Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 27 U 11/93
Tenor
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das Landgericht hat der Klage im erkannten Umfang mit Recht stattgegeben.
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Der Beklagte haftet der Klägerin für deren mate-riellen Schäden aus positiver Vertragsverletzung des Behandlungsvertrages und aus unerlaubter Hand-lung gemäß § 823 Abs. 1 BGB und außerdem aus uner-laubter Handlung gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB auf Schmerzensgeld.
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In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist auch nach der Überzeugung des Senats bewiesen, daß der Beklagte die Klägerin nicht lege artis behandelt hat. Nach dem Erstgutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 15. Juni 1992 war das Verschließen der Wunde mit adaptierenden Nähten fehlerhaft. Diese Vorgehensweise wird, wie der Sachverständige ausgeführt hat, in der Literatur durchaus unter-schiedlich bewertet. Die Literatur empfiehlt bei den unkomplizierteren Fällen den Verschluß des Nagelbettes durch Ecknähte. Ein bis zwei Nähte sollten verwendet werden, um vorwiegend eine Blutstillung zu erzielen. Denn gerade entzündliche Prozesse neigen nach Operationen zu einem erheb-lichen Bluten durch die weitgestellten kleinsten Blutkapillaren. Der Sachverständige vermutet, daß der Beklagte sich aus diesen Gründen entschlossen hat, trotz der ausgedehnten und auch das Nagelbett betreffenden eitrigen Entzündung Situationsnähte zu legen. Hier lag aber das Rezidiv eines entzünd-lich veränderten eingewachsenen Großzehennagels vor, der über das übliche Maß hinaus zu einer eitrigen Entzündung unter dem Nagel geführt hatte. Daß es sich um eine eitrige Entzündung gehandelt hat, trägt der Beklagte in der Klageerwiderung selbst vor. Danach war der entzündliche Prozeß be-reits soweit fortgeschritten, daß sich bei seinem Eingriff massiv Eiter unter Druck entleerte. Da die Literatur den Verschluß des Nagelbettes durch Eccnähte nur bei unkomplizierten Fällen empfiehlt, war hier diese Vorgehensweise nicht angebracht. Dementsprechend stellt der Sachverständige in sei-nem Gutachten vom 15. Juni 1992 fest, es wäre für die Heilung sicher günstiger gewesen, auf die Naht des Nagelbettes zu verzichten und bezeichnet die Entscheidung des Beklagten als das riskantere Ver-sorgen der Operationswunde. Zusammenfassend meint er, der Nahtverschluß sei zu beanstanden. Seine Auffassung hat er in seinem Ergänzungsgutachten vom 23. September 1993 dezidiert bestätigt und bei der Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat wiederholt. Hierbei hat er eingehend begründet, daß im Fall eines eitrigen Prozesses auf Nähte verzichtet werden muß, weil das hoch mit Bakterien beladene Eitergewebe keinen Abfluß mehr finden und es zu einer Ausdehnung im Umgebungsgebiet der Wun-de kommen kann. Der vom Sachverständigen in diesen Fällen empfohlene Verband sorgt dagegen für einen guten Sekretabtransport durch die Drainagewirkung der Wundgaze. Die Ausführung des Sachverständi-gen überzeugen. Sie stimmen mit der Beurteilung der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs-fehler der Ärztekammer Nordrhein im Bescheid vom 27. September 1991 überein. Darin heißt es lapi-dar: Diese Erkenntnis - nämlich die Notwendigkeit einer lateralen Inzision mit breiter Eröffnung - verbietet aber logischerweise (!) einen - wie auch immer geachteten Wundverschluß.
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Die Nachversorgung der Klägerin durch den Beklag-ten war ebenfalls unzureichend. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 15. Juni 1992 soll der erste Verbandswechsel am Tag nach der Operation - wie auch geschehen - erfolgen. Weitere Verbandswechsel werden in zwei - bis dreitägigen Abständen bis zur zweiten Woche empfohlen. Der Beklagte hat aber nur noch am 09. November 1989 einen Verbandswechsel vorgenommen. Ab dem 13. No-vember 1989 hat zwar der Hausarzt der Klägerin die Verbände täglich gewechselt. Doch hat der Beklagte weder der Klägerin noch dem nachbehandelnden Arzt irgendwelche Empfehlungen oder Hinweise für die Nachbehandlung gegeben. Das wird sowohl vom Sach-verständigen Dr. B. als auch von der Gutachter-kommission als fehlerhaft beanstandet.
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Nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen ist bewiesen, daß die Behandlungsfehler des Be-klagten für den weiteren Krankheitsverlauf, näm-lich die chronisch granulierende Osteomyelitis, mit der operativen Revision am 25. November 1989 und der Resektion des Gelenks und einer Arthrodese mit Minifixateur ursächlich waren. Der Sachver-ständige hat den Verschluß des Nagelbettes durch Ecknähte für den Krankheitsverlauf als mit größ-ter Wahrscheinlichkeit ursächlich bezeichnet und festgestellt, daß die eitrige Osteomyelitis nach den gegebenen Umständen und entsprechender sorg-fältiger Nachbehandlung hätte früher entdeckt werden müssen. Diese Beurteilung beruht auf der medizinischen Erkenntnis, daß ein Krankheitsver-lauf in aller Regel nicht mit völliger Sicherheit auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden kann, sondern hierfür nur ein bestimmter Grad der Wahrscheinlichkeit in Frage kommt. Dieser ist allerdings im vorliegenden Fall so hoch, daß er zu durchgreifenden rechtlichen Bedenken keinen Anlaß gibt.
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Jedenfalls streitet zu Gunsten der Klägerin der Beweis des ersten Anscheins, da die spätere Osteo-myelitis unter Berücksichtigung der fortdauernden Schmerzen der Klägerin nach der Operation auf eine Ausdehnung der Entzündung infolge des Wundver-schlusses typischerweise hindeutet. Eine ernsthaft in Betracht kommende anderweitige Möglichkeit, die den Anscheinsbeweis erschüttern könnte, hat der Beklagte nicht bewiesen.
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Zur Höhe des Schmerzensgeldes und zum Feststel-lungsantrag nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des an-gefochtenen Urteils Bezug.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
2021
Beschwer des Beklagten unter DM 60 000,00.
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