Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 149/94
Tenor
1
T A T B E S T A N D
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Die Klägerin macht als Alleinerbin ihres am 7. März 1984 verstorbenen Ehemannes vor dessen Tod rechtshängig gemachte Schadensersatzansprüche wegen einer ärztlichen Fehlbehandlung durch die Beklagten zu 2. und 3. geltend.
4Der Schadensersatzanspruch setzt sich zusammen aus geltendgemachten Schmerzensgeld, Erstattung von Beerdigungskosten sowie ferner dem Begehren auf Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten für Unterhaltsschaden der Klägerin. Die Vorwürfe der Klägerin wegen fehlerhafter Behandlung ihres Ehemannes ergeben sich aus nachfolgendem Sachverhalt:
5Der Ehemann der Klägerin (Jahrgang 1920) begab sich im Juli 1983 zur stationären Behandlung in das S. A.-Krankenhaus in E.; Trägerin dieser Anstalt ist die Beklagte zu 1. Der Beklagte zu 2., Chefarzt der urolo-gischen Abteilung, der die Behandlung des Patienten Dr. S. übernahm, ließ ein Röntgenleerausscheidungsurogramm durchführen und stellte hiernach bei dem Patienten Dr. S. eine Vergrößerung der Prostata und einen linkssei-tigen Harnleiterstau fest, als dessen Ursache er einen Harnleiterstein annahm. Anläßlich einer am 25. August 1983 durchgeführten Operation wurden sowohl das Pro-stataadenom als auch der linksseitige Harnleiterstein durch den Beklagten zu 2. operativ entfernt. Anläßlich dieser Operation wurde, nachdem eine Urethrozystoskopie unmittelbar voraufgegangen war, eine transvesikale Pro-statektomie sowie eine tiefe Uretherolithotomie links durchgeführt. Nachdem die zuvor eröffnete Harnblase operativ verschlossen worden war, wurde ein Tampona-de-Katheter durch die Harnröhre eingelegt. Postoperativ bildete sich eine suprapubische Urinfistel infolge Nahtdehiszenz der Harnblase aus. Infolgedessen führte der Beklagte zu 2. am 7. September 1983 eine zweite Operation durch. Bei dieser Operation wurden ein Daue-rureterkatheter sowie eine Harnblasendrainage sowie ein Drain eingelegt und die Nahtdehiszenz zweischichtig geschlossen. Nach dieser zweiten Operation kam es vorübergehend zu einem Temperaturanstieg und zu einem Anstieg der Leukozytenzahl, des weiteren zu einer Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit von 125/150 mm n.W. Im Hinblick hierauf wurden Antibiotika verab-reicht, wonach die Körpertemperatur in der Folgezeit bis zum 5. Oktober 1983 auf Werte zwischen 37,4 und 37,8 C gesenkt werden konnte. Nach einer Zystographie am 23. September 1983 wurde am 4. Oktober 1983 eine te-trograde Urethrographie durchgeführt. Am nachfolgenden Tag kam es zu einem plötzlichen Fieberschub.
6Der Beklagte zu 2. deutete dies als Folge einer fieberhaften Pyelonephritis. Es erfolgte eine weitere antibiotische Behandlung. Am 7. Oktober 1983 führte der Beklagte zu 2. die Morgenvisite durch. Nachfolgend trat er vom 8. Oktober 1983 bis zum 16. Oktober 1983 einen Urlaub an und betraute den Beklagten zu 3., der seinerzeit Oberarzt der urologischen Abteilung war, mit der weiteren Behandlung des Patienten Dr. S.. Der Beklagte zu 3. war nur in der Zeit vom 7. bis zum 16. Oktober 1983 mit dessen Behandlung befaßt. Ab dem 5. Oktober traten bei dem Patienten wiederholt Fieberschübe auf. Am 9. Oktober 1983 stellte der Beklagte zu 3. bei dem Patienten eine Rötung an der rechten Oberschenkelaußenseite fest. Er verordnete insoweit kalte Kompressen sowie Rivanol-Umschläge. Ferner setzte er die bereits von dem Beklagten zu 2. begonnene Behandlung mit Antibiotika und Infusionen angesichts der von dem Beklagten zu 2. gestellten Diagnose einer Pyelonephritis fort.
7Nach Rückkehr aus dem Urlaub stellte der Beklagte zu 2. am 16. Oktober 1983 bei dem Patienten Dr. S. einen eitrigen Herd im rechten Oberschenkelbereich fest. Aus der punktierten Stelle floß Eiter ab. Am 17. Oktober 1983 wurde der Abszeß durch den Beklagten zu 2. eröffnet, welcher ihn als "Abszeß unbekannter Genese" wertete.
8Nach der Abszeßspaltung hatte der Patient weiterhin, wie auch bereits zuvor, starke Schmerzen im Oberschenkelbereich. Das rechte Bein wurde bewegungsunfähig.
9Der Beklagte zu 2. zog im Verlauf der weiteren Behand-lung am 24. Oktober 1983 einen Orthopäden, Dr. E., hin-zu, der eine Hüftgelenkkapselentzündung diagnostizier-te. Am 26. Oktober 1983 wurde der Patient in die chir-urgische Abteilung des ...hospitals (Leiter: Prof. Dr. Sc.) verlegt, nachdem zuvor erneut starke Schmerzen im rechten Gesäßbereich und in das rechte Bein ausstrah-lend aufgetreten waren. Aus der Abszeßhöhle im Ober-schenkel entleerte sich weiterhin Eiter. Es entwickelte sich nachfolgend eine Luxation des rechten Hüftgelenk-kopfes, die eine supracondyläre Drahtextension des rechten Femurs erforderlich machte. Wenig später wurde trüber Urin festgestellt sowie ein deutlicher Anstieg des Kreatinins, weshalb man die Antibiotikatherapie fortsetzte. Da weiter Harnentleerungsstörungen auftra-ten, wurde ein Dauerkatheter eingesetzt.
10Nachfolgend trat bei dem Patienten zeitweilig Bewußt-seinstrübung ein. Am 12. Dezember 1983 wurde Prof. O., Leiter der Orthopädie an der R. , hinzugezogen, der am 16. Dezember 1983 eine weitere operative Maßnahme durchführte, die im Operationsbericht wie folgt ge-schildert wird:
11Arthrotomie und Synovektomie, großzügige Ausschneidung der Abszeßhöhle rechtes Gesäß, Einlegen von zwei PMMA-Ketten rechtes Hüftgelenk, zwei PMMA-Ketten Abszeßhöhle rechtes Gesäß.
12Trotz dieser Operation kam es Ende Dezember 1983 erneut zu starken Schmerzzuständen im Bereich des rechten Hüftgelenkes. Aus dem belassenen Drain floß eitrig-nekrotische Flüssigkeit ab.
13Anfang Januar 1984 zeigte sich radiologisch eine zunehmende Nekrose des kranialen rechten Hüftkopfan-teiles.
14Am 9. Januar 1984 wurde in der Abteilung Orthopädie der R ein Becken-Bein-Gips angelegt. Aus der Drainage im Bereich des rechten Gesäßes floß nach wie vor reichlich Eiter.
15Ein erneutes Konsilium mit Prof. O. beschloß eine endgültige Sanierung des rechten Hüftgelenkes durch eine stabile Arthrodese.
16Insoweit wurde das Operationsrisiko als hoch angesehen. Gleichwohl wurde der Patient zum Zwecke der Operation am 26. Januar 1984 auf die orthopädische Abteilung der R verlegt. Dort wurde u.a. am 30. Januar 1984 operativ das gesamte Wundgebiet erneut gesäubert und eine supracondyläre Kirschner-Draht-Extension angelegt. Es bestanden weiterhin Fieberzustände, und auch der Allgemeinzustand nahm ständig ab. Auch Punktion und Dauerspülungen brachten keinen greifbaren Erfolg.
17Am 9. Februar 1984 wurde ein linksseitiger Beckenabszeß gespalten und eine Spül-Saug-Drainage angelegt.
18Wegen weiterhin schlechten Verlaufes mit Schocksympto-matik wurde der Patient am 1. März 1984 auf die Inten-sivstation verlegt.
