Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 2 W 50/93
Tenor
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2G r ü n d e
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6I.
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8Durch Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth vom 29.04.1992 sind die Schuldner zur Räumung ver-urteilt worden, und es ist ihnen eine Räumungsfrist bis zum 31.07.1992 eingeräumt worden. Die Berufung gegen diese Entscheidung haben die Schuldner zu-rückgenommen, nachdem die Gläubiger im Termin vom 12.08.1992 vor dem Landgericht erklärt haben, nicht vor dem 31.10.1992 zu vollstrecken.
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10Einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO, nachdem die Räumung zum 31.10.1992 nicht erfolgt war, hat das Landgericht durch Beschluß vom 29.01.1993 (9 T 17/93) zurückgewiesen.
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12Die Schuldner haben sodann am 31.01.1993 - Räu-mungstermin war auf den 01.02.1993 angesetzt - einen erneuten Antrag nach § 765 a ZPO gestellt und damit erstmals vorgetragen, daß der Ehemann mit dem Freitod für den Fall der Zwangsräumung gedroht habe. Sie haben weitere Einstellung der Zwangsvoll-streckung bis zum 01.06.1993 beantragt.
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14Durch Beschluß vom 11.02.1993 hat das Amtsgericht nach Vorlage einer amtsärztlichen psychiatrischen gutachtlichen Stellungnahme des Arztes für Psychia-trie Dr. Sch. diesem Antrag entsprochen. Auf den Inhalt des amtsärztlichen Gutachtens wird Bezug ge-nommen.
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16Auf die Beschwerde der Gläubiger hat das Land-gericht unter Aufhebung der Entscheidung des Land-gerichts den Einstellungsantrag zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung in erster Linie damit begründet, daß die Ernsthaftigkeit der Selbst-tötungsdrohung nicht glaubhaft gemacht sei, weil die Schuldner selbst diese Gefahr im durch Beschluß vom 29.01.1993 beendeten ersten Vollstrek-kungsschutzverfahren nicht geltend gemacht hätten, sondern nur mit Rücksicht auf die Dauer des beab-sichtigten Umzugs in die Massagepraxis der Ehefrau Vollstreckungsschutz beantragt hätten.
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18Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Schuldner, auf deren Inhalt wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird.
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20Der Senat hat die Zwangsvollstreckung durch Beschluß vom 13.04.1993 bis zu dieser Entschei-dung einstweilen eingestellt und den Schuldnern die psychiatrische gutachtliche Stellungnahme unter Fristsetzung bis zum 27.04.1993 zugeleitet, da deren Nichtkenntnis mit der weiteren Beschwerde gerügt worden war.
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22II.
23- Die weitere Beschwerde ist zulässig. Gemäß
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25§§ 576, 568 II, 793 ZPO ist die weitere Beschwerde im Zwangsvollstreckungsverfahren auch dann statthaft, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht zum Oberlandesgericht gelangen kann. Wegen aller Einzelheiten der Begründung verweist der Senat auf die Senatsentscheidung vom 09.09.1991 (2 W 126/91), veröffentlicht in ZMR 1991, 436.
26- Die weitere Beschwerde ist aber in der Sache
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29nicht begründet.
30- Die Schuldner haben erst im zweiten Voll-
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33streckungsschutzverfahren nach § 765 a ZPO vorgetragen, die sittenwidrige Härte der Zwangsvollstreckung ergebe sich daraus, daß der Ehemann bei Durchführung der Räumung akut suizidgefährdet sei. Die Prüfung dieses Vortrags ist nicht durch die materielle Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung (vgl. Schuschke, Zwangsvollstreckung, Bd. I (1992), § 765 a, Rn. 19 m.w.N.) ausgeschlos-sen, denn neues Vorbringen kann auch dann Gegenstand eines weiteren Vollstreckungs-schutzverfahrens sein, wenn es zwar hätte geltend gemacht werden können, aber nicht geltend gemacht worden ist, so daß eine gerichtliche Entscheidung über diesen Härte-grund gemäß § 765 a ZPO noch nicht ergangen ist. Ein vorsätzliches oder fahrlässiges Zurückhalten von Härtegründen im ersten Voll-streckungsschutzverfahren kann sich zwar auf das Ergebnis der Abwägung zwischen Gläubi-ger- und Schuldnerinteressen auswirken, es schließt aber nicht die Sachprüfung der neu vorgebrachten Gründe aus.
