Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 6 U 30/93
Tenor
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln. Die Beklagte vertreibt u.a. das Produkt "S." in 1-Liter-Flaschen und 5-Liter-Kannen, das Produkt "S.A." in 5-Liter-Kannen sowie das Produkt "Ap. " in 500-ml-Flaschen.
3Die Gebrauchsanweisung befindet sich bei allen Gebinden der Produkte "S.", "S.-A." und "Ap." in Beuteln aus Klarsichtfolie. Diese Beutel weisen an einer Seite eine ausgestanzte Lasche auf, an der sie bei den 5-Liter-Kannen über einen besonderen Plastikwulst an diesen Kannen und bei den übrigen Flaschen über den Flaschenhals gestreift werden. Wegen der Einzelheiten der Ausstattung wird auf die Abbildungen im Tenor dieser Entscheidung sowie auf die als Anlagen 2 - 5 von der Klägerin erstin- stanzlich zu den Akten gereichten Originalverpak- kungen Bezug genommen.
4Die auf den "S."- und "S.-A."-Gebinden angebrach- ten Etiketten weisen jeweils ein Gefahrensymbol "Andreaskreuz" auf orangefarbenem Grund und die nebenstehende Gefahrenkennzeichnung "mindergiftig" auf, wie im nachstehenden Klageantrag beispielhaft in schwarz-weiß-Fotokopie für die "S.-A." 5-Liter- Kanne wiedergegeben.
5Die Beklagte vertreibt ferner ein Pflanzenschutz- mittel "P. N", das in der Bundesrepublik Deutsch- land unter der Zulassungsnummer ........ zugelas- sen worden ist. In der Türkei wird dieses Produkt von der Firma H. AG in einer türkischen Ausstat- tung vertrieben. Die Klägerin importiert dieses für den türkischen Markt bestimmte Produkt und vertreibt es in der Bundesrepublik Deutschland, wobei sie das in türkischer Sprache gefaßte Originaletikett mit einem deutschsprachigen Etikett so überklebt, daß dieses das türkischsprachige Original nicht völlig abdeckt. Die Zulassungsnummer ........, die unter- halb eines dreieckigen Symbols ("amtlich geprüft zugelassen") - wie im Widerklageantrag in schwarz- weiß-Fotokopie wiedergegeben - erscheint, ist of- fen erkennbar.
6Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte vertreibe auch das Produkt "S.-A." in einer 1-Liter-Flasche, bei der sich die Gebrauchsanweisung ebenfalls in einem Beutel aus Klarsichtfolie befinde, der über den Flaschenhals gestreift werde.
7Sie hat die Auffassung vertreten, der Vertrieb der streitgegenständlichen Produkte verstoße in der von der Beklagten genutzten Verpackung und Aus- stattung gegen § 1 UWG und § 20 Abs. 2 PflSchG. Da die jeweilige Gebrauchsanleitung nur lose an den einzelnen Gebinden hänge, seien die Voraussetzun- gen des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG nicht erfüllt; denn die Gebrauchsanleitung müßte hiernach auf den Behältnissen unverwischbar angebracht werden. Im übrigen hat sich die Klägerin insoweit zur Be- gründung auf die den Parteien bekannte Senatsent- scheidung vom 21. Februar 1992 in Sachen 6 U 99/91 (Blatt 11 - 36 d.A.) berufen.
8Die Klägerin hat weiterhin geltend gemacht, hin- sichtlich der Gefahrenkennzeichnung fehlten die Kennbuchstaben "Xn", so daß die konkrete Form der Gefahrenkennzeichnung gegen § 4 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit Anlage I Nr. 1.2 Gefahrstoffverord- nung verstoße.
