Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 94/93
Tenor
Die Berufung des Klägers und des Streithelfers gegen das am 24.11.1992 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln- 25 0 150/89 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind von dem Kläger zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention. Diese Kosten hat der Streithelfer zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Entscheidungsgründe
2Die Berufung des Klägers und des Streithelfers ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
3Dem Kläger stehen die aus dem Versicherungsvertrag geltend gemachten Leistungsansprüche nicht zu. Keine der nach teilweisem Ausgleich durch die Beklagte noch im Streit befindlichen Zahnarztrechnungen des Streithelfers - zwei Rechnungen vom 28.9.1988 über die Beträge von 16.167,90 DM bzw. 11.393,46 DM, jeweils zwei Rechnungen vom 26.10.1988 über die Beträge von 8.257,80 DM bzw. 7.105,01 DM, eine Rechnung vom 15.11.1988 über den Betrag von 2.964,82 sowie hilfsweise die Rechnungen vom 30.8.1989 über den Betrag von 5.161,97 DM und vom 3.10.1989 über den Betrag von 18.048,13 DM- betrifft medizinisch notwendige Heilbehandlungen im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S.1 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AVB (= § 1 Abs. 1 S.2, Abs. 2 S.1 11B/KK 76), so daß die Beklagte zu deren Erstattung, soweit sie noch im Streit sind, nicht verpflichtet ist.
4Um eine Einstandspflicht des Versicherers nach den genannten Bestimmungen zu begründen, muß die von dem Versicherungsnehmer zur Abrechnung gebrachte Heilbehandlung als solche notwendig sein; gleiches gilt für jede einzelne Maßnahme im Zuge dieser Behandlung. Entscheidend ist dabei weder die Sicht des Versicherungsnehmers, noch kommt es allein auf die Beurteilung des behandelnden Arztes an. Die Notwendigkeit der Heilmaßnahme richtet sich nach einhelliger Auffassung vielmehr nach objektiven Kriterien. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es zu einem Fall verschiedene gleichwertige Lehrmeinungen und insbesondere auch verschiedene Behandlungsmöglichkeiten geben kann, von denen jede für sich zur Erreichung des Heilungserfolges geeignet ist. Von daher muß dem behandelnden Arzt in objektivierten Grenzen ein Ermessensspielraum bei der Behandlung des Patienten eingeräumt werden (vgl. dazu grdl. BGH VersR 1979, 221 = NJW 1979, 1250 sowie die Nachweise bei Prölss/ Martin, VVG- Kommentar, 25. Aufl. § 1 MBKK Anm. 2 B a) .
5Eine Behandlungsmaßnahme ist danach medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen (BGH aaO).
6Was in diesem Sinne vertretbar ist, beurteilt sich vom Standpunkt des Versicherungsvertrages: Vertretbar i.S. v.§ 1 Abs. 2 AVB = § 1 Abs. 2 MBKK 76 ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, die in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrundeliegende Leiden diagnostisch hinreichend erfaßt und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet ( Bach / Moser, Private Krankenversicherung, 2. Aufl. § 1 MBKK Rdn. 33).
7Aus dem Gesichtspunkt der notwendigen Adäquanz der ärztlichen Maßnahme folgt, daß auch der Kostenaufwand in die Entscheidungsfindung einzufließen hat. Bestehen nämlich, zwei medizinisch gleichwertige, kostenmäßig aber um ein Vielfaches auseinanderliegende Möglichkeiten der Behandlung, ist der kostengünstigeren der Vorzug zu geben; nur sie ist unter diesen Voraussetzungen als die in der betreffenden Behandlungssituation notwendige Heilmaßnahme anzusehen Bach VersR 1979,792 794 ; Bach/ Moser aa0 Rdn. 34; Prölss/ Martin aaO). Der entgegenstehenden Auffassung von Schmid (NJW 1981, 2504) und Schüssler (VersR 1986, 322, 323),
8eine solche Unterscheidung sei von dem Wortlaut der Bedingungen nicht gedeckt, kann nicht beigetreten werden. Eine zwar zum gleichen Behandlungserfolg führende , jedoch von ihrer Anlage her um ein Vielfaches teurere Heilbehandlung stellt Luxus, jedoch keine notwendige Heilmaßnahme dar. Zur Tragung der mit einer luxuriösen Behandlung verbundenen Kosten kann die Versichertengemeinschaft billigerweise nicht verpflichtet werden, weil hierdurch die versicherungstechnischen Kalkulationsgrundlagen gesprengt würden.
9Die Beweislast dafür, daß die zur Leistungsabrechnung gebrachte Behandlungsmaßnahme den dargestellten Kriterien entsprochen hat, liegt bei dem Versicherungsnehmer ( BGH VersR 1979,221,222). Diesen Beweis hat der Kläger jedoch nicht erbracht.