19Es fand ein urologisches Konsilium statt und hiernach eine Punktion im Bereich der stark geröteten und geschwollenen Pfannenstielnarbe. Bei dieser Gelegenheit floß gelblich-seröse Flüssigkeit ab, weshalb in der Folge mit der Fragestellung einer Blasenfistel eine Zystographie durchgeführt wurde, die im Ergebnis auch die vermutete Fistel ergab. Es wurde sodann ein Katheter in die Blase eingelegt. Hiernach verschlechterte sich der Zustand des Patienten bei fortbestehender Sepsis weiterhin, und der Patient verstarb sodann in der Nacht vom 7. zum 8. März 1984 unter dem Zeichen eines nicht mehr beeinflußbaren schweren septischen Schocks und länger bestehender Kachexie.
20Die Klägerin hat behauptet, schon die am 25. August 1983 von dem Beklagten zu 2. durchgeführte Harnleiteroperation sei nicht indiziert gewesen. Der Beklagte zu 2. hätte vielmehr das in Bewegung befindliche Uretherkonkrement beobachten und dessen Spontanabgang abwarten können, um dann ausschließlich die Prostata zu sanieren. Ebensogut hätte man insoweit einen Auflösungsversuch vornehmen können. Durch die nicht erforderliche Harnleitersteinoperation habe sich das Operations- und Infektionsrisiko wegen der gleichzeitig stattfindenden Prostataoperation erhöht.
21Insbesondere aber hätten die Beklagten zu 2. und 3. nicht erkannt, daß sich nach der ersten Operation in der Zeit vom 31. August bis 7. September 1983 das umliegende Gewebe der Blase infolge Urinaustritts infiziert und entzündet habe. Insbesondere hätten die Beklagten hierauf hindeutende Anzeichen in Form erhöhter Körpertemperaturen, ständig wechselnder Blutdruckwerte, erhöhter Blutsenkung und Leukozytenzahl nicht ausreichend beachtet. Der Beklagte zu 2. habe sich am 31. August 1983 nicht mit dem Verdacht auf ein Extravasat begnügen dürfen, da schon zu diesem Zeitpunkt der dringende Verdacht auf eine Perforation der Prostataloge vorgelegen habe. Er hätte deshalb eine sofortige Drainage legen müssen, um einen Austritt des infizierten Urins in das kleine Becken zu verhindern. Da dies unterblieben sei, habe Urin in das die Blase umgebende Gewebe austreten und ein Infektionsgeschehen in Gang setzen können, welches letztlich zum Tode des Patienten geführt habe, dies deshalb, weil insbesondere auch nachfolgende gebotene diagnostische Möglichkeiten nicht ausgeschöpft worden seien.
22Tatsächlich hätten die Beklagten zu 2. und 3. mit Einsatz von Antibiotika, Schmerzmitteln und dergleichen immer nur die akut auftretenden Symptome bekämpft, ohne eine ausreichende Austestung der Ursachen für die schon zu diesem Zeitpunkt auf ein septisches Geschehen hindeutenden erhöhten Temperaturwerte und erhöhten Blutsenkungswerte abzuklären. Auch nach Durchführung der Harnblasenrevision am 7. September 1983 sei die Entwicklung eines infektiösen Geschehens schon erkennbar gewesen, da die Körpertemperatur trotz Verabreichung erheblicher Mengen von Antibiotika niemals Normalwert erreicht habe (was unstreitig ist), sondern immer zumindest subfebrile Temperaturen aufgewiesen habe.
23Die Beklagte hätte auch die verstärkten klinischen Anzeichen eines Abszesses und eines dahinterstehenden septischen Geschehens schon in der Zeit vom 4. bis 8. Oktober 1983 erkennen müssen. Schon am 4. Oktober habe der Erblasser über erhebliche Schmerzen im rechten Hüftbereich geklagt. Am 15. Oktober 1983 habe sich im rechten Oberschenkelbereich seitlich eine harte kompakte Masse gezeigt. Die Haut sei in diesem Bereich gerötet und ständig heiß gewesen. Den am selben Tag einsetzenden plötzlichen Fieberschub habe der Beklagte zu 2. fehlerhaft als fieberhafte Pyelonephritis diagnostiziert. Schon am 7./8. Oktober 1983 hätten alle Anzeichen einer Abszedierung vorgelegen, wie Fluktuation der Haut, erhöhte Temperatur und erhöhte Leukozytenzahl trotz antibiotischer Behandlung.
24Auch der Beklagte zu 3. hätte demzufolge in dem Behandlungszeitraum vom 7./8. Oktober bis 16. Oktober 1983 die klinischen Symptome für eine Abszedierung erkennen und Behandlungsmaßnahmen ergreifen müssen. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf die erhebliche Menge an Eiter, die bei der Abszeßeröffnung am 17. Oktober 1983 entfernt worden sei. Der Beklagte zu 3. hätte pflichtgemäß eine computertomographische Aufnahme veranlassen müssen, ersatzweise eine Sonographie, um die Ursache der Fieberschübe und der erhöhten Blutsenkungswerte abzuklären.
25Auch der Beklagte zu 2. habe es schuldhaft unterlassen, die von ihm gestellte Diagnose eines Abszesses unbekannter Genese mit Hilfe einer Computertomographie zu verifizieren oder zu erhärten. Mit dem Auftreten von Hüftschmerzen wäre auch eine nuklearmedizinische Untersuchung zum Nachweis entzündlicher Umbauvorgänge indiziert gewesen. Außerdem hätte man früher einen Orthopäden oder Chirurgen hinzuziehen und die Verlegung in die Klinik der R. veranlassen müssen. Auf keinen Fall hätte der Beklagte zu 2. sich in die Behandlung, d.h. die Operation eines Abszeßgeschehens einlassen dürfen, dessen Genese ihm unbekannt gewesen sei.
26Durch die zahlreichen Behandlungsfehler der Beklagten zu 2. und 3. sei der Tod des Patienten verursacht worden. Dadurch, daß die Entzündungsprozesse im Bereich der Harnblase nicht erkannt worden seien, hätten sich diese auf das die Harnblase umgebende Gewebe ausgedehnt und seien von dort über präformierte anatomische Wege zunächst auf den rechten Oberschenkel und die rechte Gesäßregion fortgeleitet worden. Es bestehe ein gesicherter Zusammenhang zwischen den Entzündungsprozessen im Bereich der Harnblase und der späteren Abszeßbildung. Die verspätete Abszeßdiagnose habe dann zu einer Hüftgelenkentzündung und zu dem nicht mehr beherrschbaren Krankheitsbild geführt, wobei sämtliche im weiteren Krankheitsverlauf aufgetretenen septischen Entzündungsprozesse auf den ursprünglichen Infektionsherd zurückzuführen gewesen seien.
27Angesichts unzulänglicher Dokumentation des Abszeßgeschehens sei hinsichtlich des Nachweises einer verspäteten Diagnose der Abszedierung von einer Umkehr der Beweislast auszugehen.
28Für die Behandlungsfehler hätten die Beklagte zu 2. und 3. als behandelnde Ärzte und die Beklagte zu 1. als Krankenhausträger einzustehen.
29Die Klägerin hat beantragt,
30- die Beklagten als Gesamtschuldner zu ver-
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urteilen, an sie ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmer-zensgeld, mindestens jedoch 80.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (28.01.1983) zu zahlen);
35- die Beklagten als Gesamtschuldner zu
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verurteilen, an die Klägerin 15.014,10 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (17.09.1987) zu zahlen.
40- die Beklagten als Gesamtschuldner zu
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verurteilen, an die Klägerin 253.498,50 DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung des Schriftsatzes vom 30.11.1988 zu zahlen
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festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ab dem 1. April 1984 sämtlichen weiteren Unterhaltsausfallschaden zu ersetzen, der durch den Tod des Herrn Dr. S. seit dem 1. April 1984 entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird.
53Die Beklagten beantragen,
54die Klage abzuweisen.
55Hinsichtlich des Unterhaltsanspruches der Klägerin haben die Beklagten die Einrede der Verjährung erhoben.
