Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 7 U 127/93
Tenor
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T a t b e s t a n d
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3Die Klägerin betreibt ein Altenheim mit angeglie-derter Pflegeabteilung. Am 21.11.1991 nahm sie den schwer pflegebedürftigen Rentner P. F. auf. Zur Abdeckung der Pflegekosten sollte neben der Altersrente F.'s Sozialhilfe in Anspruch genommen werden. Ein entsprechender Antrag wurde am 11.11.1991 bei der Beklagten zu 1) eingereicht und Ende Dezember 1992 an den Beklagten zu 2) als zuständigen Sozialhilfeträger weitergeleitet. Dort wurde bis zum Tode F.s am 12.03.1992 nicht über den Antrag entschieden. Danach wurde die Übernahme der Kosten unter Hinweis auf die höchstpersönliche Natur der Sozialhilfeansprüche abgelehnt.
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5Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklag-ten auf Erstattung der ungedeckt gebliebenen Heimpflegekosten in Höhe von 10.413,57 DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung nicht zu, weil die den Bediensteten der Beklagten obliegende Pflicht, den Sozialhilfeantrag zügig zu bearbeiten, nur gegen-über dem Sozialhilfeempfänger selbst bestanden habe, nicht aber im Verhältnis zur Klägerin, die insoweit nicht "Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB gewesen sei. Da kein Eilfall vorgelegen habe, stehe ihr auch kein Aufwendungsersatzan-spruch nach § 121 BSHG zu. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag sei deshalb zu verneinen, weil die Klägerin kein Geschäft der Beklagten geführt habe; jedenfalls fehle es an einem entsprechenden Ge-schäftsführungswillen.
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7Mit ihrer Berufung ermäßigt die Klägerin die Kla-geforderung um einen Betrag von 1.366,64 DM, der ihr zwischenzeitlich aus der Auflösung eines Spar-guthabens zugeflossen ist. Im übrigen verfolgt sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Beklag-ten treten der Berufung entgegen.
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9E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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11Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache auch teilweise Erfolg. Sie führt im Ergebnis zu einer Verurteilung des Beklagten zu 2), während sie gegenüber der Beklagten zu 1) erfolglos bleibt.
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13I.
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15Gegen den Beklagten zu 2) steht der Klägerin ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGB zu.
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17Mit der Beherbung und Pflege F.'s nahm die Klä-gerin auch ein Geschäft des Beklagten zu 2) war. Daß F. ein Anspruch auf Sozialhilfe zustand, ist zwischen den Parteien außer Streit. Auch die Beklagten stellen nicht in Abrede, daß die Heimpflegekosten hätten übernommen werden müssen, wenn noch zu Lebzeiten F.'s über den Antrag entschieden worden wäre. Der Auffassung des Land-gerichts, die Beklagten hätten nur die Finanzie-rung, nicht aber die Pflege als solche geschuldet, kann nicht gefolgt werden. Formen der Sozialhilfe sind nach § 8 BSHG persönliche Hilfe, Geldleistung und Sachleistung. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen stellen sich als Hilfe zur Pflege im Sinne der §§ 68 f BSHG dar, die nur im Falle der häuslichen Pflege nach § 69 BSHG als Pflegegeld oder Erstattung von Pflegeaufwendungen in Form von Geldleistungen gewährt wird. Im übrigen ist die gesetzliche Form der Pflege die Sachleistung. Dem steht nicht entgegen, daß auch Pflegeleistungen in der Regel durch Dritte erbracht werden, deren Aufwendungen der Sozialhilfeträger in Form von Geld erstattet. Insoweit gilt für die Sozialhilfe nichts anderes als für die Krankenpflege, die von den Kassen ebenfalls als Sachleistung geschuldet wird, obwohl in der Praxis regelmäßig nur die Kosten erstattet werden (BGHZ 33, 251, 254 f). Davon abgesehen ist für die Annahme einer Fremdge-schäftsführung nicht einmal erforderlich, daß der Geschäftsführer die Leistung in derselben Form erbringt wie der primär Verpflichtete, da Natural- und Geldleistungen nach ihrem Verwendungszweck und in ihrer Wirkung übereinstimmen (vgl. MK-Sei-ler, BGB 2. Aufl., § 677 Rdnr. 25).
