Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 5 W 2/94
G r ü n d e
2I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin mittels einer unter der Bedingung der Gewährung von Prozeßkostenhilfe erhobenen Klage wegen behaupteter Behandlungsfehler in ihren ersten Lebenstagen in Anspruch. Sie begehrt ein angemessenes Schmerzensgeld und Ersatz ihrer materiellen Schäden.
3Die Antragstellerin wurde am 17. Januar 1963 als Zwillingskind im H. Krankenhaus geboren und anschließend in die von der Antragsgegnerin betriebenen Kinderklinik verlegt, wo sie - ebenso wie ihre Schwester - anschließend wegen ihrer Frühgeburtlichkeit stationär behandelt wurde, die ersten Tage auch im Brutkasten. Bei der Antragstellerin stellte sich ein irreversibler Hirnschaden ein; sie ist seitdem schwerstbehindert und ein Pflegefall. Aussicht auf Besserung besteht nicht, sie war und ist in einem Pflegeheim untergebracht. 1981 wurde ihr Vater zu ihrem Vormund bestellt. An ihn, der noch heute ihr gesetzlicher Vertreter ist, trat 1987 der L.R. heran, um die Frage einer etwaigen Erstattungspflicht der Eltern für vom Landschaftsverband gewährte Eingliederungshilfe zu prüfen. Die Eltern der Antragstellerin teilten daraufhin mit, ihrer Erkenntnis nach sei die geistige Behinderung der Antragstellerin auf Behandlungsfehler in der Kinderklinik der Beklagten zurückzuführen. Die Zwillingsschwestern seien ohne Rücksicht auf ihr unterschiedliches Geburtsgewicht gemeinsam in einem Brutkasten versorgt worden, wodurch es bei der Antragstellerin wegen nicht angepaßter Sauerstoffzufuhr zu einer kleinen Gehirnblutung gekommen sei.
4Die Antragstellerin behauptet, ihre Behinderung rühre von verschiedenen zum Teil groben Diagnoseund Therapiefehlern in der Klinik der Antragsgegnerin her, die sie im einzelnen ausführlich darlegt. Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat sie in ihrem am 18. Januar 1993 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe offengelegt. Zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen ihrer Eltern hat sie keine Angaben gemacht. Ihr Vater ist selbständiger Steuerberater.
5Die Antragsgegnerin hat in ihrer Stellungnahme zum Prozeßkostenhilfegesuch die Einrede der Verjährung erhoben und Behandlungsfehler bestritten.
6Das Landgericht hat die Gewährung von Prozeßkostenhilfe mit Beschluß vom 15. November 1993 abgelehnt und ausgeführt, hinsichtlich der behaupteten materiellen Schäden der Antragstellerin habe diese einen Prozeßkostenvorschußanspruch gegen ihre Eltern, der die Gewährung von Prozeßkostenhilfe ausschließe. Hinsichtlich eines eventuellen Schmerzensgeldanspruchs bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg, da ein solcher Anspruch jedenfalls nach § 852 BGB verjährt sei.
7Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 8. Dezember 1993 eingegangenen Beschwerde. Mit ihrer Beschwerdebegründung vom 13. Januar 1994 hat sie vorgetragen, ihr Vater sei seit 1985 zu 50 % und seit 1991 zu 70 % in der Erwerbsfähigkeit gemindert. Im übrigen tritt sie dem angegriffenen Beschluß mit rechtlichen Erwägungen entgegen.
8II. Die nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu.
91. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, daß der Antragstellerin mangels Prozeßarmut keine Prozeßkostenhilfe gewährt werden kann. Es fehlt an der Darlegung, daß sie außerstande ist, die Prozeßkosten im Wege eines durchsetzbaren Vorschußanspruchs gegen ihre Eltern zu finanzieren.