9Die Klägerin hat beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen, es bei Ver- meidung eines für jeden Fall der Zuwi- derhandlung festzusetzenden Ordnungsmit- tels bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, die Produkte
11"S.-A." in der 1-Liter-Flasche und in der 5-Liter-Kanne
12und/oder
13"S." in der 1-Liter-Flasche und in der 5-Liter-Kanne
14und/oder
15"Ap." in der 500-ml-Flasche
16in den Verkehr zu bringen,
171. wenn sich die Gebrauchsanweisung lose in einem an dem jeweiligen Gebinde anhän- genden Plastikbeutel befindet, dessen kreisförmig ausgestanzte Lasche entweder über den Flaschenhals oder - bei den 5-Liter-Kannen - über einen besonderen Plastikwulst gestreift wird
18und/oder
192. wenn die Produkte "S.-A." in der 1-Li- ter-Flasche und in der 5-Liter-Kanne so- wie "S." in der 1-Liter-Flasche und in der 5-Liter-Kanne mit einem Gefahrensym- bol und einer Gefahrenkennzeichnung, wie nachstehend beispielhaft für die 5-Li- ter-Kanne des Produktes "S.-A." wieder- gegeben, versehen sind:
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Mit einer am 05.10.1992 eingereichten Widerklage hat sie den Antrag angekündigt,
23die Klägerin zu verurteilen, es bei Mei- dung eines für jeden Fall der Zuwider- handlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ord- nungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ord- nungshaft bis zu 6 Monaten, zu unter- lassen
24in der Bundesrepublik Deutschland das für den Vertrieb in der Türkei herge- stellte Pflanzenschutzmittel "P. N " un- ter der nachstehend wiedergebenen Zu- lassungsnummer zum Verkauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen:
25Die Klägerin hat sich in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 20.10.1992 - ohne Aner- kennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsver- bindlich - verpflichtet, "es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwider- handlung an die Beklagte zu zahlenden Vertrags- strafe in Höhe von 6.100,-- DM zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland das für den Ver- trieb in der Türkei hergestellte Pflanzenschutz- mittel "P. N" unter der in der Widerklageschrift, dort Seite 2, wiedergegebenen Zulassungsnummer zum Verkauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen."
26Nachdem die Beklagte diese Erklärung angenommen hat, haben die Parteien den Rechtsstreit hinsicht- lich der Widerklage in der Hauptsache für erledigt erklärt.
27Die Parteien haben insoweit wechselseitige Kosten- anträge gestellt.
28Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, durch die konkrete Form der Anbringung der Gebrauchs- anweisung an den Behältnissen ihrer Produkte "S. A.", "S." und "Ap." sei kein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG gegeben. Bei den von ihr an- gebotenen Produkten befände sich die Gebrauchsan- weisung entsprechend dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG "auf den Behältnissen" und sei auch "unverwischbar", da sie durch eine Plastikfolie geschützt sei. Es sei nicht erforderlich, daß die Gebrauchsanweisung unmittelbar auf den Behältnis- sen aufgeklebt sei, zumal dies bei umfangreicheren Gebrauchsanweisungen schon aus technischen Gründen nicht möglich sei.
29Die Beklagte hat behauptet, es sei im Verkehr durchaus üblich, die Gebrauchsanweisungen in einer - auf das Behältnis aufgeklebten - Plastikhülle unterzubringen. Dies hätten zahlreiche Mitbewerber - auch die Klägerin selbst - bisher so gehandhabt. Hierzu hat die Beklagte auf zahlreiche Pflanzen- schutzmittel in 1-Liter-Flaschen und 5-Liter-Kan- nen verwiesen, die sie als Anlagen zum Schriftsatz vom 13.10.1992 vorgelegt hat. Auf die Ausstattung dieser Anlagen wird Bezug genommen.
30Die Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, selbst wenn ein Verstoß gegen das Pflanzenschutz- gesetz vorläge, begründe dies keinen Unterlas- sungsanspruch der Klägerin nach § 1 UWG. Zum einen werde der Verbraucher nicht getäuscht, zum anderen habe die Klägerin ihre Produkte in derselben Weise wie die Beklagte mit Gebrauchsanleitungen versehen, so daß sie sich den Arglisteinwand (§ 242 BGB) entgegenhalten lassen müsse. Die zusätzliche Kennzeichnung des Gefahrensymbols "Andreaskreuz" mit den Kennbuchstaben "Xn" sei nicht erforderlich, da diese Buchstaben nur inter- ne Ordnungsmerkmale darstellten.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzli- chen Vorbringens der Parteien wird auf den vorge- tragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
32Durch Urteil vom 8. Dezember 1993, auf dessen Inhalt verwiesen wird, hat das Landgericht die Beklagte hinsichtlich des Klageantrags zu 1. an- tragsgemäß zur Unterlassung verurteilt, die ange- griffenen Produkte "S.-A." und/oder "S. " jeweils in der 1-Liter-Flasche und in der 5-Liter-Kanne und/oder "Ap." in der 500-ml-Flasche in den Ver- kehr zu bringen, wenn sich die Gebrauchsanweisung lose in einem an dem jeweiligen Gebinde anhängen- den Plastikbeutel befindet, dessen kreisförmig ausgestanzte Lasche entweder über den Flaschenhals oder - bei der 5-Liter-Kanne - über einen beson- deren Plastikwulst gestreift wird. Im übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
33Gegen das ihr am 21. Dezember 1992 zugestellte Ur- teil hat die Beklagte mit einem am 21. Januar 1993 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie nach entsprechender Fristverlängerung mit ei- nem am 22. März 1993 eingegangenen Schriftsatz be- gründet hat.
34Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstin- stanzliches Vorbringen. Sie vertritt die Ansicht, das Landgericht habe die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG zu eng ausgelegt; die enge Wortinterpretation allein sei nicht geeignet, die Unzulässigkeit der von ihr geübten Praxis der Befestigung der Gebrauchsanleitungen in einer Pla- stikfolie an den Behältnissen zu begründen. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus der Anforderung der "Unverwischbarkeit". Hiermit sei lediglich be- zweckt, daß der Anwender des Pflanzenschutzmittels in der Lage sein solle, die Gebrauchsanleitung einwandfrei zu lesen, um die Anwendungshinweise und Auflagen beachten und sich über die Gefahren unterrichten zu können, die von dem Pflanzen- schutzmittel möglicherweise ausgingen.
35Diesem Zweck werde die von ihr gehandhabte Form, die Gebrauchsanleitung mit einer Plastikhülle zu versehen, in gleicher Weise wie ein Aufkleben oder ein Aufdruck der Gebrauchsanweisung auf den Be- hältnissen gerecht.
36Die Gefahr des Verlustes der Gebrauchsanleitung sei nur theoretischer Natur. Auf dem Transport könne sie nicht verloren gehen, weil die Produkte nach einer strengen Kontrolle in größeren Gebinden verpackt und ausgeliefert würden. Eine mehrfache Benutzung des Pflanzenschutzmittels durch mehrere Personen sei so selten, daß sie als unbeachtlich anzusehen sei. Darüber hinaus sei davon auszuge- hen, daß ein Benutzer des Pflanzenschutzmittels schon im eigenen Interesse die Gebrauchsanwei- sung an ihren Bestimmungsort zurückstecken werde. Schließlich habe sie auch, um etwaigen Gefah- ren entgegenzuwirken, zusätzlich die Behältnisse selbst mit dem blickfangmäßigen Hinweis "Bitte beigefügte Gebrauchsanweisung sorgfältig beachten" versehen.
37Weiterhin sei zu beachten, daß in einer Reihe von Fällen der Text der Gebrauchsanleitung einen grö- ßeren Umfang habe, der mehrere Druckseiten umfas- sen könne. Derartige Gebrauchsanleitungen könnten ohnehin nicht auf das Behältnis aufgeklebt oder aufgedruckt werden.
38Auch das Arzneimittelgesetz ließe zu, daß die "Gebrauchsinformation" dem Fertig-Arzneimittel als Packungsbeilage beigefügt werde. Wenn aber nicht einmal das AMG eine untrennbare Verbindung von Behältnis und "Gebrauchsinformation" fordere, kön- ne nach dem Gesetzeszweck für Pflanzenschutzmittel schwerlich etwas anderes gelten.
39Schließlich macht die Beklagte geltend, das Land- gericht verbiete eine Praxis, wie sie seit je her im Bereich des Pflanzenschutzmittels üblich sei und von Herstellern, Vertreibern und Importeuren übereinstimmend befolgt werde. Hierfür sei auch die Praxis der Klägerin das beste Beispiel. Weder die für die Zulassung zuständige Biologische Bun- desanstalt noch die zuständigen Überwachungsbehör- den hätten jedoch diese Art der Anbringung von Ge- brauchsanleitungen jemals beanstandet.
40Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvor- bringens der Beklagten wird auf die Berufungsbe- gründungsschrift vom 22. März 1993 und auf den Schriftsatz vom 27. Oktober 1993 ergänzend Bezug genommen.
41Die Beklagte beantragt,
42unter Abänderung des landgerichtlichen Ur- teils die Klage insgesamt abzuweisen,
43ihr zu gestatten, eine Sicherheitsleistung auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse zu er- bringen.
44Die Klägerin hat zunächst beantragt,
45die Berufung zurückzuweisen.
46In der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 1994 hat sie die Klage hinsichtlich des Produkts "S.A. " in der Ein-Liter-Flasche zurückgenommen, weil dieses Produkt nach ihren Informationen niemals im Verkehr gewesen sei.
47Im übrigen beantragt die Klägerin,
48die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß sie Unterlassung der kon- kret beanstandeten Produkte entsprechend den im Termin vom 21. Januar 1994 überreichten Farbfotografien begehrt,
49hilfsweise bei einem Vollstreckungsschutzaus- spruch ihr zu gestatten, Sicherheit durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deut- schen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
50Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage beantragt die Beklagte, der Klägerin die Kosten gemäß § 269 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen.
51Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie vertritt die Ansicht, der Wortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG sei eindeutig und bedür- fe keiner Auslegung. Hiernach sei die Gebrauchsan- leitung "auf den Behältnissen" anzubringen; dies bedeute, daß die Gebrauchsanleitung auf den Flä- chen der Behältnisse angebracht werden müßte. Da diese gesetzliche Anforderung, die das Anbringen "auf den Behältnissen" vorschreibe, zwingend und der Disposition des jeweiligen Herstellers oder Vertreibers nicht zugänglich sei, komme es auch nicht darauf an, ob die in einer Klarsichtfolie lose angebrachte Gebrauchsanleitung in allen Fäl- len und mit Sicherheit verloren gehe.
52Daß mit der Formulierung "auf den Behältnissen" ein unmittelbares Anbringen der Gebrauchsanleitung auf den Flächen des Behältnisses gemeint sei, wer- de auch durch die Forderung "unverwischbar" deut- lich. Damit solle nämlich der sich aus dem Anbrin- gen "auf den Behältnissen" ergebenden Gefahr be- gegnet werden, daß bei Gebrauch Flüssigkeit an der Außenseite des Behältnisses entlang laufe und die dort angebrachte Gebrauchsanweisung verwische oder unleserlich mache.
53Auch ein Vergleich mit dem Arzneimittelgesetz führe zu keinem anderen Ergebnis, da gemäß § 11 Abs. 6 AMG die vorgeschriebenen Angaben auf dem Behältnis stehen müssen, wenn das Arzneimittel ohne äußere Umhüllung in den Verkehr gebracht werde.
54Die von der Beklagten vorgenommene Anbringung der Gebrauchsanleitung verstoße auch gegen die Anfor- derung des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG "in deutlich sichtbarer... Schrift". Dies bedeute, daß die Gebrauchsanleitung insgesamt sichtbar und lesbar sein müsse, wenn das Behältnis in der vorgesehenen Weise abgestellt oder benutzt werde. Dies sei nicht der Fall, wenn die Gebrauchsanweisung klein gefaltet in einen Plastikbeutel gesteckt werde.
55Die vom Landgericht vorgenommene Interpretation entspreche auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG. Der Gesetzgeber ha- be sicherstellen wollen, daß derjenige, der solche Mittel anwende, - gerade auch bei mehrfacher An- wendung durch verschiedene Personen - sich leicht durch Lesen der Gebrauchsanleitung über die Anwen- dung unterrichten könne.
56Die Klägerin behauptet, es sei auch in der Praxis keine Seltenheit, daß nur Teilmengen aus den Behältnissen genommen würden. Pflanzenschutzmittel würden mit Wasser vermischt, so daß es üblich sei, den Behältnissen nur Portionen zu entnehmen.
57Auch bei kleineren Behältnissen sei es tech- nisch durchaus möglich, selbst eine umfangrei- che Gebrauchsanleitung auf den Außenflächen an- zubringen. Sollte dadurch die Gefahr bestehen, daß der Text nicht mehr gut lesbar werde, sehe § 20 Abs. 4 PflSchG die Möglichkeit vor, durch Rechtsverordnung Ausnahmen für das Anbringen der Angaben nach Abs. 2 Nr. 5 - 6 auf den Behältnissen oder Packungen zuzulassen. Da der Verordnungsgeber von dieser Möglichkeit bisher keinen Gebrauch ge- macht habe, müsse sich die Beklagte an den Geset- zeswortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG halten.
