Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 6 U 162/92
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Die Berufung des Antragstellers ist zulässig, sie hat auch in der Sache Erfolg. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist nach dem Hauptantrag zulässig und begründet. Der Verfügungsgrund für den Hauptantrag ergibt sich aus der Dringlichkeitsvermutung des 25 UWG; auch nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin hat der Antragsteller frühe- stens Mitte Mai 1992 davon Kenntnis erlangt, daß das Pro- dukt "O." der Firma G. in Geschäftslokalen der Antragsgeg- nerin in 400 g-Bechern angeboten wird, ohne daß der Grund- preis - Preis für 1 kg - angegeben wird. Diesen Tatbestand hat der Antragsteller mit Schreiben vom 3. Juni 1992 abge- mahnt. Soweit sich die Antragsgegnerin erstinstanzlich auf den Fortfall der Dringlichkeit beruft, bezieht sich dies ausschließlich auf den später vom Antragssteller geltend gemachten Hilfsantrag. Der Verfügungsanspruch folgt aus 1 UWG i.V.m. 12 Abs. 1 FertigpackungsVO. Die Antragsgegnerin ist gemäß 12 Abs. 1 FertigpackungsVO verpflichtet, bei der Abgabe des in Bechern fertig verpack- ten Produktes "O. " an Letztverbraucher den von ihr gefor- derten Grundpreis (Preis in kg) anzugeben, da es sich bei diesem Produkt um ein Lebensmittel handelt, das in Nenn- füllmengen von nicht weniger als 10 g und nicht mehr als 10 kg angeboten wird. Der von der Antragsgegnerin angebotene 400 g-Becher "O." fällt nicht unter die Ausnahmebestimmungen der Fertigpak- kungsVO. Die allein in Betracht kommende Befreiung von der Grundpreisangabe gemäß 15 FertigpackungsVO umfaßt nicht das streitgegenständliche Produkt, da in Anlage 3 zu dieser Vorschrift, in der unter Ziffer 10. Milcherzeugnisse im einzelnen aufgeführt sind, Frischkäsezubereitungen nicht erwähnt werden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin unterfällt das Produkt "O." nicht Ziffer 10.9. der Anlage 3 zu 15 FertigpackungsVO, in der nur für Frischkäse auch die Nennfüllmenge von 400 g vorgesehen ist. Mangels einer De- finition des Begriffs "Frischkäse" in der FertigpackungsVO ist auf die Begriffsbestimmung des 1 KäseVO zurückzu- greifen (Strecker, Fertigpackungsrecht, Kommentar, Stand: 01.11.1992, Band I, Bl. 334/31), nach deren Anlage 1 zu den Frischkäsen lediglich Speisequark, Schichtkäse, Rahmfrisch- käse und Doppelrahmfrischkäse zählen. Diesen Käsen ist nach den Herstellungsvorschriften der Anlage 1 zur KäseVO gemeinsam, daß sie nur aus Milch, Sahne oder entrahmter Milch oder daraus anfallender Molke bestehen dürfen. Das Produkt "O.", bei dem es sich um eine Frischkäsezubereitung der Viertelfettstufe handelt, hat jedoch ausweislich des Packungsaufdruckes als weitere Zutaten Joghurterzeugnisse aus entrahmter Milch, Fruchtzubereitung mit natürlichen und naturidentischen Aromastoffen, Zucker und Molkeneiweiß, so daß Zutaten enthalten sind, die der Herstellung von Frischkäse und diesem selbst fremd sind. Demnach fällt die Frischkäsezubereitung "O." nicht unter Ziffer 10.9. der Anlage 3 zu 15 FertigpackungsVO. Es kann dahinstehen, ob Frischkäsezubereitung möglicherweise unter Ziffer 10.8. (Käsezubereitung) zu fassen ist (so Strecker a.a.O., Bl. 334/31) oder ob es sich um ein Lebensmittel eigener Art im Sinne von Ziffer 10.2. handelt (so Rathke, Bl. 7 des vom Antragssteller vorgelegten Gutachtens), denn bei den Pro- dukten in beiden Ziffern sind die beanstandeten 400 g-Pak- kungen als Ausnahmen im Sinne von 15 FertigpackungsVO nicht zugelassen. Der Senat vermag auch nicht der Argumentation der Antrags- gegnerin zu folgen, da die EG-Richtlinie von 15. Januar 1980 (80/232/EWG) keine Unterscheidung zwischen Frischkäse und Frischkäsezubereitung kenne, sei die Gruppe "Frischkä- se" bei der Umsetzung der EG-Richtlinie in Anlage 3 der FertigpackungsVO nunmehr in der Weise neu gebildet worden, daß darunter heute auch die Frischkäsezubereitungen fielen. Eine solche Schlußfolgerung ist nicht gerechtfertigt. Die Richtlinie des Rates vom 15. Januar 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die zulässigen Reihen von Nennfüllmengen und Nennvolumen von Behältnissen für bestimmte Erzeugnisse in Fertigpackungen (80/232/EWG) enthält insoweit keine Definition des Begrif- fes "Frischkäse". Da Nennfüllmengen für andere Käsearten oder Käsezubereitungen in der EG-Richtlinie nicht geregelt sind, ist ihr nicht zu entnehmen, ob Frischkäsezubereitun- gen - wie die Antragsgegnerin meint - unter den Begriff "Frischkäse" zu fassen sind. Wäre aber der nationale Verordnungsgegner hiervon ausgegangen, so hätte er bei der Umsetzung der EG-Richtlinie in nationales Recht dies zum einen in der Anlage 3 zu 15 FertigpackungsVO bei Ziffern 10.8. und 10.9. kenntlich gemacht oder machen müssen und zugleich die Anlage 1 zu 1 KäseVO entsprechend angepaßt oder anpassen müssen. Da dies jedoch nicht geschehen ist und ein anderslautender Wille des Verordnungsgebers weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht ist, ist weiterhin von der einzigen Definition des Begriffs "Frischkäse" in der KäseVO auszugehen, nach der jedenfalls Frischkäsezuberei- tungen, die eine Fruchtzubereitung enthalten, nicht dem Frischkäse zuzurechnen sind. Demnach darf das Produkt "O." an Letztverbraucher nicht ohne Grundpreisangabe abgegeben werden; 12 Fertigpak- kungsVO. Da die Antragsgegnerin das Produkt "O." in einem 400 g-Be- cher in ihrem Geschäftslokal in K. zum Preis von 2,69 DM ohne Angabe des Grundpreises an Letztverbraucher abgegeben hat, hat sie gegen 12 Abs. 1 FertigpackungsVO verstoßen.
3Dieser Verstoß gegen die Vorschrift der FertigpackungsVO ist vorliegend auch wettbewerbswidrig im Sinne des 1 UWG. Entgegen der Auffassung des Antragsstellers rechtfertigt der Verstoß gegen 12 FertigpackungsVO für sich allein jedoch den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus 1 UWG noch nicht, da es sich bei dieser Bestimmung um eine wertneutrale Ordnungsvorschrift handelt, deren Verletzung nur dann wettbewerbswidrig ist, wenn besondere wettbewerb- liche Umstände hinzutreten, die das gesetzwidrige Verhalten auch aus wettbewerblicher Sicht anstößig erscheinen lassen (vgl. BGH GRUR 1992, 856, 857 - "Kilopreise IV" - m.w.N.). Sinn und Zweck der FertigpackungsVO ist es, zu einer Verbesserung der Preistransparenz beizutragen. Dieses Ziel soll dadurch erreicht werden, daß entweder dem Verbraucher durch die Angabe des Grundpreises eine zusätzliche Informa- tion verschafft wird, die einen Preisvergleich erleichtert, oder daß die Angabe in Fertigpackungen in festgelegten Grö- ßenstufen erfolgt (Zipfel, Lebensmittelrecht, Stand: Januar 1992, C 61, 12 FPack-VO, Rn. 11). Schon aufgrund dieses Verordnungszieles stellen sich die Bestimmungen der Fertig- packungsVO als Ordnungsvorschriften dar, die nicht Ausdruck einer sittlichen Wertung sind und deren Verletzung nicht ohne weiteres als wettbewerbswidrig beurteilt werden kann. Der wertneutrale Ordnungscharakter ändert sich - entgegen der Ansicht des Antragsstellers - auch nicht durch die Tatsache, daß die FertigpackungsVO eine Verbraucherschutz- vorschrift ist. Auch die Bestimmungen der PreisangabenVO, die der BGH in ständiger Rechtsprechung (BGH GRUR 1981, 140, 142 - "Flughafengebühr" -; BGH GRUR 1983, 443, 445 - "Kfz-Endpreis" -; BGH GRUR 1989, 836, 837 - "Stundungsange- bote" -; BGH GRUR 1991, 847, 848 - "Kilopreise II" -; BGH GRUR 1993, 62, 63 - "Kilopreise III" -) als wertneutrale Ordnungsvorschriften angesehen hat, dienen dem