56Im übrigen haben die Beklagten zu 1. und 2. behauptet, die Entfernung des Harnleitersteins habe sich insbesondere im Hinblick auf die wiederholt aufgetretenen wiederkehrenden Koliken als sinnvoll ergeben und habe sachgerechterweise in einer Operation zusammen mit der Prostataoperation durchgeführt werden sollen. In der Zeit vom 3. bis 7. Oktober 1983 habe es keine klinischen Anzeichen für eine Abszeßbildung im rechten Oberschenkelbereich gegeben. Die urologische Behandlung sei am 7. Oktober 1983 abgeschlossen gewesen und eine Entlassung des Patienten für die nächsten Tage ins Auge gefaßt worden. Bei der Morgenvisite vor Antritt des Urlaubs des Beklagten zu 2. habe dieser weder eine Fluktuation noch eine Rötung noch eine kompakte Massebildung im rechten Oberschenkelbereich feststellen können. Es habe auch hier keine Überwärmung vorgelegen. Den am 5. Oktober 1983 aufgetretenen Fieberschub habe der Beklagte zu 2. als postinstrumentellen pyelonephritischen Schub deuten dürfen. Die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen erheblichen Schmerzen im Bereich der rechten Flanke hätten bereits bei dem ersten therapeutischen Gespräch vor Durchführung der Operation vorgelegen.
57Auch am 16. Oktober 1983 seien keine Rötungen oder sonstige Anzeichen für eine Abszedierung festzustellen gewesen. Außerdem habe er dem Patienten schon zu diesem Zeitpunkt empfohlen, die Abszeßeröffnung durch einen Chirurgen durchführen zu lassen, was der Erblasser jedoch abgelehnt habe. Deshalb habe er die Abszeßeröffnung selbst vorgenommen, und zwar lege artis. Daß eine Blasenfistel zu einem Abszeß über dem kleinen Becken auf der Außenseite des betreffenden Oberschenkels führen könne, sei in der Literatur nicht beschrieben und auch in der Praxis nicht vorgekommen, zumal es auch zwischen Blase und Gesäßmuskulatur bzw. Außenbezirken des Oberschenkels keine direkte Verbindung, insbesondere keine solche über präformierte Kanäle gebe. Soweit anläßlich der Obduktion eine Verbindung zwischen der bereits äußerlich sichtbaren Einschmelzungshöhle im rechten Gesäß-Hüft-Bereich wie auch zur rechten Oberschenkelaußenseite festgestellt worden sei, sei wegen der Vielzahl von fistelunabhängigen septischen Geschehnissen im Körper des Patienten nicht der Rückschluß gerechtfertigt, daß diese Verbindung schon zwischen der vom Beklagten zu 2. am 7. September 1983 vorgenommenen Revision wegen einer Nahtdehiszenz der Harnblase und einer suprapubischen Fistel und der Abszeßspaltung vom 17. Oktober 1983 bestanden habe. Insofern fehle es zudem an einem Verschulden, da ein solch ungewöhnlicher Krankheitsverlauf nicht voraussehbar gewesen sei. Die diagnostische Abklärung sei ausreichend gewesen, zumal sich die Fieberzustände des Patienten ohne weiteres als Folgen einer postinstrumentellen Pyelonephritis hätten deuten lassen. Die am 23. September 1983 durchgeführte Zystographie habe nur dem Zweck gedient, die Dichtigkeit der am 7. September 1983 gelegten Sekundärnaht zu prüfen; auch die am 4. Oktober 1983 durchgeführte Urographie habe nicht dem Ziel der Fistelsuche gedient. Es habe auch keine Veranlassung gegeben, nach einer weiteren Blasenfistel zu forschen.
58Zum Vorwurf der Behandlungsfehler trägt der Beklagte zu 3. entsprechend vor wie die Beklagten zu 1. und 2. Im übrigen hat dieser ergänzend darauf hingewiesen, daß er den Patienten mit der chefärztlichen Diagnose einer Pyelonephritis übernommen habe und die insoweit eingeleitete Behandlung sachgerecht fortgeführt habe. Klassische Symptome für eine Abszeßbildung hätten in dem ihm zugewiesenen Behandlungszeitraum nicht vorgelegen.
59Das Landgericht hat Zeugen vernommen sowie ferner die in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eingeholten drei Gutachten der Professoren A., C. und St. verwertet sowie ferner ein weiteres Gutachten des Schweizer Sachverständigen Prof. Dr. H. eingeholt. Auf der Grundlage dieser Beweiserhebung hat es durch Grund- und Teil-Endurteil vom 20. Oktober 1993, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, dem Schmerzensgeldanspruch in Höhe eines Betrages von 50.000,-- DM stattgegeben sowie ferner die Klageanträge zu 2. und 3. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
60Zur Begründung hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, den Beklagten zu 2. und 3. seien auf Fahrlässigkeit beruhende Behandlungsfehler vorzuwerfen, weil sie nicht spätestens ab dem 7. Oktober 1983 einer naheliegenden Verdachtsdiagnose mit den erforderlichen Befunderhebungen nachgegangen seien. Man habe sich nämlich nicht mit der Diagnose einer fieberhaften Pyelonephritis zufriedengeben dürfen; dies gelte sowohl für den Beklagten zu 2. als auch für den Beklagten zu 3.; jedenfalls ab dem 7. Oktober 1983 hätten nämlich hinreichende Anhaltspunkte für die Manifestation eines Abszesses im Oberschenkelbereich vorgelegen, die man hätte abklären müssen. Dieses Abszeßgeschehen hätte man auch mit den urologischen Operationen in Verbindung bringen müssen, weshalb die spätere Feststellung des Beklagten zu 2. eines Abszesses unbekannter Genese vorschnell und unzureichend gewesen sei. Dem Beklagten sei der Status des Patienten nach Prostatektomie und sekundärer Blasenrevision ebenso bekannt gewesen wie der Umstand, daß undrainierter Urin zu einem septischen Geschehen führen kann. Auch daß eine hier gegebene dünne Blasenwand zu Nahtdehiszenzen und Fistelbildungen neige, leuchte ein und habe beachtet werden müssen. Die Beklagten zu 2. und 3. hätten auch in Erwägung ziehen müssen, daß das hier vorliegende Abszeßgeschehen seinen Ursprung auch im Bereich der Harnblase haben könne, weshalb entsprechende Befunderhebungen zur Abklärung erforderlich gewesen seien. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. und auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A.. Nach deren Feststellungen sei auch von der Ursächlichkeit einer Blasenfistulierung für das gesamte nachfolgende septische Geschehen auszugehen, welches bei einer früheren Abklärung medizinisch beherrschbar gewesen sein, in welchem Fall der gesamte Krankheitsverlauf und auch der Tod des Patienten hätten vermieden werden können.
61Gegen dieses den Prozeßbevollmächtigten am 22. Oktober 1993 (Beklagter zu 3.), 26. Oktober 1993 (Beklagten zu 1. und 2.) sowie 28. Oktober 1993 (Klägerin) zuge-stellte Urteil, haben der Beklagte zu 3. am 22. Novem-ber 1993, die Beklagten zu 1. und 2. am 24. November 1993 und die Klägerin am 26. November 1993 Berufung eingelegt und diese nach jeweils entsprechender Ver-längerung der Berufungsbegründungsfrist am 23. Februar 1994 (Beklagter zu 3.), am 21. März 1994 (Beklagte zu 1. und 2.) und am 28. März 1994 (Klägerin) be-gründet.
62Die Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und machen ergänzend geltend:
63Der Beklagte zu 3. wendet sich mit seiner Berufung gegen das angefochtene Urteil mit der Begründung, daß ihm ein Behandlungsfehler nicht anzulasten sei und im übrigen ein solcher unterstellter Behandlungsfehler nicht kausal für den späteren Tod des Patienten Dr. S. gewesen sei, weil er - Beklagter zu 3. - den Patienten nur in einer ganz kurzen Interimsphase, nämlich nur während einer einzigen Woche, betreut habe und im übrigen ein etwaiger Behandlungsfehler auch nicht kausal für den Tod des Patienten geworden sei, weil die insbesondere von dem Sachverständigen Prof. H. angenommene Abszedierung von der Blase hin zur Außenseite des rechten Oberschenkels unter wissenschaftlich-medizinischen Aspekten nicht denkbar sei.