58Die Klägerin bestreitet, daß die Praxis der Be- klagten bisher von den Zulassungsbehörden und von der Biologischen Bundesanstalt nicht beanstandet worden sei. Darüber hinaus vertritt sie die An- sicht, daß dies auch unerheblich sei, da weder die Pflanzenschutzämter noch die Biologische Bundesan- stalt berufene Institutionen seien, um verbindlich über die Auslegung und Anwendung gesetzlicher Re- gelungen zu wachen.
59Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Berufungsrechtsszug wird auf die Berufungserwiderung vom 17. Juni 1993 und die Schriftsätze vom 22. Juni 1993 und 6. Januar 1994 nebst Anlagen sowie auf die in der mündlichen Ver- handlung vom 21. Januar 1994 überreichten Anlagen ergänzend Bezug genommen.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
61Die Berufung ist zulässig, sie hat aber in der Sa- che keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die Art und Wei- se, in der die Beklagte die Gebrauchsanleitung auf den einzelnen Gebinden der Pflanzenschutz- mittel angebracht hat, beanstandet. Zutreffend hat das Landgericht in der Verletzung des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG gesehen.
62Der Vertrieb der angegriffenen Gebinde von "S.A. ", "S." und "Ap." ist mit der Bestimmung des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG nicht zu vereinba- ren. Nach dieser Vorschrift dürfen Pflanzenschutz- mittel vom Hersteller, Vertriebsunternehmer oder -einführer gewerbsmäßig oder im Rahmen sonstiger wirtschaftlicher Unternehmungen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn auf den Behältnissen und ab- gabefähigen Packungen in deutscher Sprache und in deutlich sichtbarer, leicht lesbarer Schrift un- verwischbar die Gebrauchsanleitung angegeben ist.
63Wie der Senat bereits in den von den Partei- en zitierten Entscheidungen vom 2. November 1990 - 6 U 140/90 (Bl. 204 ff d.A.) - und vom 21. Fe- bruar 1991 - 6 U 99/91 (Bl. 11 ff d.A.) - im ein- zelnen ausgeführt hat, spricht schon das im Wort- laut der Bestimmung aufgestellte Erfordernis, daß die Gebrauchsanleitung "auf" dem Behältnis bzw. "auf" der Verpackung anzugeben ist, gegen die Annahme, ein Beifügen auf einem gesonderten und nicht mit der vollen Fläche fest mit dem Behält- nis verbundenen Papier könnte zulässig sein. Daß die in § 20 Abs. 2 PflSchG angeführten Angaben in vollem Umfang fest auf den Behältnissen angebracht sein müssen, ist auch dem Erfordernis zu entneh- men, daß die Angaben "unverwischbar" sein müssen. Die Gefahr, daß die Schrift verwischt werden könnte, ergibt sich gerade aus dem Umstand, daß sie außen auf dem Behältnis oder der Verpackung angebracht werden muß und deswegen der Gefahr aus- gesetzt ist, daß bei Gebrauch des Produktes Flüs- sigkeit an der Außenseite des Behältnisses entlang läuft und so mit der Gebrauchsanleitung in Berüh- rung kommt.
