Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 135/95
Tenor
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
2Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
3Das Landgericht hat der Klage mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu Recht stattgegeben.
4Zusätzlich zu den zutreffenden landgerichtlichen Ausführungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ergänzend Folgendes auszuführen:
5Die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin begegnet keinen Bedenken, ohne daß insoweit entsprechend den Ausführungen des Landgerichts auf den Gesichtspunkt der Forderungsabtretung abgestellt werden müßte. Vielmehr ergibt sich eine eigene originäre Aktivlegitimation der Klägerin daraus, daß sie Versicherungsnehmerin und damit Berechtigte aus dem Reiseversicherungsvertrag mit der Beklagten war. Nach dem Inhalt des Versicherungsscheins war nämlich der Vater der Klägerin lediglich "versicherte Person"; ein Versicherungsnehmer ist in dem "Versicherungsausweis" nicht aufgeführt, vielmehr lediglich die Klägerin als "Gastgeber". Da der Vater der Klägerin nur als versicherte Person aufgeführt ist, erscheint es geboten, die Klägerin, die auch Antragstellerin hinsichtlich des fraglichen Versicherungsvertrages und außerdem Gastgeberin des vorschriftsmäßigen zu versichernden Besuchers war, auch als Versicherungsnehmerin zu erachten. Diesbezügliche Unklarheiten des Versicherungsscheins müssen zu Lasten des Versicherers gehen, in dessen Zuständigkeitsbereich die Ausgestaltung des Versicherungsscheins fällt. Die Beklagte hat im übrigen die Aktivlegitimation der Klägerin in der Berufungsinstanz auch nicht mehr ernstlich in Frage gestellt.
6Eines Eingehens auf die Frage der Wirksamkeit der Bestimmungen von §§ 1, 3 und 5 der AVB bedarf es vorliegend nicht, weil auch bei Wirksamkeit sämtlicher vorgenannter Bestimmungen Versicherungsschutz hier zu bejahen ist.
7Der Versicherungsfall ist in § 1 Ziff. 2 AVB (analog § 1 MB/KK) definiert, während § 1 Ziff.1 den Gegenstand des Versicherungsschutzes klarstellt. Gemäß § 1 Ziff. 2 ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht.
8Nach dem Gesamtzusammenhang kann sich die Heilbehandlung nur auf die konkrete Krankheit beziehen, vorliegend also den apoplektischen Insult.
9Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen des § 1 Ziff. 1 AVB, der unvorhergesehen eingetretenen Krankheit, vorliegend also des apoplektischen Insultes, ist die Klägerin als Versicherungsnehmerin, wobei klarstellend darauf hinzuweisen ist, daß entgegen der Terminologie beider Parteien in der Berufungsinstanz es in dieser Bestimmung nicht etwa heißt "unvorhersehbar", sondern vielmehr "unvorhergesehen".
10Ihrer vorgenannten Darlegungspflicht ist die Klägerin nachgekommen.
11Selbst wenn dem Vater der Klägerin die gemäß Bescheinigung des Klinikums W. vom 1.10.1993 sowie 29.11.1993 bestehenden Vorerkrankungen wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus sowie Hyperlipidämie bekannt waren, bedeutet dies nicht, daß der Vater der Klägerin bzw. diese selbst auch den Hirninfarkt/Schlaganfall vorausgesehen haben (noch im übrigen auch, daß dieser voraussehbar gewesen wäre); nicht jede Hypertonie bzw. Diabetes endet zwangsläufig in einem Hirninfarkt, was im übrigen auch die Beklagte nicht behauptet. Die vorgenannten eigenständigen Erkrankungen sind lediglich Risikofaktoren, die zu einem Schlaganfall führen können, aber nicht führen müssen. Andererseits können auch Patienten ohne diese Risikofaktoren durchaus einen Hirninfarkt erleiden.
12Ein Hirninfarkt ist demzufolge auch eine eigenständige Erkrankung und nicht etwa Teil oder zwangsläufige Fortsetzung einer chronischen Hypertonie oder Diabeteserkrankung, worauf die Beklagte ausweislich der Ausführungen in der Berufungsbegründung abzustellen scheint.
13Auch aus den ärztlichen Bescheinigungen der RTK-Kliniken vom 18.10.1993, des Klinikums W. vom 1.10.1993 und 29.11.1993 sowie der RTK-Kliniken vom 13.9.1993 ergibt sich lediglich, daß der Hirninfarkt nicht vorhergesehen gewesen sein kann. Wenn z.B. in dem Bericht der RTK-Kliniken vom 13.9.1993 bei den Diagnosen auch von chronisch ischämischer Herzerkrankung sowie Zustand nach Myocardinfarkt die Rede ist, bei der Anamnese aber nur von arterieller Hypertonie, so zeigt dies, daß der Hirninfarkt bei Eintritt nicht vorhergesehen war, noch auch vorherzusehen war.
14Auch eine Herzerkrankung bzw. ein Myocardinfarkt sind nicht zwangsläufig Vorstufe zu einem Hirninfarkt.