64Im einzelnen führt der Beklagte zu 3. aus, er habe den Patienten alleinverantwortlich lediglich in der Zeit zwischen dem 8. und 16. Oktober 1993 behandelt. In diesem Zeitraum hätten sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Entzündung gefunden. Die am 5. Oktober festzustellende Temperaturerhöhung sei ein postoperativer Fieberschub gewesen. Diesen habe der Beklagte zu 2. bereits als pyelonephritischen Schub diagnostiziert und mit Antibiotika adäquat behandelt. In diesem Zustand habe er, der Beklagte zu 3., den Patienten übernommen.
65Erst am 9. Oktober habe er eine leichte Rötung an der Oberschenkelaußenseite festgestellt. Insoweit habe er auch mit dem Patienten eine Abszeßbildung diskutiert, aber wieder verworfen, weil der Patient angegeben habe, er habe sich an einem Waschbecken gestoßen, weshalb man von einem Hämatom ausgegangen sei. Er habe deshalb die schon vom Beklagten zu 2. eingeschlagene Behandlung fortgesetzt. Das von ihm diagnostizierte Hämatom habe er mit Rivanol-Umschlägen behandelt und gleichzeitig die Antibiotika-Behandlung fortgesetzt, wobei er das Antibiotikum durch ein anderes ersetzt habe, was auch zu einem Rückgang des Fieberzustandes geführt habe. Auch die leichte Rötung habe sich zurückgebildet. Der Allgemeinzustand des Patienten habe sich deutlich verbessert. Erst bei der Untersuchung durch den aus dem Urlaub zurückgekehrten Beklagten zu 2. am 16. Oktober 1983 sei eine diskrete Fluktuation unter der Haut zu tasten gewesen, weshalb man eine Probepunktion und am Tag danach eine Abszeßeröffnung durchgeführt habe. Sein Verhalten stelle keinen Behandlungsfehler dar. Den Ausführungen insbesondere des Sachverständigen Prof. Dr. H. könne nicht gefolgt werden. Insbesondere habe er, Beklagter zu 3., in der einwöchigen Behandlungszeit keine Veranlassung gehabt, eine intensive Ursachenforschung hinsichtlich eines denkbaren Abszesses zu betreiben. Der von dem Sachverständigen Prof. Dr. H. vorgezeichnete Weg einer Entwicklung des Abszesses aus einer Blasenfistel über präformierte Kanäle hin zum Oberschenkel- und Beckenbereich sei nämlich unter wissenschaftlicher Sicht absolut nicht haltbar, wie auch die von dem Beklagten zu 2. durchgeführte Fragebogenaktion gezeigt habe, bei welcher alle angefragten Chefärzte erklärt hätten, einen solchen Krankheitsverlauf in der eigenen Praxis noch nie beobachtet zu haben.
66Er selbst habe wegen der sonstigen Symptome wie Hinken und Schmerzen in der Hüfte keine Veranlassung zur Ursachenforschung gehabt, weil diese Symptome bei dem Patienten schon vor der ersten Operation bestanden hätten. Im übrigen habe auch der Sachverständige Prof. Dr. H. selbst nicht sicher feststellen können, wann denn nun tatsächlich ein Abszeß zu diagnostizieren gewesen sei. Tatsächlich habe sich der Abszeß erst um den 16. Oktober 1993 entwickelt. Deshalb liege bereits kein Behandlungsfehler vor. Im übrigen wäre ein solcher auch für das weitere Krankheitsgeschehen in keiner Weise kausal geworden. Selbst eine verspätete Abszeßdiagnose hätte die sodann erfolgte Eröffnung des Abszesses höchstens um zwei bis drei Tage verzögert. Diese Diagnoseverzögerung um einige wenige Tage habe aber keineswegs zu einer unumkehrbaren Fortschreibung des Krankheitsbildes und insbesondere auch nicht zum Tode des Patienten geführt. Selbst der Sachverständige habe nämlich darauf hingewiesen, daß auch bei um einige Tage verzögerter Erkennung der Ursachen des Abszesses immer noch ein problemloser Heilungsverlauf zu erwarten gewesen wäre. Deshalb könne sein zu unterstellendes Versagen nicht ursächlich für den letalen Ausgang der Krankheit gewesen sein. Im übrigen könne das Abszeßgeschehen nicht mit der urologischen Operation in Verbindung gebracht werden, denn in der gesamten Literatur sei kein dem vorliegenden Fall vergleichbarer Krankheitsverlauf zu finden. Eine Abszeßausbreitung wie von den Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. A. angenommen, sei nirgendwo beschrieben und sei auch gänzlich undenkbar. Deshalb hätten die Beklagten an eine solche Abszeßentwicklung auch nicht zu denken brauchen. Insbesondere könne keine Rede davon sein, daß eine urologischerseits vorzunehmende Diagnostik verpaßt worden sei.
67Die Berufungsbegründung der Beklagten zu 1. und 2. stützt sich im wesentlichen auf die Verneinung eines Diagnose-/Behandlungsfehlers und trägt hierzu ausführlich vor, ein Ursachenzusammenhang zwischen der urologischen Krankheitsseite und dem Abszeßgeschehen sei schlechterdings nicht denkbar, weil die von den Sachverständigen H. und A. angenommene Fortentwicklung des Abszesses aus dem Harnblasenbereich in Richtung Außenseite rechter Oberschenkel/Hüftgelenk/Becken grundsätzlich nicht möglich sei. Die erforderlichen diagnostischen Maßnahmen seien entsprechend dem jeweiligen Krankheitszustand erfolgt; zur weiteren diagnostischen Abklärung habe keine Veranlassung bestanden.
68Die Klägerin trägt im Rahmen ihrer Berufung vor, das zuerkannte Schmerzensgeld sei zu niedrig bemessen. Das Landgericht habe den langen Leidensweg des Patienten nicht ausreichend berücksichtigt.
69Im übrigen macht sie mit der Berufung hinsichtlich der geforderten und zuerkannten Zinsen auf das Schmerzensgeld eine Klageerhöhung geltend und trägt insoweit vor, das Landgericht habe in erster Instanz antragsgemäß 4 % Zinsen auf das Schmerzensgeld zugesprochen. Sie verlange entsprechend vorgelegter Bescheinigung der Sparkasse weiteren Verzugsschaden. In der ausgewiesenen Höhe der zusätzlich geltend gemachten Zinsen hätte Kapital zurückgeführt und Schuldzins erspart werden können. Die Klägerin weist darauf hin, sie sei sich bewußt, daß grundsätzlich auch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates auf Schmerzensgeld nicht ohne weiteres höhere Zinsen verlangt werden könnten, da es einen Ausgleich durch Gewährung von Daseinsfreude bieten, also der Ausgabe, nicht der Anlage dienen solle. Die Klägerin meint jedoch, daß dieser Gesichtspunkt vorliegend nicht herangezogen werden könne, da er durch die Ereignisse, nämlich den Tod des Patienten, überholt worden sei.
