewöhnlich seien und teilweise sogar in Einzelheiten widersprüchlich dargestellt würden, vermag der Senat dem keine derart große Bedeutung beizumessen, daß vom Eintritt des Versi-cherungsfalles keine sichere Überzeugung zu gewin-nen wäre. Es muß, wie in der mündlichen Verhand-lung erörtert worden ist, berücksichtigt werden, daß es sich bei der Reise des Klägers mit dem Zeugen W. in keiner Weise um eine durchgeplante Unternehmung handelte, sondern um ein von üblichen konventionellen Zwängen unbeeinflußtes "Umherfah-ren in der Weltgeschichte" mit dem Ziel, etwas zu erleben (so der Zeuge W. bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht im Parallelprozeß 24 O 381/86 LG Köln = 5 U 115/89 OLG Köln, Bl. 74 d. Beiakte); man wollte dort bleiben, "wo was los war" (so der Zeuge W. bei seiner landgerichtlichen Vernehmung im vorliegenden Rechtsstreit, Bl. 97). Beide waren tage- und nächtelang unterwegs, hielten sich, wenn überhaupt einmal, nur kurz in einem Hotel oder einer Pension auf, wobei nur das Allernötigste mit in die Unterkunft genommen wurde, alles übrige Gepäck blieb von vornherein im Wagen. Es kann nicht verwundern, wenn eine solche Unternehmung zu Geschehensabläufen führt, die sich nicht in über-kommene Schemata einer durchorganisierten Urlaubs-reise einordnen lassen. Es ist auch keineswegs un-gewöhnlich, daß man sich angesichts einer solchen "ungeordneten" Reise an Einzelheiten des Reisever-laufs später nicht erinnert. Dies schließt jedoch auf der anderen Seite nicht aus, daß man an das Kerngeschehen eines so einschneidenden Erlebnisses wie das eines Raubüberfalles durchaus noch präzise Erinnerungen hat und dieses Geschehen noch deut-lich vor Augen steht. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Aussage des Zeugen W. zu den da-maligen Vorgängen, kann es nicht überraschen, daß im Hinblick auf das Randgeschehen Ungereimtheiten und Widersprüche zu früheren Schilderungen vorhan-den sind. Daraus aber auf die Unglaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. und dessen Unglaubwür-digkeit zu schließen, erscheint nicht gerechtfer-tigt. Eine solche Schlußfolgerung ist auch nicht deshalb angebracht, weil der Ablauf des Raubüber-falls selbst ungewöhnliche Züge aufweist. Dieser Umstand spricht gerade für die Annahme, daß es sich um ein reales Geschehen gehandelt hat. Ein Versicherungsnehmer, der für sein Fahrzeug und sein Reisegepäck in betrügerischer Weise eine Ver-sicherungsentschädigung kassieren will und dieser-halb einen Versicherungsfall vortäuscht, wird kaum einen solchen Sachverhalt als Versicherungsfall präsentieren, der angesichts gewisser ungewöhnli-cher Momente einem Versicherer nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu vermitteln ist. So hätte es z. B., wenn der Kläger schon einen Versiche-rungsfall vortäuschen wollte, nahegelegen, einen Diebstahl des Fahrzeugs vom Parkplatz an der Okto-berfestwiese zu behaupten. Es liegt auf der Hand, daß sich der Kläger bei einem solch alltäglichen Versicherungsfall etliche Schwierigkeiten bei der Schadensabwicklung voraussichtlich erspart hätte.
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9Der Senat hat nach alledem keinen Zweifel, daß sich der Raubüberfall tatsächlich ereignet hat.
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11II. Die Beklagte ist auch nicht gem. § 11 Abs. 1 AVBR 80 (= § 61 VVG) wegen grobfahrlässiger Her-beiführung des Versicherungsfalles leistungsfrei.
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131. Was den Vorwurf betrifft, der Kläger habe nicht das gesamte Reisegepäck im Fahrzeug mit sich führen dürfen, vielmehr im Hotel lassen müssen, vermag der Senat schon das Merkmal des "Herbeifüh-rens" des Versicherungsfalles nicht zu bejahen. Dieses Merkmal liegt vor, wenn der vertraglich vorausgesetzte Standard an Sicherheit deutlich unterschritten wird (vgl. die Rechtsprechungsnach-weise bei Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., Anm. 4 A. zu § 61). Bei der Beurteilung dieser Frage ist aber die Art und Weise, wie sich der Versiche-rungsfall verwirklicht hat, zu berücksichtigen. So mag der Standard an Sicherheit im Hinblick auf das Diebstahlrisiko unterschritten sein, wenn ein Fahrzeug mit Reisegepäck im Kofferraum für länge-re Zeit unbewacht an diebstahlsgefährdeten Orten abgestellt wird. Gleiches gilt aber nicht im Hinblick auf das Risiko eines Raubes des Fahrzeugs samt Inhalt. Wollte man ernsthaft fordern, das Ge-päck müsse gerade wegen der Gefahr einer Beraubung im Hotel gelassen werden, liefe das darauf hinaus, schon das Benutzen eines Fahrzeugs mit Reisegepäck im Kofferraum als grobfahrlässig anzusehen. Dies läßt sich jedoch nicht vertreten.