64Für die Annahme, daß das bloße Einlegen der losen Gebrauchsanleitung in eine nur lose an das Gebinde angehängte Klarsichthülle nicht ausreicht, um den Anforderungen des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG genüge zu tun, spricht auch der Sinn des Gesetzes. Die Gebrauchsanleitung soll bis zum endgültigen Auf- brauchen des Mittels sichtbar und verfügbar gehal- ten werden. Es besteht nämlich - entgegen der Auf- fassung der Beklagten - stets die Möglichkeit, daß ein Teil des Packungsinhaltes erst später - und möglicherweise durch einen anderen Benutzer - aufgebraucht wird. Dies ergibt sich schon daraus, daß die streitgegenständlichen Pflanzenschutzmit- tel mit Wasser vermischt werden, bevor sie ihre Anwendung finden. So ist nach der Gebrauchsanlei- tung für das Produkt "Ap." bei Anwendung gegen Spinnmilben eine Mischung von 30 ml des Produkts auf 100 Liter Wasser erforderlich. Bei den Produk- ten "S." und "S.A." ist nach den Gebrauchsanlei- tungen eine Wasseraufwandmenge von 400 Litern bei 1,5 bzw. 1,2 Liter des jeweiligen Produktes erfor- derlich. Bei derartigen Mischungsverhältnissen ist davon auszugehen, daß aus den Behältnissen regel- mäßig oder jedenfalls auch Teilmengen entnommen werden. Bei mehrfachem auch zeitlich unterschied- lichem Gebrauch besteht durchaus die Möglichkeit, daß verschiedene Benutzer den Packungsinhalt gebrauchen. Dies kann angesichts des giftigen Inhalts ein erneutes Lesen der Anweisung erforder- lich machen, damit Gefahren vermieden werden. Ein erneutes Lesen der Gebrauchsanweisung ist jedoch nur gewährleistet, wenn sich diese unmittelbar auf dem Behältnis selbst und nicht nur lose in einer Plastikhülle befindet. Die Gefahr, daß eine Gebrauchsanleitung, die zum Lesen entnommen worden ist, nicht wieder in die Klarsichthülle einge- bracht wird und schon deshalb verloren geht, ist offensichtlich. Die Gefahr des Verlustes der Gebrauchsanleitung wird dadurch erhöht, daß die Plastikhülle, in der sich die Gebrauchsanleitung befindet, noch nicht einmal fest mit dem Behältnis verbunden ist, sondern lediglich lose über den Flaschenhals und bei den 5 Liter-Kanistern über einen Plastikwulst gestülpt ist. Gerade dieser Gefahr sollte nach dem Sinn des Gesetzes entgegengewirkt werden.
65Die Auslegung, die der Senat in ständiger Rechtssprechung (vgl. Urteil vom 12.11.1990 - 6 U 140/90; Urteil vom 21.02.1991 - 6 U 99/91, Urteil vom 05.12.1993 - 6 U 4/93) der Anwendung des § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG zugrundelegt, steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der sich aus dieser ergebenden Vorstellung des Gesetzgebers. Dies ist den Ma- terialien zu § 20 PflSchG zu entnehmen. Im Ent- wurf der Bundesregierung zum Pflanzenschutzgesetz (BT-Drucksache 10/1262) war in der dem jetzigen § 20 Abs. 2 Nr. 6 entsprechenden Bestimmung des § 18 Abs. 2 Nr. 5 angeordnet, daß auf den Behält- nissen und abgabefähigen Packungen in deutscher Sprache und deutlich sichtbarer, leicht lesbarer Schrift unverwischbar u.a. die Gebrauchsinforma- tion entsprechend den Auflagen des § 13 Abs. 3 des Entwurfs (der dem § 15 Abs. 3 des später ver- abschiedeten Gesetzes entspricht) anzugeben sei. Ebenso wie in § 20 Abs. Nr. 4 Nr. 1 PflSchG in der heutigen Fassung war in § 18 Abs. 4 Nr. 1 des Regierungsentwurfs die Ermächtigung des Bundesmi- nisters für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgesehen, "Ausnahmen für das Anbringen der Anga- ben nach § 20 Nr. 4 bis 6 (heute: Nr. 5 - 7) auf den Behältnissen oder Packungen zur Erleichterung des Lesbarkeit zuzulassen, soweit dadurch die in § 1 genannten Zwecke nicht beeinträchtigt wer- den...".
66In dem Entwurf war § 18 Abs. 4 wie folgt begründet (BT-Drucksache 10/1262, Seite 27):
67"Da es nicht immer möglich und erforderlich ist, alle nach Abs. 2 Nr. 5 und 6 geforderten Angaben auf Behältnissen und Packungen anzu- bringen, können nach Nr. 1 in einer Verord- nung Ausnahmen für das Anbringen der Angaben über Verfallsdatum, Gebrauchsinformation so- wie Anwendungsverbote und -beschränkungen ge- regelt werden. Dies kann z.B. in der Form er- folgen, daß für näher abzugrenzende Kleinpak- kungen die vorgeschriebenen Angaben auf einen Beipackzettel aufgedruckt werden können...".