70Die Beklagten zu 1. bis 3. beantragen,
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die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
74Sie beantragen ferner,
75die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
76Die Klägerin beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils nach den erstinstanzlichen Schluß-anträgen der Klägerin zu erkennen und im Wege der Klageerweiterung die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, das ausgeur-teilte Schmerzensgeld nebst folgenden Zinsen an die Klägerin zu zahlen:
8001.01.84 bis 31.12.84 8,50 % von ersten 18.630,59 DM zzgl. 8,00 % vom Restbetrag
8101.01.85 bis 30.09.85 8,50 % von ersten 18.038,11 DM zzgl. 8,00 % vom Restbetrag
8201.10.85 bis 31.12.85 8,00 % von ersten 18.038,11 DM zzgl. 7,50 % vom Restbetrag
8301.01.86 bis 30.05.86 8,00 % von ersten 17.416,77 DM zzgl. 7,50 % vom Restbetrag
8401.06.86 bis 31.12.86 7,50 % von ersten 17.416,77 DM zzgl. 7,00 % vom Restbetrag
8501.01.87 bis 30.04.87 7,50 % von ersten 16.734,26 DM zzgl. 7,00 % vom Restbetrag
8601.05.87 bis 31.12.87 7,25 % von ersten 16.734,26 DM zzgl. 6,75 % vom Restbetrag
8701.01.88 bis 31.12.88 7,25 % von ersten 15.970,41 DM zzgl. 6,75 % vom Restbetrag
8801.01.89 bis 28.02.89 7,25 % von ersten 15.142,01 DM zzgl. 6,75 % vom Restbetrag
8901.03.89 bis 30.10.89 7,75 % von ersten 15.142,01 DM zzgl. 7,25 % vom Restbetrag
9001.11.89 bis 31.12.89 8,25 % von ersten 15.142,01 DM zzgl. 7,75 % vom Restbetrag
9101.01.90 bis 30.03.90 8,25 % von ersten 14.253,44 DM zzgl. 7,75 % vom Restbetrag
9201.04.90 bis 30.06.90 9,25 % von ersten 14.253,44 DM zzgl. 8,75 % vom Restbetrag
9301.07.90 bis 31.12.90 9,75 % von ersten 14.253,44 DM zzgl. 9,25 % vom Restbetrag
9401.01.91 bis 30.09.91 9,75 % von ersten 13.290,54 DM zzgl. 9,25 % vom Restbetrag
9501.10.91 bis 31.12.91 10,25 % von ersten 13.290,54 DM zzgl. 9,75 % vom Restbetrag
9601.01.92 bis 31.12.92 10,25 % von ersten 12.233,02 DM zzgl. 9,75 % vom Restbetrag
9701.01.93 10,25 % von ersten 11.067,03 DM zzgl. 9,75 % vom Restbetrag
98sowie die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
99Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
100Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 22. September 1994. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. vom 8. Januar 1996 sowie das Protokoll der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vom 22. Mai 1996 Bezug genommen.
101E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
102Die zulässigen Berufungen der Beklagten sowie auch der Klägerin haben in der Sache keinen Erfolg bzw. die der Klägerin nur in geringfügigem Umfang.
103Das landgerichtliche Urteil ist nach dem Ergebnis der gesamten, insbesondere auch der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme zu bestätigen.
104Zu Recht hat das Landgericht ein den Beklagten anzulastendes Behandlungsversagen festgestellt. Auch der Senat gelangt nach eingehender Auswertung der Ausführungen sämtlicher mit dem vorliegenden Sachverhalt befaßter Sachverständiger zu dem Ergebnis, daß den Beklagten jedenfalls als Behandlungsfehler vorzuwerfende Diagnoseversäumnisse sind.
105Zwar wertet die - insbesondere auch höchstrichterli-che - Rechtsprechung Diagnoseirrtümer im Sinn von Fehl-interpretationen der Befunde nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler (siehe Steffen: Neue Entwicklungsli-nien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., S. 57 ff mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Fehldiagnosen sind dem behandeln-den Arzt nur dann anzulasten, wenn er es unterlassen hat, elementare Kontrollbefunde, deren Erhebung sich nach der konkreten Situation aufdrängt, zu erheben oder wenn er es unterlassen hat, eine erste Arbeitsdiagnose im weiteren Verlauf erneut zu überprüfen, eine erste Verdachtsdiagnose im Rahmen der weiterführenden Behand-lung auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen und zu veri-fizieren.
106Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze bedarf es keines näheren Eingehens auf die kontrovers erörterte Frage, ob schon die Durchführung der Harnleiteroperation, dies insbesondere in einer operativen Sitzung mit der Prostatektomie, nicht indiziert war, was nach den Ausführungen sämtlicher Sachverständiger eher zu verneinen sein dürfte, denn jedenfalls sind den Beklagten Diagnoseversäumnisse im Sinn des Unterlassens dringend gebotener Befunderhebungen und kritischer Überprüfung anfänglicher Verdachtsdiagnosen vorzuwerfen, wie sich aus Folgendem ergibt:
107Die dahingehenden Feststellungen der bereits in erster Instanz verwerteten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. A. und Prof. Dr. H., auf welche das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat, sind in zweiter Instanz bestätigt worden durch die dem Senat überzeugend erscheinenden schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F..
108Dieser hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten eingehend, nachvollziehbar und plausibel dargelegt, die Beklagten zu 2. und 3. hätten sich im Ergebnis vorrangig mit der Behandlung der jeweiligen fortlaufenden akuten Krankheitssymptome befaßt, ohne jedoch eine - dringend gebotene - Ursachenforschung hinsichtlich dieser diversen Krankheitssymptome zu betreiben, wie insbesondere hinsichtlich der laufenden zunächst febrilen und subfebrilen Temperaturen und sodann ab Anfang Oktober auftretenden laufenden Fieberschübe des Patienten, der fast ständig erhöhten Blutsenkungswerte, der erhöhten Leukozytenzahl sowie der fortschreitenden Abszedierung.
109So hat der Sachverständige Prof. Dr. F. eingehend dargelegt, daß ausweislich der Krankenunterlagen bereits am 10. September 1983 eine starke Beschleu-nigung der Blutkörperchensenkungsgeschwindkeit ver-merkt sei, wobei diese massive Senkungsbeschleunigung nicht allein auf die drei Tage vorher durchgeführte Harnblasenrevision habe zurückgeführt haben können. Wenn der Sachverständige dann weiter ausgeführt hat, "es überrascht daher, daß der am 10. September 1993 auffallend hohe BSG-Wert in den darauffolgenden Tagen nicht weiter kontrolliert worden ist", so deutet bereits diese Formulierung mit Deutlichkeit darauf hin, daß schon zu diesem Zeitpunkt keine ausreichend nachhaltige Ursachenforschung hinsichtlich des beschriebenen Symptoms betrieben worden ist.
110Des weiteren hat der Sachverständige dargelegt, daß angesichts der Fortdauer der erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit in Verbindung mit dem remittierenden Fieber jedenfalls spätestens ab dem 7. Oktober 1983 kein Zweifel mehr an dem Vorliegen eines entzündlichen Geschehens habe bestehen können. Zur Einlassung des Beklagten zu 2., wonach dieser den am 5. Oktober 1983 aufgetretenen plötzlichen Fieberschub als postoperative fieberhafte Pyelonephritis gedeutet hat, hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, diese Deutungsmöglichkeit sei zwar grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, angesichts des Umstandes, daß die eigentlichen urologischen Operationen zum Zeitpunkt des plötzlichen Fieberanstiegs am 5. Oktober 1983 schon geraume Zeit zurückgelegen hätten, habe diese Möglichkeit zwar immer noch bestanden, auf jeden Fall wären jedoch bei der Annahme eines solchen Zusammenhanges weitere Untersuchungen erforderlich gewesen, welche insbesondere die Durchführung von Urin- und Blutkulturen umfaßten. Auch im weiteren Verlauf seines schriftlichen Gutachtens hat der Sachverständige noch einmal darauf hingewiesen, daß es nach der vorherrschenden Lehrmeinung jedenfalls in der ersten Oktoberhälfte 1983 dringend und unverzichtbar geboten gewesen wäre, eine Urinkultur anzulegen und ferner bei dem Auftreten septischer Temperaturen auch eine Blutkultur durchzuführen. Diese Maßnahmen hat der Sachverständige ausdrücklich als "obligat" bezeichnet und sich hierzu auf wissenschaftliches Schrifttum bezogen. Begründet hat er dies ferner damit, daß bereits vier Wochen vorher eine starke, auf einen entzündlichen Prozeß hinweisende Erhöhung der BSG festgestellt worden sei, was ebenfalls darauf hindeute, daß dieser langfristigen Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit ein fortlaufendes entzündliches Geschehen habe zugrundeliegen müssen. An einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen den primär im Beckenbereich, sehr wahrscheinlich im Harnblasenbereich, aufgetretenen eitrig-abszedierenden Entzündungsprozessen bestand nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen kein Zweifel. Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. St. als möglich in den Raum gestellte Spritzeninfektion als Ursache des Oberschenkelabszesses hat der Sachverständige im Ergebnis praktisch ausgeschlossen, zumal insbesondere ausweislich der Aussage des beklagten Oberarztes keine Injektionen im Bereich des rechten Oberschenkels oder Gesäßmuskels verabreicht worden sind. Dies hat im übrigen auch der beklagte Chefarzt in seiner Epikrise erwähnt.