10a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde kann auch einem volljährigen Kind ein Anspruch auf Zahlung eines Prozeßkostenvorschusses gegen seine Eltern aus §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB zustehen (ebenso OLG Köln FamRZ 1984, 723; 1986, 1031; OLG Frankfurt FamRZ 1985, 959; OLG Hamburg FamRZ 1988, 760; OLG Karlsruhe FamRZ 1989, 534; LG Bremen FamRZ 1992, 984; Palandt-Diederichsen, 53. Aufl., § 1610 Rn. 33; Münchener Kommentar-Köhler, Band 5, 2. Halbband, 2. Aufl., § 1610 Rn. 15). Dies folgt daraus, daß die Prozeßkostenvorschußpflicht spätestens seit der Einführung des § 1360 a Abs. 4 BGB als Ausfluß der Unterhaltspflicht zu qualifizieren ist (vgl. BGH FamRZ 1984, 148; OLG Köln FamRZ 1986, 1031). Diese Pflicht folgt wegen der Verschiedenheit der personalen Beziehungen zwischen Ehegatten einerseits und Eltern und volljährigen Kindern andererseits zwar nicht aus einer analogen Anwendung des § 1360 a Abs. 4 BGB, aber doch aus §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB (vgl. OLG Köln FamRZ 1986, 1031, 1032). Die eine Prozeßkostenvorschußpflicht gegenüber volljährigen Kindern generell ablehnende Gegenansicht (OLG Stuttgart FamRZ 1988, 758), vermag nicht zu überzeugen. Sie beruft sich darauf, das Unterhaltsrecht der volljährigen Kinder sei dem allgemeinen Verwandtenunterhaltsrecht zugeordnet, das vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit geprägt sei. Diese Begründung trägt dann nicht, wenn - wie im zu entscheidenden Fall - eine Eigenverantwortung des Unterhaltsberechtigten aus Gründen, die seiner Willensentschließung entzogen sind, ausscheidet. Dementsprechend stellt die von der Antragstellerin angeführte Rechtsprechung, soweit im Einzelfall eine Vorschußpflicht verneint wird, auf die jeweils gegebenen Umstände ab, insbesondere darauf, ob das volljährige Kind eine gegenüber den Eltern selbständige Lebensstellung erlangt hat (OLG Düsseldorf FamRZ 1986, 698, 699; OLG Frankfurt FamRZ 1986, 926, 927; OLG Hamburg FamRZ 1990, 1141, 1142). An einer solchen selbständigen Lebensstellung fehlt es im Streitfall, so daß im Grundsatz eine Prozeßkostenvorschußpflicht der Eltern der Antragstellerin zu bejahen ist.
11b) Inhaltlich ist die Pflicht dahingehend begrenzt, daß die beabsichtigte Prozeßführung sich als persönlich lebenswichtige Angelegenheit des Unterhaltsberechtigten darstellen muß (vgl. Palandt-Diederichsen, a.a.O.). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht für einen eventuellen Anspruch auf Ersatz materieller Schäden der Antragstellerin, die lebenslang jeder Verdienstmöglichkeit beraubt ist, als evident bejaht. Dem ist zu folgen. Dazu gehören ferner aber auch Ansprüche auf Ersatz des infolge einer Körperverletzung erlittenen immateriellen Schadens (vgl. Münchener Kommentar-Köhler, a.a.O.; LG Hagen NJW 1959, 48), denn zwischen imateriellen und materiellen Schäden besteht in Ansehung des Anspruchs auf körperliche Unversehrtheit kein Wesensunterschied.
12c) Die Vorschußpflicht entfiele allerdings, wenn der Unterhaltsverpflichtete selbst zu dem Vorschuß wirtschaftlich nicht in der Lage wäre, ihm also seinerseits Prozeßkostenhilfe gewährt werden müßte (OLG Köln FamRZ 1982, 416). Davon kann indessen nicht ausgegangen werden. Die Antragstellerin hat insofern lediglich vorgetragen, ihr Vater sei seit 1985 in der Erwerbsfähigkeit gemindert und seit mehreren Jahren Rentner. Über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere über Einkünfte und Vermögen, ist damit nichts Relevantes gesagt. Hinsichtlich der Mutter der Antragstellerin fehlt es auch in der Beschwerdeinstanz insoweit an jeglichem Vortrag. Auch sonst fehlen jegliche Anhaltspunkte für eine eingeschränkte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern der Antragstellerin. Gegen die Vorschußpflicht sprechende Umstände sind damit nicht ersichtlich, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat. Das geht zu Lasten der Antragstellerin, die ihre Prozeßarmut darzulegen hat.
13d) Der privatrechtliche Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Prozeßkostenvorschuß geht dem öffentlich rechtlichen Anspruch auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe vor (OLG Frankfurt FamRZ 1985, 959; OLG Köln FamRZ 1986, 1031; LG Bremen FamRZ 1992, 984). Der gesetzlichen Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß die Gewährung von Prozeßkostenhilfe als Ausnahme von dem Grundsatz zu sehen ist, daß jedermann das mit einer Prozeßführung verbundene Kostenrisiko eigenverantwortlich selbst zu tragen hat. Nach § 115 Abs. 2 ZPO hat eine Partei vor der Inanspruchnahme von Prozeßkostenhilfe ihr Vermögen einzusetzen. Ausgenommen sind nur die in § 88 BSHG genannten Vermögensgegenstände. Unterhaltsansprüche, wozu eben auch ein Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß gehört, zählen dazu nicht. Demgegenüber findet die einschränkende Ansicht, auf die sich die Antragstellerin beruft (OLG Düsseldorf FamRZ 1990, 420), im Gesetz keine Stütze. Die zitierte Entscheidung, die sich ersichtlich stark an den Umständen des Einzelfalles orientiert, bleibt eine Begründung, warum nur ein Vorschußanspruch, der kurzfristig einigermaßen sicher durchsetzbar ist, Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 2 ZPO sein soll, schuldig. Zu Recht wurde hiergegen schon früher geltend gemacht, daß ein Prozeßkostenvorschuß innerhalb kürzester Zeit durch einstweilige Verfügung erlangt werden kann (LG Berlin, DAVorm 1975, 378). Danach ist das Landgericht trotz der von der Antragstellerin geltend gemachten Eilbedürftigkeit zu Recht von einer Vorrangigkeit des privatrechtlichen Anspruchs der Antragstellerin gegenüber der staatlichen Prozeßkostenhilfe ausgegangen.
14Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, daß die Antragstellerin angeblich aufgrund von sozilhilferechtlichen Vorschriften staatliche Leistungen erhält, ohne daß deswegen ein Rückgriff auf ihre Eltern statthaft sein soll. Davon bleibt die auf Vorschriften des bürgerlichen Rechts gegründete Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern, die grundsätzlich lebenslang besteht, im übrigen unberührt. Abgesehen davon darf nicht übersehen werden, daß sich das schädigende Ereignis bereits zu einem Zeitpunkt zugetragen hat, zu dem die Eltern der Antragstellerin uneingeschränkt unterhaltspflichtig waren und im Falle ihrer Leistungsfähigkeit zweifellos auch verpflichtet gewesen wären, daneben den nunmehr beabsichtigten Rechtsstreit zu finanzieren. Diese Verpflichtung wird gerade unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit nicht deshalb in Frage gestellt, weil die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Antragsgegnerin angeblich erst jetzt erkannt worden ist, denn dadurch wird den Eltern der Antragstellerin kein aufgrund von nach Volljährigkeit der Antragstellerin eingetrenen Ereignissen zusätzliches Vermögensopfer auferlegt, für das an sich die Gesamtheit der Steuerzahler aufzukommen hätte, wie die Antragstellerin offenbar meint.
152. Nach allem kommt es für die Entscheidung über die Beschwerde nicht darauf an, ob der Schmerzensgeldanspruch verjährt ist.
16Der Senat hat freilich Zweifel, ob die Rechtsauffassung des Landgerichts in diesem Punkt zutrifft.
17Werden deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit ärztlicher Behandlung geltend gemacht, reicht es regelmäßig nicht aus, wenn der Patient oder sein Wissensvertreter (hier die Eltern der Antragstellerin, vgl. BGH NJW 1989, 2323) Kenntnis vom negativen Ausgang der Behandlung haben (BGH NJW 1991, 2350). Zur nach § 852 Abs. BGB erforderlichen Kenntnis gehört das Wissen, daß sich in dem Mißlingen der ärztlichen Tätigkeit das Behandlungs-, nicht das Krankheitsrisiko verwirklicht hat (BGH, a.a.O.). Notwendig ist das Wissen über die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs (BGH MDR 1985, 834) bzw. das Bewußtsein, welcher Stellenwert dem ärztlichen Handeln für den eingetrenen Erfolg nach Laienansicht zukommt (BGH NJW 1991, 2350). Medizinisches Fachwissen setzt dies nicht voraus, der Patient oder sein Vertreter muß aber erkennen, daß der aufgetretene Schaden auf einem Fehlverhalten beruht (vgl. BGH NJW 1991, 2350), wobei es nicht darauf ankommt, ob aus den bekannten Tatsachen zutreffende Schlüsse auf den zugrundeliegenden naturwissenschaftlichen Kausalverlauf oder die rechtlichen Konsequenzen gezogen wurden (BGH NJW 1984, 661).
18Nach diesen Maßstäben kann nicht davon ausgegangen werden, daß die in § 852 Abs. 1 BGB bestimmte Dreijahresfrist bereits 1987 zu laufen begonnen hat. Zwar haben die Eltern der Antragstellerin dem Landschaftsverband bereits 1987 auf entsprechende Anfrage mitgeteilt, sie gingen davon aus, es sei kurz nach der Geburt bei der Antragstellerin wegen mangelnder Sauerstoffzufuhr zu einer Gehirnblutung gekommen, die letztlich zu deren geistiger Behinderung geführt habe. Das schädigende Fehlverhalten beruhe auf einer undifferenzierten gleichen Behandlung und Versorgung der ganz unterschiedlich entwickelten Säuglinge. Diese eher als Vermutung zu qualifizierende Darstellung genügt indessen nicht als Kenntnis im Sinne von § 852 BGB, denn mangels Kenntnis der Behandlungsdokumentation und des damals geltenden medizinischen Standards, war ihnen keine Beurteilung möglich, ob überhaupt vom Standard abgewichen worden ist und welche Gründe gegebenenfalls dafür maßgebend waren. Darüber hinaus waren ihnen die weiteren vorgebrachten angeblichen Behandlungsfehler (Diagnose- und Therapiefehler) 1987 ganz sicher nicht bekannt. Ob sie sich die notwendige Kenntnis hätten verschaffen können, ist unerheblich.
19Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, daß die vorstehenden Ausführungen nichts über die sachliche Erfolgsaussicht der Klage im übrigen besagen. Diese sind nach der vorliegenden Behandlungsdokumentation und auf der Grundlage der Erfahrung, die der Senat mit einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen hat, als eher gering einzustufen.
20Gegenstandswert der Beschwerde: 14.000,-- DM.
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