68Hieraus ergibt sich, daß bei der Verabschiedung des Gesetzes in seiner jetzigen Fassung die Vor- stellung bestand, die hier in Rede stehende Be- stimmung ordne an, sämtliche im einzelnen genann- ten Angaben - so auch die "Gebrauchsinformation" - seien unmittelbar auf den Behältnissen und den Verpackungen selbst anzubringen und nicht auf ei- nem diesen beigefügten oder an diesen befestigten Beipackzettel. Nur für den Fall, daß sich dies als unmöglich erweisen sollte - wie beispielsweise bei den in der Begründung ausdrücklich angesprochenen Kleinpackungen - sollte gemäß Abs. 4 ermöglicht werden, Ausnahmetatbestände im Verordnungswege zu schaffen.
69In der Begründung des Regierungsentwurfs ist gera- de die Möglichkeit, die gesetzlich zu fordernden Angaben auf einem "Beipackzettel" aufzudrucken, als eine der im Verordnungsweg zu gestattenden Ausnahmen für Kleinpackungen genannt. Das kann aber nur bedeuten, daß grundsätzlich die nach Abs. 2 zu fordernden Angaben gerade nicht auf einem beizufügenden (Beipack-) Zettel, sondern unmittelbar auf den Behältnissen oder Packungen selbst anzubringen sein sollten. Ausnahmen sollten nur in Betracht kommen, wenn Behältnis oder Pak- kungen zu klein sein sollten, um die gesetzlich geforderten Angaben in "deutlich sichtbarer" und "leicht lesbarer" Schrift aufzunehmen.
70Nach allem genügt es gerade nicht, die Gebrauchs- anleitung in der von der Beklagten praktzierten Art und Weise lose in einer Klarsichthülle unter- zubringen, die selbst nicht fest mit dem jewei- ligen Gebinde verbunden ist, so daß es möglich ist, die Gebrauchsanweisung zu entnehmen, oder daß gerade die lose verbundene Klarsichthülle mit der Gebrauchsanweisung verlorengeht.
71Diesem Verständnis von § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG steht auch nicht entgegen, daß die von der Be- klagten paraktizierte Art der Anbringung der Ge- brauchsanweisung - nach ihren Behauptungen - bis- her von den Pflanzenschutzämtern und der Biologi- schen Bundesanstalt nicht beanstandet worden ist. Gesetzeswortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung ergeben unmißverständlich, wie bei der Angabe der Gebrauchsanleitung zu verfahren ist. Sollten - wie die Beklagte behauptet - staatliche Stellen nichts unternehmen, um dem Gesetz Geltung zu verschaffen, läßt dies die gesetzgeberische Absicht und den In- halt der gesetzlichen Regelung unberührt.
72Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn es hier um die Anwendung einer Ermessensvorschrift durch eine Behörde ginge. Davon kann aber bei § 20 Abs. 2 Nr. 6 PflSchG nicht die Rede sein, da diese Vorschrift eine zwingende Regelung enthält. Selbst eine "großzügige" Handhabung durch zuständige Be- hörden vermag hieran nichts zu ändern.
73Der von der Beklagten auf den von ihr vertriebenen Behältnissen angebrachte Hinweis "Bitte beigefüg- te Gebrauchsanleitung sorgfältig beachten!" räumt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht die Gefahr eines Verlustes der Gebrauchsanleitung aus. Ein solcher Hinweis ist nur dann sinnvoll, wenn die Gebrauchsanleitung noch an dem Gebinde vorhan- den ist. Ist aber die Gebrauchsanleitung in der oben beschriebenen Art entweder entnommen oder gar durch Verlust der gesamten Klarsichthülle abhanden gekommen, erscheint es nicht sehr lebensnah, daß der Benutzer des Pflanzenschutzmittels, der das Produkt erworben hat, aufgrund dieses Hinweises auf die Anwendung verzichten wird, weil die Ge- brauchsanleitung nicht mehr vorhanden ist.