111Daß der am 17. Oktober 1983 gespaltene Abszeß am Oberschenkel letztlich nicht das primäre Ereignis war und man sich deshalb, dies insbesondere auch angesichts der nachfolgenden Krankheitsentwicklung, nicht damit begnügen durfte, diesen Abszeß als Herd des septischen Geschehens zu werten, hat der Sachverständige nachvollziehbar daraus gefolgert, daß zum einen bereits lange Zeit vorher klinische Entzündungszeichen bestanden haben und außerdem auch nach Entleerung des Abszeßeiters eigentlich eine rasche Besserung des klinischen Bildes zu erwarten gewesen wäre, welches tatsächlich jedoch nicht eingetreten ist. Sowohl die Blutsenkungsgeschwindigkeit als auch die Körpertemperaturen waren auch nach der Abszeßspaltung pathologisch erhöht. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige wiederholt überzeugend darauf hingewiesen, daß auch nach der Ausräumung des Abszesses am 17. Oktober 1983 weiterhin von einem schwerwiegenden entzündlichen Prozeß ausgegangen werden mußte, dessen Abklärung "dringend erforderlich gewesen wäre". Auch im Rahmen seiner konkreten Beantwortung der vom Gericht vorgegebenen Beweisfragen des Beweisbeschlusses hat der Sachverständige wiederholt darauf hingewiesen, daß der Vorwurf vorliegend in der fehlenden ausreichenden und konsequenten Ursachenforschung liege, d.h. an der Erhebung ausreichender Kontrollbefunde.
112Diese Feststellungen hat der Sachverständigen anläßlich seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat bestätigt. Hier hat er nämlich auf gezielte Fragen hin erneut ausgeführt, daß schon am 10. September 1983 eine massive Beschleuni-gung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit festge- stellt worden sei, der man durch eingehendere Ursachenforschung hätte nachgehen müssen. Hinzu sei gekommen, daß ein Temperaturanstieg bis 39 C zu verzeichnen gewesen sei. Erst recht gelte dies, als am 4. Oktober septische Temperaturen erreicht worden seien. Aus den Krankenunterlagen ergebe sich auch, daß schon am 23. September 1983 eine Leckbildung der Blase Röntgenaufnahmen entnommen worden sei, was auch der erstinstanzliche Sachverständige Prof. Dr. H. in seinem Gutachten festgestellt habe. Indirekt habe man darauf schließen können, daß sich eine Blastenfistel gezeigt habe, wofür auch der Umstand spreche, daß ein Dauerkatheter transurethral eingelegt worden sei, der bis zum 3. Oktober verblieben sei. Zwar habe es bei der Deutung der am 5. Oktober 1983 einsetzenden Fieberschübe zunächst sicherlich verschiedene Möglichkeiten gegeben. Auch die zunächst getroffene Diagnose einer Pyelonephritis sei nicht von vornherein abzuweisen; nachdem jedoch eine Urinkultur angelegt worden sei, die jedenfalls keinen Befund ergeben habe, sei die Deutung einer Pyelonephritis als Ursache der Fieberschübe und der Blutsenkungsgeschwindigkeitserhöhung aber unwahrscheinlich geworden. Demzufolge hätte man eine Blutkultur anlegen müssen, weil die Feststellung bereits in die Blutbahn gelangter Bakterien sehr wichtig sei und dann auch eine gezieltere Bekämpfung ermögliche. Die Identifikation der Bakterien im Blut erlaube in der Regel einen Rückschluß auf die Ursache oder einen Ursachenbereich. Wenn beispielsweise die Staphylokokken schon damals nach Maßgabe einer anzulegenden Blutkultur in der Blutbahn festgestellt worden wären, die nachher für den Tod ursächlich geworden sind, so hätten sich die Ursachen einengen lassen. Die von dem Beklagten zu 2. in den Raum gestellte Möglichkeit einer Reaktion auf das Kontrastmittel zur Blasendarstellung als Erklärung für erhöhte Temperaturen, hat der Sachverständige als unwahrscheinlich bezeichnet, weil eine Kontrastmittelreaktion nicht die massive und dauerhafte Erhöhung sowohl der Temperaturwerte wie auch der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit erkläre und auch nicht erkläre, daß auch eine Leukozytose aufgetreten sei. Daß mit der vermehrten Gabe von Antibiotika der Herd eines Abszeßgeschehens zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr getroffen werden konnte, hat der Sachverständige auf dahingehende ausdrückliche Befragung des Gerichts bestätigt, so daß die Gabe von Antibiotika jedenfalls kein ausreichendes Mittel der Therapie und schon gar kein solches der Diagnostik war.
113Vollends deutlich wird aus diesen Ausführungen des Sachverständigen, daß man sich mit der Erstdiagnose Pyelonephritis nach dem 5. Oktober 1983 jedenfalls dann nicht mehr hätte zufrieden geben dürfen, als eine angelegte Urinkultur keinen Befund ergab und damit die Deutung einer Pyelonephritis als Fieber und BSG-Erhöhungsursache ausschied bzw. unwahrscheinlich war.
114Zwar hat der Sachverständige eingeräumt, daß es in Einzelfällen extrem schwierig sein kann, den Herd eines Abszeßgeschehens aufzufinden, da in Einzelfällen die Eintrittspforte bereits wieder zugeheilt sein könne und der Abszeß dann in der Tiefe weiter "schmore". Jedenfalls hat der Sachverständige insoweit aber auch klargestellt, daß der Abszeß im Oberschenkel entgegen der Ansicht der Beklagten ein Abszeß der zweiten oder dritten Stufe war, dies deshalb, weil er erst am 16. Oktober endgültig nachgewiesen wurde, die Entzündungsparameter aber schon sehr viel früher in Erscheinung getreten waren; des weiteren hat der Sachverständige dies daraus gefolgert, daß in den Oberschenkel keine Injektionen gegeben worden sind, so daß es sich hierbei nicht um einen Spritzenabszeß handeln konnte und weiterhin daraus, daß der Sachverständige Prof. Dr. A. durch feingewebliche Untersuchungen nachgewiesen hat, daß die ältesten Abszedierungen im Urogenitalbereich bzw. im Bereich um die Harnblase gelegen haben. Auch der Umstand, daß nach Maßgabe der Aussage des Sohnes des Patienten Dr. S. dieser erst am 4. Oktober über Schmerzen im Bereich der Hüfte geklagt hat, deutet nach Ausführung des Sachverständigen Prof. Dr. F. darauf hin, daß der Abszeß im Oberschenkel ein sekundäres Geschehen gewesen ist. Hierüber hinaus hat der Sachverständige jedoch auch klargestellt, daß durchaus die Möglichkeit bestanden habe, dem eigentlichen Herdabszeß als Ausgangspunkt des septischen Geschehens auf die Spur zu kommen. Hierzu hat er ausgeführt, nachdem man schon am siebten postoperativen Tag und nochmals vier Wochen später Anhaltspunkte für eine Undichtigkeit im Operationsbereich hatte, hätte man bereits zu diesem Zeitpunkt eine Revision des Operationsbereichs anordnen müssen. Bei dieser Revision hätte man den Ausgangspunkt der Veränderungen, die sich später im Obduktionsbericht gezeigt hätten, gefunden. Daß die spätere Spaltung des Abszesses im Oberschenkelbereich nicht geeignet war, den Herd des septischen Geschehens zu treffen, zeigt sich nach Ausführung des Sachverständigen darin, daß zum einen bereits wesentlich früher schon deutliche Entzündungszeichen vorgelegen haben und daß im übrigen auch nach der Spaltung des Abszesses im Oberschenkelbereich keine rasche Heilung eingesetzt hat. Auch der Umstand, daß man kurz vor dem Tod des Patienten anläßlich der Weiterbehandlung in der R. im Bereich der Operationswunde einen Abszeß mit Fistel festgestellt hat, spricht dafür, daß die Primärursache nicht in dem Oberschenkelabszeß, sondern in dem Abszeß im Bereich der Blasenfistel zu sehen ist.