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19Unerheblich ist auch, ob die Klägerin mit F. einen wirksamen Vertrag abgeschlossen hatte. Es ist anerkannt, daß die Besorgung eines fremden Geschäfts nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Geschäftsführer seine Leistungen aufgrund ei-nes mit dem Leistungsempfänger geschlossenen Ver-trags erbringt (BGHZ 101, 393, 399). Maßgebend ist die Interessenlage, die unter den hier gegebenen Umständen entscheidend dadurch geprägt ist, daß die in dem Vertrag vereinbarte Gegenleistung von dem Leistungsempfänger gar nicht aufgebracht werden kann. Im Hinblick darauf braucht sich die Klägerin auch nicht entgegenhalten zu lassen, sie habe sich ihren Vertragspartner freiwillig ausge-sucht und damit auch ein entsprechendes Insolvenz-risiko übernommen. Die Insolvenz ihres Vertrags-partners stand bereits mit Vertragsabschluß fest. Das Vertragsverhältnis war deshalb von Anfang an darauf angelegt, daß die Klägerin die vereinbarte Gegenleistung, von der Rente abgesehen, nicht von ihrem Vertragspartner, sondern vom Beklagten zu 2) als dem zuständigen Kostenträger erhalten würde. Hierdurch erhielt die von ihr gewährte Pflege das Gepräge eines - teilweise - objektiv fremden Geschäfts (vgl. MK-Seiler, a.a.O. Rdnr. 26). Daß der Anspruch auf Sozialhilfe öffentlich-rechtli-cher Natur ist, steht der Anwendung des § 677 nicht entgegen (vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen: BGHZ 33, 251; BSGE 67, 100). Da es sich objektiv um ein teilweise fremdes Geschäft handelt, ist ein entsprechender Geschäftsführerwille zu vermuten (BGHZ 98, 235, 340). Den Umständen nach kann auch nicht zweifelhaft sein, daß die Übernahme des Ge-schäfts dem Willen des Beklagten zu 2) entsprach.
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21Die Anwendung der §§ 677 ff. BGB ist durch die Sonderregelung des § 121 BSHG nicht ausgeschlos-sen. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der einem Hilfebedürftigen in einem Eilfall Beistand leistet (sog. Nothelfer), einen Anspruch auf Er-satz seiner Aufwendungen gegen den Sozialhilfeträ-ger. Der Anspruch setzt voraus, daß der Nothelfer tätig geworden ist, bevor der Sozialhilfeträger von dem Hilfefall Kenntnis erlangt (BVerwGE 77, 181, 185 f). Der hier vorliegende Fall, daß der Sozialhilfeträger trotz Kenntnis untätig bleibt, wird von der Vorschrift nicht erfaßt. Da die Hilfe als solche aber im Falle der Untätigkeit der Behörde nicht weniger dringlich ist als im Falle der Unkenntnis, erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt, dem Hilfeleistenden Ersatz seiner Aufwendungen nur deshalb zu versagen, weil die Be-hörde von dem Fall Kenntnis erlangt hat. Das wäre insbesondere dann unbillig, wenn der Hilfeleisten-de noch nicht einmal weiß, daß der Fall der Behör-de bekannt ist. Es wäre auch ein sozialpolitisch nicht wünschenswerter Effekt, wenn der Nothelfer seine Hilfstätigkeit nur deshalb einstellt, weil die zuständige Behörde von dem Fall erfährt, ohne sofort tätig zu werden. Im Hinblick darauf kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber mit der Einführung des § 121 BSHG eine lex specialis schaffen wollte, neben der für die Anwendung der allgemeinen Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag kein Raum mehr sein sollte. Dagegen spricht nicht zuletzt der Gesichtspunkt, daß die Rechtsstellung des Nothelfers nicht verschlech-tert, sondern verbessert werden sollte. Insoweit gilt für den § 121 BSHG der gleiche Gedanke wie für die Nothilferegelungen des § 539 Nr. 9 RVO, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ebenfalls nicht die Wirkung haben, daß die allge-meinen Regeln über die Geschäftsführung ohne Auf-trag ausgeschlossen sind (BGHZ 33, 251, 257).