74Soweit die Beklagte einwendet, daß in einer Reihe von Fällen der Text der Gebrauchsanleitung einen größeren Umfang habe, der bis zu mehrere Drucksei- ten umfassen könne, so daß ein Aufkleben oder Auf- drucken dieser Gebrauchsanleitung auf die Behält- nisse schon technisch unmöglich sei, hat sie nicht einmal dargelegt, daß dies für die Verpackung der angegriffenen Pflanzenschutzmittel zutrifft. Darüber hinaus ist dem Senat aus dem Verfahren 6 U 4/93 bekannt, daß Gebrauchsanleitungen, die auch mehrere Seiten umfassen, sich auf dem kleinsten, also dem 500-Milliliter-Gebinde, bei einer Verkleinerung auf ca. 65 % der jeweiligen Gebrauchsanleitung unschwer unterbringen lassen, ohne daß gegen die Erfordernisse der deutlichen Sichtbarkeit und leichten Lesbarkeit verstoßen werden muß. Dies gilt für den Fall, daß die Gebin- de oder Verpackungen unverändert bleiben. Daneben besteht jeweils die Möglichkeit, die äußere Fläche des Behältnisses etwa durch Verwen- dung einer eckigen und damit großflächigeren Form geringfügig zu vergrößern, um die Sichtbarkeit und Lesbarkeit der Gebrauchsanleitung zu erhöhen. Bei lediglich geringer Vergrößerung der Verpackung könnte auch nicht von einer "Mogelpackung" die Re- de sein, zumal eine Inhaltsangabe deutlich heraus- gestellt werden könnte. Vor diesem Hintergrund wäre es Sache der Beklag- ten, im einzelnen und nachvollziehbar darzulegen, daß und aus welchen Gründen es unmöglich ist, die Gebrauchsanleitung vollständig auf den jeweiligen Gebinden aufzubringen. Diesem Erfordernis wird der pauschale Hinweis der Beklagten, in einer Reihe von Fällen habe der Text einen größeren Umfang, so daß eine andere Handhabung technisch unmöglich sei, nicht gerecht.
75In dem Vertrieb der Pflanzenschutzmittel mit einer Gebrauchsanleitung, deren Anbringung den Anforderungen des § 20 PflSchG nicht genügt, liegt zugleich ein Verstoß gegen § 1 UWG. Nach § 1 Abs. 2 PflSchG dienen die Regelungen des Pflan- zenschutzgesetzes über das Vertreiben von Pflan- zenschutzmitteln u.a. der Abwendung von Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier. Normen zum Schutz der menschlichen Gesundheit sind nicht wettbewerbsneutral. Ihre Einhaltung entspricht vielmehr einer sittlichen Pflicht, so daß ein Ver- stoß gegen diese Vorschriften stets wettbewerbs- widrig ist (OLG Köln WRP 1984, 164, 166 m.w.N.).
76Der von der Beklagten erstinstanzlich erhobene Arglisteinwand (§ 242 BGB) führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn die Klägerin früher bei ihren Produkten die Gebrauchsanweisung in der Art angebracht hat, die sie nun im vorliegenden Ver- fahren angreift, kann keinesfalls ausgeschlossen werden, daß die Klägerin zu einer besseren Ein- sicht gelangt ist und nunmehr die ihr gesetzlich gewährten Möglichkeiten nutzt, auch einen Wett- bewerber zu gesetzestreuer Anwendung anzuhalten. Entscheidend kommt hinzu, daß dies auch der Volks- gesundheit und damit dem Schutz der Allgemeinheit dient. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin die vorliegende Klage nur deshalb erhoben hat, um die Beklagte "zu schikanieren", hat die Beklagte selbst nicht vorgetragen.
77Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 1994 die Klage hinsichtlich des Produktes "S.A." in der Ein-Liter-Flasche zurück- genommen hat, waren ihr die Kosten beider Instan- zen gem. § 269 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen.
78Im übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 97 Abs. 1 ZPO.
79Soweit die Klägerin im Berufungsrechtszug den An- trag auf Unterlassungsverurteilung neu gefaßt hat, liegt hierin keine teilweise Klagerücknahme oder Klageänderung, sondern lediglich eine bessere An- passung an die konkrete Verletzungsform.
80Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreck- barkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die nach § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer der Beklagten entspricht dem Wert ihres Unterliegens im Rechtsstreit.
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