Verbraucher- schutz. Ebenso wie bei 12 FertigpackungsVO soll nach dem Regelungsgehalt der PreisangabenVO dem Verbraucher Klarheit über die Preise und deren Gestaltung verschafft und verhin- dert werden, daß er seine Preisvorstellungen anhand unter- einander nicht vergleichbarer Preise gewinnen muß (BGH GRUR 1989, 836, 837 - "Stundungsangebote" - m.w.N.). Da beide Vorschriften insoweit die gleiche Zielrichtung besitzen, ist die Vorschrift des 12 FertipackungsVO rechtlich nicht anders zu werten als die Regelungen der PreisangabenVO (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG, 17. Auflage, 1 UWG, Rn. 631 ff.). Gleichwohl rechtfertigt der Verstoß der Antragsgegnerin ge- gen 12 FertigpackungsVO einen Unterlassungsanspruch gemäß 1 UWG, da der Normverstoß geeignet ist, die Wettbewerbs- lage zu beeinflußen. Das gesetzwidrige Verhalten erscheint auch aus wettbewerblicher Sicht anstößig, da sich die Antragsgegnerin durch den Verstoß einen sachlich nicht ge- rechtfertigten Wettbewerbsvorsprung vor ihren gesetzestreu- en Mitbewerbern verschafft hat (vgl. BGH GRUR 1993, 62, 63 - "Kilopreise III" -; BGH GRUR 1989, 669, 671 - "Zahl nach Wahl" - m.w.N.). Der Antragssteller hat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 1993 dargelegt, daß mehrere Wettbewerber der Antragsgegnerin sich "gesetzestreu" verhalten; so hat nach der von ihm vorgelegten Kopie einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sich die Firma Meierei B. KG, B. verpflichtet, das streitbefangene Produkt nicht ohne Angabe des Grundpreises anzubieten. Nach seinem weiteren - unbestrittenen - Vortrag hat die Firma Su. eine entspre- chende Erklärung ohne Vertragsstrafeversprechen abgegeben, die Re. das Produkt "O." aufgrund von Bedenken, ob die 400 g-Packung gegen geltende Bestimmungen verstößt, nicht mehr gelistet und der Pe. den Grundpreis angegeben. Vor diesen gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft sich die An- tragsgegnerin dadurch, daß sie einen 400 g-Becher "O." ohne Angabe des Grundpreises an Letztverbraucher abgibt, einen Vorsprung, indem sie den angesprochenen Verbrauchern einen Vergleich ihres Angebotes mit dem üblichen Angebot zumin- dest erschwert (BGH GRUR 1993, 62, 63 - "Kilopreis III" -). Darüber hinaus ist die Grundpreisauszeichnung mit nicht völlig zu vernachlässigenden Kosten verbunden (vgl. Strek- ker, Fertigpackungsrecht, Kommentar, Stand: 01.11.1992, Band I, 12, Bl. 99), die die Antragsgegnerin aufgrund des Verstoßes gegen 12 FertigpackungsVO nicht aufwendet, so daß sie sich auch hierdurch einen Wettbewerbsvorteil vor den gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft. Aus diesem Grund kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Wettbewerbsvorsprung auch darin liegen könnte, daß - wie der Antragssteller vorträgt - bei einer Gegenüberstellung der 500 g-Becher Frischkäsezubereitung mit dem 400 g-Becher "O." der Unterschied in der Nennfüllmenge nicht auffalle.
4Die Kostenentscheidung beruht auf 91 Abs. 1 ZPO. Eine Anwendung des 97 Abs. 2 ZPO mit der Folge, daß die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ganz oder teilweise dem Antragssteller auferlegt werden, kam nicht in Betracht. Zwar hat der Antragssteller erst in der Berufungsinstanz im einzelnen dargelegt, daß es gesetzestreue Mitbewerber der Antragsgegnerin gibt, die das streitbefangene Produkt nicht oder nicht ohne Angabe des Grundpreises an Letztverbraucher abgeben; hierzu war der Antragssteller jedoch im ersten Rechtszug nicht im Stande gewesen, da sich die benannten Mitbewerber erst während des Berufungsverfahrens zu ihrem gesetzestreuen Verhalten entschieden haben.
5Das Urteil ist mit der Verkündung rechtskräftig, 545 Abs. 2 ZPO.
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