34- Bei der Prüfung, was als eine sittenwidrige
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37Härte i.S.v. § 765 a ZPO anzusehen ist, hat das Landgericht zutreffend berücksich-tigt, daß in die Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen der auch in der Zwangs-vollstreckung geltende Grundrechtsschutz be-sonders zu berücksichtigen ist, wenn aufgrund einer Selbsttötungsgefahr ein schwerer Ein-griff in Leben oder körperliche Unversehrt-heit zu besorgen ist (BVerfG NJW 1979, 2607; NJW 1991, 3207). Die Interessen der Schuldner können bei dieser Sachlage wesentlich schwerer wiegen als die Interessen der Gläubiger an der alsbaldigen Durchsetzung des rechtskräftigen Titels.
38- Ein solches Ergebnis der Abwägung setzt aber
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41voraus, daß die ohne Einstellung der Zwangs-vollstreckung unbehebbare schwere Rechtsgut-gefährdung mit hinreichender Wahrscheinlich-keit anhand objektiv feststellbarer Merk-male festgestellt werden kann (Senat Rpfleger 1990, 30; Scholz ZMR 1986, 227 (228)).
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44Hier führte das amtsärztliche Attest zur Selbsttötungsgefahr des 59-jährigen Schuld-ners aus: "Herr K. leidet an einer starken depressiven Störung, verbunden mit agitier-tem Verhalten und agressiven Impulsen, die sich aufgrund seiner Struktur verstärkt nach innen wenden. Aufgrund dieser Umstände ist aus psychiatrischer Sicht davon auszugehen, daß er einen ernsthaften Suizidversuch machen wird, wenn er zwangsgeräumt wird. Mit einer Kurzschlußreaktion von Herrn K. muß gerechnet werden.
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47Aus psychiatrischer Sicht ist es notwendig zur Vermeidung einer erheblichen derartigen Selbstbeschädigung Herrn K. eine Frist ein-zuräumen (bis mindestens 01.06.1993), inner-halb derer er eine neue Wohnung beziehen kann."
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50Es kann dahinstehen, ob der Auffassung des Landgerichts, die Selbsttötungsdrohung des Ehemanns sei hier ungeachtet des amts-ärztlichen Gutachtens nicht als ernsthaft anzusehen, weil der Schuldner die Selbst-tötungsgefahr erst nach dem Mißerfolg des ersten Vollstreckungsschutzverfahrens geltend gemacht hat, zu folgen ist. Insbesondere kann auch dahinstehen, ob das Landgericht die erforderliche Sachkunde hatte, um ohne eine ergänzende ärztliche Stellungnahme zum Ver-fahrensverlauf zu diesem Ergebnis zu kommen.
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53Es kommt auf diese Fragen nicht an, weil das Gericht eine Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen selbständig vornehmen muß und hier die Vollstreckung auch unter Zugrun-delegung des Ergebnisses der amtsärztlichen Begutachtung bei dieser Abwägung nicht als sittenwidrige Härte anzusehen ist.
54- Eine Selbsttötungsgefahr begründet nicht als
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57solche eine sittenwidrige Härte, sondern sie ist nur ein gewichtiger Umstand, der in die Abwägung der gegenläufigen Interessen einzu-beziehen ist. Dabei ist nicht nur die Selbst-tötungsgefahr als solche zu berücksichtigen, sondern auch die Umstände, auf denen sie beruht, sind von Gewicht. Ferner sind das sonstige Verhalten des Schuldners in der Zwangsvollstreckung und das Gewicht der ob-jektiven Beeinträchtigung für ihn zu berück-sichtigen. Diese Umstände sind abzuwägen gegen das Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung des rechtskräftigen Titels, wo-bei auch die Dauer des bisherigen Verfahrens zu berücksichtigen ist.
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60Diese Abwägung ergibt, daß eine sittenwidrige Härte im Streitfall zu verneinen ist.