10Auch nach der vom Senat angeordneten erneuten Begutachtung steht nicht fest, daß die von dem Streithelfer durchgeführte zahnprothetische Behandlung eine im Sinne der Bedingungen notwendige Heilmaßnahme war. In seinem in der Berufungsinstanz erstatteten schriftlichen Gutachten vom 30.11.1994 wie insbesondere auch im Zuge seiner mündlichen Erläuterungen im Termin am 12.6.1995 hat der Sachverständige Prof. Dr. O. eine absolute Indikation für die hier zum Einsatz gekommene Unterkieferprothese klar verneint. Um die Kaufähigkeit bei dem Kläger wieder herzustellen, war es nicht notwendig, den Unterkiefer mit einer implantatgestützten Prothese zu versorgen. Nach der Extraktion von vier nicht erhaltungswürdigen Zähnen und der operativen Entfernung eines retinierten Zahnes verblieben im Unterkiefer des Klägers noch genügend geeignete Zähne, um hieran z.B. einen teleskopierenden Zahnersatz mit Doppelkronen anzupassen, der die Kaufähigkeit des Klägers ebenso wiederhergestellt hätte. So war es auch schon in der von der Beklagten vor-prozessual eingeholten Stellungnahme von Prof. T. und Dr. S. vom 7.7.1988 vorgeschlagen worden.
11Deutlicher noch als die bis dahin vorliegenden gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen haben seine mündlichen Erläuterungen vor dem Senat auch erkennbar gemacht, daß die implantatgestützte Unterkieferprothese für den Kläger zwar mit einem größeren Tragekomfort verbunden ist, ihr medizinischer Behandlungserfolg sich aber mit dem einer alternativ zum Einsatz kommenden Teleskop- Prothese in etwa die Waage hält. Zwar ist nach Darstellung des Sachverständigen bei implantatgestütztem Zahnersatz die Kaukraft größer. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Oberkiefer des Patienten mit einer herausnehmbaren Vollprothese versorgt ist, wie es bei dem Kläger bis vor kurzem der Fall war. Bei einer Teleskop- Prothese lassen sich die verbliebenen Restzähne besser reinigen, was grds. zur Verlängerung ihrer Lebensdauer beitragen kann. Vorliegend ließ sich hierzu indes keine konkrete Prognose anstellen, da die bei dem Kläger vorhandenen Restzähne z.T. vorgeschädigt sind. Diese Tatsache hätte aber der Anpassung von teleskopierendem Zahnersatz nicht entgegengestanden, wie der Sachverständige zweifelsfrei klargestellt hat.
12Bei teleskopierendem Zahnersatz wird der Kieferknochen stärker belastet, was zu einer Entlastung für die Restzähne führt. Bei Implantaten werden demgegenüber die Restzähne mehr beansprucht.
13Soweit bei teleskopierendem Zahnersatz. Knochenschwund in Rechnung zu stellen ist, können die damit verbundenen Nachteile durch spätere Unterfütterungen aufgefangen werden. Auch im Hinblick auf die Vermeidung eines sog. alveolaren Kollapses ergab sich nach den mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen kein gewichtiges Argument für die hier gewählte Versorgung: Nur ein Sofortimplantat ist, wie der Sachverständige schlüssig dargelegt hat, geeignet, den Kollaps aufzuhalten. Die ursprüngliche Dimension des Knochens bleibt nur erhalten, wenn unmittelbar in das Knochenfach ein Implantat eingesetzt wird. Hierfür sind Blattimplantate, wie sie der Streithelfer im Bereich der Zähne 35 -37 und der Zähne 46-48 eingesetzt hat, nicht tauglich, sondern nur das eine im August 1988 in regio 34 eingesetzte Sofortimplantat.
14Zu grundlegenden Unterschieden in der voraussichtlichen Lebensdauer beider Versorgungsarten ließen sich von Seiten des Sachverständigen keine Aussagen treffen, ebensowenig zur Nachbehandlungsfrequenz.
15Demgegenüber hat der Sachverständige im Hinblick auf das Tragegefühl des Patienten eine-implantatgestützte Lösung im Vorteil gesehen. Die Prothesenbasis, auf der teleskopierender Zahnersatz aufgebaut sei, erzeuge ein größeres Fremdkörpergefühl als eine implantatgestützte Prothese, die vom Patienten als der natürlichen Dentination ähnlicher empfunden werde. Vorliegend führe auch die Verteilung der Haltezähne dazu, daß der Kaukomfort für den Kläger besser sei.
16Das Resümee des Sachverständigen ging dahin, daß unter Berücksichtigung aller für und wider sprechenden Erwägungen eine implantatgestützte Rehabilitation vorliegend nicht notwendig gewesen wäre, jedoch eine solche Rehabilitation vertretbar ist und vom Grundsatz her eine optimale Lösung bedeuten kann.
17Aus all dem wird deutlich, daß dem Kläger mit der Eingliederung einer teleskopierenden Unterkieferprothese vollständig geholfen gewesen wäre. Die. Prothetik, die tatsächlich zur Ausführung gekommen ist, war nicht erforderlich, um die Kaufähigkeit des Klägers wiederherzustellen. Der mit ihr verbundenen größere Tragekomfort stellt in des Wortes eigener Bedeutung einen Luxus dar, der den Rahmen der notwendigen Heilbehandlung springt.