115Auf die weiteren Einwände des Beklagten zu 2. hin, ob es nicht sinnvoll oder jedenfalls vertretbar gewesen sei, den Patienten an eine andere Klinik weiterzugeben, hat der Sachverständige mit überzeugender Deutlichkeit ausgeführt, zwar hätten bei dem Patienten Dr. S. im Rahmen dessen Krankheitsverlaufs eine Reihe von Besonderheiten vorgelegen; es sei jedoch zu berücksichtigen, daß viel darauf hingedeutet habe, daß das erste Glied der Kette hier im urologischen Bereich liegen könne bzw. müsse. Dies ergebe sich daraus, daß schon auf dem Röntgenbild vom 23. September 1983 trotz unzulänglicher Qualität schon Anhaltspunkte für eine Undichtigkeit und einen geringfügigen Kontrastmittelaustritt an der Operationsstelle festzustellen seien; im übrigen gehörten Grundkenntnisse zur Bildung und zur Ausbreitung einer Sepsis auch zum Grundwissen jeden Arztes und natürlich auch des Urologen. Da die gesamten Symptome, die auf ein septisches Geschehen hindeuteten, wie insbesondere die wiederholten fieberhaften Temperaturen, die erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeitswerte sowie die erhöhten Leukozytenzahlen von Anfang an auf ein septisches Geschehen hingedeutet hätten, spreche auch alles dafür, daß dieses bei ausreichender diagnostischer Abklärung als im urologischen Bereich entstehend festzustellen gewesen wäre.
116Hinsichtlich des Verhaltens des Beklagten zu 3. hat der Sachverständige zwar eingeräumt, daß die Behandlung des Fiebers durch die weitere Antibiotika-Gabe und die Übernahme der Verdachtsdiagnose eines postinstrumentellen Fiebers durch den Chefarzt für kurze Zeit nicht zu beanstanden seien, daß aber gleichwohl angesichts der auf ein septisches Geschehen hindeutenden Fieberschübe ab dem 5. Oktober 1983 und der weiteren vorbenannten Symptome auch für den Beklagten zu 3. zwingende Veranlassung bestanden hätte, in eine weitere abklärende Diagnostik, insbesondere durch Anlegung von Blutkulturen, einzutreten.
117Diese gesamten Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. stimmen im Kern voll überein mit denjenigen der Professoren A. und H.. Auch diese haben, wie das Landgericht zutreffend referiert hat, angenommen, daß nach dem Obduktionsbefund, wonach bei dem Patienten eindeutig eine Blasenfistel festgestellt worden ist, alles für eine Blasenfistel und den damit verbundenen Austritt infizierten Urins in den gesamten Unterleibsbereich des Patienten als ursächlich für die Abszeßbildung und das insoweit fortschreitende septische Geschehen zu sehen ist und diesem die Schuld an dem letztlich tödlichen Ausgang der Abszedierung zu geben ist, wobei auch diese beiden Gutachter die Ansicht vertreten haben, daß die Beklagten zu 2. und 3. angesichts der vorliegenden Symptome und der Krankheitsvorgeschichte, nämlich der urologischen Operation in Verbindung mit dünner Harnblasenwand, an die Möglichkeit dieser Abszeßursache hätten denken und entsprechende Ursachenforschung hätten betreiben müssen.
118Der zwischen diesen Sachverständigen und dem Sachverständigen Prof. C. und St. kontrovers erörterten Frage des Existenz präformierter Kanäle zwischen Blase und Beckenbereich sowie Oberschenkelaußenseite kommt deshalb nach Überzeugung des Senats keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu, weil ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. feingewebliche Untersuchungen nach Maßgabe der Ausführungen des Sachverständigen A. ergeben haben, daß die ältesten Abszedierungen im Urogenitalbereich bzw. im Bereich um die Harnblase gelegen haben und sich der durch Schmerzen in der Hüfte erst um den 4. Oktober andeutende Abszeß im Oberschenkel demzufolge als sekundärer Abszeß der zweiten oder dritten Stufe darstellt, der deshalb nicht Ausgangs- und Kernpunkt des septisch sich ausbreitenden Geschehens gewesen sein kann, wie der Sachverständige Prof. Dr. F. klargestellt hat. Dies hat er auch daraus geschlossen, daß der Abszeß im Oberschenkel erst am 16. Oktober endgütlig nachgewiesen wurde, die Entzündungsparameter wie erhöhte Blutsenkung, Fieberschübe und Leukozytenzahl aber schon sehr viel früher in Erscheinung getreten sind.
119Vor diesem Hintergrund vermögen die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C., der in erster Linie die Ansicht vertreten hat, der wirkliche Ausgangspunkt des Abszeßgeschehens sei nicht mehr zu klären, zu erwägen sei allenfalls (ähnlich der Sachverständige Prof. Dr. St.), daß der Abszeß durch eine Spritzeninfektion ausgelöst worden sein könnte oder sogar schon durch eine Infizierung des bei der zwei Jahre zurückliegenden Operation durch Sturz vom Operationstisch entstandenen Hämatoms, nicht zu überzeugen.
120Gegen einen Spritzenabszeß sprich bereits, daß es keine gesicherten Erkenntnisse dazu gibt, daß bei dem Patienten Dr. S. Spritzen in den Oberschenkelbereich erfolgt sind, sondern die dahingehende Vermutung der Beklagten reine Hypothesen darstellen.
121Gegen die zweitgenannte These spricht die lange Zeit zwischen der zwei Jahre zurückliegenden Hämatombildung sowie der Umstand, daß sämtliche Symptome, die auf eine Abszedierung bzw. ein Fortschreiten des septischen Geschehens hindeuteten, sich exakt (u.a. nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F.) im Anschluß an die Harnblasenoperation einstellten.
122Hieraus hätte sich nach den Ausführungen des Sachverständigen gegebenenfalls die Notwendigkeit einer Revision des Operationsbereiches ergeben, bei welcher man den Ausgangspunkt der Veränderungen, die sich später im Obduktionsbericht gezeigt haben, mit Sicherheit gefunden hätte.
123Im Ergebnis sind nach den qualifizierten und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. angesichts der Anfang Okto- ber fortlaufenden Fieberschübe mit zum Teil septischen Temperaturen in Verbindung mit den fortlaufend erhöhten Blutsenkungsbefunden gravierende Diagnoseversäumnisse im Sinne der Nichterhebung notwendigen Kontrollbefunde festzustellen, die bereits als schwere Behandlungsfehler zu werden sind. Der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, selbst bei Annahme einer Pyelonephritis habe angesichts des plötzlichen Fieberanstiegs am 5. Oktober 1983 zwingende Veranlassung zu weiteren Untersuchungen, insbesondere Urin- und vor allem Anlage von Blutkulturen bestanden. Dies habe - auch schon 1983 - vorherrschender Lehrmeinung entsprochen.
124Soweit er ferner diese diagnostischen Maßnahmen unter Berufung auf weiteres Schrifttum als "obligat" bezeichnet hat, erweist dieses Unterlassen einen schon nicht mehr hinnehmbaren Verstoß gegen grundlegende wissenschaftlich gesicherte Verhaltensmuster, die aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich sind.
125Dem können die Beklagten auch nicht mit dem Hinweis begegnen, der Patient Dr. S. sei ein schwieriger, äußerst selbstbestimmender Patient gewesen, der nennenswert Einfluß auf das Behandlungskonzept genommen habe.
126Die Verantwortung für die gesamte Behandlung des Patienten und insbesondere auch für die Notwendigkeit diagnostischer Abklärung mit Erhebung von Kontrollbefunden lag bei den Beklagten zu 2. und 3., welche diese eigenverantwortlich durchzuführen hatten. In jedem Fall mußten sie die nach dem jeweiligen Krankheitsstand zwingend gebotenen diagnostischen Maßnahmen durchführen, wie z.B. vorliegend die von dem Sachverständigen Prof. Dr. F. für dringend erforderlich erachteten Blutkulturen oder aber gegebenenfalls auch eine Revision im Operationsbereich. Es sind im übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, daß der Patient sich diesen, ihm als zwingend geboten darzustellenden Maßnahmen verschlossen hätte.