61- Für das Gewicht der Selbsttötungsgefahr kann
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64nicht unberücksichtigt bleiben, auf welchen Umständen sie beruht. Der Schuldner trägt hier selbst unter Vorlage ärztlicher Atteste vor, daß er selbsttötungsgefährdet sei, weil er die gesellschaftliche Schande einer Zwangsräumung nicht ertragen könne und weil er sich gegenüber seiner Familie schul-dig fühle, diese Räumung nicht habe abwenden zu können, so daß er sein Leben bei diesem Mißerfolg als wertlos ansehe. Eine solche Reaktion muß als psychische Fehlreaktion auf eine vom Gesetz vorgesehene Maßnahme an-gesehen werden, die nur dann berücksichtigt werden kann, wenn der Betroffene durch eine laufende ärztliche Behandlung alles tut, um diese Fehlreaktion zu behandeln. Zu einer laufenden bisher erfolglosen ärztlichen Behandlung hat der Schuldner jedoch nichts vorgetragen.
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67Der Senat hat den Schuldnern auch Gelegenheit gegeben, zum Inhalt des amtsärztlichen Attestes Stellung zu nehmen, ohne daß dazu oder zu sonstigen aus dem amtsärztlichen Attest nicht erkennbaren Umständen etwas vorgetragen worden wäre.
68- Das eigene Verhalten des Schuldners im Voll-
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71streckungsschutzverfahren spricht ebenfalls gegen eine sittenwidrige Härte. Nach seinem eigenen Vortrag zu seinem depressiven Syndrom und einem - allerdings 33 Jahre zurückliegen-den - früheren Selbsttötungsversuch muß davon ausgegangen werden, daß ihm seine Selbst-tötungsgedanken für den Fall eines erfolg-losen Vollstreckungsschutzverfahrens schon im ersten Vollstreckungsschutzverfahren bekannt waren, denn mit einem negativen Ausgang war zu rechnen. Wenn er es trotzdem unterlassen hat, auch diesen Gesichtspunkt im ersten Verfahren geltend zu machen, hat er damit eine erhebliche Verfahrensverzögerung herbei-geführt, die er sich im Rahmen der Abwägung auch dann zurechnen lassen muß, wenn die verspätete Geltendmachung nicht gegen die Ernsthaftigkeit seiner Drohung spricht.
72- Schließlich ist zu berücksichtigen, daß nach
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75dem eigenen Vortrag der Schuldner im ersten Vollstreckungsschutzverfahren eine Möglich-keit zur Unterstellung der Möbel in Kürze (im Februar 1993) bestand. Auch wenn ein Umzug in die Massagepraxis der Schuldnerin nicht möglich ist, so ist nicht dargetan, daß dort nicht die Möbel, wie ursprünglich vorgetra-gen, zeitweise untergestellt werden können. Die verbleibende Dauer des Wohnungsverlustes von einer etwaigen Zwangsräumung nach der Entscheidung des Senats bis zum 01.06.1993 ist, nachdem der Senat die Zwangsvollstrek-kung bis zu seiner Entscheidung eingestellt hat, so kurz, daß der Schuldner, ohne das Gesicht zu verlieren, für diese kurze Über-gangszeit in einem Hotel Unterkunft suchen kann. Es ist nicht dargetan, daß ihm dies aus finanziellen Gründen unmöglich wäre. Das gilt erst recht, wenn, wie jetzt vorgetragen, der Umzug voraussichtlich schon Mitte Mai 1993 stattfinden kann.
76- Die Gläubigerinteressen haben hier schon des-
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79halb ein erhebliches Gewicht, weil es sich um die Vollstreckung eines rechtskräftigen Titels handelt, für den schon eine Räumungs-frist gewährt worden war. Die Gläubiger haben nunmehr sechs Monate über diesen Termin hin-aus auf die Räumung warten müssen und müssen ihrerseits an den Erwerber des Hauses wegen der Nichträumung Vertragsstrafen zahlen.
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82Der Umstand, daß die Schuldner nach ihrem Vortrag nunmehr in einem Monat in eine andere Wohnung umziehen können, rechtfertigt keinen weiteren Vollstreckungsschutz. Die Last der kurzfristigen anderweitigen Unter-bringung müssen bei der geschilderten Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinter-essen die Schuldner tragen. Sollte der Umzugstermin, wie die Gläubiger befürchten, wiederum nicht eingehalten werden können, wäre ein weiterer Vollstreckungsaufschub erst recht nicht gerechtfertigt, da bei der Abwägung dann auch die wiederholte Nichtein-haltung zugesagter Termine zu berücksichtigen wäre.
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84Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
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86Beschwerdewert: DM 6.000,00
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Referenzen
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