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23Der Anspruch richtet sich allerdings nur gegen den Beklagten zu 2), der als Kreis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG örtlicher Träger der Sozialhilfe ist (ein Fall des § 100 BSHG oder des § 2 AG-BSHG NW, für den der Landschaftsverband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständig wäre, § 1 Abs. 2 AG-BSHG, liegt nicht vor). Die Beklagte zu 1) ist allenfalls im Rahmen einer Heranziehung nach § 96 Abs. 1 Satz 2 BSHG tätig geworden (vgl. § 3 AG-BSHG). Kostenträger ist auch insoweit der Beklagte zu 2) (§ 5 Abs. 2 AG-BSHG).
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25II.
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27Gegen die Beklagte zu 1) steht der Klägerin auch kein Anspruch aus Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
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29Insoweit ist der Auffassung des Landgerichts, daß die Klägerin nicht "Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, wer im Einzelfall zum Kreis der "Dritten" gehört, nach dem Zweck der Amtspflicht zu entscheiden. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsge-schäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtver-letzung eine Schadensersatzpflicht. Dagegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amts-pflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muß mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten "Dritten" bestehen. Dabei muß eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als "Dritter" anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll (BGHZ 100, 313, 318; 106, 323, 331).
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31Nicht geschützt sind insbesondere diejenigen, die nur infolge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu dem unmittelbar Betroffenen in ihren Interessen berührt werden. Die Amtspflicht, Hilfsbedürftige zu unterstützen, besteht ihrer Natur nach nur gegenüber dem Hilfsbedürftigen selbst und nicht gegenüber denjenigen, die zu dem Hilfsbedürftigen in irgendwelchen Beziehungen stehen, etwa als Unterhaltsverpflichteter oder Vertragspartner (BGH NJW 1962, 2100, 2102). So besteht keine Schutz-pflicht des Sozialhilfeträgers gegenüber Personen, die dem Hilfsbedürftigen häusliche Pflege gewähren und damit in den Genuß des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 3 BSHG kommen (OLG Stuttgart, VersR 1990, 276). Eine günstigere Rechtsstellung kann der Klägerin auch nicht deshalb zugebilligt werden, weil sie auf die Sozialhilfeleistungen angewiesen war und die Beklagten hiervon Kenntnis hatten. In-soweit ist das Verhältnis der Klägerin zur Person F.'s nicht grundsätzlich anders zu bewerten als etwa die im Prozeßkostenhilfeverfahren beste-hende Beziehung zwischen der bedürftigen Partei und dem ihr beizuordnenden Anwalt, den der Bundes-gerichtshof im Fall einer unrechtmäßigen Verweige-rung der Prozeßkostenhilfe nicht als "Dritten" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen hat (BGHZ 109, 163). Für einen Amtsmißbrauch, der sich auch im Verhältnis zur Klägerin als Amtspflicht-verletzung darstellen würde (weil die Pflicht, sich des Amtsmißbrauchs zu enthalten, dem Beamten gegenüber jedermann obliegt, vgl. BGB-RGRK-Kreft, 12. Aufl., § 839 Rdnr. 249), bietet der vorgetra-gene Sachverhalt keine Anhaltspunkte.
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33III.
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35Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 1 BGB.
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37Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92, 97 Abs. 1 ZPO.
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39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck-barkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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41Für die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.12.1993 angeregte Wiedereröffnung der mündli-chen Verhandlung besteht kein Anlaß. Die Abtre-tungserklärung des Nachlaßpflegers kann der Klage gegen die Beklagte zu 1) nicht zum Erfolg verhel-fen, da Sozialhilfeansprüche nicht wesentlich sind (BVerwGE 77, 181, 186/187) und ein Schadensersatz-anspruch, der hätte vererbt werden können, zu Leb-zeiten F.'s noch nicht entstanden war.
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43Berufungsstreitwert:
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45bis zum 01.12.1993 : 10.413,-- DM;
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47sodann: 9.046,36 DM;
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49Wert der Beschwer: 9.046,36 DM.
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