127Im Hinblick auf die somit zu bejahenden schweren Behandlungs- = Diagnostikfehler (insoweit geht der Senat über die vom Landgericht angenommenen fahrlässigen einfachen Behandlungsfehler hinaus) ist die Klägerin des an sich zu Lasten des geschädigten Patienten gehenden vollen Kausalitätsnachweises enthoben, da bei schweren Behandlungsfehlern ausnahmsweise Erleichterungen für den Kausalitätsnachweis bis hin zur Kausalitätsvermutung eingreifen (siehe Steffen a.a.0. S. 188 f.).
128Der Sachverständige Prof. Dr. F. hat hierzu ausgeführt, bei frühzeitiger Anlage von Blutkulturen hätte sich die hier anzunehmende Verschleppung von Bakterien auf dem Blutwege nachweisen lassen, und an einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den primär im Beckenbereich - sehr wahrscheinlich im Harnblasenbereich - aufgetretenen eitrig-abszedierenden Entzündungsprozessen bestehe kein Zweifel. Der Abszeß im Oberschenkel sei ein Abszeß der zweiten oder dritten Stufe gewesen, wohingegen die im Obduktionsbefund festgestellten Abszedierungen im Urogentialbereich bzw. im Bereich um die Harnblase die ältesten Abszedierungen gewesen seien, was dafür spreche, daß das septische Geschehen dort seinen Ausgangspunkt genommen habe.
129Nach sämtlichen weiteren Ausführungen des Sachverständigen wäre bei der gebotenen frühzeitigen weiteren diagnostischen Abklärung der Herd der septischen Abszeßentwicklung jedenfalls schon in der ersten Oktoberhälfte aufzufinden gewesen, der dann auch durch operative und medikamentöse Intervention hätte erfolgreich behandelt werden können, in welchem Fall der Tod des Patienten und auch dessen langer Leidensweg zu vermeiden gewesen wären.
130So haben es auch der erstinstanzliche Sachverständige Prof. Dr. H. sowie der Sachverständige Prof. Dr. A. gesehen, die nach den zutreffenden Darlegungen des Landgerichts ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt sind, daß sich zwischen Harnblase und Umgebung bis hin zur rechten Oberschenkelaußenseite ein entzündliches Geschehen ausgebreitet habe, dem man durch eine frühzeitige diagnostische Abklärung hätte entgegenwirken können.
131Gegen die zur Haftung der Beklagten führende Kausalität sprechende Anhaltspunkte sind nach allem nicht ersichtlich und von den Beklagten auch nicht substantiiert vorgetragen.
132Ihre Haftung ergibt sich deshalb nach Maßgabe der vom Landgericht zutreffend referierten gesetzlichen Bestimmungen. Dabei ist hinsichtlich des Beklagten zu 3. erneut darauf hinzuweisen, daß nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. F. auch in der Behandlungszeit des Beklagten zu 3. gravierende diagnostische Versäumnisse durch unzulängliche Befunderhebung zu verzeichnen sind, die ebenso wie die dem Beklagten zu 2. anzulastenden zu einer Verschleierung und nicht rechtzeitigen Aufklärung der Krankheitsursache beitragen haben.
133Die Berufungen der Beklagten konnten deshalb keinen Erfolg haben.
134Auch die Berufung der Klägerin bleibt im Ergebnis erfolglos. Der Senat erachtet das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,-- DM als einen ausreichenden und sachlich angemessenen Ausgleich für durch die Behandlungsfehler der Beklagten dem Patienten Dr. S. entstandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
135Das Landgericht hat bei seiner Schmerzensgeldbemessung umfassend sämtliche insoweit zu berücksichtigenden Umstände in Betracht gezogen, insbesondere das lange und schmerzensreiche Krankenlager des Patienten, während dessen der Patient sich im übrigen auch wiederholten operativen Eingriffen hat unterziehen müssen, wobei er bei vollem Bewußtsein deren Fehlschlagen und die ständige Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes hat durchleiden müssen. Auf der anderen Seite war jedoch auch zu berücksichtigen, daß es sich bei der Entwicklung der gesundheitlichen Problematik um einen nach Ansicht aller Sachverständiger doch ungewöhnlich gelagerten Fall handelt, bei dessen Behandlung zwar die Beklagten zu 2. und 3. nicht die gebotene diagnostische Sorgfalt beachtet haben, sich auf der anderen Seite jedoch immer wieder bemüht gezeigt haben, Versuche zu unternehmen, um die Problematik in den Griff zu bekommen und sich dabei mit dem Patienten, der selbst Arzt war, beraten haben. Hinsichtlich der Bemessung des zuzuerkennenden Schmerzensgeldes entzieht sich der vorliegende Fall jeglichem Vergleich mit Vorentscheidungen zur Schmerzensgeldbemessung, da er so speziell gelagert ist, daß Parallelen zu vergleichbaren Fällen ausscheiden.
136Unter Berücksichtigung des Versagens der Beklagten zu 2. und 3. einerseits, das angesichts der besonderen Verhältnisse der Beeinträchtigungen des Patienten subjektiv nicht allzu schwer wiegt, wegen des Leidensweges von Dr. S. anndererseits von deutlichem Gewicht erscheint, ist der zuerkannte Betrag von 50.000,-- DM angemessen aber auch ausreichend, um die dem Schmerzensgeld zukommende Kompensationsfunktion zu gewährleisten.
137Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Berufung im Wege der Klageerhöhung höhere Zinsen begehrt als in erster Instanz und als vom Landgericht zuerkannt, hat ihre Berufung insoweit Erfolg.
138Zwar ist das Schmerzensgeld angesichts seiner Genugtuungsfunktion grundsätzlich dazu bestimmt, alsbald ausgegeben zu werden, um dem geschädigten Patienten als Ausgleich für erlittene Beeinträchtigungen anderweitig eine bessere Lebensqualität zu vermitteln; andererseits ist jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht damit zu rechnen, daß - insbesondere größere - Kapitalbeträge alsbald auf einmal ausgegeben werden, vielmehr werden sie normalerweise eher zinsbringend angelegt und lediglich sukzessive ausgegeben werden. Demzufolge hat sich auch der Bundesgerichtshof auf den Standpunkt gestellt, daß größere Schmerzensgeldbeträge im allgemeinen im Rahmen bankmäßig bestehender Anlagemöglichkeiten zinsbringend angelegt zu werden pflegen und der bei verspäteter Zahlung des Schädigers insoweit entgehende Zinsgewinn von diesem unter Verzugsgesichtspunkten zu ersetzen ist (s. zuletzt BGH NJW 1995, 733 m.w.N.). Vorliegend macht die Klägerin zwar keinen entgangenen Anlagenzinsgewinn geltend, sondern vielmehr - höhere - Schuldzinsen. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, daß der ursprüngliche Kläger als der geschädigte Patient zwischenzeitlich verstorben ist und die Klägerin als Rechtsnachfolgerin Ansprüche geltend macht. Vor diesem Hintergrund verliert der ursprüngliche Gesichtspunkt der Kompensationsfunktion des Schmerzensgeldes an Bedeutung, da er nach dem Tod des Geschädigten ohnehin nicht mehr zum Tragen kommen kann. Es ist deshalb der Rechtsnachfolgerin nicht zu versagen, die verzögerte Erlangung des Schmerzensgeldes unter dem Gesichtspunkt einer hiermit verbundenen Verzögerung der Rückführung von Schulden des Erblassers und damit verbundener Belastung mit Schuldzinsen zu würdigen und unter dem Gesichtspunkt der Höhe der geschuldeten Verzugszinsen geltend zu machen.
139Ihrem in tatsächlicher Hinsicht nicht bestrittenen Verzugsbegehren war deshalb zu entsprechen.
140Nach allem waren die Berufungen mit der vorbenannten Einschränkung zur Zinshöhe mit der Kostenfolge der §§ 97, 92 ZPO zurückzuweisen.
141Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
142Berufungsstreitwert: der Berufung der Klägerin: 30.000,-- DM, der Berufung der Beklagten: 305.014,10 DM.
143Wert der Beschwer: der Klägerin: 30.000,-- DM, der Beklagten: 305.014,10 DM.
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