18Da die prothetische Maßnahme selbst unter Berücksichtigung der Abzüge, die nach dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 30.11.1994 u.a. mit Rücksicht auf die nicht notwendige Ozonbehandlung sowie eine Reihe von fälschlich in Ansatz gebrachten Gebühren- wie insbesondere die wiederholte Mehrfachberechnung für ein und dieselbe Leistung-zu machen wären, die Kosten, die für eine teleskopierende Unterkieferprothese angefallen wären, um ein Mehrfaches übersteigt- wie die Gegenüberstellung in der Berufungsbegründung des Klägers verdeutlicht-, ist aus den eingangs dargestellten Gründen eine medizinische Notwendigkeit der hier gewählten Versorgung nicht gegeben.
19Über die bereits von der Beklagten geleisteten Ausgleichsbeträge hinaus stehen dem Kläger deshalb keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gegen die Beklagte mehr zu.
20Das vorprozessuale Verhalten der Beklagten gibt zu einer anderweitigen Beurteilung keinen Anlaß. Sie hat dem Kläger und dem Streithelfer unter Berufung auf die bereits erwähnte Stellungnahme Prof. T. und Dr. S. alsbald, mit Schreiben vom 30.8.1988, nach der ihr zuzubilligenden Hinzuziehung eines Gutachters unmißverständlich klar gemacht, daß sie die Kosten der von dem Streithelfer geplanten Rehabilitationsmaßnahme nicht übernehmen wolle, und den Kläger auf eine teleskopierende Unterkieferprothese verwiesen. Daß die von der Beklagten geleisteten Erstattungsbeträge die Kosten einer teleskopierenden Unterkieferprothese nicht abgedeckt hätten, ist von Seiten des dafür darlegungspflichtigen Klägers bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen worden.
21Die in dem Schriftsatz des Streithelfers vom 26.6.1995 enthaltene Behauptung, die Kosten für teleskopierenden Zahnersatz würden sich auch bereits auf ca. 19.800,- DM belaufen haben und wären zwischenzeitlich sogar ein zweites Mal angefallen, war nicht zu berücksichtigen, da der Schriftsatz nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangen ist und dem Streithelfer kein Schriftsatznachlaß gewährt worden war.
22Der Senat sieht sich hierdurch sowie durch das übrige nicht nachgelassene Vorbringen des Streithelfers wie auch des Klägers in dessen Schriftsatz vom 14.6.1995 nicht veranlaßt, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Der Streitstoff ist umfassend aufgeklärt worden. Die Parteien hatten ausreichende Gelegenheit zu rechtzeitigem ergänzenden Vorbringen und hätten auch in der mündlichen Verhandlung vom 12.6.1995 weitere Fragen und Vorhalte an den Sachverständigen richten können.
23Die von dem Streithelfer beantragte Wiedereröffnung war auch nicht mit Rücksicht auf die nach Schluß der Mündlichen Verhandlung von dem Sachverständigen gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers gemachte Äußerung, wie sie in dem Schriftsatz des Klägers vom 14.6.1995 wiedergegeben ist, geboten. Diese Erklärung beinhaltete keine sachliche Einschränkung der in der Beweisaufnahme referierten Auffassungen des Sachverständigen, der sich im übrigen im Bewußtsein dessen, daß die mündliche Verhandlung in dieser Sache geschlossen war, weiterer Erklärungen enthalten hat.
24Für eine Voreingenommenheit des Sachverständigen gegenüber dem Streithelfer ergeben sich nicht die geringsten Anhaltspunkte; abgesehen davon enthält der Schriftsatz des Streithelfers vom 26.6.1995 auch kein ausdrückliches Ablehnungsgesuch, welches zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung Anlaß geben könnte.
25Die Berufung war nach allem in Gänze zurückzuweisen, da auch die Kostenentscheidung des Landgerichts im Ergebnis zutreffend ist.
26Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den 66 97 Abs. 1, 101 ZPO, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
27Die Revision war weder unter dem Gesichtspunkt der besonderen Bedeutung der Sache noch der Divergenzentscheidung, § 546 Abs. 1 Nr. 1 u 2 ZPO, zuzulassen.
28Der vorliegende Streit weist zum einen erhebliche individuelle Besonderheiten auf, die ihn zum Präzedenzfall ungeeignet machen. Im übrigen liegt die vorliegende Entscheidung auf einer Linie mit dem in VersR 1980, 426 veröffentlichten Senatsurteil und steht der Entscheidung des BGH in VersR 1979, 221 ff nicht entgegen, so daß auch von daher kein Bedarf an einer höchstrichterlichen Entscheidung besteht.
29Wert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers : DM 44.447,57 (§ 19 I 2 GKG)
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