15Da die Klägerin somit im Hinblick auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen ihrer Darlegungs- und Beweislast im Bezug auf eine unvorhergesehen eingetretene Erkrankung in Form eines Hirninfarktes nachgekommen ist, hätte die Beklagte diesen Nachweis widerlegen müssen. Dies hat sie jedoch nicht getan, da ihren Ausführungen im wesentlichen nur Vermutungen ohne reale Anhaltspunkte und konkreten Sachvortrag zugrundeliegen.
16Insbesondere ist aus dem Umstand, daß der Versicherte erst später als zum ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt in die Bundesrepublik einreiste und der Hirninfarkt schon einen Tag nach Einreise eintrat, nicht zu schließen, daß der Vater der Klägerin bzw. diese selbst schon vorher mit dem Eintreten eines Hirninfarktes rechneten oder dieser sogar schon nach Maßgabe entsprechender Symptome seinen Anfang genommen hatte, was im übrigen die Beklagte ausweislich ihres Vorbringens im erstanzlichen Schriftsatz vom 27.9.1994 (S. 3 dort) auch selbst in Abrede gestellt hat. Sie hat dort nämlich ausdrücklich ausgeführt, zwar sei "der Schlaganfall vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland sicherlich nicht eingetreten ..."
17Nachvollziehbar weist die Klägerin im übrigen insoweit auch darauf hin, daß ein mehr als sechzigjähriger Mann bei sich abzeichnendem Hirninfarkt schwerlich noch eine Reise von Rumänien nach Deutschland antreten würde.
18Versichert sind nach den Bedingungen für den Versicherten überraschend nach Einreise auftretende Erkrankungen.
19Eine solche überraschende Erkrankung ist auch ein Schlaganfall, selbst wenn - wie die Klägerin zu Recht annimmt - prädisponierende Krankheitsfaktoren vorgelegen haben. Auch bei den beim Vater der Klägerin bestehenden Vorerkrankungen ist ein Schlaganfall nicht immer, nicht zwingend und nicht einmal höchstwahrscheinlich zu erwarten, deshalb auch nicht einigermaßen verläßlich vorhersehbar und mangels konkreter dahingehender Anhaltspunkte beim Versicherten auch nicht vorhergesehen und somit für ihn überraschend.
20Der Eintritt des Versicherungsfalles ist auch nicht vor Beginn des Versicherungsschutzes i.S.v. § 3 S. 2 AVB eingetreten, wofür die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig wäre.
21Der Hirninfarkt - und nur dieser ist die konkret behandlungsbedürftige Erkrankung und damit der Versicherungsfall - ist unstreitig erst nach Eintritt des Versicherungsschutzes, also nach Einreise in die Bundesrepublik, aufgetreten (siehe hierzu auch den bereits erwähnten eigenen Vortrag der Beklagten). Er ist auch nicht etwa Teil oder Abschluß eines gedehnten Versicherungsfalles, bei welchem die Hypertonie pp. der Anfang war. Der Schlaganfall ist vielmehr ein eigenständiges Krankheitsereignis, für welches vorausgegangene Erkrankungen wie Hypertonie pp. zwar Risikofaktoren sein mögen, die deshalb jedoch noch nicht "Vorstufe oder Teil des Schlaganfalles" sind.
22Die Voraussetzungen des Ausschlusses gemäß § 5 Ziff. 2 AVB, d.h. Behandlungen, bei denen bei Reiseantritt feststand, daß sie bei planmäßiger Durchführung der Reise stattfinden mußten, sind ebenfalls von der insoweit beweispflichtigen Beklagten weder dargetan noch nachgewiesen. Selbst wenn die Hypertonie oder der Diabetes behandlungsbedürftig waren, so stand vor dem Hintergrund dieser Erkrankungen keineswegs fest, daß sich eine Behandlung wegen eines Schlaganfalles zwangsläufig werde anschließen müssen.
23Dem somit für begründet zu erachtenden Anspruch der Klägerin ist die Beklagte, was die Höhe der Klageforderung anbetrifft, in der Berufung nicht mehr entgegengetreten. Die dahingehenden Ausführungen des Landgerichts sind auch zutreffend.
24Streitig waren unter den Parteien in erster Instanz lediglich die Kosten für die Fahrt des Arztfahrzeuges zur Wohnung der Klägerin bzw. des Versicherten. Diese Fahrt war nach Anrufung des Notarztes jedoch unumgänglich, und erst von diesem Notarzt konnte sodann der Transport des Versicherten in das Krankenhaus veranlaßt werden. Nach den von der Klägerin insoweit vorgelegten Unterlagen steht auch fest und ist von der Beklagten auch nicht mehr in Abrede gestellt worden, daß mit diesem Arztfahrzeug der Transport des Versicherten nicht hätte durchgeführt werden können, so daß im Ergebnis die Kosten zweier Fahrten bzw. zweier Fahrzeuge erforderlich waren und zu erstatten sind.
25Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
26Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.
27Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Beklagten: 17.404,90 DM.
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