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152. Auch in der Mitnahme zweier fremder Personen liegt - bezogen auf das Beraubungsrisiko - nach Auffassung des Senats kein grobfahrlässiges Her-beiführen des Versicherungsfalles. Es muß, weil es praktisch nicht vermeidbar ist, ohne die Gefahr, den Versicherungsschutz zu verlieren, grundsätz-lich zulässig sein, auch mit seinem Reisegepäck mit fremden Personen "auf Tuchfühlung" zu gehen (z. B. im Abteil eines Zuges). Eine Ausnahme gilt nur, wenn sich der Versicherungsnehmer in eine besondere Gefahrensituation begibt, z. B. mit wertvollem, nach außen sichtbar getragenen Schmuck in obskure Etablissements einkehrt, wo auch das Risiko einer Beraubung nicht fernliegt. Davon kann aber hier nicht die Rede sein. Zum einen handelte sich um übliches Reisegepäck, von dessen Vorhan-densein die Täter, soweit es sich im Kofferraum befand, keine Ahnung haben konnten; zum anderen drängt sich auch bei Zufallsbekanntschaften nicht stets auf, daß eine Beraubung durch sie im Bereich des Möglichen liegt. Daß die beiden Täter schon vom Äußeren her einen so fragwürdigen Eindruck machten, daß ihnen nur mit äußerster Vorsicht zu begegnen war, ist nicht ersichtlich.
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17III. Die Beklagte ist schließlich auch nicht wegen Obliegenheitsverletzungen des Klägers lei-stungsfrei.
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191. Hinsichtlich des Vorwurfs mangelnder Mitarbeit bei der Polizei ist schon fraglich, ob es eine Obliegenheit, die Polizei bei ihren Ermittlungs- und Fahndungstätigkeiten aktiv zu unterstützen, überhaupt gibt, d. h. ob eine solche Obliegenheit von der Vorschrift des § 10 Nr. 1 b und c AVBR 80, Schäden nach Möglichkeit abzuwenden und zu mindern sowie alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann, erfaßt wird. Eine etwaige Obliegenheit bestünde aber allenfalls im Rahmen der Zumutbarkeit (vgl. Prölss/Martin, a.a.O. Anm. 2 zu § 62 und Anm. 2 zu § 10 AVBR 80). Insoweit hat aber schon das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß dem Kläger ein Durchsuchen der polizeilichen Lichtbildkartei jedenfalls in dem Zeitpunkt, in dem die Polizei ihn dazu auffor-derte, wegen Übermüdung nicht zumutbar war. Auf diese Ausführungen des Landgerichts wird gleich-falls Bezug genommen.
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212. Was den Vorwurf betrifft, der Kläger habe der Polizei keine Stehlgutliste eingereicht und damit gegen § 10 Nr. 3 AVBR 80 verstoßen, ist schon der objektive Tatbestand der Obliegenheits-verletzung, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, nicht bewiesen. Nach zutref-fender herrschender Meinung muß, auch bezüglich der Einreichung einer Stehlgutliste, nicht der Versicherungsnehmer die Erfüllung der Obliegenheit beweisen, sondern der Versicherer den Verstoß gegen die Obliegenheit, also die Nichterfüllung (vgl. zum Meinungsstand Prölss/Martin, a.a.O. Anm. 14 zu § 6). Der Kläger hat aber behauptet, der Polizei am 15.10.1985 eine Stehlgutliste zugesandt zu haben (Bl. 60). Das Gegenteil hat die Beklagte nicht unter Beweis gestellt. Es steht insbesondere auch nicht aufgrund der Aussage des Zeugen T. fest. Im übrigen muß im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, daß auch eine komplette Stehl-gutliste sämtlicher geraubter Sachen, bei denen es sich um "Allerweltsreisegepäck" handelte und die nicht näher individualisierbar waren, nach der Lebenserfahrung nicht zu einem Fahndungserfolg der Polizei geführt hätte. Zudem hat die etwa fehlende Vollständigkeit der mündlichen Angaben des Klä-gers zu den geraubten Sachen bei der Polizei im Ergebnis auch nicht zu Nachteilen für die Beklagte geführt, da der Schadensumfang bewiesen ist und die Beklagte gegen die Schadensschätzung seitens des Landgerichts auch keine Einwände erhebt (vgl. zum Kausalitätsgegenbeweis in solchen Fällen auch Prölss/Martin, a.a.O. Anm. 4 zu § 10 AVBR 80; fer-ner van Bühren/Niess, Reisegepäckversichrung, 2. Aufl., Rdn. 100, 104 - 106 zu § 10 AVBR 80).
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23IV. Die Berufung war nach alledem mit der Kosten-folge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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25Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Beklagte: 5.272,34 DM
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